Nachdem insbesondere die deutschen Medien seit zwei Jahren keine Beschimpfung Trumps ausgelassen haben und versuchen, immer noch einen Gang hochzuschalten, um den „Irren im Weißen Haus“ dazu zu bringen, aus dem Amt zu scheiden und zu diesem Zweck über den Atlantik hinweg mit Platzpatronen schießen, macht Trump außenpolitisch ein sehr spezielles Versprechen wahr. Nämlich das, unberechenbar zu sein. Dies allerdings macht ihn in einer für Politiker eher ungewöhnlichen Art und Weise sogar sehr berechenbar.
Man muss sich nur seine Ankündigungen und Versprechen von vor zwei oder drei Jahren nochmal ansehen, um zu wissen, was er beschließen wird. Es ist überhaupt gut, sich gelegentlich an das Geschwätz von Politikern von vor drei oder fünf Jahren zu erinnern, auch wenn gerade der deutsche Michel alle vier Jahre freiwillig eine Art Reset-Knopf im Kopf drückt, um jeder „neuen“ Regierung eine neue 100-Tage-Chance zu geben – und sei die Regierung im Kern auch noch so alt. Jetzt hat Trump also den Atom-Vertrag mit dem Iran außer Kraft gesetzt und die Europäer geben vor, die Welt nicht mehr zu verstehen.
Als der israelische Ministerpräsident in einer Art Zaubershow die Erkenntnisse des israelischen Geheimdienstes präsentierte, taten alle am Atom-Vertrag mit dem Iran Beteiligten (außer den Vereinigten Staaten) so, als hätte man ihnen drei Tage alten aufgewärmten Kaffee als Gruß aus der Küche serviert. ‚Kennen wir alles, nichts Neues, nicht wichtig, irrelevant.‘ Niemand schien verstehen zu wollen, was die Enthüllung scheinbar alter Erkenntnisse wirklich bedeutete.
Der Verdacht, der Iran arbeite heimlich an einem Atomwaffenprogramm, bestand seit Jahrzehnten. Lange Zeit glaubte man, ein Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag könne solche Ambitionen beenden, lange wurde darüber verhandelt. Anlass waren die Ankündigungen der Iranischen Staatsführung, Israel „von der Landkarte“ zu tilgen und der Drohung, dass beim Einsatz der nuklearen Option der Iran höchstens einen Schaden davontragen werde, während Israel vollständig zerstört würde. 2003 unterzeichnete der Iran schließlich den Atomwaffensperrvertrag, aber unter Protest. „Wir haben der Unterzeichnung des Protokolls zugestimmt, um zu beweisen, dass unsere Aktivitäten friedlich sind“, kommentierte der Leiter der Iranischen Atomenergie-Organisation, Gholamresa Aghasadeh.
Außer dem Iran haben bisher nur Indien, Israel, Pakistan und der Südsudan das Abkommen nicht unterzeichnet. Dass der Südsudan derzeit nicht in der Verfassung ist, Atomwaffen zu entwickeln, sollte klar sein. Auch klar ist, warum sich Indien und Pakistan gegenseitig das Messer an die Gurgel pressen, pflegen beide doch seit Jahrzehnten eine „innige Feindschaft“, die in Kaschmir immer wieder aufflackert. Auch die Frage, warum das von allen Seiten mit Auslöschung bedrohte Israel sich diese ultimative Option offenhält, ist hinreichend erörtert worden. Meine Gefühle diesbezüglich sind gemischt, weil ich einerseits Doppelstandards ablehne, andererseits sehr wohl sehe, dass Israel diese Waffe, wenn es sie den hat, was niemand bezweifelt, als eine Art Gruppenticket zur Hölle betrachtet, dass nur lösen kann, wer versucht, Israel zu vernichten. Einen offensiven Einsatz hat Israel jedenfalls nie angedroht. Ganz anders der Iran.
Ein fieser kleiner Computervirus
Falls sie übrigens Nordkorea auf der Liste vermissen: die Kims haben ihre Unterzeichnung zurückgezogen, sobald sie erfolgreich eine Atombombe zünden konnten. Man sieht also, dass auch das Papier von Verträgen der edlen Sorte, für die eine UN-Organisation wie die IAEO garantiert, im Zweifelsfall gerade mal zum einwickeln von Butterbroten taugt.
Aber der Reihe nach. 2003 unterzeichnete der Iran also den Atomwaffensperrvertrag. Man war zwar beleidigt und Aghasadeh betonte die friedlichen Absichten seines Landes, aber die Weltgemeinschaft feierte. Man hatte eine Unterschrift unter einem Vertrag, und wann hätte man je davon gehört, dass ein solcher Vertrag je gebrochen worden sei! Man klopft auf Holz, dreht sich im Kreis und sagt dabei dreimal laut „Neville Chamberlain“ und alles wird gut.
Unterdessen legte der Iran immense Beschaffungsaktivitäten an den Tag, um unter Umgehung bestehender Sanktionen an Zentrifugen zur Urananreicherung zu basteln, wovon der Westen erst dann so richtig Wind bekam, als ein fieser kleiner Computervirus namens Stuxnet 2010 diese Zentrifugen schneller laufen ließ, wodurch ein großer Teil davon zerstört wurde.
„Was zur Hölle macht ihr da, ihr Mullahs?“ fragte sich die Welt und zeigte auf den schönen Vertrag. Ihr wollt doch wohl nicht doch… „Nein, nein!“, kam die Antwort aus Teheran. Wir wollen die Atomkraft nur friedlich nutzen! Im September 2013 sprach der neue iranische Präsident Rohani, der nach dem irren Ahmadinedschad im Westen fast schon als Heilsbringer gefeiert wurde, vor der UN-Vollversammlung folgende Worte: „Das Ziel eines Atomprogramms eines jeden Landes darf nur die friedliche Nutzung sein. Ich erkläre hier mit aller Deutlichkeit, dass das der alleinige Zweck des iranischen Atomprogrammes ist.“ Netanyahus Warnung vor der Rede Rohanis im Jahr 2013 darf man aus heutiger Sicht als Menetekel bezeichnen. „Die Welt darf sich vom Iran nicht zum Narren halten lassen“, sagte er. Doch keiner wollte das hören.
Der Rest ist schnell erzählt, man feilschte noch zwei Jahre lang um den Vertrag, der Iran bestritt vehement, jemals ein Atomwaffenprogramm betrieben zu haben und unterzeichne im Grunde aus reiner Gutherzigkeit einen Vertrag, dessen Geist der Atomwaffenfreiheit man doch ohnehin längst selbst folge. Obama war glücklich, Merkel und Hollande waren glücklich, die iranische Bevölkerung war glücklich, hoffte diese doch, nun endlich so etwas wie Reformen und Freiheit zu erleben. Daraus wurde bekanntlich nichts. Das Geld aus den beinahe sofort anlaufenden Investitionen floss in den Machterhalt der Theokratie oder finanzierte direkt die Stellvertreterkriege im Einflussbereich des Iran. In Syrien ist der Iran mittlerweile mit eigenen Truppen präsent und die Unterstützung der Terrororganisationen Hamas und Hisbollah wird immer umfangreicher.
Die Party bloß nicht stören
Doch ich schweife ab. Fakt ist, der Iran hat stets bestritten, nach Atomwaffen zu streben, doch der Westen verzichtete ja auch auf ein Eingeständnis dieser Art, um die Party im Jahr 2015 nicht zu stören. Man wollte die iranische Unterschrift unter dem Vertrag, koste es, was es wolle. Und die Unterschrift kostete in der Tat viel. Der Iran schaffte es sogar, die Vertragspartner dazu zu bringen, seine Bemühungen zur Entwicklung von Langstrecken-Trägerraketen unberücksichtigt zu lassen. Dass der einzige Zweck dieser Trägersysteme ist, atomare Sprengköpfe zu weit entfernten Zielen zu tragen, ignorierte man. Keiner wollte mehr genau wissen, was der Iran tatsächlich vorhatte, der gehörte jetzt zu den Guten, mit dem sich prima Geschäfte machen lassen. Dummerweise sind die Lügner in Teheran noch dieselben und die Israelis immer noch genauso misstrauisch gegenüber Regierungen, die ihnen mit Vernichtung drohen. Daran änderte die Unterschrift Teherans rein gar nichts.
Was in unseren Medien komplett unterging, war denn auch die wichtigste Nachricht in Netanyahus Präsentation. Nicht die fehlende „smoking gun“ war nämlich die Top-Meldung, sondern die Tatsache, dass es überhaupt eine „gun“ gegeben hat. Denn das hatte der Iran ja stets bestritten. Wie darf man nun die unterschiedlichen Reaktionen in Paris und Berlin auf der einen Seite und Teheran auf der anderen verstehen? Nur in Teheran reagierte man logisch, indem man bei der Lüge blieb. Israel habe das alles erfunden, hieß es.
Einen Zacken dümmer die Reaktion aus Europa: Das sei alles nicht neu. Für „Partner“, die einen gemeinsamen Vertrag unterzeichnet haben, erscheint das mehr als merkwürdig, wenn der eine etwas schon längst weiß, was der andere vehement abstreitet. Was ist ein Vertrag wert, der auf derart unterschiedlichen Wahrnehmungen der Realität beruht und die eine Seite jede im Nachhinein bekannt werdende Lüge zu ignorieren bereit ist? Offensichtlich war man sich ja nicht einmal darüber einig, aus welchem Grund man überhaupt einen solchen Vertrag verhandeln musste.
Der persischen Bevölkerung wurde durch den nachlassenden Druck infolge des Vertrages jedenfalls ein Bärendienst erwiesen. Reformen blieben aus, die iranische Einmischung in Syrien oder dem Jemen verstärkte sich noch, erste „Kontakte“ des iranischen Militärs mit dem israelischen an der Nordgrenze zu Syrien waren die Folge.
Bereit, beide Augen fest zu verschließen
So wenig man in deutschen Medien über die Gefahren lesen konnte, die vom Unterlaufen des Vertrages ausgehen, wenn die eine Seite nur allzu gern bereit ist, beide Augen fest zu verschließen, so heftig werden die Folgen des Endes dieses Vertrages an die Wand gemalt. Trumps Entscheidung gefährde die Stabilität im Nahen Osten. Was das angesichts der zahlreichen offenen Konflikte für eine Stabilität sein soll, erfährt man indes nicht. Es ist letztlich nichts anderes als die gekränkte europäische Eitelkeit, die aus den Reaktionen abzulesen ist.
Martin Schulz, dessen Ego ohnehin waidwund am Boden liegt, bringt es in einem SPON-Artikel auf den beleidigten Punkt: „der Atom-Deal ist einer der größten diplomatischen Erfolge Europas in den letzten Jahrzehnten“. Es war so ein schöner Vertrag, und Europa wirkte daran mit. Sowas möchte man sich nicht dadurch kaputt machen lassen, dass die Vertragsinhalte kaum binden, der Iran seine Waffenprogramme nicht offenlegen musste und sich gegen Zusicherung reichlichen Geldes lediglich dazu herabließ, künftig mit seinen Vernichtungsambitionen gegenüber Israel langsamer voran zu gehen. Schulz‘ Forderung, die „moderaten Kräfte“ im Iran zu stärken, zeigt die anerzogene Blindheit gegenüber einem Extremismus, der bisher allen Regierungen im Mullah-Staat gemeinsam war und bei dem sich lediglich die Verpackung ändert. „Tod Israel, Tod den USA“ schallt es bei jeder Freitagspredigt. Und während derlei Hassparolen in Deutschland zurecht ein Fall für den Staatsanwalt wären, lässt man das den Vertragspartnern in Teheran mal eben als „Folklore“ durchgehen.
Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis auch die in den Iran-Vertrag verliebten Europäer einsehen werden, dass mit dem Moratorium der USA der schicke Deal komplett geplatzt ist. In ihrer eilig veröffentlichten gemeinsamen Erklärung irrlichtern May, Merkel und Macron trotz der offensichtlichen Erkenntnisse, die sie selbst als „nicht neu“ bezeichnet haben, immer noch wie folgt: „Es darf keinen Zweifel geben: das iranische Nuklearprogramm muss für immer friedlich und zivil sein.“ Dass es dies eben nie war, blendet man einfach aus. Auch die Ankündigung der 3M’s, für die Zeit nach Auslaufen „bestimmter Regeln“ einen „langfristigen Rahmen“ mit dem Iran verhandeln zu wollen, ist nichts als Augenwischerei. Genau dies hat der Iran immer abgelehnt. Schon bei Unterzeichnung des Vertrages waren sich die Experten darüber einig, dass man in Bezug auf Teherans Atom-Ambitionen – wenn überhaupt – lediglich einige Jahre Zeit gewonnen habe.
Ohne die USA ist der Vertrag in seiner jetzigen Form erledigt. Wenn die Sanktionen wieder angezogen werden und der Iran erneut vom internationalen Zahlungssystem SWIFT abgeklemmt wird, kann man Geschäfte mit Teheran nur noch in bar abwickeln und palettenweise Bargeld per Flieger zu den Mullahs schicken, wie Obama dies 2016 vorgemacht hatte. Gleichzeitig Geschäfte mit dem Iran und den USA zu machen, wird dann auch unmöglich werden, was die meisten Investoren abschrecken dürfte. Insgesamt also keine angenehme Lage für den Iran und seine europäischen Freunde. Den Gipfel der Heuchelei erklimmen übrigens diejenigen Journalistenkollegen, die den USA einerseits bei jeder Gelegenheit vorwerfen, nur an billigem Öl interessiert zu sein und nun andererseits in jammervollen Artikeln beklagen, dass der Ölpreis wegen des geplatzten Abkommens wieder zu steigen droht.
Teheran ist beim Lügen erwischt worden
Aber hoffnungslos ist die Lage gleichwohl nicht. Der Ball liegt aber in der iranischen Hälfte. Dort könnte man sich „ehrlich machen“ und die Weltöffentlichkeit mit der stets geleugneten Wahrheit konfrontieren, dass man sehr wohl nach atomaren Waffen strebte. Wenn diese Programme wirklich der Vergangenheit angehören, muss man doch vor einer „Tiefenprüfung“ durch Experten keine Furcht haben. Auch könnte man als Zeichen des neuen Geistes der Versöhnung den Ton gegenüber Israel und den USA zivilisieren, indem man die Verwünschungen künftig unterlässt und seine Truppen aus Syrien zurückzieht. Teheran ist beim Lügen erwischt worden, es ist an der Regierung dort, Vertrauen wieder aufzubauen. Indes glaube ich nicht daran, dass dies geschehen wird, solange dort ein theokratisches Scharia-System an der Macht ist.
In einem Buch Hamed Abdel-Samads las ich folgende Anekdote, die ganz gut erklärt, was mich daran zweifeln lässt, dass der Iran jetzt zur Ehrlichkeit finden wird: Ein schiitischer und ein sunnitischer Geistlicher sehen auf der Straße eine schöne Frau und zwinkern ihr zu. Als sie dabei beobachtet werden, reibt sich der sunnitische Geistliche verstohlen über das Auge, als habe er Sand hinein bekommen. Der schiitische Geistliche hingegen wird das Auge zehn Jahre lang geschlossen halten, um zu beweisen, dass das Zwinkern nie stattgefunden hat. Beim theokratischen Regime Irans auf vorbehaltlose Ehrlichkeit zu hoffen, erscheint mir leider eine europäische Selbsttäuschung zu sein.
Die im Umgang mit der täglichen Bedrohung geübten Israelis verwenden eine Smartphone-App, um die Bevölkerung vor den immer wieder stattfindenden Raketenangriffe auf ihren Staat zu warnen. „Red Alert“ meldete in der Nacht zum 10.5. mehrere Angriffe auf die Golanhöhen, die von der IDF entsprechend beantwortet wurden. Der Spiegel stellt den Vorfall natürlich wieder einmal so dar, als sei der Angriff nicht die Antwort, sondern die Frage gewesen. Wir kennen das Muster, immer nur die zweite Kugel zu erwähnen. Die IDF griff als Vergeltung die Stellungen der iranischen Al-Quds-Brigaden im Nachbarland Syrien an. Der Aktionsradius und die Fähigkeiten gerade dieser Abteilung der iranischen Revolutionsgarde, einem militärischen Staat im Staate, haben sich in den letzten Jahren dank des Atom-Abkommens mit dem Iran stark ausgeweitet.
Vielleicht sollte sich gerade die deutsche Politik angesichts der heiligen Freundschaftsschwüre anlässlich des 70. Jahrestages der Gründung Israels fragen, ob es eine gute Idee war, einem Regime, dass sich die Vernichtung des jüdischen Staates geschworen hat, auch noch die finanziellen Mittel dafür an die Hand zu geben. Der Stabilität im Nahen Osten hat der Vertrag jedenfalls nicht genützt, sondern geschadet. Gut, dass Trump den Vertrag und damit die Illusionen der Europäer beendet hat. Dem iranischen Regime jedenfalls sollte sein doppeltes Spiel in Zukunft zumindest schwerer fallen.
Der Rest, liebe Perser, die ihr seit langer Zeit die Nase voll habt von eurem absolutistischen „Gottesstaat“ und euch nach Freiheit sehnt, liegt ausschließlich in eurer Hand. Weder Israel noch die USA sind euer Feind, die Regierungen der europäischen Staaten jedoch nicht unbedingt euer Freund. Denn während sich eure Frauen zum Beispiel von der verordneten Verschleierung und der Bevormundung durch die Religion zu befreien suchen, hält man diese gerade in deutschen Regierungskreisen für eine spezielle Form der Freiheit. Eine perverse Form, wie ich anmerken möchte. Ebenso pervers wie die Hoffnung, ein Stück Papier mit wächsernen Siegeln könne die Absichten eines gewalttätigen und intoleranten Regimes beenden.
Darauf ein dreifaches „Neville Chamberlain“!
Dieser Beitrag erschien zuerst in Roger Letschs Blog Unbesorgt.