Man sieht den Untergang Europas an jeder Straßenecke, jedenfalls hier in Frankreich, im alten Vivarais. Überall verrammelte Ladenfronten, geschlossene Kneipen und Cafés. Ganze Straßenzüge ohne Leben.
Der geneigte Leser glaube mir: Es macht keinen Spaß, dauernd Doom and Gloom zu verbreiten. Ich habe nie zu den Apokalypsegläubigen gehört, habe das Waldsterben und den Atomtod überlebt und lege auch jetzt keinen Wert darauf. Im Unterschied zu einer gewissen Liane Bednarz, die sich das dringend zu wünschen scheint.
Doch mittlerweile bleibt einem wirklich nichts anderes übrig, als mit den Unken zu unken. Das sind, ganz nebenbei, interessante, gelbschwarze Tiere, aber das hat gewiss nichts mit ihrer politischen Orientierung zu tun. Gelbschwarz würde ja auch nicht helfen.
Kurz: Man sieht den Untergang Europas an jeder Straßenecke, jedenfalls hier in Frankreich, im alten Vivarais, einst Teil des historischen Languedoc und von den Römern erobert im Gallischen Krieg. Eine Gegend zwischen den Cevennen und einem Kalkplateau, das durchsetzt ist von Höhlen, darunter die berühmte Bilderhöhle Grotte Chauvet.
Die Gegend im Department Ardéche war dank der Höhlen immer wieder Zufluchtsort: der Hugenotten bis ins 18. Jahrhundert, der Résistance und der Juden im Zweiten Weltkrieg. Und, der vielen verlassenen Steinhäuser wegen, Ziel der Hippies und Aussteiger in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts.
Jammern hilft nicht weiter
Ich kenne die Gegend seit 50 Jahren, sie hat sich verändert, gewiss. Zum Besseren, eine Zeitlang wenigstens: Die verlassenen Steinhäuser wurden restauriert, auch von vielen Niederländern, Belgiern, Engländern und Deutschen. Der Tourismus half beim Überleben. Und heute?
Doom and Gloom. Genau. Viele der intakten mittelalterlichen Städtchen und Dörfer wirken wieder wie entleert. Überall verrammelte Ladenfronten, geschlossene Kneipen und Cafés. Ganze Straßenzüge ohne Leben. Nur an Markttagen ist noch etwas los, vor allem der Touristen wegen, die immer im Weg stehen, wenn man etwas einkaufen möchte. Für solche Hindernisse ist man langsam beinahe dankbar.
Was ist passiert? Times they are a‘changing, gewiss. Jammern hilft nicht weiter. Stimmt. Und die Entleerung der französischen Städtchen ist schon etwas länger zugange: Die kleinen Lebensmittelläden sind den großen Supermärkten zum Opfer gefallen, die sich vor den Stadtzentren ballen. Der Haushaltsgeräteladen hat nur dank der beiden ältlichen Besitzer durchgehalten, damit war es vorbei, als sie gestorben waren.
Wo zum Teufel bleibt das Positive?
Macht nix, Waschmaschinen gibt’s im Supermarkt, Durchlauferhitzer im Baumarkt. Schlimmer: Das Restaurant mit dem riesigen Garten unter einem Himmel aus Glyzinien, in dem sich sonntags das halbe Dorf versammelte, machte dicht, als die alte Madame das Zeitliche segnete, die jahrzehntelang immer wieder das gleiche auftischte, Fleisch mit Sauce an zerkochten Bohnen, aber das hat niemanden gestört.
Und doch ist es jetzt anders, und wir fragen gar nicht groß, warum. Die französischen Corona-„Maßnahmen“ waren selbst im Vergleich mit Deutschland äußerst rigide. Glück hatte nur, wer einen Hund besaß, mit dem er Gassi gehen musste. Ansonsten durfte man nur in dringenden Angelegenheiten – Lebensmitteleinkauf, Arzt- oder Apothekenbesuch – das Haus verlassen, das wurde von bewaffneter Gendarmerie kontrolliert, ebenso wie die Sperrstunde abends um 21 Uhr.
Ein Wunder, dass das eine oder andere Restaurant den ganzen Stuss überlebt hat. Nicht aber viele der kleinen Cafés und Läden mit Dingen, die nicht als lebensnotwendig gelten. Heute flaniert der Tourist durch hübsch geflieste Straßen, in deren Mitte ein Brünnlein ein Bächlein speist, Poller hindern störenden Autoverkehr, Katzen dösen, Vöglein singen – doch was nützt das Aufmöblieren des Städtchens, wenn es kaum noch etwas gibt, das zum Aufenthalt einlädt? Auf die Dauer ist auch das Sitzen am Bächlein nicht stimulierend. Zumal dann, wenn man auf dem Smartphone die Nachrichten liest.
Denn Besserung ist nicht in Sicht. Energiekrise, Migrationskrise, Kriegskrise – und der Verlierer ist: Europa, Deutschland vorneweg. Also Doom and Gloom. Wo zum Teufel bleibt das Positive? Nun, das Vivarais ist Krisen gewohnt. Die letzte große Krise war die Zerstörung der einträglichen Seidenproduktion, als die Raupen erkrankten. Auch damals entleerte sich das Land – bis andere in den 70er Jahren wiederkehrten. Wo Platz wird, kann sich Neues ansiedeln.
Warten wir’s ab.