Das Buch „Ein falsches Wort. Wie eine linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht“ vom Spiegel-Korrespondenten René Pfister zeigt ohne große Verrenkungen auf die Urheber des auch hierzulande vergifteten Meinungsklimas.
Was tut man an einem der letzten heißen Spätsommertage? Nichts, jedenfalls nichts Schweißtreibendes. Schließlich gibt es ja noch das „gute Buch“, Sie wissen schon, und so eins liegt bereits auf dem Terrassentisch. Ein erstaunliches Buch. Nicht, weil etwas darin stünde, das nicht schon seit längerem bekannt wäre – ein falsches Wort, und dich ereilt der Bannfluch. Oder der Shadow Ban, eine noch wirkungsvollere Strafe. Dann ist man noch nicht einmal mehr einen ordentlichen Shitstorm wert.
Einmal Corona geleugnet oder den Sinn von Maske und Impfung angezweifelt, und schon… bist du ein Verfassungsfeind. Ist die Reputation hin. Bist du ein Schwurbler, ein Gemeingefährlicher, ein Populist oder Putinist oder Nazi oder alles zusammen. Wir hatten das hier in den letzten Jahren, und wir haben es noch immer, obzwar das Ereifere und Gegeifere langsam ein wenig nachlässt, manch einer ist so klug und ändert seine Meinung, wenn die Evidenzen dafür sprechen.
Oder wenn einer seine Blase verlassen und sich den Frösten der Freiheit ausgesetzt hat. Das gilt offenbar für den Spiegel-Korrespondenten Renè Pfister, lange Zeit Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros, seit 2019 Büroleiter in Washington. Pfister hat sich in seinem Journalistendasein nicht nur Ruhm und Ehre erworben, der Henri-Nannen-Preis 2011 für die beste Reportage wurde ihm wieder aberkannt, weil er die einfühlsame Beschreibung von Horst Seehofers Modelleisenbahn nicht eigener Anschauung verdankte. Als Romanautor wäre ihm das durchgegangen, als Reporter indes nicht.
Pfister lässt nichts und niemanden aus
Aber Schwamm drüber. Der Ortswechsel, weit weg von Seehofers Modelleisenbahn und Angela Merkels Raute, hat ihm offenbar gut getan. Sein Buch, sein erstes – „Ein falsches Wort. Wie eine linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht“ – ist solide recherchiert und zeigt ohne große Verrenkungen auf die Urheber des auch hierzulande vergifteten Meinungsklimas. Sie stehen links, die Ideologen der Identitätspolitik, der Political Correctness, der Transgender-Lobby und des Antirassismus. Pfister lässt nichts und niemanden aus.
Gewiss, deren schlimmste Auswüchse werden von rechts „instrumentalisiert“ und nützen nur dem „diabolischen“ Trump, soviel Distanzierung muss sein. Doch Pfisters Befund macht keine Gefangenen: „Niemand landet im Gulag, wenn er sich eine eigene Meinung leistet. Und doch erzeugen die Mobmentalität im Netz und die Feigheit der Personalabteilungen, die Gleichförmigkeit des Denkens an Universitäten und im Kulturbetrieb eine geduckte Ängstlichkeit, die den offenen Diskurs erstickt.“ Die ritualisierte Selbstkritik, zu der Opfer eines Shitstorms neigen, erinnert nicht nur ihn an jene „revolutionäre Wachsamkeit“, die man aus der DDR und vom Stalinismus kennt.
Besonders liebevoll beugt sich Pfister über die Besten der Guten, die wackeren Antirassisten, die aus ihrem Kampf ein blühendes Geschäftsmodell gemacht haben, wie etwa die Bestsellerautorin Robin DiAngelo, die für eine Rede schon mal 15.000 Dollar aufrufen kann. Das schlechte Gewissen des weißen Mannes (und natürlich auch der weißen Frau) gegenüber den 13 Prozent Afroamerikanern in den USA hat dort vor allem Opfermentalität gefördert und andere Ethnien, etwa die asiatischen, systematisch ausgegrenzt. Ist wirklich noch heute die Sklaverei daran schuld, wenn im Jahr 2020 7,8 Prozent der asiatischstämmigen Kinder in den USA bei einer alleinerziehenden Mutter aufwachsen und 13,4 Prozent der weißen, aber 46,3 Prozent der schwarzen Kinder? Der antirassistische Kampf ist keine Emanzipationsbewegung, er hält am Opferstatus fest, statt Selbstermächtigung zu fördern.
Getroffen: Debatte erledigt.
Den Democrats hat bekanntlich ihre Hinwendung weg von den „Deplorables“, den Arbeitern oder Ladenbesitzern in der Provinz, hin zu den woken Sensibelchen in den Metropolen massiv geschadet. Die deutschen Sozialdemokraten haben bis heute nicht begriffen, dass sie den falschen Propheten hinterherhecheln. Keine Kassiererin wird begreifen, was Olaf Scholz damit meint, wenn er sich dazu bekennt, ein „intersektionaler Feminist“ zu sein. Im Übrigen: Es gibt gewiss viele bunte Vögel, aber nur zwei biologische Geschlechter – und eine satte Mehrheit der Bevölkerung lehnt hierzulande das beflissene Gendern ab.
Doch „wenn Gefühle Argumente ersetzen, werden sie zu einer enorm wirkungsvollen politischen Waffe. Argumente kann man erwidern, Gefühle sind absolut“. Und deshalb genügt es völlig, wenn jemand ein „Störgefühl“ empfindet, weil einer seiner Mitautoren Hans-Georg Maaßen heißt. Ebenso gewiss musste ein Konzert abgebrochen werden, weil jemandem im Publikum angesichts der Rastafrisur zweier der Musiker ein Unwohlsein befiel – wegen kultureller Aneignung. Nur Frauen scheinen sich bislang noch nicht über kulturelle Aneignung durch Tessa oder Georgine beschwert zu haben. Warum eigentlich nicht?
Nun, wenn schon eine „Mikroagression“ sensible Menschen verletzen kann, sollte man besser auf ein Argument verzichten, wie kürzlich auch die deutsche Autorin Sophie Passmann erleben musste, die in Windeseile von einer wackeren Feministin zur toxischen Rassistin heruntergestuft wurde.
Pfister lässt bei seiner Bestandsaufnahme des woken Wahnsinns weder die Universitäten noch seine Kollegen in den Medien aus, die sich „aus dem immer gleichen Milieu rekrutieren“. Denen wird sein Buch eher nicht gefallen. Der 15 Jahre jüngere Jonas Schaible aus dem Berliner Spiegel-Büro etwa hält Pfisters Sorgen, was die Demokratie und die Meinungsfreiheit betrifft, also seine „Großdiagnose“, mit der Attitüde des Gelangweilten für übertrieben. Das seien doch alles radikale Rechte, die solche Themen instrumentalisierten. Getroffen: Debatte erledigt.
Doch René Pfisters Buch wird genau deshalb ein Erfolg werden, weil es aus der Perspektive eines Liberalen geschrieben wurde. Die liberale Demokratie „wird nicht nur angegriffen von einer populistischen Rechten. Sondern auch von einer doktrinären Linken.“
Gut, dass sich das herumzusprechen scheint.
„Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht“ von René Pfister, 2022, München: DVA. Hier bestellbar.