Marcus Ermler / 04.01.2020 / 06:07 / Foto: DIE LINKE. Sachsen / 102 / Seite ausdrucken

Connewitz, Juliane Nagel, lechts und rinks

Von Marcus Ermler.

Dass manchmal nur der Name Juliane Nagel ausreicht, um eine ganze politische Klasse in helle Aufregung zu versetzen, zeigt der Rumor rund um die Aussagen der gleichnamigen Leipziger Linkspartei-Politikerin zu den folgenschweren Vorfällen in der Silvesternacht in Leipzig recht eindrucksvoll auf. Juliane Nagel kommentierte die Geschehnisse auf Twitter zunächst mit den Worten:

Uff. Cops raus aus #Connewitz gewinnt nach diesem Jahreswechsel ne neue Bedeutung. Ekelhafte Polizeigewalt, überrennen unbeteiligter, wirre Einsatzmanöver, kalkulierte Provokation.“ (Tweet vom 31. Dezember 2019)

Anstatt die Polizei den Kiez einfach mal verlässt, läuft sie immer wiederbehelmt durch die Menge, rennt Menschen um und löscht Feuer. Sinnlos.“ (Tweet vom 31. Dezember 2019)

Woran entzündete sich jetzt genau die Kritik an Nagel? Wie ZEIT Online berichtete, wurde in der Silvesternacht im „linksalternativ geprägten Leipziger Stadtteil Connewitz“ ein Polizist, dem zuvor „der Helm vom Kopf gerissen worden“ war, so schwer verletzt, dass er nach der Attacke „demnach das Bewusstsein“ verlor und sogar „notoperiert“ werden musste. 

Der dunkelrote Fleck in der schwarzen Politiklandschaft Sachsens

Daher warf laut Tagesspiegel beispielsweise der AfD-Innenpolitiker Martin Hess nunmehr Nagel vor, dass diese „die linke Gewalt auch noch“ mit ihren Worten rechtfertige. Der Landeschef von Sachsens Linken tadelte nach Bericht des MDR Nagels Tweets als „nicht klug“ und durchaus missverständlich. Rainer Wendt, der Chef der Deutsche Polizeigewerkschaft, ergänzte: „Es ist unfassbar, dass Politiker der Linkspartei es hier an Klarheit mangeln lassen“. Am 1. Januar 2020 führte Juliane Nagel ihre Kritik auf ihrer Homepage ausführlich aus und legte dar:

Ein MDR-Journalist fragte mich heute, am 1.1.20, ob das die Gewalt rechtfertige. Und ich sage klar: Nein! Wenn mir Politiker*innen der CDU oder rechte Hetzer*innen jetzt vorwerfen, dass ich Gewalt gegen Polizei legitimieren würde, weise ich das klar zurück. Die habe ich an keiner Stelle. Ich beklage alle, die in der Silvesternacht verletzt wurden. Dass es nicht ‚nur‘ Polizeibeamt*innen getroffen hat, sondern auch unbeteiligte Zivilist*innen, vergessen aber die Meisten, die sich jetzt zu Wort melden.“

Die Äußerungen passen je nach eigener politischer Grundausrichtung in das Bild, welches man sich von Nagel imaginiert. Die taz umriss die politische Tätigkeit Nagels, die das einzige Direktmandat der Linkspartei für den sächsischen Landtag hält, im Juni des letzten Jahres recht passgenau und adäquat als „einen dunkelroten Fleck in der schwarzen Politiklandschaft Sachsens“, der geradezu als „rotes Tuch für Rechte“ wirke. 

Chaos-Jule als Anführerin der Autonomen

Die sächsische CDU indessen sieht sie „als Anführerin der Autonomen“ und bezeichnet sie als „Chaos-Jule“, die die Leipziger Stadtteile Connewitz und Südvorstadt zur „Autonomenrepublik“ umstrukturieren wolle. Jedoch, so die taz weiter:

Bislang ist der Umbau zur Autonomenrepublik nicht sonderlich weit vorangeschritten, allerdings gehört ziviler Ungehorsam, wie etwa Sitzblockaden, zu Nagels Politikstil. So versucht sie etwa die Märsche des Leipziger Pegida-Ablegers Legida zu verhindern. Und auch als Anfang Juli in Leipzig Hunderte Menschen die Abschiebung eines kurdischen Syrers verhindert wollten und die Polizei mit Gewalt gegen sie vorging, war Nagel vor Ort.

Wenn sich Politiker der radikalen Rechten an Nagel abarbeiten, ist das jedoch nicht ohne Ironie. So verkörpert Nagel genau jenen Typus von Politiker, den sich manch nationaldemokratisch wie völkisch Gesinnter insgeheim doch so sehr wünscht: Sie sieht sich nämlich exakt ihrer linken Wählerklientel aus Connewitz verpflichtet und handelt beziehungsweise äußert sich so in deren Sinne. Der Inbegriff der „Bürgernähe“, Nagel als Verfechterin für direkte Demokratie, Basisdemokratie sowie Mitbestimmung des Volkes, befreit von der schädlichen Einflussnahme der Partei. Das entspricht ironischerweise auch dem feuchten Traum eines jeden „konservativen Revolutionärs“ von der „Anteilnahme des Volks an seinem Schicksal“.

Was allerdings bei all den Betrachtungen ob Nagels Engagement für die linksalternative Connewitzer Szene medial meist keinerlei Beachtung findet, ist ihre in vielerlei Hinsicht doch recht konträre Stellung in der Linkspartei in Bezug auf Israelsolidarität und Kritik an Venezuela, dem Lieblingskind deutscher Sozialismusverklärer. 

„Venezuela keine Projektionsfläche für einen demokratischen Sozialismus“

Die Linkspartei selbst hat zu beiden Themen eine recht eindeutige Meinung: Sie ist gemeinhin BDS-Freundin und Israelhasserin sowie rührseligste Unterstützerin von Maduros kleptokratischem Terrorregime. So weigerten sich beispielsweise die beiden exponierten Linkspartei-Politikerinnen Sahra Wagenknecht und Christine Buchholz demonstrativ, nach der Rede des damaligen israelischen Staatspräsidenten Schimon Peres zum 65. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz im Bundestag aufzustehen, obwohl es parlamentarischer Brauch ist. 

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko hingegen trifft sich auch gerne einmal mit dem venezolanischen Staatschef Nicolás Maduro und wirft den USA, der EU wie der Bundesregierung vor eine „verbrecherische“ Politik zu betreiben, die „das Leid der Menschen in Venezuela ins Unermessliche steigern und zahllose Tote zu verantworten habe“. Seine Kollegin Heike Hänsel fügt hinzu, dass die USA und die EU eine „Politik des Regime Change und der Destabilisierung“ ausübten.

Nagels Worte klingen da ganz anders. So spricht sie bezüglich Venezuela von einer „desaströse[n] menschenrechtliche[n] Lage und Armut“. Mehr noch sei die „innenpolitische Lage in Venezuela […] verheerend“ sowie die „Versorgungslage im Land […] desaströs“. Und weiter:

Seit 2013 regiert Nicolas Maduro als Nachfolger des verstorbenen Hugo Chavez. Maduro ist es nicht gelungen den von Chavez begonnenen Weg der Armutsbekämpfung samt vorsichtiger Gewährung politischer Freiheit fortzuführen. Er hat im Gegenteil ein System der Abhängigkeit und Korruption installiert und versucht seine Macht antidemokratisch und gewaltsam zu erhalten. Die Versorgungslage im Land ist desaströs, zahlreiche Menschen leiden unter Mangel- und Unter- nährung, die Stromversorgung ist prekär, von staatlichen Hilfsprogrammen profitieren vor allem Regierungstreue.“

So kommt Nagel zu dem Schluss, dass Venezuela sich in keiner Weise „mehr als Projektionsfläche für einen demokratischen Sozialismus [sic!]“ eigne.

„Israel bleibt als Konsequenz aus der Shoa in hohem Maße bedroht“

Auch in Bezug auf Antisemitismus und Israelsolidarität sind ihre Worte von vergleichbarer Deutlichkeit. So fungiere„Antisemitismus auch heute als [linke] Projektionsfläche für falsche Kapitalismuskritik und Unwohlsein mit der bürgerlichen Gesellschaft“ und „Israel [bleibt] als Konsequenz aus der Shoa in hohem Maße bedroht, ob durch Sprengstoffgürtelträger*innen oder die internationale Politik“. Und an anderer Stelle, insbesondere im Hinblick auf die BDS-Bewegung und ihr sich anbiedernde Künstler, ergänzend:

Antisemitismus und Antizionismus sind politische Ideologien und dürfen nicht durch ein künstlerisches Medium salonfähig gemacht werden. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, doch wir erwarten gerade von Kulturschaffenden einen reflektierten Umgang mit politischen Sachverhalten und eine bewusste Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und ihren Konsequenzen. Und dies insbesondere im Hinblick auf den nahenden 80. Gedenktag an die Reichspogromnacht.“ 

Sicher: Man kann Juliane Nagel für Aussagen wie „Eine emanzipatorische Gesellschaft geht nur ohne Polizei“ kritisieren. Das sind weltfremde Statements, die wie Verlautbarungen aus einem anarchistischen Paralleluniversum klingen. Man sollte dann aber auch nicht ihr Engagement gegen Antisemitismus, ihre Israelsolidarität und ihre Verachtung von Maduros räuberisch-verbrecherischem Regime außen vor lassen. Erkenntnisse, die wie die letzten Einsprengsel von Restvernunft in der sonst dezidiert israelfeindlich irrlichternden beziehungsweise Maduro bis zum letzten Blutstropfen verteidigenden Linkspartei klingen.

Foto: DIE LINKE. Sachsen CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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Detlef Jung / 04.01.2020

Also mir bleibt nach dem Lesen der Kommentare noch mehr als nach dem Lesen des eigentlichen Artikels der Mund offen stehen. In denke in Venezuela werden noch Kräfte gebtraucht, eventuell wäre das für einige eine Alternative zum mühseligen Verfassen von Zeilen auf einem Alternativ-Medium mit dem Anspruch zur Abbildung vielfältiger Meinungen der Bürger Deutschlands aber das hier ist NICHT der Ersatz für die taz. -//- Geht´s denn nur um diesen rostroten Leipziger Nagel? Oder die ebenfalls rostrote Bassitentante an der Seite von ImmeraufderSeitederGewinnerseinwoller Kretschmer? Kommt Leute, das Thema, das Herr Ermler hier erfreulicherweise veröffentlicht hat, stellt nur den ganzen Irrsinn anhand der argumentativ fein zilisierten L´*schi dar. Das Problem ist doch systemimmanent und wird weder besser durch die Einsatz von Polizisten noch durch Streicheln der angesammelten Impotenten. Die können alle nix, nur ziellose Gewalt - ausführen oder relativieren. Wenn Nagel dann erst recht Esken zu den Kobolden. Allesamt der Dauerbeleidgten wären bei einer echten Bedrohung durch Staatsgewalt völlig schutzlos. Die Gefängnisse sind voll, Arbeit für Ungelernte außer in der Politik ist nicht vorhanden bzw. von Migranten besetzt, Abschiebung für Biokartoffeln derzeit nicht vorgesehen. Deshalb hat dieses Gemüse sein eigenes Biotop. Wenn nur einer der Systemadministratoren der Internationalen Sozialisten in Berlin damit anfinge die Geldströme umzuleiten - in Bildung, Infrastruktur, oder Esskultur, Gott bewahre, das Biotop würde austrocknen. Es verdienen zu viele Gutmenschen daran, und die Eltern der Connewitzer Bande kann sich so ungestört die Taschen auf unsere Kosten vollschlagen. Leute, der Staat ist im A… und wir haben es aktuell verka…t. Wir können´s nur noch mit Humor nehmen und uns darüber amüsieren, wie sich alle lieb haben. Also, nehmt zum nächsten Date mit einem Politiker/ Journo eine Nadel mit und laßt die Luft aus dessen Geschwätz. Dann lacht Ihr!

Karl-Heinz Vonderstein / 04.01.2020

Ich sah einen Bericht über die Vorfälle in der Tagesschau, der nachher in den Tagesthemen wiederholt wurde. In dem man zunächst Bilder von der Silvesternacht in Connewitz sah und ein Sprecher erzählte, was dort passiert ist, wobei ich das Wort Linksextreme nicht vernommen hatte.Es kam der Bürgermeister des Ortes zu Wort. Anschließend hieß es, dass es auch Kritik an dem Einsatz der Polizei geben würde und man hörte, was Juliane Nagel dazu zu sagen hatte, die von Polizeigewalt sprach, die sie mit eigenen Augen gesehen hätte.Danach und überhaupt, kam im Bericht kein Vertreter der Polizei zu Wort, der oder die eine andere Sichtweise auf die Vorkommnisse hätte wiedergeben können und der Bericht endete schließlich.Was Frau Nagel sagte blieb somit unwidersprochen im Raum stehen.Im Bericht hieß es auch, der am 2.1. ausgestrahlt wurde, dass ein Polizeibeamter, der, wie es zunächst hieß, notoperiert werden musste, schon wieder aus dem Krankenhaus entlassen wurde.So als ob man sagen wollte, so schlimm könne es ja dann nicht gewesen sein.Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass bei Gewalt von links, Politiker der Linken, Grünen und SPD, sowie die linksliberalen Medien hierzulande, immer geradezu reflexartig der Polizei Vorwürfe machen, die Gewalt von linken Gruppen eskaliert oder gar provoziert zu haben?  

Hans-Peter Dollhopf / 04.01.2020

Ich rechne bei allen anderen und mir selbst immer mit dem Faktor der Opportunität. Die halbe Miete beim Eintreiben der Erkenntnis. Da Nagel nichts kann, weil sie nichts gelernt hat und darum nichts zur Wertschöpfung beiträgt (aber trotzdem verdi-Gewerkschaftsmitglied ist), kann man ihre Klientelarbeit für die Radaugenossen von Connewitz ruhig ebenfalls als opportunistisch verstehen: Sie muss ja ihr geldwertes Mandat absichern. Und da der ZdJ, selbst des Zionismus, wie merkwürdig, absolut unverdächtig, zionistische Tendenzen bei der AfD regelrecht vergast (lese: die offenen Brandbriefe von Schuster), warum sollte man dann noch Rücksicht auf eine linke Terrornudel nehmen, nur weil sie im Vollrausch zufällig einmal normal klang?

Michael Scheffler / 04.01.2020

Frau Nagel sitzt im ARD-Interview vor der roten Fahne, dem Symbol des kommunistischen Massenmordes. Schlimmer geht es nimmer!

Tobias Kramer / 04.01.2020

@Ursula Horvath: Hören Sie mir auf mit Innenminister Wöller. Der hat auch nur die ganze Zeit die Füße still gehalten, wenn sich die Antifa in Leipzig an Baustellen, Häusern, Autos und Menschen ausgetobt hat. Das ist SEIN Ressort und seine Verantwortung. Dass er jetzt mal medial gehustet hat, soll und darf nicht überbewertet werden. Selbiges macht doch der Sozen-OBM Jung immer: Bedauern heucheln ... und hintenrum mit den Straßenbrüdern Kaffee trinken.

Gerhard Golchert / 04.01.2020

Am 23.03.2017 habe ich in Leipzig-Connewitz ein Plakat mit brennenden Autos und folgendem Text fotografiert: “Gegen Faschismus und Bullenterror (groß über den beiden brennenden Autos) Die Zahl der kleinen Gruppen muss so gross wie möglich sein und jede von ihnen muss lernen, schnell anzugreifen und zu verschwinden. Die Polizei kann eine Masse von 1000 Personen mit einer einzigen Gruppe von 100 Bullen niederschlagen. Es ist einfacher hundert Menschen zu besiegen als einen einzelnen, vor allem wenn er überraschend zuschlägt und mysteriös verschwindet. Die Polizei ist machtlos, wenn die Stadt von diesen kleinen unangreifbaren Splittergruppen übersät ist. Unsere Stärken sollen Innenplätze sein, und alle Orte, von wo man leicht zuschlagen und einfach abhauen kann. Würden sie diese Orte einnehmen wollen, dann werden sie dort niemanden finden und hätten zahlreiche Bullen verloren.” Dies für diejenigen, die Connewitz und die Chaoten, deren Chefin Juliane Nagel ist, nicht kennen.

Frank Dom / 04.01.2020

An die einfachen Gemüter unter den Foristen - der Autor relativiert nicht die Aussagen bzgl. Leipzig. Der Autor zeichnet ein differenziertes und sachlich stimmiges Bild einer Person. Das gehört sich so in liberalen bis konservativen Kreisen. Und hört endlich auf, euch wie Klaus Kleber zu benehmen. Das ist ja echt nur noch peinlich.

Rudhart M. H. / 04.01.2020

Leute , das ist doch sowieso scheißegal, wenn jetzt schon Punk-Bassisten Justizminister werden ! Ich fasse es nicht ! Wer wählt die eigentlich ?????

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