Cora Stephan / 15.07.2021 / 12:00 / Foto: Pixabay / 30 / Seite ausdrucken

Cora Stephan: Die Stimme der Provinz: Von Idylle war nie die Rede

Mir wurde vorgeworfen, ich würde in dieser Kolumne das Landleben verklären. Ach, wirklich? Dann lesen Sie mal das aktuelle Buch „Über Menschen“ von Juli Zeh. Berliner Großstadtpflanze findet Glück in Brandenburger Dorf. Kein Klischee ausgelassen. Ich bin begeistert!

Freund M. meint, ich würde es mächtig übertreiben mit meinem allwöchentlichen Lob der Provinz, speziell des Landlebens. Dort wären die Menschen auch nicht besser als anderswo. Außerdem stinkt es nach Schwein, krähen die Hähne und hämmern die Nachbarn, sofern sie nicht gerade den Rasen mähen. Alles von Idylle weit entfernt.

Hab ich von Idylle gesprochen? Mich der Verklärung schuldig gemacht? Das können andere besser. M. hat das aktuelle Buch von Juli Zeh noch nicht gelesen. Das ist das wahre Hohelied aufs Landleben!

Die Geschichte fängt gut an – mit dem, was wir hier auch gern üben: mit Berlinbashing. Dora ist Werbefachkraft in Berlin und mit Robert liiert. Robert ist aktiver Klimaschützer – bis er dank Covid-19 seine wahre Berufung entdeckt und zum Experten für die Apokalypse wird. Als Doras extra-woke Werbeagentur alle ins Home-Office schickt, wo Dora Backe an Backe mit dem hyperventilierenden Robert arbeiten muss, der ihr im beginnenden Frühjahr sogar das Gassigehen mit Hund Jochen verbieten will, verweigert sie Robert die Gefolgschaft und zieht aus – und wohin? Genau: aufs Land.

Keine Ahnung von nichts, aber einfach mal anfangen

Heimlich hat sie sich vom kleinen Erbe ihrer Mutter ein Haus gekauft, in Brandenburg, in der Gemeinde Geiwitz nahe der Stadt Plausitz, das Gutsverwalterhaus in Bracken, einst eine slawische Siedlung. Verwildertes Grundstück, Haus mit Stuckfassade, Dorfrandlage, saubere Luft, schwirrende Vögel, kein Handyempfang. Paradiesisch.

Dora arbeitet sich im verwilderten Garten Schwielen an die Hände, als sie beginnt, mit dem Spaten dem harten Boden ein zum Gartenanbau geeignetes Fleckchen abzuringen. Keine Ahnung von nichts, aber einfach mal anfangen: Das erdet. So ein Haus mit Garten mitten in der Pampa lenkt ab vom städtischen Irrsinn mit Lockdown und Social Distancing, in der Brandenburger Weite braucht man keinen „Mund-Nasenschutz“. Das befreit.

Juli Zeh selbst sagt zu ihrem Roman und zu ihrem eigenen Leben auf dem Land:

„Im urbanen Leben gibt es Großzuständigkeiten. Wer räumt den Müll weg, wer repariert die Straßenlampe, wer betreut meine Kinder, da gibt es immer einen, der zuständig ist und sich kümmert. Wenn man da, auch im geografischen Sinne, raustritt, stellt man fest: Hier gibt es niemanden, den ich anrufen, bei dem ich mich beschweren kann. Plötzlich bin ich zuständig für mich selbst.“

Das trifft es. Auch in meiner Provinz gehört es sich nicht, sich als erstes zu beschweren und nach der Obrigkeit zu rufen, wenn etwas schiefläuft – höchstens ruft man nach den Nachbarn. Und mit denen hat auch Dora verdammt Glück. Oder?

Kein Klimasommer mit anhaltender Dürre stört das Idyll

Der Erste, den sie trifft, ist ein bulliger Glatzkopf, der Nachbar von nebenan, der ihr verspricht, ihren hässlichen Köter plattzumachen, wenn der nicht aufhört, im Beet mit den Frühkartoffeln zu scharren. Das fängt schon mal schlecht an. Und dann sagt der Nachbar namens „Gote, wie Gottfried“: „Ich bin hier der Dorf-Nazi.“

„Wegsacken in Bracken“, dichtet da die Werbefachkraft. Es ist also alles wahr, was man so über die Rechtsradikalen in der Prignitz hört und sagt. Aber Dora raucht erst mal eine und geht dann in den Wald, den sie immer schon geliebt hat: „Dieses riesige, atmende Wesen, voller Leben und Betriebsamkeit und zugleich von unerschütterlicher Ruhe. Der Wald will nichts von ihr. Er braucht keine Unterstützung. Er kümmert sich mit großem Erfolg um sich selbst. Zwischen Bäumen, die viel größer und älter sind als ein Mensch, kommt sich Dora auf erleichternde Weise unbedeutend vor.“ Kein Klimasommer mit anhaltender Dürre und kein Borkenkäfer stört das Idyll – Dora hat das Waldsterben dank der Gnade ihrer späten Geburt nicht mitbekommen.

Doch da ist ja noch der Job und die Notwendigkeit, für ihre Agentur namens Sus-Y, für deren Chefin „Nachhaltigkeit an erster Stelle“ steht, eine Werbekampagne zu entwerfen. FAIRkleidung braucht einen Namen für die neue nachhaltige Jeans. Dora fällt der richtige ein, der emotional und provokant zugleich ist: „GUTMENSCH“!

„Es geht nicht darum, Widersprüche aufzulösen, sondern sie auszuhalten“

Alle sind begeistert, ich war es auch. Denn das Schönste an diesem Buch ist die Beschreibung des Abnabelungsprozesses vom Berliner Wirrsinn. Das Landleben – vielleicht auch nur der Wald – wirkt: Alles wird nichtig und klein, und kaum noch etwas ist die schrille Aufregung wert.

Noch nicht einmal die Nachbarn. Keiner ist politisch korrekt. Der Heini, der ihren Garten mit schwerem Gerät von Gestrüpp befreit, ungefragt, einfach so, macht fremdenfeindliche Witze: „Dieser Kaffee ist so stark, der fängt gleich an, Baumwolle zu pflücken.“ Das steckt Dora schon nicht mehr so einfach weg. Erst recht nicht der Wahlerfolg der AfD in ihrem Landkreis. Der nächste Schock ereilt sie bei dem schwulen Pärchen Tom und Steffen, an deren Briefkasten ein knallblauer AfD-Sticker klebt. Aber die Männer leihen ihr immerhin ein Fahrrad. Und nach einem Berlinaufenthalt kommt sie nach Hause und findet im Schlafzimmer ein Bett vor, ein richtiges Bett aus Holzpaletten. Das hat Gote gezimmert.

Nichts ist, wie es sein soll: Die Nachbarn sind fremdenfeindlich, AfD-Anhänger und Nazis – und kümmern sich dennoch rührend um sie. „Es geht nicht darum, Widersprüche aufzulösen, sondern sie auszuhalten“ – und damit sind wir bei der Moral von der Geschicht‘: Ja, auch AfD-Wähler sind Menschen, Männer, die Kanackenwitze machen, können hilfsbereit sein und der Dorf-Nazi ...

„Er war ein Arsch. Aber einer von uns.“

Mit Gote und seiner kleinen Tochter geht es geradewegs in den tiefen dunklen Wald des Kitsches. Gote und seine Spezis grölen das Horst-Wessel-Lied. Wird Dora die Polizei rufen oder lieber ein Käsebrot essen? Ach was. Sie lässt sich von den Nachbarn die Wände streichen und beginnt eine innige Freundschaft mit Gote, dem Nazi.

Und so sitzt sie neben ihm am Grillfeuer, es riecht nach „Rauch und Freiheit“, alle „Fragen schweigen, während man in die Flammen starrt“ und die Steaks, die Gote grillt, sind „besser als das meiste, was man in Berliner Restaurants bekommt.“ Noch nicht einmal, dass Gote als Kind von seinem Vater zum Anstecken von Asylantenheimen mitgenommen wurde, kann die wachsende Zuneigung bremsen.

„Sie ist nicht nach Bracken gekommen, um Gottfried Proksch zu treffen. Aber jetzt weiß sie nicht, ob sie ohne ihn weitermachen kann.“ Denn dem Glück ist ein dramatisches Ende beschieden: Gote leidet, wie Dora als Tochter eines berühmten Gehirnchirurgen bald ahnt, an einem Gehirntumor. Die nächsten hundert Seiten sehen Dora als Palliativhelferin an seiner Seite. Im tränenreichen Schluss findet auch das Dorf wieder zusammen: „Er war ein Arsch. Aber einer von uns.“

Mehr Klischee geht beim besten Willen nicht. Ja, das Landleben hat den großen Vorzug, dass man es auch mit Menschen zu tun bekommt, die nicht zur eigenen Blase mit den dort akzeptierten Überzeugungen gehören. Doch wenn ein Buch schon „Über Menschen“ heißt, sollten die vielleicht nicht gerade wie eine Karikatur daherkommen. Auch wenn es schon irgendwie beruhigend ist, dass wenigstens Dora das Gute im Nazi erkannt hat.

Hm. Oder ist das womöglich gar eine Warnung vor dem Leben in der Provinz?

 

Mehr von Cora Stephan lesen Sie in ihrem neuen Buch „Lob des Normalen: Vom Glück des Bewährten“. Hier bestellbar.

Foto: Pixabay

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Dr. Joachim Lucas / 15.07.2021

Konstruiert. Unwirkliche Gefühle. Aber ein Afdler muss natürlich dabei sein. Ganz groooßer Einfall an Unkonventionalität, dass der auch noch in Spuren sympathisch sein kann, trotz Asylheim und so. Auf dem Land zünden da alle sowas an. Ist schon reichlich Schmarrn. Wie man sich das als Bohemien so vorstellt auf dem Land. Taucht bestimmt bald bei uns im Grabbelbücherschrank für abgelesene Dutzendromane auf der Straße auf.

dr.goetze / 15.07.2021

Erinnert mich an die im Dutzend billigeren Filmproduktionen von ARD und ZDF aus Zeiten, in denen ich noch den Satellitenanschluß an der Glotze hatte… Sowas habe ich mir damals schon nicht angetan, und heute erst recht nicht!

Frank Danton / 15.07.2021

Können all diese Leute nicht einfach die Klappe halten? Müssen die Neurotiker ständig in alles etwas reininterpretieren was mehr über ihre Unfähigkeit sagt als über die Realität? Wer mit und in der Natur lebt redet nicht über sie, sondern arbeitet mit ihr. Im Dorf hat man die soziale Kontrolle und muß alles können, nur nicht schwätzen über etwas wovon man nichts versteht. Ein Wald ist ein Wald, ein Bach ein Bach und eine Wiese eine Wiese. Da gibt es nichts zu verklären. Frau Zeh sollte nicht versuchen in ihrer kindlichen “ach ist der Wald so schön” Prosa, ihre vermurkste berlin-Existenz auch noch literarisch therapieren zu wollen. Und Frau Stephan, ein Haus am Waldrand zu haben hat nichts romantisches wenn man gerade nicht malt oder Romane darüber schreibt. Vielleich macht in Brandenburg ja das THW die Arbeit, in Hessen ist man 7 Tage die Woche mit ganz alltäglichen Dingen beschäftigt. Winter, Sommer, Frühling und Herbst hat man die Gummistiefel an.

Jörg Themlitz / 15.07.2021

Auf dem Land leben also Übermenschen. Ich schau nachher noch mal in den Spiegel (also in das Glasding), aber geahnt habe ich das schon immer. “Der nächste Schock ereilt sie bei dem schwulen Pärchen Tom und Steffen, an deren Briefkasten ein knallblauer AfD-Sticker klebt.”, Mein Schock war, dass jemand der solch ein krudes Zeug zu Papier bringt, Fans hat. In der Stadt würden “Aktivisten” das Auto der Schwulen abfackeln, Briefkasten sprengen, Hauswand beschmieren und beim Hand in Hand Spaziergang durch die Stadt von einem “Goldstück” ein Kopf kürzer gemessert. Von wem habe ich gerade diese Klischees gelernt? Ach ja von, ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Übrigens auf Vorschlag der politischen Partei SPD.

Kay Ströhmer / 15.07.2021

Freundliche Nazis gibt’s heutzutage an jeder Ecke. Es reicht ja schon, kein Mitläufer zu sein, um heute als Nazi zu gelten. Aber Vorsicht: Auch bei Adolf war nicht alles gut.

Sara Stern / 15.07.2021

Man muss in der Tat schon positiv feststellen, wenn die Dörfler, und AfD Wähler mal nicht wie übelste Monster oder perverse Verbrecher dargestellt werden. Da muss die 0815 Literatin in der Regel über einen sehr großen Schatten und mehrere Jahre Gehirnwäsche, eventuell sogar die Lebenslüge springen. Das schaffen nur die wenigsten. Die meisten Schreiberlinge haben vorgefertige Playdoh Menschenkarikaturen und arbeiten dann diese ab. Ich vermute nicht mehr als 10% der Literaten sind überhaupt in der Lage einen eigenen Gedanken zu fassen, der von der vermittelten Meinung in Medien und Studium abweicht. Die vorgefertigten Schablonen setzt die Autorin augenscheinlich auch gern ein. Sie kann kaum nachvollziehen, dass ein Rechter nicht automatisch hassend Asylheime anzündet. Ein Schwuler nicht automatisch bei CSD in Lederstring mitläuft und ein Flüchtling nicht automatisch ein traumatisiertes Opfer ist, dem übel mitgespielt wurde. Aber sie hat zumindest die geistige Kapazität bewiesen, dass sie in der Lage ist, das Konzept der Menschlichkeit auch auf Menschen zu übertragen, die etwas “kantiger” und “unangepasster” sind. Das ist doch mal was.

Sabine Schönfelder / 15.07.2021

Hahahahahaha, Jens@Lück, der ist wirklich gut!

Frances Johnson / 15.07.2021

@ S.Sch.: Nur nebenbei, da Sie das interessieren dürfte: Kennen einen Franzosen, der sich bei einem Kumpel aus GB die Variante geholt hat. Ist kerngesund, nur positiv getestet. Nur zur Kenntnisnahme.

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