Cora Stephan / 11.11.2021 / 11:00 / Foto: Pixabay / 14 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Klempner statt Yogalehrer

Auf dem Land findet man alles, was bei woken Städtern beliebt ist. Bei Vollmond ausgesäte Biomöhren, Eier von glücklichen Hühnern und an seltenen Orten sogar ungedüngte Brennnesseln zum Detoxen.

Auch unsere Öffentlich-Rechtliche Stimme der Demokratie hat den Trend erkannt: Das Land ist wieder allerhand. Eine ganze Themenwoche widmen Hörfunk und Fernsehen der ARD dem Gegensatzpaar – nicht immer, aber oft durchaus informativ, wie sogar manch Landmensch finden dürfte.

Außerdem, und das dürfte die schon länger in der Provinz Lebenden in Panik versetzen, gibt es in manchen Sendungen regelrecht Werbung fürs Landleben. Die guten Gründe liegen ja auf der Hand und werden besonders sensibel dargestellt, hier von Maren Kroymann.

Es stimmt alles: Auf dem Land findet man alles, was bei woken Städtern beliebt ist. Bei Vollmond ausgesäte Biomöhren, Eier von glücklichen Hühnern und an seltenen Orten sogar ungedüngte Brennnesseln zum Detoxen. Wozu noch Bioläden, wenn man den antirassistischen Kaffee auch im Netz kaufen kann? Fraglich ist nur, ob wir so viele Zuzügler wirklich brauchen. Prämien gibt es dafür nicht.

Fürs Shoppen gibt es Amazon. Statt Kino haben wir Netflix.

Auch wir etwas länger Eingesessenen ahnen natürlich schon längst, dass es nicht die Attraktivität des Landlebens ist, die neuerdings viele anzieht. Wahrscheinlich machen sie sich keine Vorstellungen von dem, was bei uns so los ist: morgendliches Hahnengekräh etwa oder schreiende Kampfkater. Sofern es noch Bauern und ein Dorf gibt, reichen die Gerüche und der Sound des schweren Geräts, die drei Viertel des Jahres prägen, an die Erlebnisintensität einer belebten Straße in der Stadt locker heran.

In den Neubauvierteln jenseits der alten Dorfkerne wiederum lebt es sich auch nicht viel anders als in der Einfamilienhausidylle in den Speckgürteln der großen Städte. Es haust ja nicht jeder Stadtbürger schon so lange in einer geschmackvoll renovierten Altbauwohnung, dass er sich die Miete noch leisten kann. Dort wohnen womöglich die letzten Kunden der gepriesenen Vorzüge der Stadt – Theaterbesucher und Besitzer von Opern-Abonnements. Die letzten Bürger also.

Vom Vorort aus nämlich ist es eher weit zu den Attraktionen der Stadt: Theater. Kino. Kneipen. Shoppingmeilen. Uns ist das egal: Fürs Shoppen gibt es Amazon. Statt Kino haben wir Netflix. Und seit Corona machen Kneipen und Restaurants keinen Spaß mehr, zumal unter 2G-Bedingungen. Wir vermissen also nichts.

Und ins Theater zieht es mich persönlich seit dem Ende von Karl-Napps-Chaos-Theater und nach dem Tod von Matthias Beltz schon gar nicht mehr.  

Kurz: was fehlt der Stadt, was man sich vom Land erhofft?

Kein Wunder, dass so viele weg wollen

Bezahlbarer Wohnraum. Auf dem Land kann man sich ein Haus mit Garten eher leisten – noch. Es gibt in der Provinz ja sogar Internet, wer hätte das gedacht? Also Homeoffice, man weiß ja jetzt, wie das geht, oder Pendeln. Wie lange das noch geht, fragt man sich allerdings schon angesichts der Höhe des Lösegelds an der Tanke.

Städtisches Flair: Die Panikpandemie hat viele Attraktionen für Flaneure erledigt, gerade die kleinen Geschäfte, in denen es anderes zu sehen und zu erstehen gibt als in den Kettenläden. Und spontan irgendwo einen Kaffee und ein Bier trinken macht keinen Spaß, wenn man sich dafür vermummen und eine Bestätigung der eigenen Gesundheit vorzeigen muss.

Entfremdung: Es gibt ganze Stadtteile, die nicht bunt und divers sind, sondern ziemlich eintönig von Menschen bewohnt sind, die sich mit der deutschen Sprache und den hierzulande bislang geltenden Sitten und Gebräuchen nicht gut auskennen. Ganz zu schweigen von Drogendealern und erlebnisorientierten Jugendlichen an einst attraktiven Orten.

Kein Wunder, dass so viele weg wollen. Die Städte speien sie aus.

Ich will die Pointe zwar nicht versauen, aber wir brauchen nichts, wir haben schon alles. Es sind die Städte, die Entlastung brauchen. Entlastung von den vielen Yogalehrern und Modedesignern, während man Klempner, Polizisten und Müllarbeiter nötiger hat. Das aber ist auf dem Land nicht anders.

Andererseits: Für Karl Napps Chaostheater oder Freiluftkino hätten wir passende Scheunen und Grundstücke. Bewerbungen werden entgegengenommen.

 

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Foto: Pixabay

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Claudius Pappe / 11.11.2021

Werbung für Amazon und Netflix…......................................................................................selbst auf dem Land gibt es Dumme. Ich bestelle nur dort ( also nicht bei Amazon ) die mit der Deutschen Post-also DHL versenden , denn bei mir soll kein Migrantenexpress von prime, Hermes, GLS oder DPD vor der Tür parken.

Erwin Engelbogen / 11.11.2021

Ich sehe das Problem eher im Förderalismus, der betonspeiende Monster gegenüber kleineren Kommunen eindeutig bevorzugt. Das bedeutet es fehlt den Kleinen massiv an Infrastruktur, während die Großen durch Verhaberung jährlich Millionen in den Sand setzen. Aber natürlich büßt die Stadt durch das Internet und die Überfremdung an Attraktivität ein. Langfristig verliert sie damit Hauptwohnsitze und damit Einkommen, was den Verschwendern gar nicht gelegen kommt. Gespart wird dann unten und es kommt zu einer weiteren Abnahme der Attraktivität bis hin zur Verslumung ganzer Wohnviertel.

S.Buch / 11.11.2021

Letztens lief auch so eine “Städter aufs Land”-Sendung im hr. Dort wurde gezeigt, wie ein paar Frankfurter und Berliner Städter nach Homberg/Efze bzw. nach Lutherstadt Wittenberg gezogen sind. Der Deal für sie lautete “Gesellschaftliche Beteiligung gegen ein halbes Jahr Kleinstadt”. Also die waren alle mit Begeisterung (teils infantiler) dabei und haben sich ordentlich für mehr Kultur und Austausch engagiert - fand ich grundsätzlich gut. Fragt sich, wie lange die das durchhalten, denn der Lebensunterhalt muss auch erwirtschaftet werden und Kinder waren auch noch keine da. Und man muss sich natürlich immer fragen, WARUM etwas so ist, wie es ist. Es hat ja seinen Grund, warum sich das Stadtleben erheblich vom Landleben unterscheidet. Letztlich ist es wohl eine Mentalitätsfrage und natürlich bietet die Großstadt aus Unterhaltungssicht mehr Möglichkeiten und ist anonymer.

Jörg Themlitz / 11.11.2021

Sehr schön! Bei meinem noch existierenden Landfleischer steht auf dem Schild: “Wir sind hier nicht bei ´Wünsch Dir was`, sondern bei so isses !”; Glückliche Hühner…hhmm. Aus der Erinnerung, es scheint eher wie bei den Menschen zu sein. Ein Teil unserer Hühner sah nicht immer glücklich aus, nach dem die vom Hahn durchgenagelt waren. Im Nest lag dann nur das eigentlich zum legen animierende Tonei, der besseren Lesbarkeit, Ei aus Ton. Ergo Mensch, in zweierlei Hinsicht, die Küche und das Schlafzimmer bleiben kalt. Selbst auf dem Land. semper idem

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