Roger Letsch / 03.06.2023 / 10:00 / Foto: Roland Horn / 61 / Seite ausdrucken

Claudia Kemfert: Immer nur „Expertin“, nie Ballkönigin!

Claudia Kemfert ist Expertin dafür, warum die Energiewende noch härter und realitätsfremder hätte vollzogen werden müssen. Hätte man doch nur auf sie gehört! Doch was lesen wir da noch zwischen den Zeilen? Fühlt sich da jemand zu kurz gekommen, weil noch kein Pöstchen herausgesprungen ist? 

Wenn die Energiewende eine Partei wäre, dann natürlich die Grüne. Wäre sie eine Lobbyorganisation, hieße sie „Agora irgendwas“ und als Person würden wir sie einfach Claudia nennen. Claudia Kemfert, Professorin beim DIW und omnipräsentes Wind-und-Solargesicht der Branche. Gelegentlich presst Frau Kemfert ihrer Ideologie einige Zeilen ab, um dem kleinen Bürgerlein „da draußen“ mit einfachen Worten zu sagen, dass man die Energiewende besser Experten wie ihr überlassen möge, damit planvoll Gutes entsteht. Kemfert steht wie niemand sonst in der Claque für einen Sonne-Wind-Maximalismus des „alles und sofort“. Sie glaubt auch, wir hätten jetzt schon Stromspeicher „haufenweise“.

Diesmal lesen wir Kemferts Gedanken seltsamerweise nicht offen in Welt, Zeit oder der ARD, sondern hinter der Bezahlschranke im „Freitag“, dem sie ein Interview gab. „Uns wurden Lügen aufgetischt“, titelt es uns entgegen, und der Leser reibt sich verwundert die Augen. Lügen? In der Energiewende? Kann das denn möglich sein? Hat Claudia Kemfert im letzten Moment die Seiten gewechselt und hält ab sofort kritische Vorträge bei EIKE? Sehen wir mal nach…

„Der Freitag“ hat Pepe Egger die Aufgabe übertragen, Kemfert zu interviewen, also jemandem, der durchaus andere Maßstäbe an das Gebaren von Aktivisten und Politikern anlegt, wenn deren Ziele nur die richtigen sind – also der Klimarettung dienen. So neulich auch in der Causa Graichen. Eine Schwäche hätten sie da vielleicht, die Grünen, so schreibt er. Das sei doch aber kein Filz! Für Kemfert, die großen Wert auf ihren Expertenstatus zu legen scheint, legt Egger sofort den roten Teppich aus. Er wirft Wattebäuschchen, sie lässt sich zu ihm herab. Der Freitag säuselt:

„Energieökonomie, das ist normalerweise was für Eingeweihte und Spezialisten, es geht da um Sachen wie die Bilanzkreisabrechnung Strom oder die Merit Order des deutschen Kraftwerkparks.“ 

Anlass des Gesprächs ist vordergründig Kemferts neues Buch „Schockwellen“, welches jedoch keinesfalls eine Generalabrechnung mit der Energiewende ist, sondern ein besserwisserisches „zu wenig, zu zaghaft, zu langsam“, also ein einziges Lamento über „verpasste“ Gelegenheiten, blindlings in die eine oder andere energetische Sackgasse zu rennen.

Der Freitag: „Frau Kemfert, Sie versuchen, die Irrtümer und Irrwege der deutschen Energiepolitik der letzten Jahrzehnte aufzuarbeiten, also all die Entwicklungen, die zur Gaskrise geführt haben, in der wir immer noch stecken.“

Der Rollenwechsel ist bereits in der Frage vollzogen. Von der Vordenkerin (manche würden sagen: Einpeitscherin) der Energiewende zur Chefermittlerin eines verunfallten Großprojekts, die nun aufzuarbeiten hat, was andere verbockt haben. Dabei passt zwischen Kemfert und die politischen Fehlentscheidungen der letzten Dekade kein Stromablesezettel.

Die Hätte-Kette

Doch in Kemfert steckt eine Rebellin, und die will nun raus. Und der Freitag macht den Weg frei: Wer hätte denn all das ahnen könne, den Krieg, dass Putin seine Rohstoffe als Waffe einsetzt, dass wir uns in Abhängigkeiten begeben… natürlich Kemfert!

„Wir hätten wissen müssen, dass uns die Abhängigkeit von einem Lieferanten und die Abhängigkeit von fossilen Energiequellen erpressbar macht. Ich persönlich, aber auch viele andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben in Studien und durch öffentliche Stellungnahmen immer wieder gewarnt, dass wir die Nord-Stream-Pipelines bauen – aufgrund von künstlich hoch gerechneten Gasbedarfen, für die es keine Grundlage gab.“

Wir lernen: Wenn wir nur gleichzeitig und zügig aus allen fossilen Energieträgern und der Kernenergie ausgestiegen wären, säßen wir jetzt im Energieparadies. Und zwar ganz ohne Abhängigkeiten, denn die Rohstoffe, aus denen Windräder, Solarzellen und Wärmepumpen gebaut werden, bestellen wir bei Wish und Lieferando! Nur leider… die „fossile Lobby“, die in allen Bundesregierungen sitzt, wollte es anders, so Kemfert.

Der Freitag: „Wie war das möglich?“

„Uns wurden Lügen aufgetischt, ganz einfach. Die Realität wurde verweigert, Erkenntnisse unter den Tisch gekehrt. Ich habe mein Buch geschrieben, um die Verantwortlichen für diese Entwicklung zu benennen: Also diejenigen, die sich für fossile Abhängigkeiten eingesetzt haben, weil sie daran verdient haben, und diejenigen, die zugleich die Energiewende ausgebremst haben, obwohl sie uns von fossilen Energiequellen unabhängig gemacht hätte. Es sind mehrere, aufeinander folgende Regierungen, die dafür verantwortlich sind. Es ist die Industrie, also bestimmte Unternehmen, die uns sehenden Auges in diese Misere geführt haben. All diese Verantwortlichen haben sich bis heute nicht entschuldigt. Die Bevölkerung zahlt jetzt einen gigantisch hohen Preis dafür.“

Moment mal! Wer hat gelogen? Hätten wir die vielen Gaskraftwerke gar nicht gebraucht, mit denen der volatile Solar- und Windstrom geglättet werden muss? Die Beschuldigten reiben sich gerade verblüfft die Augen. Dreht die Schildmaid der Energiewende gerade Ursache und Wirkung um? Sicher, die Beschaffungskosten für Gas, dem nie genannten Zwilling von Solar- und Windstrom, sind durch den Krieg noch weiter gestiegen, was den ohnehin hohen Strompreis befeuert. Kemfert behauptet jedoch, Energie wäre heute viel billiger, wenn wir nur ganz auf „fossile“ verzichten würden. Selbst die Grünen, die der verblendete Wähler in die Exekutive gebracht hat, müssen am Ende der physikalischen Realität einen Spalt breit die Türe öffnen und die Backups ihrer „Erneuerbaren“ teilweise mit Gas zu betreiben – und sei es mit russischem Gas, das heute in Form von LNG zu uns kommt, nachdem es vorher durch genug Hände und Taschen gegangen ist und „gereinigt“ wurde. Warum nur versucht Kemfert gerade, selbst Habeck noch an Eifer zu übertreffen? Doch dann bemerkte ich im Interview diesen kleinen Wortwechsel und es fiel mir wie Schuppen von den Augen:

Freitag: „Hört man jetzt auf Sie?“

Kemfert: „Nein.“

Freitag: „Echt nicht?“

Kemfert: „Im Gegenteil.“

Zu kurz gekommen

Ich verlasse hier den Boden gesicherter Erkenntnis, denn Frau Kemfert spricht es an keiner Stelle laut aus: Sie fühlt sich einfach zu kurz gekommen in der Ampelregierung! Jahrelang tingelte sie als Expertin durch sämtliche Mainstream-Medien und ruft „Sektorkopplung“, „virtuelle Kraftwerke“, und „die Energiewende gelingt“, und dann springt für sie nicht mal ein Posten als Staatssekretärin heraus! Sie geht leer aus, obwohl sie mit jedem grünen Parteikader per Du ist. Dabei läuft sie sich seit mehr als zehn Jahren warm für Regierungsverantwortung und taucht in Schattenkabinetten aller Couleur auf. Erst 2012 bei Norbert Röttgens (CDU) in NRW, dann neben Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD) in Hessen. Doch es nützte alles nichts. Immer „Expertin“, nie Ballkönigin! Die politische Flexibilität und das fehlende Parteibuch verschafften ihr noch immer keinen Zugang zum grünen Wirtschaftsministerium. Man hört ihr nicht zu, sucht ihren Rat nicht, den familiären Verbindungen in der Agora-Welt hat sie nichts entgegenzusetzen.

Sie redet vom „Shitstorm“, den ihr Buch ausgelöst habe und behauptet, der sei die Rache dafür, dass sie es schrieb. Das klingt seltsam, weil es unterstellt, das Buch enthielte Substanzielles, etwas, das Kritikern oder Herolden der Energiewende bisher entgangen sei. Doch das Buch ist vielleicht selbst nichts anderes als die versuchte (und missglückte) Rache an jenen, die Kemferts Rat schneiden und ihr einen Platz an den (freilich veganen) Fleischtöpfen der Macht verwehren. Dann lieber aussteigen aus dem großen, stotternden Elektrobus namens Ampel und von der Seitenline aus halb resigniert, halb hoffnungsvoll der Energiewende beim Scheitern zusehen.

Denn hätte man auf die Claudia gehört und die Große Transformation noch härter, noch schneller und noch faktenferner durchgezogen, wäre sie sicher gelungen! Warum also mit Habeck und Co. untergehen, wenn am Horizont schon die nächste Regierung erkennbar wird? Ein grünes Parteibuch könnte schon bald sehr viel weniger wert sein als heute und mit ihr als Staatssekretärin oder gar Energieministerin kann die nächste Energiewende – diesmal natürlich die richtige, die totale – nur gelingen! Ob zum Beispiel der Merz der Kemfert eine solche Dolchstoßlegende abkaufen würde? Viel Glück beim nächsten Mal, Frau Kemfert! Und noch mehr Glück uns allen, wenn Sie es eines Tages bis an die Hebel der Macht schaffen sollten…

 

Roger Letsch ist aufgewachsen in Sachsen-Anhalt, als dieses noch in der DDR lag und nicht so hieß. Er lebt in der Nähe von und arbeitet in Hannover als Webdesigner, Fotograf und Texter. Sortiert seine Gedanken in der Öffentlichkeit auf seinem Blog  unbesorgt.de“, wo auch dieser Beitrag zuerst erschien.

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Leserpost

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Hans Bendix / 04.06.2023

Nun, war es nicht die besagte, die vor Jahren einen drastischen Ölpreisanstieg voraussagte - “mit massiven Folgen für die Volkswirtschaft, das produzierende Gewerbe, Handwerk und den Einzelhandel”? - Und, als der Ölpreis kurz danach dramatisch in den Keller ging, hat sie da nicht erklärt, warum es unmöglich sei, die Ölpreisentwicklung vorherzusagen? - Die Frau hat so wenig mit Wissenschaft am Hut, wie die Kuh mit dem Sonntag. Es handelt sich dabei wohl um eine “mademoiselle de plaisir”, die ihre Gunst jenen schenkt, die ihr Beachtung schenken.

Hans-Peter Dollhopf / 03.06.2023

Gegen Lachnummern wie Baerbock, Lang oder Göring-Eckardt vom grünen Inkompetenznetzwerk hatte die Kemfert nie eine Chance. IQ ist eben nicht entscheidend. Nur weil sie grünen Unfähig-Standards ihre natürliche kognitive Überlegenheit zwecks Auffrischung anbiederte, wurde sie nicht automatisch Protzstute vom Stall. Sie hat sicher Potenzial, nur das auf dem falschen Roulttefeld plaziert. Und nun ist sie halt auch nicht mehr die Jüngste. Sie soll sich zufriedengeben mit was sie errafft hat ... und tschüss.

Peter Schulze / 03.06.2023

Frau Prof. Dr. Claudia Kemfert trägt eine hohe Verantwortung für das Scheitern der Energiewende und den kommenden katastrophalen Folgen. Seit Jahren bieten ihr die MSM eine breite Plattform. Hier verbreitet sie an die gläubigen Medienkonsumenten ihre ideologisch gefärbte Meinung. Ihre „Erkenntnisse“ stehen aber kontrafaktisch zur Physik, Ingenieurwissenschaften und anerkannter Technik. Wenn Ideologie auf Physik trifft, gewinnt die Physik.

Gottfried Meier / 03.06.2023

Die glaubt anscheinend tatsächlich, dass sie eine Wissenschaftlerin ist.

Michael Scheffler / 03.06.2023

Sie hat doch schon ein Pöstchen? Immerhin ist sie mit Nullahnung der Erhaltungssätze ProfX geworden…

Gerald Schwetlik / 03.06.2023

Ich habe sie immer Annalena Baerbock mit Bildung genannt, aber die Kemfert ist genauso ideologisch verkorkst und bekommt selbst die einfachsten Zusammenhänge nicht gebacken. Dumm wie Brot. Aber wesentlich gefährlicher, denn eigentlich hören ihr die Leute seit Jahren zu. Ihre ständige Präsens auf allen Kanälen hat schon ordentlich Schaden angerichtet.

Didi Hieronymus Hellbeck / 03.06.2023

Sie hat so etwas Günter-Netzer-artiges an sich (nicht nur wegen der Frisur). Ich könnte sie mir als Ehrenspielführerin der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vorstellen. Dort würde man auch auf sie hören. Bin mir sogar ziemlich sicher: mit der Kemfert und den Armbinden kommen wir bei der nächsten WM unter die letzten 32.

H. Hoffmeister / 03.06.2023

Die Dame ist ....., ja was eigentlich ?

J. Eggers / 03.06.2023

Claudia Kemfert hat ja gerade Ende April eine Kolumne veröffentlich, wo schon der Titel „Das Gift des Zweifels“ ein echter Knüller ist und womit sie sich in klaren Worten als das outet, was sie ist: keine Wissenschaftlerin, sondern das genaue Gegenteil: Priester der Klimareligion. Alles, was nicht in ihr Weltbild passt, ist Desinformation und Verschwörungstheorie und wer es wagt, zu zweifeln, schadet der Wissenschaft und der Demokratie. Ein wirklich gruseliger Text! Was sie jetzt in diesem Freitag-Interview von sich gegeben hat scheint auch erneut zu bestätigen, dass Logik und Technik nicht ihre Stärken sind und dass sie jetzt höchstens versucht, ihren Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen und andere für das Desaster verantwortlich zu machen.

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