Der Journalist, Autor, Publizist, neugierige Interviewer, nüchtern-sentimentale Beobachter, Jude und Exilant Georg Stefan Troller ist tot. Ich weiß noch viel zu wenig über ihn. Ich weiß nur, dass ich einen aus der Generation meiner Eltern verloren habe.
Ich muss mit persönlichen Erfahrungen beginnen; anders schaffe ich es nicht. Dem Verstorbenen ist nicht gerecht zu werden, schon gar nicht in Trauer. Man kann nicht über 100 Jahre Leben beschreiben. Also beschreibe ich – bevor ich zum Jubilar komme, denn das ist Georg Stefan Troller trotz und wegen allem –, zuerst meine ersten Erfahrungen mit dem Jüdischsein in Deutschland. Es sind Streiflichter: Meine Mutter mit mir im Basar der jüdischen Gemeinde zugunsten der israelischen Armee im Jom-Kippur-Krieg, im Gemeindehaus in der Fasanenstraße in Berlin. Ihre nüchternen Worte zu ihrem kaum halbwüchsigen Sohn: „Es ist genug. Nie wieder die Vernichtung jüdischen Lebens. Nirgends.“ Wenn ich dagegen das idiotische, getarnte und tarnende „nie wieder“ aus dem Munde der Politik höre, von Steinmeier bis Wadephul, dann wird mir so übel, dass ich das Thema wechsle, um wenigstens das bloße Erbrechen zu vermeiden.
Wen lernte ich zuerst kennen? Meinen Freund Natan, den Arzt aus Riga. Claudia, die Ärztin, die in Rumänien studiert hatte. Juden. Dann Coco Schumann, den Jazz-Gitarristen. Auch ihn persönlich. Zuerst am Telefon; ich machte mir Sorgen um seine Gesundheit, und er stand im Berliner Telefonbuch. „Nee, Kleener, et jeht schon. Komm ma‘ lieba in mein Konzert, der Kalle am Saxophon is ooch da.“ Das tat ich.
Dann las ich über Ralph Giordano. Las Jean Amery. Ging zu Giora Feidman ins Konzert, lange bevor er berühmt wurde. Versuchte, Helmut Newton zu treffen. Traf ihn zu spät, auf dem Friedhof an der Stubenrauchstraße, ein paar Meter von der Wohnung meiner Eltern. Besuchte sein Museum hinter dem Bahnhof Zoo, Jebensstraße. Hängte mir sein Foto ins Arbeitszimmer. Zeitzeugen, meine Zeugen. Zeugen wofür?
Was hat das alles mit Georg Stefan Troller zu tun?
Ach, wenig und viel. Es ist die Erfahrung der Verfolgung, des Exils, des Mordens, des Hasses, der Gleichgültigkeit, des verspäteten Rituals einer sogenannten Versöhnung über ekelhaft stinkenden Bergen von Leichen; eine entsetzliche Vorstellung. Troller hat sie gesehen, und es kam selbst ihm unwirklich vor.
Es ist der Verlust ganzer Familien, Trollers Familie, es ist das Alleinsein, die irrationale und peinliche Scham, entkommen zu sein und überlebt zu haben, es ist die Shoah; es ist der 7. Oktober, den Troller noch erleben musste, es ist eine ganze Welt des Hasses gegen einen kleinen Haufen Menschen, zusammengepfercht in einem Ghetto, einem Konzentrationslager, einem eigenen Land, und doch verstreut gewesen als Asche, verscharrt als Knochen, lebendig zerstreut in alle Winde. Ach, wir Deutschen haben daraus gelernt! Wir haben gelernt, die Nachfolger des Grauens durch unsere Straßen ziehen zu lassen.
Juden? Leute, die nicht aufgeben. Endlich komme ich zu ihm, dem Jubilar, dem verstorbenen: Georg Stefan Troller. Nun endlich kein Name-Dropping mehr, kein Jubel-Trubel-Heiterkeit-Jude. Nicht dein Jude, nicht mein Jude. Sondern einer, der sein eigener Jude war, es nüchtern blieb. Neugierig bis zum Tode. Stilvoll. Trocken und sentimental, beides versöhnt mit Eleganz.
Sein Geheimnis vor allem
Ich traf auf ihn in den 1980er Jahren, als deutsches Fernsehen noch seinen Namen wert war, ein Fern-Sehen, das einem nahe trat, zu nahe. Es kam die Trilogie „Wohin und zurück“, Trollers Autobiographie, kongenial verfilmt von Axel Corti, mit Gabriel Barylli in der Hauptrolle. Ich konnte Troller zusehen, wie er als amerikanischer G.I. nach Wien zurückkehrte, „Welcome in Vienna“. Schon wieder konfrontiert mit Vorurteilen, dem charmanten Antisemitismus wie dem schnoddrigen, dem schuldlosen, dem ehrbaren, dem latenten seiner eigenen Kameraden.
Erstmals verstand ich, was es heißt, seine Heimat zu vermissen und sie nicht wiederzufinden, heimzukehren ins Nichts, ein bloßes Konstrukt der Erinnerung, aus dem schon wieder nichts bleibt als die Flucht, wieder nach Paris, ein zweites Mal, verglichen mit jenem ersten Paris, das immer noch vielen Juden zur Falle geworden war. Aber nicht allen; hier wehte noch Trollers Wind der Freiheit, des Geistes, der Kultur, der existenzialistischen, sogar der jüdischen. Nun gehörte ihm die ganze Welt, und Paris war ihr Nabel.
Diesen Weg ging Georg Stefan Troller. Wen er, der Journalist, der Autor und Publizist, der neugierige Interviewer, der Lebendige und der zu Zeiten untote Flaneur, der nüchtern-sentimentale Beobachter, an Prominenten traf, mögen andere berichten. Ihm war es nicht übermäßig wichtig, was Prominente ihm zu bieten hatten; für ihn waren es sehr interessante, andere Lebenserfahrungen, ganz andere als seine eigenen, nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Und wieder sah ich ihn, zweimal im Interview mit Gero von Boehm. Beim zweiten Mal stellte von Boehm ihm eine Frage, die ich ähnlich verblüffend und direkt wie Trollers eigene Fragen und dennoch deplaciert fand: Ob er denn mit Romy Schneider geschlafen habe. Troller blieb ungerührt und gab eine Antwort, die alle Schlüpfrigkeiten weit von sich wies und sogar den Fragenden selbst nicht bloßstellte. Eine hohe Kunst, eine menschenfreundliche, eine nicht alles, aber das Wesentliche verzeihende. So war er.
Hier sprach nicht der Mann, nicht der Jude, nicht der Exilant, nicht der viel zu spät in seiner Heimat Österreich Wiederentdeckte, sondern jemand, der fern aller Eitelkeiten seine Contenance wahrte und sein Geheimnis. Sein Geheimnis vor allem. Ich weiß noch viel zu wenig über ihn. Ich weiß nur, dass ich einen aus der Generation meiner Eltern verloren habe, und dass ich ihn vermissen werde bis ans Ende meiner Tage. Den Mann, den Menschen, den Überlebenden, den Zeitzeugen, den Flaneur, den Jubilar, den um keine ehrliche Rede verlegenen und keiner einzigen Ausrede geneigten Juden Georg Stefan Troller, der am 27. September, dem Geburtstag meines Vaters, in Paris gestorben ist.
Dr. med. Jesko Matthes, Alumnus der Studienstiftung des Deutschen Volkes, immunologische Promotion über Tumornekrosefaktor- und Lymphotoxin-Messung, auch in virustransfizierten Zelllinien maligner Lymphome. Notarzt mit LNA-Qualifikation. Er ist Arzt und lebt in Deutsch-Evern.

103! das hat Chagall nicht geschafft (97) und Klibansky auch nicht (fast 100). Troller hat mir Paris anziehend gemacht. Es zog mich oft hin. Er war wunderbar.
O! Trollers Bücher habe ich wie ein Süchtiger verschlungen. Und seine Berichte aus Paris sind noch immer ganz wunderbar.
„Ron Kovic— Warum verschwindest du nicht?“ Dokumentation von Georg Stephan Troller. Heute so aktuell wie in den 70 Jahren, Vietnam Krieg. Danke für den Nachruf. Trollers Portraits, Pariser Journal waren und sind sehenswert.“ Geboren geboren am 4.Juli“ , dieser Film ist für Jugendliche sehr geeignet.
Danke, Jesko Matthes, für den berührenden Text.
Danke, Jesko Matthes für diesen vortrefflichen Nachruf.