Cora Stephan / 11.04.2022 / 15:30 / Foto: Copyleft / 45 / Seite ausdrucken

Frankreich: Wer wird die Stichwahl gewinnen?

Amtsinhaber Emmanuel Macron oder Dauer-Aspirantin Marine Le Pen: Wer wird die Stichwahl in zwei Wochen für sich entscheiden?

Mir scheint, alle anderen interessieren sich mehr dafür als die Franzosen selbst. Gut ein Viertel der Wahlberechtigten hat sich an der Wahl am vergangenen Sonntag gar nicht erst beteiligt. Und während Macron 2017 noch klar gegen Le Pen gewonnen hatte, könnte es diesmal knapp werden.

Nun ist das beinahe schon Tradition, dass ein Amtsinhaber abschmiert. Auch Sarkozy wurde einst gefeiert – endlich mal ein anderer Typus Politiker! – und hatte bald alle Sympathien verspielt. Solche Abstürze in der Gunst der Wähler sind nicht nur auf das französische Temperament zurückzuführen, das Heiß und Kalt dem Wohltemperierten seit jeher vorzuziehen pflegt. Der Temperatursturz liegt auch daran, dass Paris, der Sitz der medialen und politischen Elite, noch weiter von „La France profonde“ entfernt ist als Berlin vom Rest Deutschlands, und dass Macron sich mit seiner Arroganz als würdiger Vertreter der wenig geschätzten Elite erwiesen hat. In Paris hat Macron nach wie vor die meisten Anhänger, während Le Pen hier keinen Blumentopf gewinnt. Ihre Hochburgen liegen nach wie vor im von Arbeitslosigkeit gebeutelten Norden und an der Mittelmeerküste.

Le Pen hat längst gelernt, rhetorisch auf die Bremse zu gehen und sich als volksnahe Katzenzüchterin zu präsentieren, die sich im Unterschied zu Macron, der sich gern mit schrillen Diversitäten umgibt, für die Belange des notleidenden Volks in der Provinz engagiert. Auch dass sie die Frauenkarte spielt, hat ihr womöglich bei der weiblichen Wählerschaft genützt. Doch nicht nur deshalb dürfte das Szenario, das Michel Houellebecq in seinem hellsichtigen Buch „Unterwerfung“ skizziert hat, diesmal so einfach nicht funktionieren: Dass die Furcht vor der rechten (rechtspopulistischen bis rechtsradikalen) Weibsperson Marine Le Pen die Wähler schon in die Arme des bewährten Mannes treiben würde.

Zemmour fasst die heißen Eisen an, an die sich Le Pen nicht mehr traut

Das könnte an einem Maverick namens Eric Zemmour liegen. Ein Intellektueller, ein Fernsehstar, ein Mann mit jüdischem Hintergrund – und einer, der mit einer Radikalität die Sorgen vieler Franzosen vor einem „Grand remplacement“ ausspricht, vor einem Ersatz der autochthonen Bevölkerung durch vor allem muslimische Zuwanderer, an die sich Le Pen längst nicht mehr traut. Auch wenn das aller Wahrscheinlichkeit nach kein geplantes Zusammenspiel ist: so könnte es funktionieren. Zemmour hat für Le Pen den „rechten Rand“ eingesammelt. Er hat bereits dazu aufgerufen, in der Stichwahl am 24. April für Le Pen zu stimmen.

Tja. Und was, wenn sie gewinnt? Zwar wirbt sie nicht mehr offen für den „Frexit“, für den Austritt Frankreichs aus der EU und aus der NATO. Doch mit ihr würde das EU-Regiment eine starke Gegnerin haben. Das Zusammenspiel von Angela Merkel und Macron, durchaus zuungunsten Deutschlands, wäre vorbei. Ebenso Deutschlands Sonderrolle, was Energie- und Migrationspolitik betrifft. Und die Ukraine dürfte auf Frankreichs Unterstützung nicht mehr hoffen.

Ein Sieg Le Pens würde schlechte Zeiten für die derzeitige Bundesregierung bedeuten. Die allerdings erledigt sich womöglich vorher schon ganz ohne Nachhilfe.

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Leserpost

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A. Smentek / 11.04.2022

@Ludwig Luhmann: Ihre Beschreibung Frankreichs bzw. der Franzosen hört sich in meinen Ohren an wie eine Beschreibung Deutschlands. Auch hier kapieren die meisten ja nicht wirklich, wen und was sie da immer wieder wählen. Die Dummheit und Propagandaverstrahlung sind wohl überall gleich.

Yehudit de Toledo Gruber / 11.04.2022

Und weshalb, eigentlich, ist Marine Le Pen eine rechtspopulistische, rechtsradikale “Weibsperson”? Meines Erachtens nennt sie seit Jahren die Dinge beim ungeschönten, gut verständlichen Namen. Solche Politiker sind ja auch hier sofort rechtspopulistisch und werden verbal niedergemetzelt. Vielleicht wären ihre Wahl und die daraus entstehenden gravierenden Folgen exakt der letzte Anstoß für das träge Deutschland? Ich möchte nicht wissen, wieviele Millionen noch im Brüsseler-EU-Keller nachgedruckt werden für Macrons Sieg. Und mindestens deshalb drücke ich Marine Le Pen die Daumen!

T. Schneegaß / 11.04.2022

@Ludwig Luhmann: Die Franzosen werden Macron schon deshalb wiederwählen, damit sie erneut 5 Jahre lang gegen seine Politik demonstrieren können.

Thomas Hechinger / 11.04.2022

Ein Sieg von Frau Le Pen schreckt mich, anders als vor fünf Jahren, nicht mehr. Andererseits halte ich ihn für unwahrscheinlich. Ich denke, daß es knapper als 2017 wird, Macron aber immer noch deutlich mehr auf die Waage legt als Frau Le Pen. Woher sollen denn die Stimmen für sie kommen? Ich gehe von einem 55:45-Sieg für Emmanuel Macron aus.

Dieter Kief / 11.04.2022

Nein, nein, die Bundesregierung übersteht Cora Stephans Prognosen. Aber Marine Le Pen könnte tatsächlich gewinnen. Der Dänische Sozialstatistiker Emil Kirkegaard hat den Brexit richtig vorausgesagt und sagt jetzt, Marine Le Pen habe aufgrund seiner Daten eine 55,3%-ige Chance gegen Emmanuel Macron zu gewinnen. - Kann man detailliert nachlesen auf Emil Kirkegaards substack-thread.

Gus Schiller / 11.04.2022

Anfangs reagierten die Franzosen auf die Zumutungen und Fehler des präsidialen Lackaffen mit Streiks und Gelbwesten. Jetzt geht eine große Anzahl gar nicht mehr wählen und die Mehrheit wählt die Davoser Marionette. Mission accomplished, würde G.W. Bush sagen.

Christian Feider / 11.04.2022

ich kenne die Stimmung im Elsass und auch in Lothringen seit rund 25 Jahren ganz gut,war immer sehr symphatisch und RECHTS :) Deshalb war das Elsass auch oft das einzige Department in dem der FN die Mehrheit holte. Was ch nicht ganz verstehe,wieso sollte Le Pen Ihre Überzeugungen gewechselt haben? Nur,weil Sie sie nicht mehr gerade herraus anspricht? Muss man nicht,wenn ein Clown wie Zemmour(der mich gewaltig an Sarkozy erinnert) es ohnehin tut :) Und ja,das hat den angenehmen Nebeneffekt,das die dunkelroten ein anderes Feindbild haben. Ich jedenfalls drücke Marine den Daumen,nee,beide und sehe gar keine grossen Probleme auf uns zukommen,auf unsere Regierung ja,aber mit FN waere F naeher an den Deutschen als jetzt,denn momentan saugen Sie uns nur aus

Geert Aufderhaydn / 11.04.2022

@Jörg Themlitz “Och nee. 14 Tage lang im DDR Fernsehen 2.0 Wahlwerbesendungen für Macron.” - Nicht weinen - löschen!

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