Man kann auch unfreiwillig reisen: Nicht nur beruflich, auch persönliche Umstände können einen in die Ferne treiben. Vor kurzem bin ich nach Bamberg umgezogen: Der Wohnungsmarkt in der Universitätsstadt mit knapp 70.000 Einwohnern ist eng, das Angebot teuer. Endlich beschloss ich, zu einem Besichtigungstermin meine zwei Monate alte Enkelin mitzuschleppen, was das Herz meiner nunmehrigen Vermieterin rührte: Ich hatte endlich ein Wohnung, allerdings musste eine Küche eingebaut werden. Die schnellstmögliche Realisierung dauerte immer noch über einen Monat. Die Vorstellung, ohne Kaffee und Carbonara auszuharren schien wenig attraktiv, ich beschloss also auf Reisen zu gehen und mich bei allen meinen Freunden, bei denen ein Besuch seit langem überfällig war, durchzufuttern.
Das Thema Corona war natürlich unvermeidlich, fast obligatorisch der Satz, man habe schon keine Lust mehr darüber zu sprechen, der aber immer in eine mehrstündige Diskussion mündete. Meine Reise geriet also zu einer Art stichprobenartigen Erhebung, was in diesem unseren Lande zu Corona gedacht wird. Um es gleich zu sagen: Die Lage ähnelt der Zeit der Reformation, der Glaubensspaltung.
1. Station: Bamberg, Bayern
Nachdem mein letzter Umzugskarton in die Wohnung gewuchtet war und jeder der Helfer nur noch seinem eigenen Sofa zustrebte, wollte ich mir im Café Müller ein zweites Frühstück gönnen. Man lebt ja nicht zweimal. Auf dem „Grünen Markt“ traf ich meine Co-Schwiegereltern. Beim Café ging’s natürlich um Corona und zwar speziell um die wirtschaftlichen Folgen für die Region. Der „Schorsch“, ein SPD-Kommunalpolitiker der ganz alten Schule berichtete, dass in den Neubaugebieten der angrenzenden Gemeinden viele Immobilienkredite „unter Wasser“ seien. Es gebe viel Kurzarbeit, weil die Region stark von Autozulieferern geprägt sei: Schäffler, Bose, Bosch und dergleichen. Auch nur einige Tausend Entlassungen würden sich da schon sehr unangenehm bemerkbar machen.
2. Station: Westliches bairisches Schwaben
Besuch bei meinem Bruder, Achgut.com-Lesern vielleicht aus der Schrauberserie bekannt. Der hatte inzwischen bei seiner Maschinenbaufirma gekündigt, konnte aber doch noch aus der harten, analogen Realität berichten: Kurzarbeit. Fertige Maschinen würden nicht ausgeliefert wegen Corona, sein Eindruck war, dass die Kunden mit immer neuen Mängelhinweisen die Abnahme und damit die Bezahlung verzögerten. Damit war aber auch der Platz in der Halle belegt und eine weitere Fertigung fast unmöglich. Gerüchte aus ähnlichen Firmen: Dito. Mein Bruder ist äußerst pessimistisch hinsichtlich der deutschen Wirtschaft. Eindringlich beschrieb er mir die Folgen der möglichen Schließung der Gießerei im Schiffsmotorenwerk Augsburg der MAN. Die dazu benötigten Fähigkeiten würden innerhalb weniger Jahre verloren gehen: Am Ende könnten nur noch die Koreaner und Chinesen mit dieser Großtechnik umgehen. Was Corona angeht, sieht er die Gefahr eines Demokratieverlustes. Allesdings würde das die große Mehrheit der Bevölkerung überhaupt nicht interessieren. Die Staatsgläubigkeit sei immer noch überwältigend.
3. Station: Valzeina, Schweiz
Schweizer Freunde von mir haben das Pfarrhaus einer kleinen Berggemeinde in Graubünden gekauft. Ich bin zum ersten Mal da: Grandiose Panoramen, man sieht weit ins Grenzgebiet von Liechtenstein und dem Montafon hinein. In der Höhe trägt keiner Maske. Hauptproblem ist die geplante Anlage einer Giftmülldeponie im Tal, deren Erträge die Gemeinde quasi von Steuern befreien würde. Der Betrieb hätte aber unkalkulierbare ökologische Folgen. Interessant ist, dass die Bevölkerung darüber abstimmen kann. Oh felix Helvetia, bei uns kaum denkbar. Ich bin über den ersten August da, den Nationalfeiertag, den Tag des Rütlischwurs. Ganz nebenbei: Die Maske und das Gezerre darum erinnern mich fatal an den berühmten Geßlerhut. Aber ich gehöre eher zur Fraktion der Dauernörgler, nicht der Wilhelm Tells. In der Garage des Dorfbeizli wird gegrillt, die zahlreichen Kinder böllern nach Herzenslust. Jeder bringt was mit, natürlich gibt’s auch coronare Diskussionen. Die laufen aber im Vergleich zu hier relativ zivil ab. Jeder kann seine Meinung sagen, ohne sich moralisch zu disqualifizieren.
4. Station: Westliches bairisches Schwaben
Die erste große Coronademo ist gelaufen. Waren's nun 17.000 oder über eine Million: Ich sitze bei meinem Bruder und verfolge Videos. Die Stimmung, die rüberkommt ist euphorisch. Ich selber habe wieder meine nörglerischen Bedenken: Wenn die Bewegung nicht in eine Art parteipolitische Organisation mündet, könnte sie verpuffen. Die Euphorie der Veranstalter und Beteiligten hat etwas Rauschhaftes. Mein Bruder findet aber wichtig, dass Kommunikations- und Organisationsstrukturen aufgebaut werden. Für den Fall, dass ... Die Klickzahlen alternativer Medien scheinen gerade wegen Covid sprunghaft zu steigen, manchmal auf die Höhe renommierter Tageszeitungen.
5. Station: Kirchberg an der Jagst, Baden-Württemberg
Die Württemberger scheinen so langsam die Sachsen des Westens zu werden. Meine Gastgeber waren in Berlin, berichten begeistert von Solidarität und Friedfertigkeit, allerdings auch davon, dass die sogenannten „Covidioten“ vom Lande sich zum Teil ausgegrenzt fühlen, den Kontakt zu den Covid-Gläubigen verlieren. Die Glaubensspaltung wird deutlicher. Vielleicht neigen die Schwaben mit ihrer pietistisch-protestantischen Tradition zum Eifern? Ich muss an die Bauernkriege denken, die sich ja auch in der Gegend abgespielt haben. Interessant war ein Gespräch mit einer Exkollegin, die in der Frühförderung von Babys tätig ist: Die Kleinen seien in ihrer Entwicklung erheblich zurückgefallen, Arbeit mit Maske, wie angeordnet, sei wegen der fehlenden Mimik quasi unmöglich.
6. Station: Münsterland, Nordrhein-Westfalen
Während der montäglichen Anreise erstaunlich wenig Verkehr, auch kaum Lastwagen. Mein Münsteraner Freund ist Historiker, ausgewiesener Pessimist. Unsere Unterhaltungen drehten sich vor allem um die US-Wahl. Es dürfte knapp werden, das ist kein Geheimnis. Obwohl er Trump sehr skeptisch gegenübersteht, schließt er dessen Wahlsieg nicht aus. Die BLM-Bewegung und die massiven Unruhen in den USA würden Trump in die Hände spielen. Biden wäre zu sehr Gefangener des linken Flügels der Demokraten. Egal, wer die Wahl für sich entschiede, die Perspektive für die USA wäre desaströs. Eine Art von Bürgerkrieg sei nicht auszuschließen, auch mittelfristig nicht der Zerfall des Landes. Gespalten sei es ohnehin. Von den Coronademos hält mein Freund gar nichts. Die Reichsbürgernummer zieht. Ich bemerke einen gewissen Widerstand, sich auf alternative Informationen einzulassen.
Obwohl er der Merkelregierung kritisch gegenübersteht, verteidigt er die staatlichen Maßnahmen und glaubt an eine Bewegung hin zur politischen Mitte in dieser Krisensituation. Als Westfale steht er Söder kritisch gegenüber, hält aber dessen Kanzleroption für real. Mir fällt ein eigenartiger Widerspruch auf: Zwar wird ein düsteres Bild der politischen Perspektiven gezeichnet, aber denkbare Zwischenschritte werden eher abgelehnt: Ein Kollaps der Systeme wird erwartet, aber ohne Stationen auf diesem quasi Kreuzweg. Die Katastrophe bleibt immer ein ferne, ins Utopische gerückt. Was erst mal bleiben soll, ist das geregelte Leben. Und das läuft auch weiter, vorläufig. Ansonsten Badevergnügen im Dortmund-Ems-Kanal. Sauberes Wasser, kaum Schiffsverkehr. Empfehlung: Das Ufer an der Jessicabrücke in Senden.
7. Station: Köln, Nordrhein-Westfalen
Meine Kölner Bekannte ist pensionierte Konzertgeigerin und war lange mit einem Frauenorchester sehr erfolgreich. Sie beklagte die Situation der freischaffenden Künstler, nicht so sehr wegen ihrer eigenen, finanziell doch gesicherten Lage, sondern aufgrund der Erzählungen von Musikerkollegen aus dem Bekanntenkreis.
8. Station: Kreis Heinsberg, Nordrhein-Westfalen
Meine Exkollegin arbeitet als Eurythmistin an der lokalen Waldorfschule. Sie zeigt mir das Gelände: Idyllischer Schulgarten, Hühner, von den Schülern betreute Schafe, reichlich Platz für Aktivitäten. In der Zeit vor den Ferien beschränkte sich der Unterrichtseinsatz, wenn überhaupt auf die Hauptfächer. Sie selbst hat hauptsächlich soweit nötig Pausenaufsicht gemacht. So viel zur Effektivität des Unterrichts in Coronazeiten.
9. Zurück in Bamberg
Mich erreicht per Mail der Artikel eines in Portugal lebenden amerikanischen Freundes und Soziologen, Thomas Patrick Wilkinson. Eine seiner Spezialgebiete ist Politik und Religion. Seine These ist, dass der offizielle Umgang mit dem Virus quasi religiöse Züge trägt. Dabei übernimmt die Impfung oder auch nur das Tragen der Maske die Rolle der Beichte und wird zur Voraussetzung der Gesundheit oder Absolution. Ich übersetze eine Passage aus seinem Text (Vollständig hier) :
„So wie niemand sehen kann, ob Gott tatsächlich Absolution gewährt hat (oder sich sogar um die angeblichen Sünden gekümmert hat), kann niemand – außer dem Klerus – sehen, ob Sie wirklich ein Sünder sind und ob Sie durch Absolution durch die Nadel (oder das Pflaster) gerettet wurden. Wenn Sie jedoch nicht nachweisen, dass Sie im Beichtstuhl waren und Absolution erlangt haben, besteht die Gefahr, dass Sie sanktioniert oder historisch-katholisch exkommuniziert werden. Im Mittelalter bedeutete Exkommunikation, dass einem das Recht auf Eigentum, Leben oder irgendetwas verweigert wurde. Nahrung, Unterkunft und Schutz konnten verweigert werden. Man konnte ungestraft ausgeraubt oder getötet werden.“
Zurück in Bamberg hatte ich, wie nicht selten, im Supermarkt meine Maske aufzusetzen vergessen. Die im Übrigen freundlichen Verkäuferinnen belehrten mich, dass sie mir nichts verkaufen dürften und holten mir dann eine, natürlich kostenpflichtige Maske. Schlimmer ist es schon in Australien: Ausreiseverbot! Und wer garantiert uns, dass man in Zukunft ohne Impfung noch reisen kann?
Ein weiteres Zitat aus Wilkinsons Text:
„Neben dem „Impfstoff-Rennen“ gibt es auch das sogenannte Covid-Pass-Szenario. Jede Regierung müsste dann eine Impfbescheinigung ausstellen. Es klingt so, als würden die Impfbuchreisenden, wenn sie Europa oder Nordamerika verlassen. in den „Dschungel“ abtauchen. Nach diesem Szenario sieht ein normales Leben so aus: Das Verlassen der eigenen Wohnzelle, Reisen, Beschäftigung an konventionellen Arbeitsplätzen und die Nutzung öffentlicher Einrichtungen werden denjenigen gewährt, die sich dem Impfstoff (den Impfstoffen) und der Überwachung unterwerfen.“
Mein Münsteraner Freund hatte einen Urlaub auf Sizilien gebucht. Beim Abflug wurde die Covidapp verlangt und Leute vom Flug abgehalten, die sie nicht hatten.
„Die die Absolution, der Ablass oder ein ähnliches Instrument der Kirche bestätigten angeblich die Vergebung Gottes, die göttliche Gnade. Natürlich war es nur eine Lizenz, die auch für Geld verkauft wurde. Das wird der Impfstoff zusammen mit jedem "CovidPass" sein. Die Aufmerksamkeit, die der medizinischen Wirksamkeit gewidmet wird, ist eine Ablenkung. Ein Impfstoff muss nichts tun. Es gibt keine Möglichkeit zu beweisen, dass man geschützt oder geheilt wurde - außer den Behörden zu glauben. Alle Ihre Nachbarn und / oder ihre Kinder werden sicher gehen, dass Sie Ihre Sünden bekennen - denn der Lohn der Sünde ist der Tod… Es gibt eine weit verbreitete und falsche Überzeugung, dass „Wissenschaft“ als Wissensgrundlage Vorrang vor Religion hat, deshalb werden der religiöse Gebrauch der Wissenschaft und die Ausübung der geistlichen Macht nicht anerkannt, geschweige denn diskutiert. Die Kirche hat den Kindern beigebracht, ihre Eltern der Inquisition zu denunzieren. Die Kultur der Denunziation war immer ein zentraler Bestandteil der Macht der Kirche, und wir sehen, dass sie heute am helllichten Tag wieder eingeführt wird.“
Manch einer dürfte in diesen Thesen Grundzüge der bundesrepublikanischen Coviddebatte wiedererkennen. Wir erleben nicht eine wissenschaftliche Diskussion der Phänomene, sondern das Aufeinanderprallen von Glaubensrichtungen, repräsentiert durch ihre Symbole, wie die Maske. Und verdient wird staatlicherseits daran auch. Die Strafen sind saftig, wie ich höre. Ebenso die Gewinne, die mit Tests, Geräten und schließlich auch mit dem Impfstoff gemacht werden. Da empfehle ich doch eine Reise nach Assisi und den kostenlosen Erwerb eines Generalablasses.
Ich will damit nicht gesagt haben, dass Virusgrippen nicht gefährlich, unter Umständen sogar tödlich sein können. Vor zwei Jahren hat es mich erwischt: Binnen 20 Minuten 41 Grad Fieber und Totalzusammenbruch. In dem Jahr sollen in Deutschland an der Grippewelle 21.000 Menschen gestorben sein. Ich hab ernsthaft überlegt, einen Notruf abzusetzen. Aber ein Indianer kennt keinen Schmerz.