Aljoscha Harmsen, Gastautor / 28.12.2020 / 12:00 / Foto: FN / 25 / Seite ausdrucken

Corona – was dürfen wir hoffen?

Guter Rat ist in der Corona-Hysterie schwer zu bekommen, und Angst ist ein schlechter Ratgeber, darum fragen wir einmal Kant, wie er sich womöglich dem Corona-Problem nähern würde. Um es uns leichter zu machen, würde er sich vielleicht entscheiden, uns an drei wesentliche Fragen zu erinnern, etwa so: Corona – was können wir wissen, was sollen wir tun, was dürfen wir hoffen?

Was können wir wissen? Wir haben bestenfalls informierte Meinungen, soweit wir keine Virologen sind. Das mahnt zur Bescheidenheit. Und selbst mit informierten Meinungen besteht das Wissen nur bis auf weiteres. Corona ist eine Virus-Erkrankung, vergleichbar mit einer Grippe, und sie kann einen schweren Verlauf nehmen. Soweit, so gut. Wir wissen aber, dass diejenigen, die unter Corona am meisten leiden, Alte sind und solche mit Vorerkrankungen. Darauf kann man sich einstellen, und mit diesen Wissen lässt sich handeln. Wie Boris Palmer in Tübingen das tut – die Risikogruppen schützen und den Rest freilich leben lassen. Nehmen wir das Wissen, das wir haben, und schützen die, die gefährdet sind. Hier endet der Pflichtteil, den ein Autor schreiben muss, um nicht als Covidiot abgestempelt zu werden.

Jetzt kommt der interessante: Lassen wir nicht die Gefährdung als Rechtfertigung für die zusehends totalere Kontrolle aller Anderen gelten. Damit versetzen wir uns in einen Zustand der Infantilität und wünschen uns, dass Andere uns mit elterlicher Strenge die Richtung weisen. Dafür lohnt es sicher nicht, erwachsen zu werden, nur um sich dann wieder zur Unmündigkeit zurückzuentwickeln, wenn es ernst wird. 

Was sollen wir tun? Egal, was wir tun, es wird jemand darüber empört sein. Empörung ist kein Argument, kein Maßstab und darf kein Hindernis sein. In diesem Fall ist eine Wohlstandskrankheit ursächlich: Wenn heute jemand stirbt, dann ist das geradezu unnatürlich. Es muss jemand einen Fehler gemacht haben, anders ist der Tod nicht zu erklären. (Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte…) Der Tod ist nicht mehr Teil des Lebens, sondern ein tragischer Unfall, der einen Schuldigen kennt. Dieses naturentfremdete Denken muss korrigiert werden, sonst besprechen wir nur die Schuld und kommen nicht zur Lösung. Bleiben wir bei dieser dekadenten Variante, müssen wir uns fragen lassen: Wollt ihr die totale Gesundheitsvorsorge? 

Gesund ist der Menschenverstand, wenn er den Menschen versteht

Wir sollten tun, was naheliegend ist: Uns nicht von der Androhung von Krankheit das freie Leben rauben lassen, sondern es leben und ertragen, dass es auf die eine oder andere Weise zum Tod führt. Auch einmal vorzeitig. Und aus ungerechten Gründen. Zur Reife gehört, sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass es ein Recht auf Frieden, Gerechtigkeit, Gesundheit und Glück gibt. Die erträglicheren Menschen sind die, denen ein gewisses Maß an Leiden nicht ungerecht erscheint, sondern die das einfach mit Würde ertragen. 

Was dürfen wir hoffen? Wir dürfen auf Besinnung hoffen. Gesund ist der Menschenverstand, wenn er den Menschen versteht. Zum Menschen-Verstehen gehört es, Unannehmlichkeiten als gewöhnlich zu begreifen und nicht zur Ausnahme von der Regel zu erklären. Erklärt man die Angst vor dem Tod zur Maxime, verliert man die Wahl zwischen seinen eigentlichen Möglichkeiten. Angst kennt keine Besinnung, nur Gefahr. Wäre Angst eine Lektion, wäre das Lernziel Mut. Die Androhung des Todes ist nicht humanistisch.

Verweigerern der Corona-Impfung die Beatmung abzuerkennen, ist barbarisch. Wer durch Androhung von Strafe seinen Willen durchsetzt, ist ein Despot. Widerspruch muss ausgehalten werden. Wer ihn als Extremismus abstraft, ist selbst extremistisch und sicher weit weg von aufgeklärter Demokratie – umso mehr, wenn er sich ständig selbst Demokrat nennt und die anderen nicht. Es ist erst die ständige Wiederholung der Unwahrheit, die sie zur Gewohnheit werden lässt. Demokrat ist nicht, wer sich so nennt, sondern wer das an seinem Handeln erkennen lässt. Irgendwann heißt es nicht mehr: Denk jetzt nicht an einen rosa Elefanten. Sondern nach reichlicher Wiederholung: Er steht im Raum, geh einfach um ihn drumherum. 

Das gestörte Verhältnis des modernen, zivilisierten Menschen zur eigenen Natur

Das Corona-Virus lässt sich nicht austreiben wie ein böser Geist. Es hat sich in unser Leben eingemischt und wird dort erst einmal bleiben. Nicht jeder Gast ist gebeten, aber wenn wir ihn nicht loswerden, müssen wir mit ihm umgehen lernen. Dabei helfen keine Fluchtversuche und keine Drohungen. 

Die Hysterie über die Corona-Krise entblößt das gestörte Verhältnis des modernen, zivilisierten Menschen zur eigenen Natur, zu der die Sterblichkeit gehört. Zu dieser Natur gehört auch der Irrtum. Und wenn sich jemand absolut sicher ist, im Recht zu sein, ist er kein aufgeklärter Mensch. Gerade wenn er zu den regierenden Volksvertretern zählt, stünde ihm diese Erkenntnis gut zu Gesicht. Eine Viruserkrankung zählt zum allgemeinen Lebensrisiko. Schlicht und einfach. Das können wir wissen. Was wir tun sollten, ist, uns dem Leben und dem Risiko zu sterben mutig zu stellen. Was wir hoffen dürfen ist, dass wir nicht aus lauter Angst unsere Integrität verlieren, sondern Format entwickeln und so zur Würde zurückfinden. 

Es muss nicht Kant sein, sondern gerne eine historische Person der Aufklärung der eigenen Wahl – wenn man sich dem Urteil einer solchen Person stellen müsste, würde man mit seinem Verhalten in der Corona-Krise vor diesem Menschen bestehen? Orientieren wir uns einmal wieder nach oben und nicht nach unten, dann fallen uns auch wieder spannendere Fragen ein als wie lange der Lockdown dauern und ob der Impfstoff das Problem lösen wird oder wie gefährlich dieser sein mag. Das Problem besteht in Zivilisationskrankheiten wie der Entfremdung vom Tod und der abhandengekommenen Akzeptanz von Leid, die uns zu hysterischen, weltfremden Forderungen treiben wie der, dass niemand am Leben sterben darf. Frei nach einem Comic: Eines Tages werden wir sterben – aber an allen anderen Tagen nicht. 

Aljoscha Harmsen studierte Geschichte, Sprach- und Literaturwissenschaften und arbeitet als Redakteur und als freier Autor u.a. für die Neue Züricher Zeitung 

Foto: FN

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Hans Meiser / 28.12.2020

“Verweigerern der Corona-Impfung die Beatmung abzuerkennen, ist barbarisch.” ... damit ist der ganze Beitrag zerstört. Warum begibt sich der Autor auf das Niveau derer, die er barbarisch nennt - Despoten gar? Es mag in den Fingern jucken, etwas zu formulieren, was man bewusst falsch verstehen möchte - sei es einfach nur, um auch so erfolgreich zu agitieren wie die Gegenseite. Doch das ist es einfach nicht wert. Niemand will Impf-Verweigerern die Beatmung aberkennen - lesen Sie bitte die Quelle noch einmal.

Mike Bravo / 28.12.2020

Hossa!!! Mit der Rekrutierung von Herrn Kant schießen hier aber Spatzen mit Kanonen….natürlich gehört Leid und Tod zum Leben dazu, das bezweifelt doch niemand ernsthaft. Aber es ist das EIGENE Leid und der EIGENE Tod, der zum Leben dazugehört! Wenn ich aber so lebe, dass mein Verhalten verantwortlich für das Leid und den Tod anderer ist, dann beißt sich das doch heftig mit dem “Kategorischen Imperativ”  des hier so missbrauchten Philosophenfürsten, oder? Und: Wer ist denn wirklich ungefährdet? Kann einem das irgendein Arzt mittlerweile attestieren?  Oder kann man das, nach Google-Studium selbst feststellen? Ich kann es auf alle Fälle nicht…nur nicht alt zu sein, reicht bei diesem Virus als Schutz auf alle Fälle nicht….

Hans-Peter Dollhopf / 28.12.2020

“Lassen wir nicht die Gefährdung als Rechtfertigung für die zunehmende Kontrolle aller anderen gelten.” Demokratie ist auch anzuerkennen, dass die Mehrheit ihre Unterwerfung aus freiem Willen bejaht. Wer in diesem gesellschaftlichen Zustand kein Sklave sein will, der muss sich, so zynisch wie das klingt, selbst als Sklavenhalter an der Versklavung der Masse beteiligen, um frei zu werden. Es gibt keinen anderen Raum zum freien Leben. Es muss Schluss sein mit der falschen Freundschaft zu dem Heer der freiwilligen Selbstverstümmlern, deren breite Heerstraße in die Verdammnis führt. Es gibt für uns keine ethische Verpflichtung zur Befreiung freiwilliger Sklaven. Schon Jesus sagte: “Lasst die Toten ihre Toten begraben!” Die Vorstellung ist falsch, dass man als unfreiwillig Versklavter auf die fehlende Auflehnung der freiwillig Versklavten zur eigenen Befreiung angewiesen wäre oder zu warten habe. Auch die Kommunisten aller Länder hielten nach ihren Revolutionen die Masse aller anderen schon immer weiterhin als Unterworfene. Who Dares Wins! Was geschehen muss, das ist entweder der organisierte Zusammenschluss aller unfreiwillig Versklavten zur Machtausübung gegenüber ihren Feinden, den aktuell Herrschenden und denen, die freiwillig Sklaven sind. Oder aber ein Bündnis mit den Herrschenden selbst zum gegenseitigen Vorteil. (Die richtige Richtung wird vorgestellt im Artikel “Ich sage Ja zur Impfung! Sie auch, oder?”)

Gudrun Dietzel / 28.12.2020

Es wird Zeit, daß eine allumfassende gesellschaftliche Diskussion zum Begriff WÜRDE neu geführt wird. Würde - als Achtung gebietender Wert, der einem Menschen innewohnt, und die ihm deswegen zukommende Bedeutung (Def.). Nicht erst, seitdem die Regierung in Coronazeiten das Grundgesetz ausgehöhlt hat, ist klar, daß Artikel 1 des Grundgesetzes selbst für Regierungsmitglieder und Parlamentarier nur (noch) Schall und Rauch ist. Wen wundert es dann, daß die Mehrheit der Menschen heute ein gewisses Maß an Leid nicht mehr mit Würde ertragen kann? Daß für alles ein Schuldiger gefunden werden muß? Und daß der, bitteschön, unter Strafe gestellt werden muß, wie aktuell die ganze Nation. Das nächste ist dann (oder haben wir das schon?), daß Kinder ihre Eltern beschuldigen, ihnen das Leben geschenkt zu haben. Oder, und da sind wir ja mittendrin, sie dafür verantwortlich machen, daß sie mit einem männlichen oder weiblichen Geschlechtsteil zur Welt gekommen sind (was sie ja so gar nicht sein wollen). Schon, daß Aljoscha Harmsen formuliert, wir müssen „zur Würde zurückfinden“, ist doch das Eingeständnis einer komplett auf dem Kopf stehenden und von allen Werten verlassenen Welt.

Dietmar Fauß / 28.12.2020

Ein toller Beitrag, der in die wahren Abgründe des derzeitigen Mensch-Seins hineinleuchtet. Danke!

Franz Klar / 28.12.2020

Da hätte ich auch selbst drauf kommen können ! Was wir seit Jahresbeginn erleben , ist kafkaeske Realitysoap . Aus nichtigem oder gar nicht vorhandenem Anlaß türmt sich Absurdität auf Groteske zu gigantischem Schaden . Hat auch Parallelen zu Stan und Ollie beim Klaviertransport ... . Aber Verweis auf Kafka ist intellektuell kleidsamer .  Danke für den Klammervermerk !

Boris Büche / 28.12.2020

“Es muss jemand einen Fehler gemacht haben, anders ist der Tod nicht zu erklären.” Erinnert mich an Kulturen, die sich den Tod nicht anders als durch magische Intervention (Hexerei, böser Blick) erklärten. Der Tod kann dann nur über gleichfalls magische Schutzhandlungen, oder die Vernichtung der Zauberer abgewendet werden.

Peter Holschke / 28.12.2020

Wie wäre es mit einer Bittprozession zum Winter-Kanzleramt? Mit Bildern der Führerin und Ikonen? Vielleicht lässt sie sich ja erweichen. Auf die Idee, dass das alles kein kolossales Missverständnis ist, kommt der Autor nicht.

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