Cora Stephan / 22.09.2022 / 10:00 / Foto: H.Zell/Llez / 15 / Seite ausdrucken

Cora Stephan: Die Stimme der Provinz: Berlin, Berlin

Nein, wirklich: Wir haben hier nichts gegen Großstädte, solange wir nicht in ihnen leben müssen. Im Gegenteil: Jeder Besuch, selbst in der kaputtregierten Bundeshauptstadt, macht unsereins wieder klar, was wir an Großstädten schätzen, weshalb wir sie gern besuchen und schnell wieder verlassen.

Ach was, es wird vielleicht sogar noch klarer, was wir an ihnen haben, wenn man sich nicht ständig in ihnen aufhält. Ist doch so: Ein Tourist weiß im Zweifelsfall über die besuchte Stadt mehr als jene, die jeden Wochentag den gewohnten Weg zwischen Arbeitsplatz, Einkaufsmöglichkeiten und Behausung absolvieren. Am Wochenende vielleicht mal ins Kino oder in den Biergarten. So jedenfalls erging es mir zuletzt in Frankfurt am Main, wo ich es immerhin einige Jahrzehnte lang ausgehalten habe. Irgendwann kommt man nicht mehr viel rum.

Aber immerhin: Ich weiß noch, wie der Römerberg aussah, bevor er im alten Stil überbaut wurde – da war eine große Leerstelle zwischen Römer und Dom, unbebaut und öd, also der perfekte Platz, auf dem sich allerlei Demonstrationsgeschehen abspielen konnte.

Welch schöne Erinnerungen an krächzende Megaphone und kollektives Rumgebrülle werden da wieder wach! Damals hat man sich nicht einfach festgeklebt und still und ruhig verhalten, bis die Polizei einen davon trug! Nein! Man war in Bewegung, mit den Füßen und, ja, mit den Armen. Solange jedenfalls, wie das Pflaster noch locker war.

Betonklötze als Liegestätte und Picknicktisch

Es geschah etwas später, aber ich werde es nie vergessen, wie man in den 80ern gegen Studiengebühren demonstrierte – Studenten hinter einem Banner, auf dem doch tatsächlich stand: „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Kleiner hatte man es nicht. Aber schweifen wir ab und wieder zurück.

Gerade eben bin ich in der Bundeshauptstadt, gestern Abend war ich unterwegs zu einer Lesung in der „Gedenkbibliothek zur Ehren der Opfer des Kommunismus“. Das Haus liegt hinter der Nikolaikirche und birgt eine beeindruckende Sammlung von über 12.000 Werken zur Geschichte von Sowjetunion und DDR, von Dissidentenliteratur bis zu Haft- und Lagererinnerungen, auch in Manuskriptform. Die Bibliothek mit ihren vielen Sesseln und Leseecken ist weit gemütlicher als das, was man da zu lesen bekommt.

Auf dem Weg dahin, vorbei an dem hochgelobten Holocaustdenkmal, das im übrigen nicht nur Björn Höcke oder Rudolf Augstein als „Denkmal der Schande“ bezeichnet haben, sondern auch der ziemlich unverdächtige Neil MacGregor in seinem Buch: „Deutschland. Erinnerungen einer Nation“: „Jedenfalls kenne ich kein anderes Land, das in der Mitte seiner Hauptstadt ein Mahnmal der eigenen Schande errichtet hätte.“

So ist es. Man kann das bekanntlich so oder so verstehen. Ich verstehe das so: Das Stelenfeld ist hässlich, grau und heruntergekommen. Ich mochte die Idee noch nie und kann mir heute erst recht nicht vorstellen, dass das ein Ort ist, wie Bundeskanzler Gerhard Schröder ihn sich wünschte, „wo man gerne hingeht.“ Oder vielleicht doch? Immerhin taugen die Betonklötze offenbar als Liegestätte und Picknicktisch.

Sehen wir es so: Berlin ist eine Stadt der Wunder, da muss man nicht alles verstehen. Auch nicht, dass immer irgendwo etwas abgesperrt oder für Fahrradfahrer reserviert ist. Oder mit „Parklets“ zugestellt wird, womit die Stadtregierung schon in der Bergmanstraße gescheitert ist – aber was tut man nicht alles gegen Autoverkehr, auch das, was nichts nützt.

Moralweltmeister sein, muss genügen

Ein Wunder auch das wiederhergestellte Stadtschloss, ein prächtiger Anblick, fürwahr. Doch niemand in Berlin scheint so richtig zu wissen, was man damit machen soll, ach was: darf. Schon ein Kreuz auf der Kuppel war manchem zu viel. Vielleicht noch ein „Mahnmal der eigenen Schande“ draus machen? Buße tun für die Sünden des deutschen Kolonialismus? Dafür ist der Platz allerdings zu groß. Andere Länder und Völker haben da weit mehr zu bieten. Wir können ja nicht in allem die Größten sein, Moralweltmeister sein, muss genügen.

Die vielen auswärtigen Besucher des Nikolaiviertels, die wegen der InnoTrans nach Berlin gereist sind, interessieren sich wahrscheinlich nicht für solche Feinheiten. Das Nikolaiviertel ist zwar keineswegs so historisch, wie es wirken soll, es wurde 1944 zerbombt und in den 80er Jahren historisierend rekonstruiert, als Erich Honeckers Puppenstube, aber es hat ausreichend viele Kneipen, wo sich die Mobilitätsspezialisten aus aller Welt lautstark versammelt haben. Vor einer der Abfüllstationen steht ein junger Mann mit einem Rucksack, aus dem ein freundliches Hundegesicht schaut. Ich darf kraulen. Der junge Mann kommt aus GB. Und der Hund ist, na was? Ein Corgi. A Queen’s dog.

Und das, ganz ehrlich, versöhnt dann wieder mit Berlin. Ausländer, lasst uns nicht mit den Berlinern allein!

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H. Krautner / 22.09.2022

@Anton Weigl.  Immer noch nicht gemerkt, dass die CSU auch nur eine links-grüne Partei ist und sich in keiner Weise unterscheidet von den anderen links-grünen Parteien wie der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP?

Harald Hotz / 22.09.2022

Ich frage mich in letzter Zeit immer öfter, ob Großstädte überhaupt eine Zukunft haben. Wenn ich bedenke, was München war, als ich vor 30 Jahren dort ankam und was es heute ist. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist unübersehbar, die Begüterten verbarrikadieren sich in ihren Vierteln, wo sie leben wie auf dem Dorf, nur daß sie S-Bahn Anschluß haben und natürlich mindestens einen Nobelitaliener. Sind sie abends mit der S-Bahn unterwegs kann man ihnen das Unbehagen und die Besorgnis in den Gesichtern ablesen angesichts des migrantischen Publikums; um das schlechte Gewissen zu beruhigen wählen sie dafür aber gerne stramm grün. Wenn man sich den Renovierungsstau in den Großstädten anschaut, fragt man sich, wer hat überhaupt so viel Geld, um das alles zu renovieren? Und wer hat hier überhaupt noch Interesse etwas zu renovieren, gerade jetzt wo auch die russischen Oligarchen als Immobilien-Interessenten ausgefallen sind und ein großstädtisches Baden-Baden in weiter Ferne scheint. Wäre da nicht vielleicht ein der Besuch einer Bomberflotte die beste Lösung, das würde zumindest die Abbruchkosten reduzieren? Werden die renovierungsbedürftigen Häuser bald von Hartz-IV-Migranten vollens abgewohnt bis zum Verfall? Welcher Investor wollte überhaupt noch in Deutschland investieren? Wann zieht Elon Musk die Reisleine? Wer braucht überhaupt noch Großstädte, wenn der größte Teil der Arbeit auch digital von überall aus erledigt werden kann? - Womöglich verwandeln sich unsere Großstädte bald in gigantische Flüchtlingslager und wer kann, zieht weg. Wir sollten sie einfach umzäunen und der UN schenken;-)

Didi Hieronymus Hellbeck / 22.09.2022

Berlin mag schlimm sein - aber: ubi bene ibi patria. Und zu anderen Städten: in München-Pasing gegen Mittag, wenn man dem ICE entsteigt, erblickt man Siff, arme Schweine mit alten Plastiktüten und verwüstete Muttis auf Hartz. Im Durchmesser von 1 km um den Hbf Nürnbergs: ziemlicher Saustall. Leipzig: viel Siff. Dresden geht noch.

Oliver König / 22.09.2022

“was wir an Großstädten schätzen, weshalb wir sie gern besuchen und schnell wieder verlassen” Äähm, wer will denn da immer noch hin? Und auch noch gerne?

Dr. Joachim Lucas / 22.09.2022

Auf Berlin bin ich gespannt - wenn im Winter ab Januar der Strom weg ist.

Marc Blenk / 22.09.2022

Liebe Frau Stephan, habe mich nun doch erschrocken.  InnoTrans steht da. Und mein erster Gedanke, der mir durch das vom Genderwahn weichgeklopfte Hirn schoss war: Eine Messe für Transgenderleute, wo allerlei Sextoys für die regenbogenbunte Klientel ausgestellt und zum Testen feilgeboten wird. Aber diese Ausstellung wird dann wohl im nächsten Kiez laufen.

Th. Stoppel / 22.09.2022

Berlin besuchen?, mit Verlaub, um solche politisch, wirtschaftlich und kulturell verwahrloste Stadt zu besuchen, gehört schon eine gehörige Portion Sarkasmus. Lieber fahre ich nach Sachsen oder Bayern, da ist die Welt zumindest teilweise noch in Ordnung. Um Berlin zieht eine Trump-Mauer, mindestens 6 m hoch.

Lars Müller / 22.09.2022

Der eigentliche Berliner hat allerdings wenig bis gar nichts mit dem zu tun, was Sie hier anprangern. Die Verantwortlichen sind so ziemlich alle in den letzten Jahren vermutlich auch aus Ihrer Heimat hierher gezogen und richten den Schaden an, mit dem wir in Berlin tagtäglich klarkommen müssen.

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