Felix Perrefort / 25.06.2022 / 16:00 / Foto: Sandra / 10 / Seite ausdrucken

Corona-Maßnahmen: Wie geht die Evaluation von Treibsand?

In ihrer auf Sand gebauten „Logik“ ist die Corona-Politik konsequent. Die für nächste Woche angekündigte Bewertung der Corona Maßnahmen wird wohl genauso auf Sand gebaut sein wie die Maßnahmen selbst. Und so geht es im Herbst weiter, immer tiefer in den Treibsand.

Ende kommender Woche soll die Veröffentlichung eines Evaluationsberichts erfüllen, was der Gesetzgeber dem Gesundheitsministerium im Infektionsschutzgesetz aufgetragen hat. Bewertet werden sollen bis dahin die „Auswirkungen der Regelungen“ und die „Frage einer Reformbedürftigkeit“, heißt es dort. Weiter: „Die Evaluation soll interdisziplinär erfolgen und insbesondere auf Basis epidemiologischer und medizinischer Erkenntnisse die Wirksamkeit der auf Grundlage der genannten Vorschriften getroffenen Maßnahmen untersuchen.“ 

Bis zum 30. September 2022 soll die Bundesregierung dem Bundestag das Ergebnis dieser Evaluierung von Effekten und Effektivität der Maßnahmen sowie eine Stellungnahme der Bundesregierung zum entsprechenden Ergebnis übersenden. Am 23. September läuft das aktuell geltende Infektionsschutzgesetz aus. Die Hoffnung auf die Impfung als „Ausweg aus der Pandemie“ hat sich nicht erfüllt, vor allem die Grünen drängen bereits auf neue Maßnahmen für den Herbst. Winfried Kretschmann würde „am liebsten alles haben“, auch „Ausgangssperren“. 

Rational betrachtet wären Maßnahmen, deren Wirksamkeit sich nicht einmal nach zweijähriger Anwendung nachweisen lässt, wenigstens für die Zukunft kategorisch auszuschließen. FDP-Politiker Christian Dürr stieß in diese Richtung. Es sei „einfach wichtig, endlich zu klären, was von den Maßnahmen Quatsch und also auch rechtlich nicht vertretbar war (!) und was sinnvoll ist.“ Seine Fraktion werde künftig „keine Maßnahmen mehr unterstützen, deren Wirksamkeit bestenfalls fragwürdig ist“. Kubicki ließ sich so zitieren: „Ich kann das Wehklagen, wir hätten nicht genug Daten, nicht mehr hören. Nach zweieinhalb Jahren darf man nicht mehr im Erkenntnisnebel stochern. Deshalb lehne ich jede grundrechtsbeschränkende Maßnahme ohne messbare und signifikante Wirkung ab.“ Darum nehme die FDP den Evaluationsbericht „sehr ernst“.

Den erwähnten Erkenntnisnebel bestätigte der Leiter des Sachverständigenrats, Stefan Huster, vor Kurzem im Spiegel. Mediale Spekulationen darüber, dass die Maßnahmen in der Evaluation als ungerechtfertigt verdammt werden würden, wies er zwar zurück, bekräftigte jedoch mangelnde Evidenz. Nur weil bei einigen Maßnahmen die „Datenlage nicht ausreiche, um ihre Wirksamkeit definitiv nachzuweisen“, könne man sie noch nicht als unwirksam bezeichnen. Das wäre „verkürzt“, so das Mitglied der Leopoldina, die die Bundesregierung im Namen der Wissenschaft zum Ergreifen harten Maßnahmen ermunterte. 

Unbestimmtheit auch in anderen Ländern 

Offenkundig hat man es mit einem erheblichen Daten- und Evidenzproblem zu tun. Auf die Frage, wie die „Forschungslage zur Wirksamkeit“ (also zur Effektivität) von Maßnahmen ist, gibt Huster dem Spiegel eine schwammige Antwort zur Forschungslage zu den Wirkungen (also den Effekten): „In einigen Bereichen eindeutig, in vielen anderen Bereichen gibt es Studien mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen zu den Aus- und Nebenwirkungen der Maßnahmen. Diese Vielfalt versuchen wir dazustellen, wir haben ja selbst keine eigenen Studien betrieben.“ Auch hier verwundert der Erkenntnisnebel, in dem gestochert wird, nicht: Der ehemalige Beamte des Innenministeriums, Stephan Kohn, der im Referat Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz tätig war, hatte in seinem Corona-Papier früh kritisiert: „Ein Monitoring über Kollateralschäden findet nicht statt.“ 

Die Politik verlangt nun von dem Expertenausschuss die Antwort auf Fragen, für welche sie die Datenlage selbst hätte schaffen müssen. Hierzu haben im Übrigen auch die wissenschaftlichen Experten die Politik nicht aufgefordert. Christian Drosten, der den Expertenausschuss frühzeitig u.a. deshalb verließ, weil die Datenlage nicht ausreiche, hätte schließlich von Anfang an die Erhebung belastbarer Daten anmahnen können. 

So wird der Auftrag des Gesetzgebers, wenn überhaupt, dann nur unzureichend erfüllt. Huster im Spiegel-Interview: „Wer eine Liste mit einem Plus oder einem Minus hinter allen einzelnen Maßnahmen für ‚wirksam‘ oder ‚nicht wirksam‘ erwartet, der wird enttäuscht sein. Wir unterscheiden uns da aber nicht von anderen Ländern. Die Schweiz zum Beispiel hat sehr früh evaluiert, da finden Sie auch kaum definitive Aussagen zu Maßnahmen.“ Das stimmt. In der kompakten Schweizer Evaluation wird die Wirksamkeit der Maßnahmen nicht bewertet, sondern einfach vorausgesetzt. Korrelationen etwa zwischen Lockdowns, erlassenen Maskenpflichten oder Schulschließungen auf der einen Seite und der Entwicklung von Krankheits- und Sterbefällen auf der anderen findet man dort nicht. Angesichts ähnlich chaotischer Daten-Erhebungen wird das auch für die deutsche Evaluierung gelten. 

Verwundern kann all die Evidenzlosigkeit nur, wer im Glauben an die Wissenschaft darauf vertraute, dass die Corona-Politik schon auf ein wissenschaftlich belastbares Fundament gebaut sein wird. Nüchternen Betrachtern hingegen ist seit Längerem klar, dass das empirische Fiasko nicht nur die Maßnahmen, sondern obendrein ihre gesamte rechtliche Grundlage betrifft.

Empirie-Fiasko auch bei Rechtsgrundlage

Kleine Erinnerung: Die Maßnahmen hatten zur Rechtsgrundlage den Bundestagsbeschluss einer „epidemischen Lage nationaler Tragweite“, die an keinerlei materielle Bedingungen geknüpft war. Wer glaubt, dass dies in einer liberalen Demokratie und einem funktionierenden Rechtsstaat doch eigentlich gar nicht möglich sein dürfte, weil damit staatlicher Willkür Tür und Tor geöffnet wäre, der schaue in einer Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags nach, die vor zwei Jahren, im Juni 2020, veröffentlicht wurde. In wünschenswerter Klarheit heißt es dort: 

In § 5 Abs. 1 IfSG wird festgelegt, wann eine epidemische Lage vorliegt. Die einzige darin formulierte Voraussetzung ist ein Beschluss des Deutschen Bundestages. Weitere materielle Voraussetzungen bestehen nach dem Gesetzeswortlaut nicht. Auch der Gesetzesbegründung sind keine konkreten Kriterien zur Definition des Begriffs zu entnehmen. Daraus folgt, dass die in § 5 und § 5a IfSG enthaltenen Rechtsfolgen allein durch den Beschluss der epidemischen Lage ausgelöst werden, solange dieser nicht nach § 5 Abs. 1 S. 2 IfSG aufgehoben wurde. 

Die epidemische Lage wurde per Definitionsmacht durch einen bloßen Sprechakt rechtskräftig. Sie hängt bis heute davon ab, dass die Bundestagsmitglieder schlichtweg der Meinung, dass es sie gibt. Seit März 2020 gilt, was man als historische Zäsur begreifen muss: Der Staat kann sich nun selbst, unabhängig davon, ob bevölkerungsbetreffende Gefahren außergewöhnlicher Art tatsächlich vorliegen oder nicht, dazu ermächtigen, die Grund- und Freiheitsrechte von über achtzig Millionen Staatsbürgern einzuschränken. 

Nun erwägt die Bundesregierung eine generelle Maskenpflicht von Oktober bis Ostern. Dabei kann man den Worten Husters entnehmen, dass nicht einmal hier Eindeutigkeit besteht: „Es gibt Maßnahmen, die punktuell wirken, die leichter zu bewerten sind. Die Erkenntnis, dass das Tragen von Masken in Innenräumen helfen kann, das Infektionsgeschehen einzudämmen, ist nicht überraschend. Wobei es auch da darauf ankommt, wer wann welche Maske trägt.“ 

Es können Maßnahmen in ihrer Wirksamkeit also nicht zufriedenstellend evaluiert werden, deren Rechtsgrundlage in einer Behauptung besteht, die sich empirisch nicht beweisen musste. In ihrer auf Sand gebauten „Logik“ ist die Corona-Politik immerhin konsequent: So werden nun jene, die glauben, dass das alles noch mit dem für einen Rechtstaat konstitutiven Verhältnismäßigkeitsprinzip zu vereinbaren ist, neue Maßnahmen für den Herbst fordern. Es war und ist eben ein Kult.

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Hans-Peter Dollhopf / 25.06.2022

Der Huren Lohn bestimmt sich danach, dass jeder ihren Preis kennt.

W. Renner / 25.06.2022

Im Gasthaus Zur letzten Inzidenz wird schon wieder der Menüplan für den Herbst diktiert. Für die hardcore Corona Gourmets gibts sicher wieder die ausgefallensten Mehrgänge Menüs.

Martin Holzinger / 25.06.2022

Werter Herr Perrefort, ich scheine etwas überlesen zu haben; vielleicht könnte der Ausschuß auch das Urteil des Amtsrichters Guericke in Weimar vom 11.01.2021 zu Rate ziehen : Es hat zu keiner Zeit eine epidemische Lage von nationaler Tragweite bestanden, wenngleich der Bundestag dies so am 28.03.2020 entschied. - es gibt hier auf der Achse einen fantastischen Artikel dazu von Herrn Gebauer, meine ich. War der Optimismus damals größer als heute? Wie schaut es mit einem Repost aus, wertes achgut Team?? Aus vollen Rohren, Alarm!

Sam Lowry / 25.06.2022

Heute sah ich, außer der Kassiererin im REWE, niemanden mit Maske durch die Gänge huschen. Die Masse hat es satt, und das wird sich zeigen. Da können ARD und ZDF und der Rest der zwangsfinanzierten Propaganda-Medien noch so laut trommeln. Jeder kennt einen, der nach der sog. “Impfe” krank wurde. Und der Grottenolm von Biontech will jetzt auch noch sein Zeug ohne vorherige Prüfung und Zulassung auf den Markt werfen können. Frieren, Hungern und mit Gift Impfen wird dem Volk sicher zuviel werden. Absolut sicher. Da passiert was…

S. Andersson / 25.06.2022

You made my day!!!!!! Wenn ich das lese könnte ich auf den Gedanken kommen… wenn ich wollte…. das im Hintergrund jemand eine Situation provozieren will, die dann dazu führen soll das alle Politgenossen mit einen Schlag geteert und gefedert um den Block gejagt werden bis die tot zusammen brechen. Anders kann ich mir diesen Super Schwachsinn langsam nicht mehr erklären. Geh jetzt Popcorn kaufen für die kommende geile Show…

Ronald Maeder / 25.06.2022

Aha, wir haben keine Daten. Ok, wie wäre dann ein Blick auf das früher viel gepriesene Schweden oder die republikanisch geführten Staaten der USA oder auch nach England und viele mehr. Seltsam, wie die seit mindestens einem Jahr ohne Einschränkungen überleben konnten? Könnte es sein, dass wir es in D mit Geisteskranken, Verbrechern und geisteskranken Verbrechern zu tun haben?

Heiko Engel / 25.06.2022

Von der Parteienoligarchie muss Deutschland sich emanzipieren. Zeitnah.

Peter Woller / 25.06.2022

Machtpolitik macht einfach viel zu viel Spaß. Es macht Spaß, Freude, und Befriedigung, wenn man andere Leute einsperren kann, ihnen Gesichtslappen aufzwingt, und sie zur Spritze nötigt. Dieses Machtgefühl wollen sich bestimmte Leute auf gar keinen Fall nehmen lassen. Und in eigener Sache: Ich habe noch nie einen Menschen zu irgend was gezwungen.

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