Cora Stephan / 03.02.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay/Montage Letsch / 22 / Seite ausdrucken

Die Stimme der Provinz: Geerdete Kultur – aber Yoga geht

Hilft es, wenn „Kultur“ in die Provinz hineingetragen wird, statt aus ihr hervorzugehen? Sagen wir es so: Fürstliches Mäzenatentum erwies sich einst als weit belebender als die staatliche Förderung heute.

Ein Thema, das regelmäßig staatliche Fördergelder generiert, weshalb es sehr beliebt ist bei Menschen, die es aufs Land zieht. Jeder weiß doch: Die Provinz muss wiederbelebt werden, ihre verstockten Insassen aus dem Kuhstall geholt oder, da Kuhställe rar geworden sind, wenigstens von der Glotze weggelockt werden.

So dachten sicher auch die beiden wackeren Damen, die in einem Lokschuppen in der Rhön Ausdruckstanz darboten – und Kurse fürs Bauchtanzen. Doch der gewünschte „Dialog“ mit den Ansässigen gelang nicht – niemand wollte das sehen. Und die Damen haben wahrscheinlich „Bauchtanz ist soooo 70er Jahre“ gedacht. Außerdem kann Nabelfreiheit auch missverstanden werden. Yogakurs geht allerdings immer, das ist zwar auch nicht der neueste Schrei, bringt aber den nötigen Kulturbezug mit, kann man sich doch auf eine aus Indien stammende philosophische Lehre beziehen.

Wir erinnern an dieser Stelle gern daran, dass es einstmals umgekehrt war: Kultur entstand in der Provinz, nicht in den Großstädten. Und sie verdankte sich klugem Mäzenatentum – wer denkt da nicht an Herzog Karl August, der Goethe aus Frankfurt am Main nach Weimar weglockte! Der Witz dabei – und das sollten sich unsere heutigen Kulturbringer merken: Goethe konnte nicht nur dichten und kannte sich mit Farben und Mineralien aus – er verstand auch etwas von Bergbau, Holz- und Landwirtschaft. Weimar belebte er überdies mit Maskeraden und Maskenbällen.

Das ist Kultur, die man sogar auf dem Land versteht: Feste feiern und feste arbeiten. Kultur ist schließlich auch, was auf den Äckern und in den Gärten gedeiht, und wenn man mal will, kann man den Pflänzchen zum guten Gedeihen aus den Römischen Elegien vorlesen.

Sozialleistungen locken Sozialhilfeempfänger

Und die Großstadt? Berlin etwa, einst glorifiziert, heute failed city? Die Vergötterung der „Metropole“ scheint ein speziell deutscher Tick zu sein. In London, Paris und Madrid ist das anders. Dort arbeitet man unter der Woche im kleinsten verfügbaren Mietobjekt und flieht zum Wochenende hinaus aufs Land ins eigene Haus. „Mit der Pensionierung endet die Nähe zur Hauptstadt. Der durchschnittliche Brite, Franzose und Spanier empfindet Sympathie für sie, aber keine Leidenschaft“, heißt es in Hans Ulrich Gumbrechts großem Essay über die Provinz.

Warum ist das in Deutschland anders, dem doch jahrhundertelang eine nationale Hauptstadt fehlte? Mal ganz zu schweigen von der nationalen Einheit. Marx und Engels machten sich beständig lustig über die deutsche Kleinstaaterei mit ihren den Waren- und Menschenverkehr behindernden Zollschranken. Dabei belebte die Konkurrenz untereinander das Geschäft enorm, jedes Fürstentümchen wollte das andere übertreffen und warb um die besten Köpfe und Kräfte.

Wie sähe Europa wohl aus, wenn die Nationalstaaten noch heute etwa mit dem Versprechen geringerer Steuern um die Besten der Besten miteinander konkurrieren könnten? Wer hingegen mit Sozialleistungen lockt, muss sich nicht wundern, wenn er Sozialhilfeempfänger bekommt.

„Milde, friedliche Anarchie“

Ach, müßige Gedanken. Vom Kreativitätsschub aus der und durch die Provinz blieb nicht viel. In der deutschen „Provinz, die sich von keiner Hauptstadt absetzen konnte, entstanden zum einen jene Werke, die Deutschland in der Wahrnehmung anderer Nationen zum ‚Land der Dichter und Denker‘ machte. Aber in derselben Provinz verdichtete sich zum anderen auch eine einzigartig selbstzufriedene Borniertheit.“ Blieb das Nationen mit einer „markanten Hauptstadt“ erspart?

Baudelaire zeichnete Paris als Sündenpfuhl aus Verbrechen und Prostitution. Balzac zeigte, wie die Stadt entzaubert, was in der Provinz von Zauber war. Flauberts Emma Bovary wiederum träumt sich raus aus der Provinz der Selbstzufriedenheit in ein Paris als Stadt der Liebe. Was wiederum auch keine gute Idee war.

Madame de Staël meinte in ihrem Deutschlandporträt, die Absenz einer Hauptstadt, das Fehlen eines „haltenden Bandes“, ja die Zerrissenheit Deutschlands sei gewiss ein politisches Unglück, für Genie und Einbildungskraft aber sei sie äußerst förderlich, diese „milde, friedliche Anarchie“.

Die Provinz leuchtete noch nach Weimar (und Jena), später, in den kleinen Universitätsstädtchen wie Marburg oder Heidelberg. Doch Martin Heidegger waren selbst diese Orte geistiger Höhenflüge offenbar noch zu groß: 1933 veröffentlichte er unter dem Titel „Schöpferische Landschaft: warum bleiben wir in der Provinz?“ einen Essay mit dem Geständnis, die wesentliche Inspiration für sein Werk seien die Berge des Schwarzwaldes. Gumbrecht bezweifelt allerdings, dass es Heidegger gelungen sei, „einen gemeinsamen Nenner für sein philosophisches Denken und die Tätigkeiten der Bauern zu finden.“

Und heute? Hilft es, wenn „Kultur“ in die Provinz hineingetragen wird, statt aus ihr hervorzugehen? Sagen wir es so: Fürstliches Mäzenatentum erwies sich einst als weit belebender als die staatliche Förderung heute, die den Förderung Begehrenden nicht viel mehr abverlangt, als oft genug „Kultur“ und „Dialog“ in den Antrag zu schreiben.

 

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Foto: Pixabay/Montage Letsch

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Holger Kammel / 03.02.2022

Hut ab, Frau Stephan! Daß Goethe Bergbaukundiger war, wissen die wenigsten. Es gibt übrigens noch mindestes ein zweites Mineral, das von Goethe entdeckt wurde, Herr Volgnandt, das Ilmenit. Beide stammen aus dem, leider vergeblichen Versuch Goethes den Ilmenauer Kupferbergbau zu etablieren. Genausowenig ist die Tatsache bekannt,, daß der zentrale Dichter der Romantik, Friedrich Freiherr von Hardenberg, genannt Novalis, Bergbauingenieur (hieß damals anders) war. Körner übrigens auch und Wilhelm von Humboldt studierte hier. In der Provinz, im sächsischen Freiberg, entstanden an der damals noch relativ frischen Gründung “Bergakademie” die modernen Natur- und Technikwissenschaften wie sämtliche Geowissenschaften, moderne Chemie, teilweise auch Physik, Maschinenbau wurden hier begründet oder wesentlich mitbestimmt. Für die Geistesgrößen dieser Zeit gehörten naturwissenschaftliche Kenntnisse unverzichtbar zur Bildung. Es ist heute unvorstellbar, daß der Streit um naturwissenschaftliche Theorien einmal das gesamte Land bis zu den einfachsten Schichten beschäftigte. Gemeint ist der “Kampf der Vulkanisten mit den Neptunisten” um die Entstehung der Gesteine. Der hat es übrigens bis in den Faust II geschafft. Natürlich war Goethe Parteigänger der Schule Gottlob Abraham Werners, der Haupt der Neptunisten war. Soviel auch zur These “Folgt der Wissenschaft,” in der eine Sichtweise zur einzig wahren erklärt wird. Einer der englischen Dichter, ich glaube Byron, der damals gerade in Deutschland unterwegs war, bemerkte dazu sinngemäß: ” Die Fuhrknechte prügeln sich in den Kneipen mit den Handwerksgesellen um die Frage, ob Gestein aus Ablagerung in den Meeren oder aus den Auswürfen der Vulkane entsteht. Was für ein glückliches Land, in dem der Streit um eine wissenschaftliche Frage das beherrschende Thema ist.” Man vergleiche das mit dem heutigen Dogmatismus.

Jörg Themlitz / 03.02.2022

@Helmut Driesel: Zwei Anmerkungen eine lustig und andere vielleicht interessant: Victor Klemperer “Provinz ist da, wo man die Lehrer zu den Intellektuellen zählt.”, Manche Verhaltensweisen des Volkes haben Goethe schon interessiert. In einem Brief an Schiller bittet er diesen, bei Paket- und Briefsendungen darauf zu achten, dass diese nicht von Subunternehmen transportiert werden. Da ab und zu etwas verschwindet, beschädigt oder verspätet ankommt. Ähnlichkeiten zur Gegenwart rein zufällig.

Dirk Jungnickel / 03.02.2022

Ach, Frau Stephan, welch treffliche Beobachtung ! Die sogen. Hauptstadt Berlin hat heutzutage nicht einmal Provinzniveau. Vor dem Mauerfall lockte der Westteil die Wehrverweigerer an,  und der Ostteil genehmigte nur SED - Treuen den Zuzug. Dieses unapetitliche Konglomerat wählt heute notorisch ROTGRÜNROT. Radfahrer gehören zur gehätschelten Spezies, Autofahren ist die Ursünde an sich. Was aber - poltisch ! - am Übelsten ist: Eine ehem. SED - Kanaille konnte ungestraft die Aufarbeitung der “DDR” - Verbrechen behindern. ( “Fall” Knabe ).

Rex Schneider / 03.02.2022

Egal ob dicht oder undicht Goethe war Dichter.

A. Ostrovsky / 03.02.2022

Ich habe gerade im Wikidingsda nachgesehen beim Lebenslauf von Markus Söder. Dort steht überhaupt nicht, wann der beimpft wurde und mit welcher Knallcharge. Ist das überhaupt noch erlaubt? Ich denke 0G ist nirgends mehr zulässig? Oder? Der Hubert hat ja jetzt die genauen Termine öffentlich nachgeliefert. Wieso dann nicht der Horst?

Helmut Driesel / 03.02.2022

  Vom Geheimrat in Weimar bis in die Provinz ist es noch ein gutes Stück Weg, sehr geehrte Frau Stephan. Der Goethe war der Inbegriff aristokratischen Selbstwertgefühls und elitären Denkens. Der hätte sich nie vorstellen können, das einfache Volk würde sich eines Tages an seinen Werken begeistern. Er eignet sich daher nicht für jede Art von Vergleichen. Hat der nicht gesagt, der Müßiggang befreie den Kopf für höheres? Die richtige Provinz erkennt man daran, dass Schriftsteller und Müßiggänger nicht das größte Ansehen genießen. Es sind vorläufig Taugenichtse.

Jörg Themlitz / 03.02.2022

@Bernd Meyer: Die Claudi Roth nehme ich ab sofort ernst. Nach ihrer Ernennung und ihrer Ansage sie will für mehr “Diversität” in der Kunst sorgen, habe ich, ironisch wie ich manchmal bin, auf achgut geunkt, ´Ach, sehen wir jetzt im DDR Fernsehen 2.0 mal die Böhsen Onkelz?`, Dienstag war ich hier in der CZ bei Bekannten eingeladen. (es gab sogar CZ Whisky, kannte ich nicht, nicht schlecht) Vielleicht wollten die mir eine Freude machen. Jedenfalls lief im Hintergrund ARD. Auf einmal höre ich eine Textzeile einer meiner Lieblingsbands. Gerade noch mal gesucht. (ging auch, kein IP Blocking),  Eine Serie, “Begräbnis” Teil 3 und in Minute 23.30 spricht Martin Brambach die Textzeile “Auf gute Freunde verlorene Liebe auf alte Götter und auf neue Ziele” aus dem Lied “Auf Gute Freunde” von den Böhsen Onkelz. Das hat Claudi bewirkt und so schnell. Die hat sicherlich meine Unkerei gelesen. Und ich stehe jetzt als blödes .....loch da. Peinlich.

Walter Weimar / 03.02.2022

Das alles was Goethe ( u.a. auch Minister) wußte und konnte ist genau das äquivalent zu unseren Politikern, was diese nicht im geringsten beherrschen.

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