Cora Stephan / 03.03.2022 / 10:00 / Foto: Dnalor / 105 / Seite ausdrucken

Cora Stephan: Plötzlich wieder Helden?

Der Ukrainekrieg verändert die Koordinaten deutscher Befindlichkeiten in Windeseile. Dürfen nun wenigstens die ukrainischen Männer als nützliche Helden durchgehen, die ihre Frauen und Kinder beschützen?

Putins Krieg in der Ukraine verändert die Koordinaten deutscher Befindlichkeiten in Windeseile. Auch wenn die ein oder andere AktivistIn meint, in der Ukraine stürben die Menschen für die freie Verwendung des Gendersternchens, interessiert im Moment der Kampf für „geschlechtergerechte Sprache“ eher weniger. Die Front steht woanders.

Schlimmer noch: Plötzlich schieben sich wieder uralte Muster in den Vordergrund, die manch hitziger Diskurs der vergangenen Jahre verdrängt hatte. Sind das auch jetzt noch „toxische weiße Männer“, die sich um den im Übrigen durchaus wie ein heldenhafter Drachentöter wirkenden ukrainischen Präsidenten Selenski versammeln? „I need ammunition, not a ride“, soll er geantwortet haben auf das Angebot der amerikanischen Regierung, ihn aus Kiew zu evakuieren. Dürfen nun wenigstens die ukrainischen Männer als nützliche Helden durchgehen, die dafür sorgen, dass ihre Frauen und Kinder in Sicherheit gebracht werden – während, wie manch Unverbesserlicher hierzulande ätzt, im großen Flüchtlingssturm auf Deutschland 2015ff. überwiegend junge Männer zu sehen waren?

Die Sympathien hierzulande scheinen ganz überwiegend auf der Seite von Menschen zu sein, die sich gegen eine feindliche Übermacht zur Wehr setzen. Und das selbst bei uns, im Mutterland des Pazifismus. Ausgerechnet der sozialdemokratische Kanzler Olaf Scholz, einst gut Freund mit den Realsozialisten in der DDR, will nun geradezu handstreichartig die Bundeswehr mit locker aus dem Ärmel geschüttelten 100 Milliarden Euro aufrüsten. Dafür erhält er bislang nur von seinen Parteilinken Flak.

Die Bundeswehr steht „blank“ da

Erstaunlich, denn diese große Geste dürfte im aktuellen Konfliktfall nicht die blaue Bohne nützen. Und manch ewig Misstrauischer wittert hier lediglich ein Ablenkungsmanöver – so kann man sich prächtig vor der Aufarbeitung der vergangenen zwei Jahre Panikpandemie drücken. Und woher kommt eigentlich all die Kohle, die womöglich, angesichts der Abhängigkeit unseres Landes von russischen Lieferungen, besser eingesetzt wäre für die Förderung eigener Kohle?

Die Bundeswehr steht „blank“ da, und das lässt sich nicht im Handstreich ändern. Das freut alle, die sich vor ihrer Angriffsfähigkeit fürchten. Es beschäftigt alle anderen, die sich vor der mangelnden Verteidigungsfähigkeit fürchten. Doch an deren Notwendigkeit hat hierzulande kaum einer noch gedacht.

Ich behaupte ja schon lange, dass die Friedensbewegung die Bundesrepublik stärker geprägt hat als '68, wie deren Veteranen gern glauben möchten. Sie war stets janusköpfig. Einerseits, weil sie materiell und personell massiv von der SED unterstützt wurde, die im Sinne der Sowjetunion bemüht war, den Nachrüstungsbeschluss zu verhindern. „Ferngesteuert und ausgenutzt.“ Andererseits war die Angst ja durchaus real, im Falle eines Zusammenpralls der beiden Supermächte der Austragungsort zu werden und damit dem Untergang geweiht zu sein.

„Von deutschem Boden soll nie mehr ein Krieg ausgehen“, war das eine. Doch damit hatte sich auch der Sinn für Verteidigungsnotwendigkeiten verflüchtigt. Dabei wollte doch, wer Frieden anstrebte, ebenso wenig Opfer atomarer Vernichtung werden.

Deutschland kann weder sich noch andere verteidigen

Die Angst davor sitzt tief. Denken wir einmal nicht an das „moral bombing“ im Zweiten Weltkrieg, das in den Familien der deutschen Zivilbevölkerung das eine oder andere Trauma hinterlassen haben dürfte. Womöglich reicht manch German Angst viel weiter zurück: zum Dreißigjährigen Krieg, als deutsche Länder das Aufmarschgebiet der feindlichen Truppen waren. Nicht vor allem Kriegshandlungen, sondern Hungersnot und Seuchen haben ganze Provinzen verwüstet und entvölkert. Im kollektiven Gedächtnis, setzen wir einmal voraus, dass es das gibt, war die Bevölkerung dem Verderben ausgesetzt, ohne eine Möglichkeit der Verteidigung.

Dass ausgerechnet eine rotgrüngelbe Bundesregierung den jahrzehntelang gepflegten Pazifismus aufgeben will, ist in vieler Hinsicht bemerkenswert. Dabei wird der Geldsegen, der über der Bundeswehr niedergehen soll, an der Sachlage nichts ändern. Deutschland kann weder sich noch andere verteidigen und ist dank seines irrwitzigen Sonderwegs in Sachen Energieversorgung rundum erpressbar – es ist trotz noch immer vorhandener, wenn auch schwindender Wirtschaftskraft ohnmächtig.

Man könnte auf die Idee kommen, dass 16 Jahre Merkelregierung unter tätiger Mithilfe der SPD Putin entgegengearbeitet hat.

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Ludwig Luhmann / 03.03.2022

***Der Mensch begann als Kannibale*** - “Putins Krieg in der Ukraine verändert die Koordinaten deutscher Befindlichkeiten in Windeseile. Auch wenn die ein oder andere AktivistIn meint, in der Ukraine stürben die Menschen für die freie Verwendung des Gendersternchens, interessiert im Moment der Kampf für „geschlechtergerechte Sprache“ eher weniger. Die Front steht woanders.”—- Um die Menschheit ein bisschen näher an sich selbst und die wahre Mutter Erde heranzurücken, sollte man ihr die wahren Bilder zerfetzter oder freudig folternder Soldaten und angebrannter Kinder mit heraushängenden Gedärmen zeigen. So, wie man den Leuten den Hass abtrainieren will, will man ihnen den Gesundbrunnen des Kotzens nehmen. Immerhin sollen wir bald nichts mehr besitzen und dadurch glücklich werden.

T. Weidner / 03.03.2022

Schade, Frau Stephan, das Sie Hellmut Schmidts Ansichten zu EU- und NATO-Osterweiterung vergessen haben…

Richard Reit / 03.03.2022

Und im Windschatten dieser Ereignisse wird mit Hochdruck an der Grundagenda gearbeitet.Dass andere Themen in den Medien etwas in den Hintergrund getreten sind, ist für bestimmte Leute sogar günstig.Vom Tisch ist gar nichts.

Volker Kleinophorst / 03.03.2022

Wieso müssen denn Frauen geschützt werden? Können diese selbsternannten Universalgenies das nicht selber? man sieht doch in jedem Kinofilm wie leicht eine 1,60 Frau 10 Männer Marke Terminator locker auf die Bretter legt und an allen Schußwaffen kompetent ist. Sie wollen doch die patriarchalische Gesellschaft hinter sich lassen. Also: Wohlan. (Ironie. Muss man ja heute dazu schreiben.) Ich sehe das natürlich so, der Mann muss Frauen und Kinder schützen.Sein Schicksal, seine Aufgabe. Nächstenliebe. Nur die Frau sollte ihn dann doch nicht auf Fernstenliebe setzen und ihre “Kämpfer” permanent als frauenfeindliche Arschlöcher bepöbeln. Weil unter den Fiffis wird sie keine Kämpfer finden. Besonders begeistern mich solche Formulierungen wie “Frauen leiden im Krieg am meisten”. Tun Sie das nicht immer. (Keine Ironie)

Esther Braun / 03.03.2022

Frau Stephan, Sie haben - vielleicht unbewußt - den Nagel auf dem Kopf getroffen: “Zelenskyi wirkt wie ein heldenhafter Drachentöter”...aus einem Videospiel? Ausschnitte aus einem Videospiel wurden tatsächlich als Dokument realer Kampfhandlungen in die Berichterstattung eingebaut.

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