Mein erster Vorweihnachtsgottesdienst in Zeiten der schon gar nicht mehr so neuen „neuen Normalität“. Die Voranmeldung für das Hochamt zum 1. Advent im Dom zu Fritzlar in Oberhessen, einer der schönsten romanischen Kirchen Deutschlands, ging problemlos über die Bühne. Doch zur Christmette am Heiligen Abend oder zum Festgottesdienst am Ersten Weihnachtsfeiertag sollte man, wenn möglich, schon jetzt buchen. Sonst geht es einem an Weihnachten wie Maria, Josef und dem Jesuskind, und man bleibt ohne (spirituelle) Herberge.
Sonntagmorgen am Kirchenportal ein dreiköpfiges Empfangskomitee. Der erste „Ordner“ mit gelber Warnweste macht Häkchen auf der Anwesenheitsliste fürs Gesundheitsamt, der zweite besprüht die Hände der Neuankömmlinge mit Desinfektionsmittel, der dritte verteilt zum Trost kleine Zettel mit einem Adventsgebet. Trotz Mundschutzpflicht gibt es keine Gesangbücher, was insofern nicht tragisch ist, weil Singen unter der Maske keinen Spaß macht. Außerdem übernimmt ein auf der Empore Pandemie-gerecht platzierter Sänger diesmal den Part der Gemeinde. Gemeindegesang kann im Bistum Fulda derzeit nur in Gottesdiensten stattfinden, wo ein „erhöhter“ Mindestabstand von drei Metern eingehalten werden kann. Doch „auch in diesem Fall darf durch die ganze Gemeinde höchstens je eine Strophe von bis zu drei Liedern gesungen werden“.
Im Dom zu Fritzlar ist jede zweite Bankreihe mit einem roten Bändchen abgesperrt, was man auch nach Corona beibehalten sollte. So wirkt die Kirche voller als sie ist. Laut Allgemeinverfügung des Landeskreises Schwalm-Eder dürfen derzeit nicht mehr als 100 Gläubige im Dom Platz nehmen. Normalerweise sind es viel mehr, doch richtig voll wird es ohnehin nur noch selten in den Gotteshäusern dieser weitgehend von Gott verlassenen Republik. Das gilt vor allem für die katholische Diaspora, wie man sie auch in Nordhessen findet.
Einzug von Priester und Messdienern. Alle tragen Mundnaseschutz, was die Aura der Feierlichkeit weniger stört als die unter den Talaren und Chorhemden der Jugend hervorlugenden Turnschuhe. Nun ja, die Kirche muss froh sein, wenn sie überhaupt noch Jungen und Mädchen findet, die dem Priester Wein und Wasser reichen und das Weihrauchfass schwenken. Ein Sneakers-Verbot würde die letzten Willigen wohl auch noch vergraulen.
Kommunion mit Trennscheibe
Zum Glück gibt es noch keine Anweisung, das Evangelium vom abwaschbaren Teleprompter abzulesen. Dafür werden zur Kommunion fahrbare Trennscheiben aufgefahren. Der Priester präsentiert die Hostie den Gläubigen hinter dem Fenster und lässt sie dann durch eine Art Durchreiche in die Hände des Kommunionempfängers fallen. „Bei der Kommunionspendung ist darauf zu achten, dass sich die Hände der Kommunionempfänger und Kommunionspender nicht berühren. Die Kommunion wird ohne Spendedialog („Der Leib Christi.“ – „Amen.“) ausgeteilt“, heißt es in der „Anweisung für Geistliche, kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie im Bereich der kirchlichen Vereine und Verbände zur Bekämpfung des Coronavirus (Lesefassung nach der 5. Änderung vom 05.11.2020)“.
Das Regelwerk des Bistums Fulda zum Umgang mit der Epidemie umfasst 15 eng bedruckte Seiten und ist ein Wunder kanonischer Rechtsetzung. Dutzende sowohl kirchen- wie seuchenrechtlich versierter Prälaten müssen daran gearbeitet und dabei auf jahrhundertealtes Wissen aus den Zeiten der Großen Pest zurückgegriffen haben. Zum Beispiel die unter Punkt 4b genannten Regeln für die Konzelebration, also die Mitwirkung mehrerer Geistlicher an der Eucharistie: „Konzelebrationen können im Einzelfall stattfinden, wenn es für die Konzelebration einen hinreichenden Anlass gibt. Dabei soll für jeden Konzelebranten eine eigene Hostie zur Verfügung stehen, die im Verlauf der Messe nur durch ihn berührt wird. Die Kelchkommunion findet dann in der Weise statt, dass zunächst die Konzelebranten durch Eintauchen ihrer Hostie in den Kelch kommunizieren und danach der Hauptzelebrant aus dem Kelch trinkt.“
Äußerst komplex ist auch die Corona-konforme Krankensalbung, die paradoxerweise nur Menschen zuteilwerden darf, die nicht an Corona leiden. Punkt 14c verfügt: „Bei der Spendung der Kommunion empfiehlt es sich, wenn möglich direkten Körperkontakt zu vermeiden, indem der Spender die Hostie aus geringer Höhe in die Hand des Empfängers fallen lässt.“ Und weiter in Punkt d. „Bei der Spendung der Krankensalbung ist jedes Mal neues Krankenöl zu verwenden: Das bei einer Spendung der Krankensalbung verwendete Krankenöl ist aus dem Aufbewahrungsgefäß zu entfernen, das Gefäß zu desinfizieren und das verwendete Krankenöl zu verbrennen. Laut Unterpunkt e kann bei der Salbung gem. can. 1000 § 2 CIC „derzeit auch ein Instrument gebraucht werden“. Das gilt auch für Taufe und Firmung, wo das Chrisam (Salböl) mit einem sofort zu entsorgenden Wattebausch aufgetragen werden darf.
Weil viele manuelle Riten in Corona-Zeiten durch das karge Wort ersetzt werden, befindet sich die Katholische Kirche gerade in einem rapiden Prozess der Protestantisierung. Andererseits könnte man auch darüber nachdenken, wieder zum vorkonziliaren Tridentinischen Messritus zurückzukehren, bei dem der Gottesdienst vom Priester am weit entfernten Hochaltar mit dem Rücken zu Gemeinde zelebriert wird. Corona-gerechter geht nicht.
Noch eine erfreuliche Nachricht für all jene Gottesdienstbesucher, die es verabscheuen, ihrem Nachbarn nach dem Vaterunser die verschwitzte Hand geben zu müssen. Nach Punkt 4 k soll derzeit „auf Zeichen beim Friedensgruß mit Körperkontakt“ verzichtet werden.