Wolfram Weimer / 01.02.2020 / 06:10 / Foto: Government of India / 77 / Seite ausdrucken

Corona bedroht Chinas Regime und seine Medien

Es sind nicht 4.000 Erkrankte, es sind mindestens, “im besten Fall”, 100.000 Infizierte. Das meint Neil Ferguson vom Imperial College in London, der für die Weltgesundheitsbehörde WHO die Coronavirus-Krise analysiert. Fergusons Warnung deckt sich mit den dramatischen Berichten aus chinesischen Krankenhäusern im Epidemiegebiet. Demnach hat das Virus viel mehr Menschen getroffen, als offiziell zugegeben wird. Auch aus Hongkong mehren sich Berichte, dass die Lage in der Metropole Wuhan viel schlimmer sei als bislang angenommen. Dies erkläre auch die drastischen Maßnahmen der chinesischen Regierung, einen Ballungsraum mit annähernd 60 Millionen Menschen von der Außenwelt abzuschneiden und schlagartig unter Isolation zu stellen. Eine derartige Massenquarantäne hat es in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben.

Die chinesische Führung gerät innenpolitisch massiv unter Druck, denn in der Bevölkerung wächst die Wut auf die Machthaber. Die Vorwürfe reichen von Verharmlosung und Vertuschung bis zu Missmanagement der Epidemie. Als gravierend zeigt sich die massive Einschränkung der Pressefreiheit in China, denn so wurden wichtige Informationen und Frühwarnungen zur Krise erst gar nicht publik und dann viel zu spät und verharmlosend transportiert. Hunderte Millionen Menschen informieren sich nun kaum mehr über die Staatsmedien, sondern übers Internet. Das tief sitzende Misstrauen führt dazu, dass panischen Gerüchten in Chat-Diensten mehr geglaubt wird als den geschönten Berichten der gelenkten Staatsmedien.

Noch nach Neujahr verfolgte die Polizei in Wuhan nach einem Bericht der BBC acht Bürger, die öffentlich die Behauptung wagten, dass das Sars-Virus nach China zurückgekehrt sei. Zwei Wochen später saßen sogar chinesische Journalisten kurzzeitig in Haft, weil sie über das Wuhan-Virus berichten wollten. Ärzte klagen, dass sie angewiesen werden, nicht mit der Öffentlichkeit über die Infektionen zu sprechen.

Lokale Parteifunktionäre verharmlosten im Dezember den Ausbruch und behaupteten, mit dem Problem schon fertigzuwerden. Schlechte Nachrichten gelten der Zentralregierung gegenüber als Indiz für politisches Versagen. Hinzu kam, dass die Führung der Stadt Wuhan zu Jahresbeginn damit beschäftigt war, das jährliche Treffen der Kommunistischen Partei zu organisieren. Die “Handelsblatt”-Korrespondentin Sha Hua berichtet: Es galt, sich vor den Genossen Funktionären “keine Blöße zu geben”.

Schon bei der Sars-Epidemie rollten politische Köpfe

Das Phänomen des parteiinternen Informationsblendwerks ist für Chinas Regierungssystem ein grundlegendes Problem. So glaubt die Zentralregierung nicht einmal den Wirtschaftszahlen der Provinzen und hält diese für systematisch geschönt. Jüngst erst korrigierten fast die Hälfte aller Provinzen ihre Ergebnisse für 2018 nach unten, nachdem die Zentralregierung ihre Zahlen überprüfen ließ. Sie waren allesamt zu hoch angegeben. Dass die Behörden in Wuhan – genau nach diesem Muster – auch die neuen Krankheitsfälle falsch gemeldet haben, wird ihnen jetzt zum Verhängnis.

Der Bürgermeister von Wuhan, Zhou Xianwang, ist nun von Peking gezwungen worden, im staatlichen Fernsehen CCTV sein eigenes Krisenmanagement als “nicht gut genug” zu kritisieren und zusammen mit dem obersten Parteisekretär der Stadt, Ma Guoqiang, seinen Rücktritt anzubieten. Schon bei der Sars-Epidemie von 2003 rollten politische Köpfe, seinerzeit mussten der Bürgermeister von Peking und der Gesundheitsminister abtreten. Die Panik in der Bevölkerung, die zu Hamsterkäufen von Masken und Lebensmitteln geführt hat, wirkt jedenfalls wie die offene Demonstration einer politischen Vertrauenskrise.

Für das kommunistische Regime ist die Stimmungslage bedrohlich, weil ihre gesamte Legitimation stillschweigend darauf beruht, dass die Bürger Freiheiten opfern, dafür aber Wohlstand und Sicherheit garantiert bekommen. Wenn nun mit der Gesundheit die wichtigste aller Sicherheiten nicht mehr geschützt werden kann und alle erkennen, dass Freiheiten zum schieren Lebensschutz dringend gebraucht werden, droht das System seine Autorität zu verlieren.

Staatspräsident Xi Jinping hat die politische Brisanz der Lage erkannt und gibt jetzt die Losung aus, das Leben und die Gesundheit der Bürger genieße oberste Priorität. China müsse die Ausbreitung “resolut bekämpfen”. Auf der Kurznachrichtenplattform Weibo veröffentlichte seine Kommunistische Partei einen außergewöhnlichen Appell an seine Kader. Sie müssten nun möglichst viel Offenheit walten lassen. Wer Infektionen in seiner Region vertusche oder seine eigenen politischen Interessen über die Gesundheit des Volkes stelle, müsse mit schweren Strafen rechnen. Kader würden “für die Ewigkeit an den Pranger der Schande genagelt”, sollten sie Krankheitsfälle unterschlagen. Sogar eine App wird freigeschaltet, in der Bürger Vertuschungen von lokalen Funktionären und Behörden anprangern können.

Das Regieme lässt weiterhin löschen

Plötzlich dürfen Journalisten offen über den Verlauf der Krankheit berichten. Auch die Staatsmedien, die das Thema wochenlang zwanghaft klein gehalten haben, veröffentlichen nun detaillierte Berichte. Sogar während der im Staatsfernsehen übertragenen Frühlingsgala, die traditionell von vielen Millionen Chinesen geschaut wird, schaltete die Regie in ein Krankenhaus nach Wuhan zu den dortigen Ärzten. Das Regime aktiviert zudem den Entdecker des Sars-Virus, den inzwischen 83-jährigen Mediziner Zhong Nanshan. Er soll, um Vertrauen in die Informationspolitik zurückzuerlangen, die Öffentlichkeit über die Gesundheitskrise informieren. Der Spezialist für Atemwegserkrankungen war während der Sars-Pandemie bekannt geworden, weil er die Ernsthaftigkeit der Krankheit schon benannte, als die Regierung noch versuchte, sie zu vertuschen.

Schlagartig wird auch die medizinische Informationspolitik offener. Ma Xiaowei, Leiter der nationalen Gesundheitskommission, tritt nunmehr gleich mit zwei ungeschönten Hiobsbotschaften vor die internationale Presse: Zum einen würde die Übertragungsfähigkeit des Coronavirus derzeit weiter ansteigen. Und im Gegensatz zu Sars sei der neuartige Erreger aus Wuhan auch während der Inkubationszeit ansteckend. Dies macht eine Eindämmung ungleich schwerer, schließlich dauert es bis zu zwei Wochen, dass unwissentlich Infizierte erste Symptome der Lungenkrankheit zeigen.

Doch äußere Kritik am Vorgehen der Behörden lässt das Regime in Peking – etwa im Internet – auch weiterhin weiträumig löschen. Kritische Kommentare, insbesondere aus Hongkong, werden getilgt, selbst in privaten Nachrichtenchats regiert Zensur. Peking erlaubt nur die Kritik aus der Partei an der Partei. Die Regierung hat offenbar Angst vor der viralen Vertrauenskrise. Denn am Ende könnte das Coronavirus auch das Machtsystem der Kommunistischen Partei erschüttern. Es vereinen sich derzeit die Freiheitsbewegung der Hongkong-Chinesen mit dem Freiheitsruf der Virusbedrohten. Die Freiheit von Presse und Informationen ist – und das zeigt die Epidemie grausam klar – zuweilen überlebenswichtig.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The  European.

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Leserpost

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Ilona Grimm / 01.02.2020

@Dr. Gerhard Giesemann: »... die am anderen Ende des Globus ihre Show abziehen. Mit g’langt der Moslem in der Nachbarschaft vollauf. Samt Afrika.« Habe vernommen, dass „Afrika“ in Form der afrikanischen Schweinepest sehr nah an die polnisch-deutsche Grenze herangerückt ist. Veterinärmediziner sind in Alarmbereitschaft.—//—Was ist schlimmer: totaler Blackout oder totale Transformation oder Merkel oder Corona oder Schweinepest? Ist egal. Wir brennen demnächst sowieso, nämlich wegen Zeh-ooh-zwoo.

M. Köhler / 01.02.2020

In China versucht die Regierung eine Epidemie, die offensichtlich wesentlich größer ist als zunächst bekannt war, klein zu reden, um eine Panik zu vermeiden. In Deutschland wird beim Klimawandel mit Hilfe von Greta Thunberg bewusst Panik erzeugt, um ein Problem das offenbar wesentlich kleiner ist, groß darzustellen. Wer erkennt den Unterschied?

Rudhart M. H. / 01.02.2020

Aber Herr Weimer, haben Sie hier nicht etwas verwechselt ? Solange deutsche Politiker öffentlich sagen können, daß sie nicht alles erzählen , weil es die Öffentlichkeit eventuell beunruhigen könnte, solange haben wie hier doch allen Grund, erstmal vor unserer Tür zu kehren. Und sicher ist, daß weder die Merkelregierung , noch sonst irgendeine denkbare Koalition innerhalb Deutschlands in der Lage wäre, das Problem sicher und einfach zu bereinigen. Oder haben Sie dafür schon eine Lösung in der Hinterhand? Fakt ist, daß in einem Ernstfall ein zentralistisch geleiteter Staat schneller handlungsfähig sein wird . als jedwede sog. Demokratie, die erstmal tagelangen Diskussionen folgen muß, ehe Handlungsempfehlungen getroffen werden können. Die dann auch noch durchzusetzen steht doch auf einem ganz anderen Blatt: s. Grenzkontrollen - unmöglich , s. Schußwaffenandrohung bei Verletzung eines militärischen Sperrgebietes - unmöglich , s. Polizeimaßnahmen bei Demonstrationen , etc. p.p.  Was soll also dieses Gewäsch , seien Sie froh, daß es nicht wirklich passiert, daß eine Pandemie über uns hereinbricht ! Hier wäre auch bloß Chaos - da können Sie aber ganz sicher sein !

Ilona Grimm / 01.02.2020

Und was könnte das Berliner Politbüro daraus lernen - so es denn wollen würde?

Daniel Oehler / 01.02.2020

Es ist nicht gerade realistisch und wahrheitsgetreu, das Problem mit Corona allzu sehr mit dem politischen System in China zu verbinden. Als die “Spanische Grippe” mehr Menschen tötete als der Erste Weltkrieg, waren es die auf der “Achse der Guten” und in der Springerpresse von Kritik ausgenommenen USA, die durch völlig unzureichende Maßnahmen die globale Ausbreitung der tödlichen Seuche möglich gemacht haben. So sehr ich auf Grund der blutigen Spur von Lenin, Stalin und Mao den Marxismus generell ablehne, möchte ich doch der rotlackierten Regierung in Peking zutrauen, effektiver - und rücksichtsloser - gegen die Seuche vorzugehen, als der Westen, das zwar demokratische, aber sehr chaotische Indien oder Länder der Dritten Welt. Um es etwas gemein auf den Punkt zu bringen: Hätte sich Frau von der Leyen statt um die Bundeswehr um das Thema Gesundheit gekümmert, wären wir bei jeder noch so kleine Seuche rettungslos verloren.

A. Ostrovsky / 01.02.2020

Was wissen die Historiker eigentlich über den Bau der Großen Cinesischen Mauer? Waren das Chinesen und haben die freiwillig gebaut, oder war die Abriegelung von außen erzwungen?

Frank Dom / 01.02.2020

Die Erfahrungen mit der BR bei anderen Themen machen es schwierig, der Aussage zum Corona Virus, dass wir das schaffen, zu vertrauen. Im übrigen, besteht evtl die Möglichkeit, dass Berlin und Hamburg vom Rinderwahnsinn befallen sind? Das würde zumindest einiges erklären. (Nein, damit mache ich mich nicht über die aktuellen Opfer lustig.)

S. Salochin / 01.02.2020

Man kann auch ohne freie Presse auskommen und überleben - siehe Deutschland. Hoch! Hoch! Hoch! Im übrigen halte ich es mit den Festlandchinesen wie Sgt. Barnes in “Platoon”. Vielleicht fällt durch den Corona Virus wenigstens ihr barbarisches “Schlachtfest” in Julin aus. Man möge sich mit starken Nerven ausgerüstet im Internet darüber informieren. Schauerliches Volk. Bezeichnenderweise ist sowetwas im freien Taiwan verboten.

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