Von Thomas Ihm.
Vor meinem Haus im Badischen trainiert eine junge Spitzensportlerin. Sie ist in der Lage, eine 3 Kilogramm schwere Kugel 14 Meter weit zu stoßen oder einen 1 Kilogramm schweren Diskus über 50 Meter weit zu werfen. Das geht in unserer Wohnstraße natürlich nicht. Also malt sie sich einen Kreis auf den Asphalt, nimmt ein zusammengeknotetes Handtuch, dreht sich mit großer Anmut in dem Kreidekreis und lässt das Handtuch fliegen. Natürlich steckt sie dabei niemanden mit Corona an.
Aus virologischer Sicht sind Kugelstoßerinnen, Diskus- oder Speerwerferinnen unbedenklich. Schon in normalen Zeiten hält man aus Gründen des Selbstschutzes von ihnen Abstand. Aus infektionspolitischer Sicht ist ihnen die Ausübung ihres Sportes auf einem Sportplatz allerdings untersagt. Sport ist gerade der große Kollateralschaden der Pandemie.
Mitten im Monat März ging ich mit meiner Frau ein letztes Mal auf den Golfplatz. Der Himmel war blau, unser Gewissen war rein. Allein auf manikürten Wiesen schlugen wir mit mäßigem Erfolg auf unsere viel zu kleinen Bällchen. Alles war gut.
Plötzlich kam ein anderer Spieler auf uns zu, wedelte mit seinem Smartphone und rief erregt: „Merkel verbietet das Golfspielen!“ Ich hielt das für Fake News, denn ich hatte die Rechtsverordnung der baden-württembergischen Landesregierung gelesen. Darin hieß es wörtlich: „Geschlossen werden demnach: Fitnessstudios und sonstige Sportstätten in geschlossenen Räumen.“
Es war also ganz klar, was die Regierung in Stuttgart wollte: ein Verbot von Indoor-Sportarten, bei denen das Infektionsrisiko groß ist.
Eine Regelung, der jeder Sinn fehlt
„Fake News“, rief ich dem Golfer zu. Erstens habe die Merkel keine Befugnis, diese liegt in unserem föderalen Staat bei den Landesregierungen. Und zweitens hat der Ministerpräsident Kretschmann Sport im Freien eben nicht verboten. Und drittens gibt es gerade Fake News ohne Ende. Eine Regelung, der jeder Sinn fehlt, musste einfach falsch sein.
Irrtum. Golf wurde am Tag darauf tatsächlich verboten. Obwohl das Wetter sehr schön war und das Gras sehr grün. Seit Corona ändern sich die Dinge: Wenn Merkel etwas sagt, dann folgen ihr jetzt die Landeschefs auf dem Fuße. Und die Rechtsverordnung von gestern ist nicht die Rechtsverordnung von morgen.
„Die Bevölkerung in die Bude einsperren, dafür gibt es keine virologische Begründung.“ Das sagt der Virologe Alexander Kekulé bei Anne Will. Dauer-Wohnungsinsassen drohe sonst der Psycho-Koller. Kekulé betont, jeder müsse zwischendurch raus, an die frische Luft. Solange sich da keine Gruppen versammeln würden, sondern das im Alleingang oder innerhalb der Familie geschehe.
Nicht verboten ist der Jagdsport
Aber die Landeschefs sehen es plötzlich anders. Im neuen Text der Stuttgarter Staatskanzlei heißt es, geschlossen werden „alle öffentlichen und privaten Sportanlagen und Sportstätten, insbesondere Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen“. Hier wurde also der Begriff „in geschlossenen Räumen“ durch eine Formulierung ersetzt, die durch ein „insbesondere“ den Anschein größerer Genauigkeit erweckt, aber tatsächlich alles meint, also auch Golfplätze, Tennisplätze oder Leichtathletikplätze.
Nicht verboten ist der Jagdsport, denn sonst müsste man alle Wälder schließen, öffentliche wie private, insbesondere Fitnesspfade und ähnliche Einrichtungen. Denn für den Jäger ist der Wald eigentlich eine Sportanlage. Aber: Die Fitnessanlage in unserem Stadtpark ist geschlossen. Wer außerhalb der Geräte Liegestütze macht, kommt straffrei davon, innerhalb der Einrichtung ist dieselbe Körperertüchtigung jetzt eine Ordnungswidrigkeit.
Corona macht Sport nicht unmöglich. Ich kann weiter in meinen Fitnesskeller gehen, so lange ich der Landesregierung nicht verrate, dass ich eine private Sportstätte betreibe. Laut Verordnung müssten wir den Raum jetzt eigentlich zuschließen. Schließlich heißt es eindeutig: private Sportanlagen, insbesondere Fitnessstudios und ähnliche Einrichtungen.
Corona ist eine seltsame Pandemie. Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte gelang es einer Idee, die Menschen gleichermaßen aus den Kirchen wie den Bordellen zu vertreiben. Noch seltsamer ist die Bereitschaft der Bürger, sich leichten Herzens von Freiheiten, Traditionen, Gewohnheiten und Rechten zu trennen.
Wo ihrer drei beisammen stehn,
Da soll man auseinander gehn.
Dies schrieb Heinrich Heine. Schon vor Corona gab es Zeiten, in denen Versammlungen oberhalb der Pärchengröße als Gefahr galten.
Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.
Aus „Wir schaffen das“ wurde „Ihr macht das“
Nachzulesen in dem Gedicht: „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen“. Die Sportverbände nehmen es hin. Die Vereinsvorstände fügen sich. Die Sportler improvisieren. Obwohl das Sportverbot willkürlich ist und auf gar keinen Fall gesund. Unter normalen Umständen wäre jetzt die Zivilgesellschaft dem Staat in den Arm gefallen. Sie könnte es auch jetzt noch tun. Die Sportverbände und -vereine sind sehr gut in der Lage, ihr Training so zu organisieren, dass das Abstandsgebot eingehalten wird.
Etliche Sportarten ließen sich weiter ausüben, wenn man die Regeln entsprechend an die Situation anpasst. Gerade in den Sportvereinen gibt es einen wachen Sinn für Fairness, Regeltreue und Kameradschaft. Fußballer könnten jetzt Weitschüsse üben, Kampfsportler Trockenübungen machen, Leichtathleten und Tennisspieler müssten auf das gemeinsame Duschen verzichten. Sport in Zeiten von Corona ist nicht nur möglich, er ist auch nötig. Gerade für Kinder und Jugendliche wäre das ein Segen.
Doch der Staat ist nicht interessiert. Legislative und Judikative stehen eh schon an der Seitenlinie. Zivilgesellschaft und Subsidiarität sind nun auch suspendiert. Die Exekutive spricht jetzt direkt zum Bürger, die Gesellschaft als vermittelnde Instanz bleibt außen vor. Aus „Wir schaffen das“ wurde „Ihr macht das“. Die eine Lösung gilt für alle. Eine Vernunft, die differenziert, existiert zur Zeit nicht. Und der Sport, der uns in diesen leeren Tagen guttun würde, darf eben nur noch außerhalb von Sportanlagen ausgeübt werden. Zur Not dreht man sich im Kreidekreis und wirft ein Handtuch auf die Straße.