Burkhard Müller-Ullrich / 27.09.2019 / 13:00 / Foto: Pixabay / 73 / Seite ausdrucken

Close-up auf den Pimmel – Wie die Tagesschau die AfD bloßstellt

Es sind nur drei Sekunden in einem 96 Sekunden langen Tagesschau-Beitrag. Aber drei Sekunden von besonderer und vor allem neuer Qualität im öffentlich-rechtlichen Kampf gegen Rechts. Okay, ganz neu sind gewisse Kamera-Ausrutscher nicht. Wir erinnern uns an den Fall der FDP-Politikerin Katja Suding, die in einem Tagesschau-Bericht über das Dreikönigstreffen der Partei im Januar 2015 gewissermaßen mit den Beinen voran gezeigt wurde: Die Kamera zoomte erst auf ihre schwarzen Pumps und fuhr dann – drei Sekunden lang! – genüsslich über ihre bloßen Knie die Beine hoch, bis endlich Kopf und Oberkörper der damals 39-Jährigen zu sehen waren. Ein klarer Fall von erotischer Bildführung, für die sich Tagesschau-Chef Kai Gniffke (jetzt SWR-Intendant) eilig entschuldigte („Der Beine-Schwenk gehört auf den Index“).

Wir erinnern uns auch an das Schäuble-Interview vom vergangenen Dezember im ZDF, das durch ein antifaschistisches Accessoire bereichert wurde: ein Kameramann trug ein Sweatshirt mit einem Riesenlogo der linksextremen „Bullen sind Schweine“-Band Slime auf dem Rücken und konnte im Teaser-Film zum Interview damit dreimal Haltung zeigen: drei Sekunden, zwei Sekunden und fünf Sekunden lang, bei einer Gesamtlänge von 88 Sekunden. Es sei damit „kein politisches Statement verbunden“ gewesen, erklärte das ZDF; „dennoch bedauern wir, daß der Aufdruck übersehen wurde“.

Doch jetzt gibt es die AfD und deren Vertreter. Das ist, verglichen mit den Sudings und Schäubles, was anderes. Da braucht es gröbere ästhetische Verfahren der Verhöhnung und Verhäßlichung. Schließlich will man doch im ARD-Hauptstadtstudio die Demokratie retten. Und so zeigte die Tagesschau kürzlich (Bericht: Daniel Prokraka), wie man das aus beliebigem Anlass (Thomas Cook-Pleite und Staatskredit für Condor) macht: erstes Statement – Peter Altmaier, CDU, Büste; zweites Statement – Tarek Al-Wazir, Bündnis 90/Grüne, Großaufnahme; drittes Statement – Pascal Meiser, Die Linke, Großaufnahme; viertes Statement – Kay Gottschalk, AfD, und jetzt gibt die Regie wirklich alles.

Bildfüllend die Region zwischen Gürtel und Oberschenkeln,

Der Reporter steht mit dem Rücken zur Kamera und füllt die linke Bildhäfte, in der rechten Hälfte sieht man das Treppenhaus des ARD-Hauptstadtstudios und davor den Interviewpartner Gottschalk. Der ist ein kleiner Mensch, aber inszeniert wird er als Winzling: Sein Scheitel reicht knapp über die Bildmitte, während der Kopf des Reporters fast am oberen Rand anstößt. Diese Perspektive gibt es zur Einstimmung, während noch der Off-Text läuft, und dann, bevor AfD-Gottschalk sein erstes Wort sprechen darf, die Detailaufnahme seines Hosenlatzes.

Wir sehen bildfüllend die Region zwischen Gürtel und Oberschenkeln, umhüllt von blauem Anzugstoff, der sich über dem Geschlechtsteil etwas ausbeult, flankiert von den herabhängenden Armen, die in einem weißen Hemd mit Umschlagmanschetten und einem passenden Jackett stecken. Am Mittelfinger der linken Hand prangt ein goldener Ring und von oben ragt die Südspitze einer rötlich melierten Krawatte in die Szene.

Dieser Close-up auf den Pimmel des verhassten Nazis hat bei der Herstellung und Abnahme des Beitrags bestimmt für einige Heiterkeit gesorgt: angefangen natürlich beim Dreh, über die Sichtung des Materials und den Schnitt bis zu den verschiedenen Stufen redaktioneller Absegnung. So etwas passiert – selbst unter Zeitdruck – stets in Gegenwart vieler Profis. So etwas geht nicht ungesehen oder aus Versehen durch.

Und jetzt? Jetzt hat die Tagesschau das Problem, dass wir (Henryk Broder zuerst) genau hingeschaut haben. Probieren wir mal eine Reihe möglicher Reaktionen durch. Wie wär’s zum Beispiel mit: „Aufgrund eines technischen Fehlers wurde eine unfertige Fassung des Berichts gesendet.“ Ja Leute, aber man nimmt doch nicht von jedem Politiker den Hosenlatz auf – quasi als Testbild, oder? Zweiter Versuch: „Die Aufnahme entstand vor dem Interview, als die Kamera noch nicht gerichtet war, und sollte nur als Platzhalter für eine andere Einstellung dienen.“ Nee, das Bild ist superscharf und perfekt kadriert; da war volle Absicht hinter. Dann vielleicht Nummer drei: „Was soll die Aufregung? Wir haben den Mann schließlich nicht nackt gezeigt. Alle Vorwürfe zeugen von Prüderie.“ Mit dieser Haltung kommt in der Ära von #MeToo allerdings niemand mehr durch.

Also lasst euch was einfallen. Gell, als Gauland die Kleider am Badesee geklaut wurden, da habt ihr euch schwarz geärgert, dass die Tagesschau nicht mit der Kamera dabei war. Nur bedenkt: Wen auch immer ihr untenrum entblößen wollt, wir ziehen euch ebenfalls aus.

Foto: Pixabay

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Claire Müller / 27.09.2019

Wo die Verantwortlichen der ARD einst landen, wird das die einzige heitere Erinnerung sein, die sie haben werden.

Albert Sommer / 27.09.2019

Die ARD ist personell gesehen, zwischenzeitlich durchweg genauso asozial wie seinerzeit das der aktuelle Kamera. Moralisch verkommen bis ins Mark. Wer auf permanenten Brechreiz steht, sitzt bei der ARD wirklich in der allerersten Reihe.

S. Marek / 27.09.2019

Kommentare bitte auf der entsprechender YouTube Webseite “watch?v=SN-zveGTUzg” veröffentlichen und nicht nur hier liebe Kommentatoren! Z.B. wie: Klein aber hohooo….! Öffentlicher Penis-Neid (sieh @ 9:36 - 9:43) bei der ganzen ARD-Hauptstadtstudio Mannschaft gegenüber dem Politiker und Interview Partner dem Herrn Gottschalk von der AfD-MdB. ARD kriegt nicht genug davon, ganze ACHT Sekunden, sexistischer Überfall dem die allgemeine Verurteilung gebührt !!!

Andreas Rühl / 27.09.2019

Toll. Hochinteressant. Geht’s ihnen sonst gut. Wen interessiert so ein Quark?

Werner Kersting / 27.09.2019

Wer sich authentisch und politisch neutral informieren möchte, sollte sich von den ÖR Medien verabschieden. Die politisch einseitige Berichterstattung ist unerträglich. Wir dürfen froh sein, dass es alternative Medien gibt und sollten uns ins Zeug legen, im Freundes- und Bekanntenkreis darauf hinzuweisen. Die ÖR werden, wie auch bereits seit Jahren die Zeitungen und Zeitschriften, dann bald merken, dass das Interesse der Bevölkerung an ihrer unzulänglichen Weitergabe von Informationen, stetig nachlässt. Dr. Maassen hat unlängst den Vorschlag unterbreitet, die Zahlung von GEZ Gebühren einzustellen. Er stimmt hier überein mit der AfD, die diesen Vorschlag auch immer wieder macht. Ob das schon in deren Parteiprogramm steht, müsste man recherchieren. Ich schaue mir schon länger keine Nachrichtensendungen mehr im ZDF oder bei der ARD an und habe keine Entzugserscheinungen. Und ich hoffe, dass es immer mehr werden, die die ÖR ignorieren.    

Uwe Groth / 27.09.2019

Ist ja schon fast wie bei den Nazis. Stürmermanier! Alle Mittel sind recht um die AFD und ihre Vertreter negativ darzustellen. Was ist nur aus dieser BRD geworden? Ich hasse diesen Staat schon genau so, wie ich die DDR gehasst habe!!

Marion Sönnichsen / 27.09.2019

Die ARD tritt wie immer unter die Gürtellinie.

Werner Arning / 27.09.2019

Da fällt mir noch etwas ein. Ich glaube, es war nach den letzten Landtagswahlen. In der abendlichen Wahlsendung. Vielleicht war es allerdings auch im ZDF. Da war ein Schild zu sehen. Direkt hinter dem Interviewten. Da stand so etwas wie „Fremdenfeindlichkeit ist keine Lösung“ oder Ähnliches. An wessen Adresse war das denn gerichtet? Und an wessen Adresse ist nun der Hosenlatz gerichtet? Schön, dass wir so eine neutrale, demokratisch gesinnte Berichterstattung haben beim ÖR. Man könnte sonst fast meinen, die machten Propaganda. Aber in Deutschland haben wir ja die mit am objektivsten berichtenden Medien der Welt. Hab ich mir sagen lassen.

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