Ein offizieller Corona-Untersuchungsausschuss brachte Lothar Wieler und eine Vertreterin des Paul-Ehrlich-Instituts ins Schwitzen. CDU und AfD quetschten die beiden Zeugen aus. Nicht möglich? Im Brandenburger Landtag durchaus. Die Achse war vor Ort.
Im Brandenburger Landtag hat am Freitag auf Länderebene stattgefunden, was auf Bundesebene hintertrieben wurde: ein Corona-Untersuchungsausschuss. In seiner ersten Sitzung vernahm er illustre Zeugen: den ehemaligen RKI-Chef Lothar Wieler und Dr. Brigitte Keller-Stanislawski, die im Paul-Ehrlich-Institut für die Pharmakovigilanz (Überwachung) der Corona-Impfstoffe zuständig war und am Samstag ihren ersten Tag in Rente antrat. Die angedachte Vernehmung der Zeugin Britta Ernst (des Kanzlers Ehefrau) als ehemalige Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg wurde aus Zeitgründen abgesagt. Sie warb 2021 für die Kinder-Impfung.
Während die anwesenden Politiker von SPD, Linke und Grüne zur Befragung der beiden Behörden-Vertreter nur selten und dann nichts von Bedeutung beitrugen, stellte die AfD, die den Ausschuss auch initiierte, die hartnäckigsten Fragen, auch die CDU übte Druck aus.
Sowohl Wieler als auch Keller-Stanislawski gerieten mitunter ins Schwitzen, die PEI-Vertreterin wirkte jedoch deutlich angespannter als der ehemalige RKI-Leiter. Während sie den Eindruck vermittelte, dass das PEI mit seiner Corona-Aufgaben überfordert war, wirkte Wieler vor allem aufrichtig überzeugt davon, seine Pflichten in jeder Hinsicht ordnungsgemäß erfüllt zu haben. Wer wie Wieler ohne Not plötzlich behauptet, dass in Afrika massenhaft Menschen an Omikron gestorben seien, weil sie – anders als wir glückliche Europäer – nicht geimpft gewesen seien, der vertritt das alles aus tiefer, innerer Überzeugung. Meiner Erfahrung nach gibt es einen zwangsneurotischen „Corona-Blick“, der sich stets für die schlimmste der zur Auswahl stehenden Theorien entscheidet, um sich dann in Horrorszenarien und Kontrollfantasien hineinzusteigern. Entwarnung ist keine Option. Zur Erinnerung: Drosten prognostizierte März 2020, in Afrika würden die Menschen künftig auf den Straßen sterben, und Wieler glaubt daran sogar noch, nachdem man auch beim Deutschlandfunk verblüfft einräumte, dass nichts dergleichen stattgefunden hat.
Als eine Art Aufpasser stellte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Wieler den Ministeriumsmitarbeiter Heiko Rottmann-Großner zur Seite, der wohl darüber wachen sollte, dass Wieler nichts ausplaudere, zu dem er nicht verpflichtet ist. Nachdem ihm von der AfD vorgeworfen wurde, dem ehemaligen Behördenleiter heimlich Zettel zugeschoben zu haben, musste er schließlich sogar zwei Plätze von ihm wegrücken. Im BMG nimmt man den Untersuchungsausschuss augenscheinlich nicht auf die leichte Schulter.
Hitzige Stimmung
Insbesondere zwei Versäumnisse ließen die beiden Zeugen schlecht dastehen: Wieler konnte nur auf eine – unveröffentlichte – COViK-Studie verweisen, als er danach gefragt wurde, welche Studien das RKI selbst in Auftrag gegeben hatte, um die Impfeffektivität nachzuweisen. Keller-Stanislawski wiederum gab technische Hindernisse als Grund dafür an, dass das PEI nicht – wie gesetzlich vorgesehen – die Krankenkassen-Daten in die Pharmakovigilanz einbezieht (Achgut berichtete hier und hier). Außerdem seien die relevanten Nebenwirkungen in den Abrechnungsdaten nicht gut sichtbar, für die Sicherheits-Auswertung gar nicht so wichtig. Das ist unplausibel: Immerhin repräsentieren 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherte 90 Prozent der deutschen Bevölkerung, womit die Abrechnungsdaten das medizinisch bedeutsame Krankheitsgeschehen nahezu vollständig dokumentieren. Allerdings, so Keller-Stanislawski, sei auch eine Studie mit den Krankenkassen in Gange. Fast drei Jahre nach Beginn der ersten Impfung.
Wielers Verteidigungslinie: Seine Behörde habe die Impfeffektivität in regelmäßigen RKI-Berichten nachgewiesen, Ungeimpfte hätten gar „ein acht Mal“ höheres Risiko, auf der Intensivstation zu landen als Geimpfte. Woher er diese Zahlen nahm, blieb unklar. Außerdem bezog er sich auf WHO-Studien, die aufgrund der Corona-Impfungen Millionen gerettete Leben behaupten, und sprach von diesen Modellierungen, als handelte es sich um harte Tatsachen, obwohl es nur Schätzungen unter unsicheren Prämissen sind. Es ist skandalös: Statt mit Beginn der Impfkampagne vergleichende Beobachtungsstudien (Ungeimpfte vs. Geimpfte) in Auftrag zu geben, die allein den Nutzen der Impfung hätten sattelfest nachweisen können, verlässt Wieler sich auf das passive deutsche Meldewesen und schließlich auf Modellierungsstudien der WHO, die finanziell von der Pharmaindustrie abhängig ist.
Apropos WHO: Auch bei der Pharmakovigilanz hat die Institution ihre Finger im Spiel. Die PEI-Mitarbeiterin gab an, die Verdachtsmeldungen mit Hilfe von WHO-Algorithmen auszuwerten. Damit bleiben von den 3.315 gemeldeten Impftoten (Verdachtsfälle) nur 127 anerkannte Impftote. Die reale Zahl der Impftoten wird also gleich doppelt kleingerechnet. Zunächst ignoriert man die Dunkelziffer und erkennt dann nur einen Bruchteil der Verdachtsfälle als durch die Impfung verursacht an, denen obendrein abstruse Modellierungen gegenübergestellt werden. Seriöse Wissenschaft ist das nicht, und doch wird jeder Unsinn kolportiert. Laut ZDF „kostete Corona fast 337 Millionen Lebensjahre (!)“, die WHO schätze das nun einmal so. Die Auslagerung von Verantwortung auf die supranationale Ebene führt in die Verantwortungslosigkeit.
Die Stimmung im Ausschuss war zwischenzeitlich hitzig. Viele Fragen der AfD hat Vorsitzender Danny Eichelbaum (CDU) nicht zugelassen, wenn sie, so seine Begründung, keinen Brandenburg- oder Impfbezug hatten, das sei im „Beweisbeschluss“ so festgelegt. Teilweise erschien dies gerechtfertigt, teilweise zu streng. Etwa wenn nach der Intensivauslastung gefragt wurde, mit der schließlich auch die Impfungen gerechtfertigt wurden, wie Dr. Hans-Christoph Berndt (AfD) zu Recht anmerkte. Saskia Ludwig (CDU) konfrontierte Wieler mit den RKI-Angaben zu Influenza-Zahlen der letzten Jahre, die dramatischer ausfielen als jene zu Corona, um danach zu fragen, warum letztere Anfang 2020 massive Grundrechtseinschränkungen rechtfertigen sollten. Wieler argumentierte, diese wären aufgrund des Lockdowns so niedrig gewesen.
Verlust der Deutungshoheit
Wielers Dogmatismus ist extrem: Der RKI-Chef hält heute noch an der Wirksamkeit von Lockdowns fest, behauptete gar, die Übersterblichkeit im Jahr 2020 wäre nur deshalb ausgeblieben, weil sich nur 2 Prozent der Bevölkerung mit dem Corona-Virus infiziert hätten – wegen der Wirksamkeit der Maßnahmen. An anderer Stelle sprach er von einer Corona-Letalität von 1 Prozent und bezog diese auf 80 Millionen Deutsche, um damit hunderttausende potenzielle Corona-Tote zu insinuieren, die dank der vom RKI ergriffenen Maßnahmen jedoch abgewendet worden wären. Es ist verrückt, trotzdem muss man darüber reden.
Auf diese Weise leugnet er noch im Jahr 2023 die natürliche Immunität, die sich von Anfang an darin zeigte, dass die Mehrheit der Infizierten nicht einmal erkrankte. Man darf nicht vergessen: Die gesamte Impfkampagne beruhte auf dem albernen Abstreiten von Vor-Immunität, man tat durchweg so, als wäre die Herdenimmunität nur übers Impfen zu erreichen.
Auf die CDU-Frage, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage die Verkürzung des Genesenen-Status von sechs auf drei Monate entschieden worden sei, verwies Wieler auf das höhere Ansteckungspotenzial der damaligen Variante und behauptete, durch Impfung herbeigeführte Immunität sei der natürlichen überlegen. Die AfD konterte, dass einer Studie zufolge Antikörper noch 400 Tage nach Infektion nachweisbar seien, was Wieler damit zu entkräften versuchte, dass man von Antikörpern nicht auf wirklichen Immunschutz schließen könne. Man versteht schon, warum fast alle Parteien gegen einen Corona-Ausschuss auf Bundesebene waren. Unter fairen Diskussionsbedingungen riskieren sie den Verlust der Deutungshoheit.
Auf Landesebene scheint jedoch erfrischend Anderes gedeihen zu können. Saskia Ludwig verkörperte eine CDU, die auf Bundesebene nicht wahrnehmbar ist. Sie rüttelte gut vorbereitet und selbstbewusst an den Grundfesten der Corona-Politik, stellte die wissenschaftliche Grundlage der Corona-Maßnahmen, besonders die Diskriminierung der Ungeimpften, infrage. Man darf gespannt sein, wie es in den nächsten Sitzungen weitergehen wird. Die Protokolle dieses Ausschusses könnten juristisch durchaus noch wichtig werden.
Der entscheidende und seit Langem dokumentierte Umstand, den man gar nicht hoch genug hängen kann, besteht für mich allerdings darin, dass laut RKI-Statement die „Pandemie“ „auf Bevölkerungsebene“ nicht „wahrnehmbar“ war. Denn es handelte sich um eine durch irrationales Massentesten erzeugte Pseudo-Pandemie, die in medizinischer Hinsicht zu keinem Zeitpunkt das jahresübliche Grippegeschehen überstieg und diese Gesellschaft dennoch um ihren bürgerlichen Verstand und ihre Moral brachte.
Felix Perrefort ist Redakteur und Autor der Achse des Guten.