Cora Stephan / 27.05.2021 / 10:00 / Foto: Pixabay / 15 / Seite ausdrucken

Cora Stephan: Die Stimme der Provinz. Ein starker Rücken kennt keinen Schmerz

Wir wollen das Leben im ländlichen Raum beileibe nicht überhöhen. Manches fehlt dort eben doch: Etwa ein gut ausgestattetes Studio fürs Krafttraining – für meines in der nächstgelegenen Stadt muss ich zweimal die Woche eine gute Stunde Auto fahren, hin und her. Und das für eine halbe Stunde Training! Dank Corona habe ich den Sprit für die Körperertüchtigung zwar seit Monaten gespart, das ging allerdings auf Kosten dessen, was ja doch das wichtigste überhaupt ist, wie man bei Journalistens verkündet: die Haltung. Heute erhalte ich endlich die frohe Botschaft: mein Laden hat überlebt. Jetzt habe ich erst recht Lust, unsere benevolente Regierung für ihr Maßnahmenregime wegen Körperverletzung zu verklagen, meine Kondition muss furchtbar sein. 

Die schlechte, die bittere Botschaft ist ein paar Tage älter. Werner Kieser ist am 19. Mai gestorben. Ein kluger, liebenswerter, abenteuerlustiger, einfallsreicher Freund, an beinahe allem interessiert, ein Buchautor, der noch mit 70 seinen Magister in Philosophie gemacht hat. Er starb mit 80, ohne Krankheit oder Siechtum, ganz so, wie er es sich gewünscht hat, kurz zuvor hatte er zusammen mit seiner Frau Gabi noch die Muskeln trainiert. Bei Kieser-Training, natürlich. 

Als ich die Kiesers 1995 kennenlernte, glaubte ich bereits zu wissen, was Krafttraining ist. Zwei- bis dreimal die Woche zog ich mir knallenge Leggings an, darüber eine Art String-Tanga, dazu rosa Wadenschoner und unten solide Nikes – ganz so, wie es Jane Fonda empfahl –, und begab mich zu einer Kaufhausetage an der Frankfurter Zeil, wo es neben dem Aerobicsaal, aus dem zu hämmernder Musik die heiseren Schreie der Trainerin drang, ein Separee mit schwerem Gerät gab. Dort stemmten kahlköpfige Männer und martialische Osteuropäerinnen gewaltige Gewichte, stöhnend wie Gebärende. 

Keine laute Musik, kein Aerobic, keine Energydrinks

Der Wechsel zum gerade eröffneten Kieser-Training im Bahnhofsviertel war eine Erlösung. Hier gab es keine laute Musik, kein Aerobic, keine Energydrinks, Müsliriegel und bunte Pillen am Empfangstresen und auch keine Laufbänder mit vorgeschnalltem Fernseher. Dafür elegante Kraftmaschinen, die sich geräuschlos bewegen ließen. Ich konnte die dummen Plünnen weglassen und bin seither eisenharte Verfechterin eines generellen Stöhnverbots. Das bedächtige Bewegen von Gewichten ist Meditation. Wer stöhnt, macht was falsch oder will angeben.

Damals glaubten gutmeinende Freunde, Krafttraining mache männlich und Maschinen seien irgendwie kalt und unmenschlich. Tja. Die reine Natur ist bei Menschen allerdings etwas unglücklich angelegt: der Rücken, you know. Es dauerte eine Weile, aber auch wegen seiner Konzentration aufs Wesentliche gewann Kiesertraining den Kampf gegen das Muckibudenimage. Gut trainierte Muskeln machen niemanden zu Arnold Schwarzenegger, dazu braucht es ein paar genetische Voraussetzungen, aber sie helfen (nicht nur) gegen Rückenschmerzen, sind gut für den Kopf, fürs Gemüt, für die Stimmung – kurz: sie machen glücklich. 

Doch Werner war alles andere als einer dieser schleimigen Menschheitsbeglücker mit ihren salbungsvollen Sprüchen vom gesunden Leben. Seine Botschaft war pragmatisch: der Mensch wächst am Widerstand. 

Werner. Der Muskelpapst

Der gelernte Schreiner boxte, seine ersten Kraftmaschinen lötete er aus vier Tonnen Metall vom Schrottplatz zusammen. Aus Schrott und Hoffnung wurde erst später ein Imperium. Der Siegeszug der Nautilus- und MedX-Maschinen verdankt sich der Zusammenarbeit mit einem ziemlich durchgeknallten Genie: mit dem Amerikaner Arthur Jones. Den Erfinder des modernen Krafttrainings haben wir gemeinsam im Sommer 1995 in Florida besucht und seither waren und sind wir befreundet – mit Gabi, der Ärztin, und Werner Kieser, dem „Muskelphilosophen“, dem „Feind aller Orthopäden“, einem Unternehmer, der nicht nur die richtige Idee hatte, sondern sie auch umzusetzen wusste.

Die Widerstände waren nicht gerade gering. Rückenschmerzen waren die Volkskrankheit Nr. 1, der häufigste Grund für stationäre Behandlung und für fast die Hälfte aller Anträge auf vorzeitigen Ruhestand. Am Schmerzenslager der kollektiven Wirbelsäule der Industrienationen sammeln sich Heerscharen von Chirurgen, Orthopäden, Krankengymnasten und Psychotherapeuten, und die lassen sich ungern erzählen, dass ihre Bemühungen das Problem selten beseitigen und häufig verschlimmern. Denn nur ein kranker Rücken nährt sie. „Apparateaufsteller“ war noch die netteste Bezeichnung für das, was Werner und Gabriele Kieser betrieben.

Ich habe damals die Geschichte vom Schweizer Kieser und dem verrückten Amerikaner Jones für den „Spiegel“ aufgeschrieben, aber auch die dritte oder vierte Version wurde abgelehnt. Schmalbrüstige Intellektuelle hielten damals Muskeln wohl noch immer für etwas, das manche Männer als Ersatz für fehlendes Hirnvolumen ausbilden. Welch ein Irrtum. Jahre später sah man auch Spiegelleute bei Kieser trainieren – ob’s geholfen hat?

Werner. Der Muskelpapst. Im Sommer werde ich wieder seiner Philosophie folgen, zweimal die Woche, mindestens. Und dabei liebevoll an ihn denken. 

Foto: Pixabay

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Sabine Heinrich / 27.05.2021

Ich verstehe diesen Artikel als Werbung für das Kiesertraining. Was soll der hier bei Achgut? Vielleicht bin ich auch nur überempfindlich gegenüber indirekter Werbung, die klug daherkommt. Mag ich nicht. - Weg vom Thema: Ich hoffe, dass hier bei Achgut ein seriöser Artikel über das von Menschen verursachte Seilbahnunglück mit 14 Toten erscheint - wo es wieder um reine Geldgier ging - und letztlich wohl wieder keiner zur Verantwortung gezogen wird. Ich erinnere an das ICE-Unglück von Eschede 1998 mit 101 Toten; an die Katastrophe von Kaprun 2000 mit 155 Toten und an die Love Parade in Duisburg 2010 mit 21 Toten und unzähligen Verletzten. In KEINEM der durch Ignoranz und Fahrlässigkeit verursachten verheerenden Unglücke wurden die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen. Das Zusammenspiel von Wirtschaft, Politik und Justiz war besonders in den Fällen von Kaprun und Duisburg unübersehbar. Ich gehe jede Wette ein, dass die 3 Männer, die mit dem von ihnen verursachten Tod von 14 Menschen leben müssen, bei der anstehenden Gerichtsverhandlung freigesprochen werden, da die Justiz nicht nur in Deutschland, Österreich, sondern schon seit Jahrzehnten in Italien korrupt ist.  

Fritz kolb / 27.05.2021

Genau so schön wie zutreffend geschrieben, Frau Stephan. Ich leiste schon seit vielen Jahren meinen Beitrag zum Leid der Orthopäden. Und jetzt lassen selbst die herbei-geschwindelten Inzidenzwerte keine Schließungen der Studios mehr zu. Was auch schon zuvor völlig unsinnig war. Das Kanzleramt der Adipösen konnte sehr offensichtlich sportlicher Betätigung nebst gesunder Ernährung sowieso noch nie etwas abgewinnen. Ich hoffe nun, daß es meinen Trainingspartnern rasch gelingen mag, ihre zusätzlichen Corona-Pfunde wieder loszuwerden.

Mathias Rudek / 27.05.2021

Das war sehr schön geschrieben, Frau Stephan, und ihr lieber Werner lächelt von oben.

RMPetersen / 27.05.2021

Dass ein Landbewohner oder eine Landbewohnerin zum Krafttraining in die Stadt fährt, halte ich für bekloppt. Gartenarbeit, Radfahren und Holzsägen halten den Rücken fit.

Wilfried Cremer / 27.05.2021

Hallo Frau Stephan, na gut, ich aber mache seit Jahrzehnten Übungen ganz ohne Zeugs zum Anfassen. Das was im Altenheim Mobilisierung heißt. Und es hilft dem Rücken, isch schwör.

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