Robert von Loewenstern / 30.04.2020 / 06:03 / Foto: Pixabay / 120 / Seite ausdrucken

Corona und das Zahlen-Geraune: Seien Sie besorgt!

Am Dienstag herrschte wieder einmal Corona-Alarm. „RKI: Ansteckungsrate steigt wieder“ schrieb „Bild“ unter die beunruhigende Headline „Mehr als 6000 Tote gemeldet“. Ähnlich verlautbarten zahlreiche andere Medien bis hin zur „Wetterauer Zeitung“„RKI: Corona-Todesrate steigt seit Tagen – Ansteckungszahl wird kritisch“. Sogar das Erdogan-Sprachrohr „Hürriyet“ warnte die Leserschaft auf Deutsch: „RKI: Corona-Ansteckungsrate steigt wieder – jetzt bei 1,0“.

Die Nachricht konnte kein Fake sein. Schließlich titelten auch die Faktenchecker der „tagesschau“„Ansteckungsrate in Deutschland gestiegen“. Kein Grund zur Epidemie-Entwarnung also, denn: „Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte im Zuge der Ankündigung erster Lockerungen der Schutzauflagen deutlich gemacht, dass schon vermeintlich kleine Änderungen der Reproduktionszahl erhebliche Folgen haben können.“ 

Das ZDF wollte da nicht nachstehen und versetzte die Nation abends per „heute“-Beitrag (ab 03:25) in Unruhe. Zurück zu „einer Art Normalität“ gehe es nur, „wenn die Pandemie sich entsprechend entwickelt“. Aber „ausgerechnet die Reproduktionszahl, also die Zahl, die als ein entscheidender Faktor im Kampf gegen Corona gilt“, sei „heute“ erstmals wieder angestiegen. „Zahlen, die aufhorchen lassen“, raunte das ZDF und zitierte Bayerns Ministerpräsident Söder: Die gestiegene Reproduktionszahl zeige, was passiere, wenn man ohne Plan lockere.

„R“ ist immer Schnee von gestern

Was bei all der Aufregung unterging: Bereits am Dienstagnachmittag hatte das Robert-Koch-Institut die Meldung vom Vormittag wieder korrigiert. Die berüchtigte Zahl „R“ liege nun doch nur bei 0,9 und nicht bei 1,0. All das ist aber nicht entscheidend.

Viel wichtiger ist, was – wieder einmal – niemand klarstellte: R ist grundsätzlich Schnee von gestern. Genauer, Schnee von vor mindestens einer Woche. Den von Medien und Politik suggerierten akuten zeitlichen Zusammenhang zwischen dem „aktuellen“ Anstieg von R und verändertem Verhalten aufgrund gelockerter Ausgangsbeschränkungen gibt es nicht.

Um das zu verstehen, muss man wissen, wie das mysteriöse R berechnet wird. Vereinfacht gesagt, bildet die Reproduktionszahl R zu einem bestimmten Zeitpunkt das Verhältnis zwischen neu Infizierten und ihren Infizierern ab. Wenn also an einem Tag X zum Beispiel 2.000 Personen von 1.000 bereits Infizierten angesteckt werden, ist R = 2. Anders ausgedrückt: Ein Infizierter steckt zwei bisher Gesunde an. Das ist schlecht, denn in diesem Fall wächst die Zahl der Infizierten sehr schnell. Also versucht man R in Richtung 1 zu drücken (Infiziertenzahl bleibt gleich), idealerweise darunter (Infiziertenzahl sinkt).

Mindestens eine Woche verzögert

Tatsächlich ist R kein schlichter Quotient, sondern eine Schätzung als Ergebnis einer reichlich komplizierten mathematischen Operation, die uns im Detail nicht kümmern muss. Entscheidend ist, dass zwischen dem Infektionsgeschehen und seinem Bekanntwerden geraume Zeit vergeht. Mathematiker der Technischen Universität Ilmenau, die – auf Basis von RKI-Daten – eigene Berechnungen zur Corona-Reproduktionszahl anstellen, erläutern: 

„Zu beachten ist weiterhin, dass das Meldedatum der Fälle aufgrund der Inkubationszeit (ca. fünf Tage, WHO 2020) und der Zeit für die Durchführung der Tests sowie der Meldung an die Behörden wesentlich später liegt als das tatsächliche Infektionsdatum. Der Einfachheit halber wird hier von einer Verzögerung von 7 Tagen ausgegangen. Daher wird auch die Schätzung der Reproduktionszahl um eine Woche zeitversetzt zu den gemeldeten Fällen angezeigt.“

Ihre täglich aktualisierten eigenen R-Werte präsentiert die TU Ilmenau sowohl für Deutschland insgesamt als auch für die einzelnen Bundesländer in einer anschaulichen Grafik zusammen mit den jeweils neu gemeldeten Corona-Fällen. 

Laut TU Ilmenau lag R nur bei 0,29

Die von der TU Ilmenau am Dienstag (28.04.) publizierte Zahl gibt also den Datenstand des Vortages wieder (27.04.) und damit die geschätzte Reproduktionszahl für Montag, den 20. April – ähnlich verzögert wie beim RKI, nur mit dem Unterschied, dass die Ilmenauer Stochastiker den Zeitversatz transparent und unmissverständlich kommunizieren.

An jenem Montag vor anderthalb Wochen traten die Lockdown-Lockerungen gerade erst in Kraft. Eine R-Zahl für diesen einen Tag kann daher nicht aussagekräftig für Verhaltensänderungen der Bevölkerung aufgrund erweiterter Bewegungsmöglichkeiten sein. Würde man R trotzdem eine solche Aussagekraft beimessen, dann wäre die Nachricht allerdings eine sensationell erfreuliche: Die Ilmenauer bezifferten R für den 20. April nämlich mit nur 0,29. Auch der Wochenschnitt vor dem 20.04. (zwischen 0,5 und 0,6) zeigt sich weitaus positiver als beim RKI.

Die Nachrichtenlage am Dienstag beherrschte jedoch einzig die alarmistische Darstellung der Regierungsbehörde Robert-Koch-Institut. Kein einziges großes Medium stellte den RKI-Zahlen andere Berechnungen auf gleicher Datenbasis gegenüber. Und kein Medium wies auf den Zeitversatz der „aktuellen“ Reproduktionszahl hin.

Zahlen-Voodoo ohne Ende

Die Episode vom Dienstag fügt sich geschmeidig in eine lange Kette einseitiger Corona-Berichterstattung. Sterblichkeitsraten, Todesursachen, Bezugsgrößen, der Unterschied von relativen zu absoluten Werten, die Bedeutung von Zeitverschiebungen – diverse Fachleute haben auf der Achse wiederholt auf die zahlreichen Ungereimtheiten und Widersprüche im Zusammenhang mit Corona-Verlautbarungen hingewiesen (zum Beispiel hierhierhier und hier).

Ob bei den Medien-Darstellungen übertriebene Regierungsnähe, bewusste Propaganda, schlichte Inkompetenz oder ein bisschen von allem im Spiel ist, lassen wir dahingestellt. Fakt ist, dass die Bevölkerung nicht neutral und ausgewogen informiert wird. Speziell ein Ende des Zahlen-Voodoos ist nicht abzusehen.

Die Dienstagswelle zur angeblich gestiegenen R-Zahl hatte übrigens noch einen Nebeneffekt. Eine interessante Corona-Meldung des Tages ging in der allgemeinen Aufregung nämlich komplett unter: „NRW meldet keine erhöhte Sterblichkeit.“ Bestimmte Nachrichten könnten die Bevölkerung einfach zu sehr beruhigen.

Foto: Pixabay

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Test 45: 59875

Robert Schleif / 30.04.2020

Ein paar neue Zahlen des Robert-Schleif-Instituts (RSI).BRD: hervorragende konsequente Maßnahmen, deshalb nur 0,0084 % der Bevölkerung bisher mit/an Covid-19 gestorben.Italien: trotz drakonischer Maßnahmen extrem hart getroffen. 0,046 % der Bevölkerung bisher mit/an Covid-19 gestorben.Schweden: unverantwortlicher Weise keine drastischen freiheitsberaubenden Maßnahmen – deshalb Massensterben von 0,024 % mit/an Covid-19.

Dr. med. Robin Schürmann / 30.04.2020

Eine Korrektur zum Beitrag.Sie schreiben: „Vereinfacht gesagt, bildet die Reproduktionszahl R zu einem bestimmten Zeitpunkt das Verhältnis zwischen neu Infizierten und ihren Infizierern ab.“Die TU Ilmenau schreibt: „Geschätzt wird die (Netto-)Reproduktionszahl R(t) am Tag t, das heißt die durchschnittliche Anzahl von Menschen, die jemand, der am Tag t infiziert wurde, unter gleichbleibenden Bedingungen infizieren würde.“Daraus folgt, dass R nicht das Verhältnis zwischen neu Infizierten und ihren Infizierern abbildet, sondern die (zu erwartende) Gesamtzahl von Personen angibt, die ein zu einem bestimmten Zeitpunkt neu Infizierter seinerseits infizieren wird.

Paul J. Meier / 30.04.2020

Gestern hat Altmeier noch 3 Mio. Kurzarbeiter verkündet und heute sind es 10 Mio. Dabei schätzte er eine Rezession von 6,3%. Nun wie die wirklich ausfällt und woher er seine Daten hat??? Genauso gut könnte man auch eine Glaskugel befragen. Die UN erwartet Hungersnöte, Kriege und Verteilungskämpfe als Folge der Krise in den Entwicklungsländern. Äh, nein nicht durch das Virus, durch die wirtschaftlichen Folgen. Dieses Zahlenwirrwarr ist bedingt durch die Inkubationszeit ohnehin kein Status Quo. Dazu die täglich wechselnden Ratschläge im allseits geschätzten ÖR, mal ist die Maske gut, mal schädlich, mal durch bügeln oder bei 70° backen wieder steril, dann wieder doch nicht. Wie auch immer, wir sehen dauerkonsterniert die letzten Jahre, dass unsere Regierung alles im Griff hat. Zur Not hilft die Bundeswehr, die haben ja jetzt noch kompetente Verstärkung durch Högl bekommen. Man kann sich getrost zurücklehnen und die ruhigen Coronatage genießen. Sollten sie Sarkasmus oder Ironie finden, dann liegt das nur an meiner Maske, die ich vor dem Schirm trage. Ich will sie schließlich nicht anstecken!Frohen Tag der Arbeit morgen!

R. Abbé / 30.04.2020

Wenn ich mir all die Maulkorb... äh... Maskenwilligen in meiner Umgebung so angucke, kommt mir bei einigen unwillkürlich in den Sinn: "Vielleicht solltest gerade DU besser NICHT die Sauerstoffversorgung Deines Gehirns auch noch behindern." - Vermutlich könnte man den Leuten vorschreiben, daß jeder, als Schutz vor Corona, Windeln tragen muß. Ich wette, einige Untertanen würden selbst das mitmachen. Ist ja Vorschrift. Bloß nichts hinterfragen. Wenn das nicht alles so traurig und politisch extrem bedenklich wäre, könnte ich mich darüber wirklich amüsieren...

Herbert Otten / 30.04.2020

Vergessen Sie den R-Wert. Lesehinweis: When Will COVID-19 End? Data-Driven Estimation of End Dates der Singapore University of Technology and Design (ddi.sutd.edu.sg oder www....). Außerdem Fakten zu Covid-19 von Swiss Propaganda Research mit regelmäßigen, aber nicht täglichen Aktualisierungen (swprs.org). Wer selbst denken kann und auf das betreute Denken des Staatsfunks verzichtet, ist klar im Vorteil.

Frank-Michael Goldmann, Dänemark / 30.04.2020

@ Rolf Menzen (Zitat) "...die ach so drakonischen Maßnahmen gegen die etliche anderer Länder ein “Fliegenschiss” sind." (Zitat Ende) Schon mal was von Österreich gehört? Oder Dänemark? Oder Schweden? Wohl ein kleiner Merkel-Jünger.........

Detlef Dechant / 30.04.2020

WArum ist in Italien jeder Tote ein Corona-Toter? Weil im Falle des Todes durch Corona der Staat die Beerdigungen bezahlt. Und wer hat die Hände in den Beerdigungsgesellschaften drin? Keine weiteren Fragen!

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