Cora Stephan / 29.07.2021 / 12:00 / 26 / Seite ausdrucken

Cora Stephan: Die Stimme der Provinz. Diesmal von der Ahr

Ich bin in der Nähe des Ortes aufgewachsen, an dem die Varus-Schlacht stattgefunden haben soll. Nun, darüber streiten die Gelehrten zwar noch immer, aber es gibt dort ein sehenswertes Museum, deshalb glauben wir das mal. Wichtiger ist die Frage: Könnte das mein Verhältnis zu den Römern beeinflusst haben? Denn Niedersachsen war damals eine Region, in der sich viele fragten: „Was haben die Römer je für uns getan?“ 

Wir kennen die Antwort. Neben Aquaedukten und Straßen haben sie den Wein in unsere Lande gebracht, in die südlichen jedenfalls. In meiner Gegend aber – Varus! – trank man Bier. Auf die Frage nach Wein kam von jenseits der Theke ein gelangweiltes „Rot oder weiß?“ und die Plörre schmeckte selten gut. Das muss wohl so sein, dachte unsereins. Little did we know.

In der Studienzeit in Frankfurt am Main erweiterte sich das Wissen über Alkohol mählich, zunächst mithilfe eines Gesöffs namens Kalterer See aus der großen Korbflasche. Kleiner Ausflug in die Geschichte, für die Jüngeren unter den Lesern: In den 80er-Jahren erweiterte sich das kulinarische Spektrum dank der Toskana-Fraktion – Gerhard Schröder und Joschka Fischer und Otto Schily integrierten die italienische Region zumindest geschmacklich. Und so hatte es bei jeder Gelegenheit italienischer Wein zu sein, bevorzugt die schweren Roten. Tatsächlich musste man die staatlichen Zeremonienmeister damals schon mal daran erinnern, dass es auch deutschen Wein gibt. Und zwar großartigen. 

Welchen Wein Angela Merkel trinkt, morgens, mittags, nachmittags oder abends, ist leider nicht bekannt. Ich hoffe, was Vernünftiges.

Abenteuerliche Steillagen an felsigen Hängen

Nichts, natürlich, gegen den Norden, aber Deutschland südlich der Mainlinie ist wirklich reich beschenkt. Manch einer denkt bei Rüdesheim noch immer an die Drosselgasse oder an die wuchtige Germania, die über dem Rhein thront und dem französischen Erbfeind droht. Ich denke lieber an das, was unterhalb der Germania liegt, an die Steilhanglagen Berg Schlossberg oder Berg Roseneck, wo Riesling wächst, ausgebaut von Theresa Breuer und Hermann Schmoranz. 

Zur Zeit allerdings denke ich an ein anderes der großartigen deutschen Weingüter, mit Trauer und Mitgefühl: An das Weingut Meyer-Näkel in Dernau an der Ahr. Werner Näkel hat in den 80er-Jahren das Gut seiner Eltern übernommen, die Weine von der Ahr von ihrem Image als „lieblich“ befreit und seine Rotweine in die Spitzenklasse gebracht. Man nannte es Rotwein-Revolution. Weltruhm? Kann man so sagen. 

Die Ahr ist mit rund 560 Hektar das drittkleinste der 13 deutschen Weinanbaugebiete, aber zugleich das größte zusammenhängende Rotweinanbaugebiet. In einem normalen Jahr ernten die etwa 65 hauptgewerblichen Winzer und mehrere hundert Nebenerwerbsbetriebe in den 40 Einzellagen rund vier Millionen Liter Wein. 35 Kilometer lang ist der Rotweinwanderweg durch abenteuerliche Steillagen an felsigen Hängen und Terrassen, auch ein Tourismusfaktor. 

Sieben Stunden in der Krone eines Baumes

Meyer-Näkel ist womöglich das bekannteste Weingut an der Ahr. Nicht nur wegen der Qualität der Weine, sondern auch, weil Werner Näkel ein hinreißender und großzügiger Gastgeber war – und die damalige Regierungsstadt Bonn mit ihren genusssüchtigen Politikern und Journalisten in der Nähe hatte. Er hat das Glück, dass seine beiden Töchter Maike und Dörte das Unternehmen übernommen haben und die noch junge Tradition weiterführen. Eine Erfolgsgeschichte. Bis jetzt. Bis zum 15. Juli. 

Wer jemals an der Ahr war, kennt das enge Flusstal, über dem auf jedem brauchbaren Fleckchen Reben im Schiefergestein stehen. Hochwasser ist dort nicht unbekannt – aber das hier übersteigt wohl alles vorherige. Wer die Bilder gesehen hat, wie der eigentlich gemächlich vor sich hin mäandernde Fluss in wenigen Stunden Straßen, Brücke, Häuser mit sich gerissen hat, hat zumindest eine Ahnung davon, wie groß die Verwüstung sein muss.

Maike und Dörte Näkel versuchten noch, die Tore zum Weinlager zu schließen, doch es war zu spät. Die beiden verbrachten sieben Stunden in der Krone eines Baumes, der den Wassermassen standgehalten hatte, bis sie gerettet wurden. Wenigstens das. „Unsere Vinothek und der alte Weinkeller mit Schatzkammer sowie das Büro wurden komplett geflutet und unter Schlammmassen begraben. Die Produktion, das Barrique- und Tanklager, die Maschinenhalle und das Flaschenlager wurden von der sechs Meter hohen Flutwelle erfasst. Fast alle Barriquefässer sind weggeschwommen, zum Großteil sogar die Tanks und unsere Weinpresse viele Kilometer mitgerissen. Wir stehen quasi vor dem Nichts“, schreiben die beiden auf Facebook. Einige Barrique-Fässer mit den Rotweinen von 2020 wurden in drei Kilometer Entfernung gefunden. Immerhin sind einige Flaschen heil geblieben im braunen Schmodder.

Hilfe kommt von Winzern aus allen Weinregionen Deutschlands. Schließlich müssen auch noch die Rebstöcke an den Hängen gepflegt werden. Wer als Weinfreund nicht nur Daumen drücken will, kann „Solidaritätspakete“ erwerben oder spenden: 

Spendenkonto: Der VDP.Adler hilft e.V.
Rheingauer Volksbank. IBAN: DE 21 5109 1500 0000 2045 28
BIC: GENODE51RGG
Betreff: Solidarität Ahr Weinbau

Wein ist ein Kulturgut. Und er ist heute weit besser als zur Römerzeit. 

 

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Leserpost

netiquette:

Andreas Bitz / 30.07.2021

Die GendergenossinnenLGBTIQ♡°* werden sich angesprochen fühlen und den Weinbau an der Ahr retten. Ich halte mich zurück bis die für den Katastrophenschutz Verantwortlichen - vom Innenminister und SPD-Landesvorsitzenden über Landräte bis zu Bürgermeister - Verantwortung für die Toten und vermeidbare Schäden übernommen haben.

Wolfgang Richter / 29.07.2021

@ Andreas Hofer - Aufrufe oder TV-Kommentare / Nachrichten, die sich nur noch an genuschelte “Innen richten, kapiere ich nicht, sind für mich als altem langsam ergrauendem MANN weder verständlich, noch bindend. Sollen die gewünschten “Innen den Dreck weg machen oder was auch immer. Vielleicht sind ja auch Hüpfende gemeint, die sich zuletzt in Berlin oder wo verausgabt haben. Wenn jemand von meinereinen Hilfe wünscht, soll er mich gefälligst so ansprechen, daß ich ihn auch verstehe. Ansonsten spielt alleine in Eurer großen Buddelkiste. Und Tschüs.

Wolfgang Richter / 29.07.2021

Wenn es sich der Bürgermeister des durch die Flut völlig zerstörten Ortes Schuld leisten kann und will, eine SpendenKollekte des natürlich ‘“quer” denkenden Arztes Bhodo Schiffmann aus ideologischen Gründen für “sich” und seine “Untertanen” abzulehnen, weil das Geld nach seiner Ansicht aus der “falschen politisch-ideologischen Ecke” kommt. dann sage ich als alter Zyniker,  kann es wohl nicht so schlimm sein wie behauptet. Das selbe gilt für die ideologisch begründete Ablehnung der von Herrn Schiffman privat bezahlten Dixie-Häuschen für Flutopfer und -helfer, etc. etc.. Oder auch für die abgelehnten Hilfsangebote durch Bereitstellen von Ansprechpartnern für durch die Flut Traumatisierte. An dieser Stelle hör ich besser auf.

R. Lichti / 29.07.2021

Ich habe meine Spende dem Moneypool von Herrn Schiffmann und Helfern zukommen lassen: Der hat zumindest die Bedingung gesetzt, dass das Geld ausschließlich den Opfern direkt zukommen soll.

Bernhard Vogt / 29.07.2021

Liebe Frau Dr. Stephan. vielen Dank, dass Sie auf dieses Einzelschicksal hinweisen. Mein Schulkamerad Werner Näkel ist in der Tat ein unglaubliches Vorbild an Unternehmergeist. Ich bin nur nicht ganz so pessimistisch wie Sie: Der ist so tüchtig, der wird auch diesen schrecklichen Schicksalsschlag überwinden und Meyer&Näkel wieder aufbauen - mit Hilfe seiner Töchter und seines Bruchsaler Schwiegersohns. Zum Aufregerthema Gendersprache: Was an der Ahr passiert ist, ist so schrecklich, dass es mir herzlicgh egal ist, ob Spendenaufruf*innen gendern oder nicht.  Es gibt Wichtigeres. Freundliche Grüße Bernhard Vogt

lutzgerke / 29.07.2021

Geschichte versteinert allmählich in Denkmälern und Ruinen. Und deshalb gibt die keinen Anlaß für Besorgnis. Mich haben Denkmäler und Ruinen immer beruhigt. Wenn sie an den Denkmälern umgeschrieben wird, das ist ein Anlaß. Man hätte meines Erachtens auch Karl Marx nach dem Untergang der Sowjetunion stehen lassen soll, damit sich spätere Generationen darin erinnern, wie es zu Sowjetzeiten war. Der Umbau der Geschichtsschreibung und die Gleichmacherei ist Europa hat zu nichts geführt als Streß mit den Parteien und den Nachbarn. / 1910 ist der höchste Stand der Ahr mit 4 m über Normal gemessen worden (Wiederholung ;)). Und man sollte bedenken, daß die Ahr früher kein Siedlungsgebiet war.

Boris Kotchoubey / 29.07.2021

@Reinhard Max & @Andreas Hofer: Ich fühle mich genauso. Andrej Sinjawski, ein berühmter sowjetischer Dissident und Dichter, der einige Jahre in einem KGB-Gefängnis verbracht hat, sagte mal: “Meine Differenzen mit den Kommunisten sind letztendlich STILISTISCHER Natur”. Damit hat er im Grunde an die Worte Büffons angedeutet, der noch in der Mitte des 18.Jh. sagte “Le style est l’homme meme” (später abgeändert in “Le style c’est l’homme”). Damit ist für einige Menschen, zu denen ich auch gehöre, physiologisch unmöglich, mit jenen zusammenzuarbeiten, die in jede Wort:in eine Doppelpunkt:in setzen. So leid es mir auch tut! Ich kann dazu natürlich unter der Drohung der Todesstrafe gezwungen werden; aber ich kann niemals überzeugt werden. Die Doppelpunktenden (...punktierenden?) sind für mich eine andere Menschenrasse; sie sind mir fremder als jeder Bewohner von Papua-Neuguinea.

Dietmar Blum / 29.07.2021

Herr Bernd Weber / 29.07.2021: Würden Sie die Steillagen der Ahr kennen, wüßten Sie, dass dort, bei den Regenmengen die fielen, auch keine “Querrinnen” helfen würden. Allenfalls einem Sommerregen.

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