Roger Letsch / 08.07.2019 / 14:30 / 63 / Seite ausdrucken

Correctiv-Faktenchecker in selbst erzeugter Seenot

Man hat sich fast schon daran gewöhnt, dass die meisten Medien ihre Leser, Zuhörer und Zuschauer für stark zurückgeblieben, ängstlich, unwissend und leicht zu übertölpeln halten, weshalb sie den Prozess der Meinungsbildung, also die internalisierte Verarbeitung von aufgenommenen Informationen, gern abkürzen, indem sie uns passende Meinungen gleich frei Haus mitliefern.

Dummerweise rutschen aber immer wieder ungefilterte Rohdaten an den offiziellen Filtern vorbei und öffnen der absichtsvollen „Fehlinterpretation“ Tür und Tor. Für solche Fälle gibt es in der besten Welt, in der je gute Europäer lebten, die medialen Tatortreiniger von Correctiv, auch wenn unbedachte Tagesschau-Redakteure später unbedacht über den verbal frisch gereinigten Tatort latschen. Ausgerechnet!

Ein solcher Rohdatenunfall ereignete sich neulich, als die europäische Grenzschutzagentur Frontex ein Video veröffentlichte, auf dem detailreich und lückenlos das Treiben eines Menschenfischerbootes zu beobachten war, welches eine kleine, zunächst leere hölzerne Schaluppe schleppte. Das Video ging viral, wozu deutsche Qualitätsmedien jedoch wenig beitrugen.

Vermutlich deshalb, weil das Ereignis nur von lokalem Interesse war oder das Material nicht aus den seriösen Investigativquellen von TV-Zeckenbiss stammte. Doch das Video war in Umlauf und für all jene, die das Gesehene gern für eine Seenotrettungsübung halten wollten, gab es am Dienstag den 25.Juni einen Beitrag auf achgut.com, in dem das Geschäftsmodell der Menschenhändler eingehend erläutert wird. Soweit, so normal.

Wie gut Dreck fliegen kann!

Doch nun kommen die Faktenchecker von Correctiv ins Spiel, dessen Chef David Schraven seine Faktenfestigkeit schon 2016 unter Beweis stellte, als er per Rundmail vom Sieg Hillary Clintons berichtete und davon fieberte, wie ein amerikanisches Gericht die Klagen des schlechten Verlierers Trump abschmetterte. Diesen "Fakt" endlich Realität werden zu lassen, scheuen deutsche Medien seit drei Jahren weder Zeit noch Mittel.

Auch der Correctiv-„Faktencheck" zum besagten achgut-Artikel grenzt an Präkognition: Es gäbe „keine Belege, dass Seenot im Mittelmeer künstlich erzeugt wird“, bekrittelt Correctiv den Text von Malte Dahlgrün. Ja, das Video sei schon echt, aber für die Aussage, Seenot würde von den Schleppern künstlich erzeugt, gebe es keine Beweise. Was so klingen soll, als hätte man Dahlgrün hier beim Lügen erwischt, erweist sich als juristisch geschickte Formulierung. Correctiv hütet sich zu behaupten, die Aussage sei falsch – es gäbe nur keine Beweise für ihre Richtigkeit. Na da schau her, wie schön Dreck fliegen kann!

Nun ist in der Tat nicht zu erwarten, dass die verhafteten Schlepper vor Gericht erklären werden, sie hätten Seenot „künstlich erzeugt“, und auch Frontex verwendet diesen Begriff nicht in Presseerklärungen. Vielmehr handelt es sich bei dieser Formulierung um einen logischen Schluss, also eine Implikation, die sich aus der Betrachtung der Fakten geradezu zwangsläufig ergibt. Die „Seenot“ ist für das mehrstufige Geschäft der Schlepper nämlich absolut notwendig.

Umdeklarierung auf hoher See

Dieser Zustand, ganz gleich ob grob fahrlässig oder absichtsvoll herbeigeführt, ist die Synapse, an der sich die Interessen der beiden Hauptakteure dieses schaurigen Spiels treffen. Die Schlepper können europäische Häfen nicht direkt ansteuern, denn dort würden sie aus gutem Grund verhaftet. Die selbsternannten Retter können nicht direkt in afrikanischen Häfen Fracht laden, denn das würde sie unmittelbar zu Schleppern und Menschenhändlern machen. Es braucht die Umdeklarierung auf hoher See, ganz gleich ob zehn Meilen vor der libyschen Küste oder 30 Meilen vor Lampedusa. Erst wenn aus Glücksrittern Schiffbrüchige geworden sind, ist der moralische Paradigmenwechsel vollzogen. Wie sie das werden, ist egal, das Ergebnis ist entscheidend.

Wer Leben rettet, könne kein Verbrecher sein – so denkt es dieser Tage selbst aus dem Bundessteinmeier, der aktuell angesichts eines eigenmächtigen deutschen Racketenmanövers im Hafen von Lampedusa gern alle Augen voller Menschlichkeit zudrücken möchte, während die Italiener gerade hellwach geworden zu sein scheinen. In Italien muss man derzeit erleben, wer unter der Flagge der Höchstmoral fährt, den halten Küstenwachen und Frontex längst nicht mehr auf, und das Rechtsverständnis von Schleppern und Aktivisten steht höher im Rang als jedes geltende nationale oder Seerecht.

Und während in der deutschen Presse die Implikation „selbsternannter Seenotretter ist gleich Held“ erlaubt ist und heftig beklingelt wird, soll der Leser in waghalsigen Offshore-Manövern wie dem von Frontex gefilmten, bei dem 80 Menschen in eine Nussschale umgeladen wurden, von denen nur wenige über Rettungswesten verfügen, kein absichtsvolles Herbeiführen einer Seenot-Situation erkennen. Selbst dann nicht, wenn die Absicht offensichtlich ist.

Das Benennen dieses Kalküls, bei dem die eine Seite daran verdient, Menschen ins Wasser zu werfen und die andere Seite moralischen Honig daraus saugt, diese Menschen aus dem Wasser zu ziehen und zum versprochenen Ziel zu expedieren, ist tabu. Erst- und Zweitschlepper tun so, als sähen sie das Treiben des anderen nicht – dieses Kalkül muss unerwähnt bleiben, weil sonst das ganze Narrativ „Rettung“ in sich zusammenbräche. Das ist dann schon mal einen Faktencheck nach Schraven-Art wert.

Also, braves Bürgerlein, erkenne hier kein Muster und ziehe keine logischen Schlüsse! Wenn etwas wie Pferdemist aussieht, so riecht und hinter einem Gaul zu Boden fiel, heißt das noch lange nicht, dass es auch Pferdemist ist! Es fehlt der Geschmackstest! Den freilich liefert uns Correctiv, denn mit Dreck kennt man sich dort aus. Und wenn die Fakten so gar nicht zur gewünschten Haltung passen, hilft – wie in diesem Beispiel – die Haarspalterei.

Photobombing – Tagesschau läuft durchs schöne neue Bild

Correctiv fühlt sich, dem Auftrag entsprechend, besonders den windigen neuen Medien verpflichtet, während die guten, staatstragenden, eher als Quelle zur Untermauerung der eigenen korrigierenden Artikel verwendet werden. Deshalb hatte Alice Echtermann von Correctiv natürlich keine Ahnung, dass zwei Tage nach Veröffentlichung ihres „Faktenchecks“, nämlich am 30. Juni 2019, die Tagesschau die Aussagen des Achgut-Beitrages bestätigte und den Darstellungen von Correctiv widersprach – wenn auch sicher nicht wissentlich. Im Beitrag „Wie Schlepper ihre Strategien ändern“ heißt es unter anderem: 

„… Dort werden die Menschen dann meist in mehrere kleine Holz- oder Kunststoffboote gesetzt, die das Mutterschiff mitgeführt hat. In diesen erreichen sie dann die italienische Küste – oder werden zumindest in italienischen Gewässer von der Küstenwache abgefangen, die sie dann in einen italienischen Hafen bringen muss.“

Dumm gelaufen, Correctiv. Ich erwarte dann umgehend einen Faktencheck zum Tagesschau-Beitrag oder einen Faktencheck zum selbst verzapften Blödsinn. Ein Ausweg bleibt dem Correctiv natürlich noch, um mit der versuchten Umdeutung der Schleppermanöver nicht völlig blamiert dazustehen: Man könnte ja argumentieren, die Seenot sei nicht „künstlich“ erzeugt, sondern die „natürliche“ Folge des Handelns der Schlepper. Doch ich denke, noch feiner müssen wir das unsichtbare Haar nicht zerteilen, das Correctiv in der Faktensuppe gefunden zu haben glaubt.

Hier geht es zu Roger Letschs Blog: Unbesorgt .

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Leserpost

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Horst Gustmann / 08.07.2019

Wie wäre es denn endlich einmal darüber nachzudenken und umzusetzen, aus dem Ö. R. einen echten Pay-TV zu machen, zu dem sich dann jeder “Konsument” aktiv zum “Verzehr” des Informations-TV entscheiden kann und nicht vom “Gesetzgeber” dazu gezwungen wird. Da hätte dann Correctiv ein reiches Betätigungsfeld und der Konsument freie Entscheidung über Zahlungen an ein Sendeangebot, welches schon lange nichts mehr mit dem Rundfunkstaatsvertrag gemein hat.

Udo Latteck / 08.07.2019

Es gibt keine “künstliche” Seenot. Entweder gibt es Seenot, oder nicht. Dass die Passagiere der Schlepper irgendwann in ein Schlauchboot freiwillig hineinsteigen oder dazu gezwungen werden, erzeugt keine Situation, die gestellt ist und die wieder rückgängig gemacht wird. Sie ist, wie sie ist, echt und unumkehrbar, denn die Schlepper setzen nur aus, nehmen nicht zurück. Dh in dem Moment, wo die Leute in die Schlauchboote steigen, gewollt oder ungewollt, wird eine Situation entstehen, die zur Seenot führt (Mich stört auch die Formulierung “Glücksritter”, denn sie trägt nicht zur Aufklärung des dargestellten Sachverhalts bei. Man weiß nichts von diesen Menschen und es nicht hilfreich, diese Menschen im Vorhinein zu diffamieren.) Dadurch, dass diese Situation auf hoher See - Passagier steigt ins Schlauchboot - nicht unterbrechbar ist, kann erst Seenot also solche erkannt werden. Wie sie zustande gekommen ist, ist völlig gleichgültig. Will man die Migranten nicht aufnehmen (Pullfaktor, kulturelle Inkompatiblität, finanzielle Mehrbelastung etc.), muss man die Seenotrettung durchführen und nach der erfolgten Rettung, die Passagiere wieder trockenen Fußes außer Landes schaffen. Man kann die Seenot im Mittelmeer nur dadurch stoppen, dass man den Schleppern das Handwerk legt, wenn man ihnen die Geschäftsgrundlage nimmt und den geretteten Passagieren keinerlei Anschlussverfahren auf Asyl gewährt. Seenot erwingt kein Asyl, wäre dann die Faustregel. Das Schleppertum lässt sich nur bekämpfen, wenn man die illegale Immigration so unattraktiv wie möglich macht. In diesem Fall würde man die Menschen retten und mit der Rettung den Asylstatus als beendet erklären. Die private Seenotrettung sollte dringend an diesen Schutzstatus gekoppelt sein, dh mit der Rettung der Passagiere sind die Folgekosten für die Verbringung an Land und Versorgung von den Rettern anteilsmäßig zu begleichen. Es gilt das Hoheitrecht der Küstenstaaten vor dem Einwanderungsrecht aus einem anderen Kontinent.

Julian Schneider / 08.07.2019

Correctiv ist ja bereits der richtige Name für diese Propagandisten. Journalisten kann ich diesen Haufen nicht nennen, denn ich bin selbst Journalist und kann keinerlei journalistische Arbeit dort erkennen - sie wird im Gegenteil mit Füßen getreten: keine Trennung von Nachricht und Kommentar, manipulative Wortwahl, gezielte Auswahl der Nachrichten, permanenter Versuch, die Leser zu erziehen, Null kritische Distanz und erst recht keine kritische Berichterstattung. Correctiv heißt wahrscheinlich: Die Wahrheit soll so lange korrigiert werden, bis sie in das ideologische Weltbild passt.

Rudolf Stein / 08.07.2019

Der Herr Dr. Hinkefuß  hat einen großen Fehler gemacht, als er sich 1945 mit seiner Familie umbrachte. Wäre er mal dageblieben. Da hätte er erleben können, wie unbedarft er seinerseits gewirkt hat.

Gerhard Schuster / 08.07.2019

Werden bei Correctiv nur solche Fakten geprüft, deren Widerlegung im Sinne des grünroten Mainstreams ist? Werden von Correctiv auch Fakten berichtet, die nicht falsifiziert werden konnten und nicht im Sinne des grünroten Mainstreams sind?

Dieter Scheidt / 08.07.2019

Als ach.gut zum ersten Mal das Frontex-Video zeigte (Wer hat dies Frontex überhaupt erlaubt??), habe ich sofort WELT informiert und angeregt, ebenfalls als zweites Medium und noch vor den ÖR ihre Leserschaft zu informieren. Man dankte für den Hinweis, wolle aber zunächst mal prüfen, ob das “angemessen”(!!) sei. So erfährt man als früherer “ewiger” Welt-Leser ein weiteres Mal, welcher Geist heute dort herrscht: der Merkel-Schon-Geist.

Gerhard Maus / 08.07.2019

Was sagt Frau Merkel? “Das Video von Frontex ist nicht hilfreich.”

Rupert Reiger / 08.07.2019

Das höchste Amt lässt sich nicht verarschen. Der blitzende Intellekt des Bundespräsidenten ist ein Glücksfall !

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