Interview / 02.05.2022 / 12:00 / Foto: Imago / 22 / Seite ausdrucken

Covid in Schanghai: Einen Monat eingesperrt

Die Volksrepublik China hat im Zuge ihrer Zero-Covid-Politik aktuell die striktesten Corona-Maßnahmen der Welt verhängt. Simon Akstinat sprach mit einer betroffenen Anwohnerin von Schanghai.

Die Welt schaut auf Schanghai und seine teilweise dramatischen Covid-Abriegelungsmaßnahmen, erhält aber nur bruchstückhafte Informationen aus dem Reich der Mitte. Zusätzlich erschwerend kommt bei dem Versuch sich ein Bild von der Lage zu verschaffen hinzu, dass viele Menschen (Chinesen und sogar Ausländer) Scheu haben mit der Presse über ihre derzeitige Lebenssituation in der Megastadt zu sprechen. Nach langen Recherchen konnte Achgut.com nun doch eine Gesprächspartnerin vor Ort finden.

Frau Loesch, Sie sind gebürtige Russin, haben aber auch mehrere Jahre in Kanada und Deutschland gelebt und sind mit einem Deutschen verheiratet. Wie lange leben Sie jetzt schon in Schanghai? Und warum?

Elena Loesch: Ich lebe jetzt seit 18 Jahren in Schanghai. Mein Mann arbeitet hier für ein deutsches Unternehmen.

Wie geht es den Chinesen nach zwei Jahren Corona?

Bis April dieses Jahres hatten wir das Thema völlig vergessen. Alles war wieder normal; alle Restaurants waren offen, viele Ausstellungen und Museen waren geöffnet. An überfüllten Orten mussten wir immer noch eine Maske tragen, aber nicht im Freien.

Anfang 2021 erreichten uns Bilder aus China, sogar aus Wuhan, von Menschenmengen, die ohne Masken in Diskotheken standen. Die Angst vor Corona schien in China fast verschwunden zu sein. Die Chinesen haben auch eine viel höhere Impfquote als die Europäer. Warum nun diese strenge und so plötzliche Abriegelung in Schanghai?

Das erneute Auftreten von Covid-Infektionen in Schanghai und die Zero-Covid-Politik führten zu dieser plötzlichen Abriegelung. In Schanghai leben 26 Millionen Menschen, und die Behörden wollten hart durchgreifen, bevor die Ausbreitung außer Kontrolle gerät.

Zumindest diese Woche dürfen Sie den Innenhof Ihrer Wohnanlage betreten. Ursprünglich hieß es, dass die Abriegelung nur ein paar Tage dauern würde. Aber es kam ganz anders. Wie lange am Stück durften Sie Ihre Wohnung nicht verlassen?

Wir hatten seit dem 24. März eine Ausgangssperre, eine vollständige Ausgangssperre, in der Wohnung musste ich für einen ganzen Monat bleiben. Jetzt können wir unsere Wohnung verlassen, aber nur im Garten unserer Gated Community (bestehend aus 2 Gebäuden) spazieren gehen. Auch dabei müssen wir Masken tragen.

Sie hatten einen Moment, in dem Sie in Ihrer Wohnung ein wenig nervös wurden. Was ist passiert?

Da die Abriegelung so plötzlich kam und wir nicht dachten, dass sie lange dauern würde, hielt ich es nicht für notwendig, die Lebensmittelvorräte aufzustocken. In Schanghai ist es sehr einfach und beliebt, Essen nach Hause zu bestellen, und die Leute bestellen fast täglich. Da ich nichts mehr bestellen konnte, da alle Lieferungen, Restaurants und Geschäfte geschlossen waren, war es keine leichte Zeit. Mein Kühlschrank war leer, ich hatte zwar Nudeln und Körner, aber kein Gemüse, keine Milch, keine Eier und keinen Käse. Zu Beginn der dritten Woche stellte die Regierung kostenlose Lebensmittelsäcke (Gemüse) zur Verfügung, in der Woche darauf auch Gemüse und Speiseöl.

Man kann nun kein Essen mehr privat bestellen. Die Lebensmittel müssen sterilisiert werden. Wie bekommen die Menschen ihr Essen in ihre Wohnungen?

Der Wachmann an der Pforte und freiwillige Helfer in weißen, geschlossenen Anzügen liefern die Lebensmittel in jede Wohnung. Da es kein einheitliches Einkaufssystem gibt, haben die Bewohner Schanghais einen gemeinsamen Einkauf für die gesamte Anlage entwickelt, wobei mindestens 50 Kisten bestellt werden müssen und die Lieferung einige Tage dauert. Bei manchen Gated Communities funktioniert die Essens-Lieferung aber besser als bei anderen. Da wir in meiner Wohnanlage die einzigen Ausländer sind, konnten wir uns nicht der Sammelbestellung anschließen. Aber ein chinesischer Nachbar half mir, über die Sammelbestellung ein Paket mit Milchprodukten zu kaufen. Das Paket enthielt Dinge, die ich haben wollte, Käse und Butter, aber auch Dinge, die ich nie kaufen würde, Schlagsahne und schwere Sahne. Aber wir haben keine Wahl, also musste ich sie mitbestellen.

Die Leute können nicht zur Arbeit gehen. Wie verhält es sich mit dem Job, dem Gehalt und der Miete der Bürger in Schanghai?

Laut Gesetz bekommt jeder, der angestellt, aber derzeit eingesperrt ist, weiterhin sein volles Gehalt. Für Menschen mit kleinen Unternehmen hingegen gibt es mehr Probleme, viele werden ihren Betrieb einstellen müssen. Denn die Regierung hilft mit Lebensmitteln, aber ich weiß nicht, ob es darüber hinaus noch andere Hilfen für Kleinunternehmer gibt.

Corona ist eine Krankheit, die fast alle Menschen überleben, vor allem die jüngeren Jahrgänge; eine schwere Erkrankung, die ärztliche Hilfe erfordert, bleibt die Ausnahme. Haben die Regierung und die Menschen in China wirklich so viel Angst vor dieser Krankheit?

So wie ich das verstehe, liegt das eher an der Verpflichtung zur Zero-Covid-Politik. Ich glaube nicht, dass die Menschen Angst haben. Die Menschen in China sind nicht aggressiv. Die meisten werden nicht streiken, sondern abwarten und zu Hause bleiben und die Zeit als Urlaub mit der Familie nutzen.

Welche Mittel hat die regierende Kommunistische Partei, um die Einhaltung der Vorschriften zu überwachen?

Wir alle haben eine App mit einem Code auf dem Telefon, mit der nach jedem Test aktualisiert wird, wann und wo der letzte Test stattgefunden hat, und auch die Impfdaten werden gespeichert. Jeder, der in einer Gated Community lebt, hat Wachen am Tor.

Was passiert mit Ausländern, wenn sie gegen die Regeln verstoßen?

Ich erinnere mich, dass beim ersten Ausbruch der Krankheit ein Ausländer ausgewiesen wurde, weil er sich nicht an die Regeln gehalten hat.

Sporadisch sollen sich Chinesen den Behörden widersetzen und demonstrieren. Welche Formen des Protests gibt es in Schanghai?

Kein Protest. Ab und zu hat jemand die Nase voll und läuft einfach aus der Gated Community hinaus und bekommt Ärger mit der Polizei, die ihn nach Hause schicken will. Es gab einige Proteste von Leuten, die positiv getestet wurden und in ein Lager gebracht werden sollten, um dort behandelt zu werden. Diese Lager schienen ein wenig beängstigend zu sein, also fügten sich die Leute. In den Hallen dieses Lagers sind viele Betten in Reihen aufgestellt. Es gibt keine wirkliche Privatsphäre, nur eine Kabine mit 2 Personen pro Kabine.

Im großen Gesamtchina mit seinen 150 Millionenstädten, seinen 15 Megastädten, über 300 Millionen Bauern und 1,4 Milliarden Menschen soll es seit Anfang 2020 offiziell 4.975 Corona-Tote (Stand 30.4.2022) geben, aber im kleinen halbautonomen Hongkong sind es 9.298 Corona-Tote. Glauben die Chinesen den Zahlen ihrer Regierung?

Das ist keine Frage des Glaubens mehr. Jeder hat eine andere Meinung zu diesem Thema, und die Menschen hoffen einfach, dass der Lockdown schnell vorbei geht.

Glaubt irgendjemand in China wirklich, dass das unmögliche Kunststück, ein Virus vollständig auszurotten, gelingen kann?

Jeder hat dazu eine andere Meinung.

In China ist die Digitalisierung viel weiter fortgeschritten als in Deutschland. Der beliebteste Kurznachrichtendienst des Landes namens WeChat, das chinesische Pendant zu Whatsapp, ist auch ein Bezahldienst, also WhatsApp und PayPal in einem. Auch das im Westen beliebte Videoportal TikTok stammt aus China. Warum gelangen so wenige Videos und Fotos aus Schanghai in den Westen?

Die Videos werden zensiert und verboten. Die Videos sind zwar verfügbar, können aber nicht kopiert oder an eine andere App gesendet werden. Sie können nur in den Favoriten des WeChat-Programms gespeichert werden und viele werden zensiert.

Apps wie Facebook, WhatsApp, Telegram etc. sind verboten und können nur durch die Installation von VPN (Virtual Private Network) genutzt werden und funktionieren auch dann nicht immer.

Vielen Dank, Frau Loesch, für dieses Gespräch!

Foto: Imago

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Leserpost

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L. Kauffmann / 02.05.2022

Das dürfte irgendwann in die Liste der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte eingehen. Ich habe allerdings wenig Mitleid mit der chinesischen Bevölkerung als Ganze. Wer sich selbst bei solch haarsträubenden Menschenrechtsverletzungen nicht gegen das Regime erhebt und nur servil abwartet, daß alles vorbeigeht, hat es nicht anders verdient. Irgendwann muß das Fass doch mal überlaufen …

Ludwig Luhmann / 02.05.2022

Eine Kuh kann einen Bauern mit Leichtigkeit zerdrücken. Aber 26 Millionen Chinesen können sich nicht die Freiheit holen. Chinese! Wenn Dein starker Arm es will ... ...

Ulrich Müller / 02.05.2022

Ich war über die Jahre hinweg schon oft in Shanghai und es hat mir jedesmal große Freude bereitet, dort wieder herumzustromern. Aber leben wollte ich dort ganz gewiss nicht. Schon gar nicht mit so einem irren Corona-Lockdown.

Rolf Mainz / 02.05.2022

Erinnert fatal an die Bilder von vor ca. zwei Jahren. China greift durch, der Rest der Welt schüttelt den Kopf - und hielt/hält es für übertrieben. Weiss China etwa wieder mehr?

Th. Wagner / 02.05.2022

Geht es wirklich um das Virus - oder um die Beherrschung der Massen?

Daniel Oehler / 02.05.2022

In früheren Zeiten bestand die Reduktion der persönlichen Freiheit in Zusammenhang mit Shanghai im Shanghaien: im Hafengebiet angetroffene Personen fanden sich auf Schiffen wieder, von deren Existenz sie Tags zuvor keine Ahnung hatten. Im rotlackierten Kapitalismus geht die Partei ein paar Schritte weiter als die Pressgangs der großen Segler.

Wilfried Cremer / 02.05.2022

Hallo Herr Akstinat, Schanghai ist Chinas Tor zur (Stadt von) Welt. Die durchgesetzte Macht an diesem Ort ist wohl ein „if you make it here, you make it everywhere“ für die Partei.

A. Ostrovsky / 02.05.2022

Frau Loesch, glauben Sie, dass so etwas in den demokratischen Diktaturen des Westens völlig unvorstellbar wäre? Jeder hat dazu eine andere Meinung. Manche bezweifeln, dass es im Westen Demokratie gibt, sogar in Diktaturen. Die Zukunft vollzieht sich nach einem komplexen Plan der Vorsehung, auch wenn wir Sterblichen es immer erst hinterher verstehen. So bin ich sehr zuversichtlich, dass man im Westen den Ausspruch “Das konnte niemand wissen!” nicht vergessen wird. Aber jeder hat dazu eine andere Meinung. Ich habe gehört, in Deutschland folgt auf einen Sommer immer ein Herbst und ein Winter. Das folgt einem Plan der Vorsehung, dessen Sinn für uns verschlossen bleibt, Bis wir es erkennen. Dann ist es zu spät. Das ist der Plan der Vorsehung. Und er muss eingehalten werden.

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