Reinhard Weber@ “Diese Form der Kommunikation soll unterbunden werden.” Soso, und warum sponsern Sie das Ganze denn?
Die Biertischgespräche, als Brut der Revolution, sie wird nicht kommen, weil heutzutage die Welt sich geändert hat. Aber der (Land)-Gasthof, es ist ein Stück Kultur, den Letzten ihrer Art wird gerade der Dolchstoß verpaßt. Scheinbar sind aber Politiker aller coleur davon begeistert das Land zu roden. Einen D u j a r d i n darauf, daß sie im Herbst von neuen gewählt werden.
Die Furchtlosigkeit der Beherrschten, das ist, was die Herrschenden fürchten. In so einer Schankwirtschaft werden in aller Regel, insofern nicht bereits durch konsekrierte Cranberry- und mit Körnern angereicherten Karottensäfte und Gurkenwasser ersetzt, stark angstlösende Getränke serviert. Das mag der Grund sein, dass auch die Stadt Köln für den Karneval eine Prohibition verhängte, und ich meine auch der oberste deutsche Tierarzt, der immer so alles vom Blatt ablesen darf, hat sich schon gegen den Genuss dieser Substanz ausgesprochen. Hinzu kommen noch die stärkende Geselligkeit und Ausblicke auf dekolletierte Hügellandschaften, welche für den notwendigen Testosteronspiegel sorgen. Aber diese Drops sind wohl gelutscht. Der Sommer wird anders als der letzte Winter. Ein Herz für Tiere war einmal, jetzt heisst es ein Herz für Künstler.
Das Wort „Landgasthof“ lässt mich sogleich an Honoré de Balzac denken: „Die rote Herberge“, im Original „L’Auberge rouge“. Wer die Novelle kennt (absolut lesenswert!) wird einen Landgasthof eher misstrauisch betreten. Nein, nicht diese Speisegaststätten die ein Schild mit dem Warnhinweis „Hier kocht der Chef“ aufgestellt haben, um Autofahrer zur Einkehr zu animieren. Der Landgasthof den ich meine liegt abseits, eine jene Herbergen die irgendwo im Nirgendwo stehen und dessen Halbverfallenheit den Charme morbider Zeit ausstrahlen und Gemütlichkeit des „Es war einmal“ suggerieren. Jene Gasthöfe der alten Zeit die man gemeinhin die Gute nennt. Gedankenzeiten, die es so nie gegeben hat: So einen Gasthof betrat ich vor Jahren. Der Geruch morschen Holzes, vermischt mit dem Nebel eines soeben erloschenen Kaminfeuers ummantelte mich, als ich die Tür des Gasthofes öffnete und ein feines Schellengeläut meine Ankunft ansagte. Ein halbdüsterer Raum sagte: „Geh“, aber zugleich zog mich der Raum in sich hinein und die Härte einer ungepolsterten Bank hieß mich setzen, wobei sich meine Ellbogen auf eine polierte Tischplatte stützten. Eiche massiv, poliert ein dunkles Schwarz… Um das Ambiente zu unterstreichen beleuchteten Sturmlaternen den Raum. Flackerndes Licht, Schatten an die Wand malend. Irgendwo klapperte Geschirr. Ein serviler Wirt, stereotyp -dickbäuchig mit einen Wischtuch in der Hand begrüßte mich. Seine nasale Stimme erklärte, die Zubereitung der Speisen verzögere sich etwas, da soeben eine Ladung frischen Gemüses abgeladen werden müsse. Irgendwo schlug wohl ein Beil auf einen Hackklotz und das zuvor noch gehörte Gegacker eines Huhnes erstarb mit dem dumpfen Laut. „Aber sie können sich die Zeit solange gerne mit etwas Lektüre vertreiben“ ergänzte er die Erklärung und zog hinter dem Rücken ein Buch hervor: „L’Auberge rouge“, Honoré de Balzac. Dann stieß der Wirt ein irres Lachen aus, während sich hinter einer blinden Scheibe sich der Mond verdunkelte…
“Wir werden Sie stürmen, die Gasthäuser auf dem Land” - ein schöner Traum! Dann greift nicht nur die Polizei, von der es erstaunlicherweise plötzlich sehr viel gibt, extrem hart durch, sondern es besteht ja ein Notstand - also muss auch noch die Bundeswehr ran - Leute aus Gasthäusern zu verjagen, Wirte niederzuknüppeln - dazu wird die Ausrüstung ja noch reichen - und viele Soldaten wären sicher froh, ihren berechtigten Frust an friedlichen Mitbürgern auslassen zu können - wie etliche Polizisten auch. Ein schöner Traum, Frau Stephan! Wenn das Abtöten so weitergeht - ein Ende ist nicht abzusehen - werden in einem Jahr nur noch ein paar wenige Gasthäuser überlebt haben. Ich bin sehr deprimiert und unendlich wütend!
Genau deswegen werden keine Gaststätten geöffnet, hier könnte ein Umsturz unserer lieben Herr irgend wann einmal auf die Tagsordnung kommen.
Mein Wirtshaus vermisse ich im Moment sehr. Da bin ich regelmäßig zweimal in der Woche für ein Stündchen hingegangen. Da treff ich dann immer die üblichen habitués. Wir schmarren dann, wie man in Franken sagt und hochintellektuelles Geschwätz gibt es dort auch nicht und brauch ich auch nicht. Man redet über Fußball, aber auch, wer krank ist, wer gestorben ist und was im Gemeinderat beschlossen wurde. Mein Bier kann ich auch zuhause trinken, aber diese Unterhaltung hab ich da nicht. Wenn die Wirtshäuser tot sind, dann werde die Gemeinden stinklangweilig und öde.
Das letzte Landgasthof hier vor Ort hat vor fünfzehn Jahren geschlossen. Der Campingplatz mit Restaurant und das Tagungszentrum eines Hotels mit Restaurant gegenüber, mitten im Grünen, sind geschlossen. Heute traf ich die Direktorin eines anderen Landhotels, das per 30. April wegen Corona schließt und allen Mitarbeitern gekündigt hat, auch ihr. Der Fachvermittlungsdienst der Arbeitsagentur kann ihr nicht helfen, man hat ihr einen Job in der Altenpflege angeboten. Noch ein, zwei Lockdowns, dann sind die Landgasthöfe weg, und da gibt es im Sommer nix mehr zu stürmen. Die mittelständischen Gaststätten und ihre Arbeitsplätze sind dann erfolgreich vernichtet. Nur: Wenn du darauf hinweist, dann bist du ja “nicht empathisch” für Kranke und Pflegepersonal; und so werden sie gegen jene ausgespielt, deren Existenzen wegbrechen. Und Klinikärzte und Pflegepersonal lassen sich das gefallen, von einer Regierung, die sie jahrzehntelang vernachlässigt, bespart, privatisiert, ihre Betten abgebaut und dem Pflegekräftemangel tatenlos zugesehen hat, bis die Kliniken im Herbst 2020 schon kurz vor der Zahlungsunfähigkeit standen. - Die Oase, auf der man sich davon wenigstens gedanklich frei machen kann, suchen wir alle vergeblich. Und wenn es da was Kausaleres zu stürmen gälte, dann wäre es nachgerade nicht der Landgasthof.
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