Nach dem brutalen Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch auf dort friedlich lebende und gut integrierte Muslime scheint zunächst eine Differenzierung der im Raum stehenden Aspekte angezeigt. Es gilt zu erkennen, was tatsächlich der Aufarbeitung dient und wo hingegen wieder in parteipolitischem Interesse instrumentalisiert wird.
In der bisherigen Gesamtschau entsteht der Eindruck, dass der öffentlich zur Schau gestellte Terror für den „ethno-nationalistischen Öko-Faschisten“, wie es in seinem Manifest heißt, auch ein Spiel ist. Die Grausamkeit scheint den Kitzel am Spiel mit den Menschen noch zusätzlich herauszufordern. Prinzipiell, in abgeschwächter Form, scheint das auch Umgangsmittel der „Troll-Kultur“ zu sein.
Sascha Lobo prägt im Spiegel den Begriff des „Troll-Terroristen“ und meint zu dessen Manifest:
„Jeder Satz kann ironisch gemeint sein, nur zur Provokation geschrieben oder um Verwirrung zu stiften … Mein Wissen um diese Mechanismen und die Troll-Kultur bedeutet leider nicht, dass ich mit einhundertprozentiger Sicherheit sagen kann, nicht auf einzelne Lügen, Scherze oder Trollereien des Attentäters hereinzufallen.“
Selbst der Journalist Kevin Roose von der New York Times rate dringend zur Vorsicht „Ernsthaft, das ganze Ding ist ein Minenfeld. Ich bin sehr online und ich fühle mich nicht 100% sicher, was echt ist und was nur Trollerei, Zurschaustellung, Medienköder ist. Bitte seid vorsichtig.“
Die weitere Analyse von Lobo ist geprägt von persönlichen Thesen, denen man zustimmen kann, aber nicht muss. Die Erfahrung spricht zum Beispiel gegen die pauschale Feststellung: „Dieses existenzielle Gefühl eines vermeintlichen Kollektivs ist notwendig, um das eigene Leben als vernachlässigbar betrachten zu können.“ Das können auch Einzelgänger und Idealisten, siehe etwa die zahlreichen Widerstandskämpfer im Nationalsozialismus.
Eine Warnung von 2015
Lobos Argumentation zielt darauf, die mediale Erzählung von sich rasant ausbreitenden rechtsextremistischen Netzwerken zu unterfüttern – ob das stimmt oder nicht, kann hier nicht beurteilt werden, allenfalls vermutet: Man erinnere sich an diese Warnung vom Oktober 2015 zur unkontrollierten Zuwanderung: „Die deutschen Sicherheitsbehörden sind und werden nicht in der Lage sein, die importierten Sicherheitsprobleme" und entstehende Reaktionen aufseiten der deutschen Bevölkerung zu lösen: „Wir werden eine Abkehr vieler Menschen vom Verfassungsstaat erleben“.
Nahmen die Journalisten beim Spiegel diese Warnung nicht ernst oder gingen sie einfach davon aus, die „entstehenden Reaktionen aufseiten der deutschen Bevölkerung“ werden sich eins zu eins decken mit ihren eigenen? Oder sind sie gar der Meinung, die Bildung rechtsextremer Strukturen habe mit den Folgen der verantwortungslosen Zuwanderungspolitik überhaupt nichts zu tun? Denkt man überhaupt darüber nach respektive darf man das?
Offenbar nicht, so die Lesart des Spiegel-Autors: „Gleichzeitig verbreitet die BZ das Narrativ, es handele sich um eine Gegenreaktion ... Es ist eine Titelseite, die sich der rassistische Massenmörder schöner nicht hätte wünschen können. Die BZ hat damit den medialen Teil des Attentats vollendet“ .
Die Berliner Zeitung begründet indes sehr wohl ihren Aufmacher unter dem Titel „Wollte der Moschee-Killer die Toten vom Breitscheidplatz rächen?“: „Die Polizei holte später mehrere Gewehre aus seinem Auto, auf einem stand: ‚For Berlin‘. Tötete er die Menschen in der Moschee auch aus Rache für den Anschlag vom Breitscheidplatz?“ Lobo jedenfalls resümiert: Man dürfe „nicht den Schock als Einzeltat einsortieren und kommunizieren, sondern als Ergebnis einer gefährlich weit verbreiteten Ideologie – siehe NSU“.
Mit dem Ruf nach weiteren Geldströmen für den „Kampf gegen Rechts“ kann insofern gerechnet werden – für Vereine, die nie direkt Überzeugungsarbeit mit radikalisierten Leuten betreiben, sondern diese oftmals ganz konkret von Veranstaltungen ausschließen. Die Bürger bezahlen mit ihrem Steuergeld lediglich das gegenseitige Auf-die-Schulter-klopfen irgendwelcher opportunistischer Aktivisten, die mit ewig selben Parolen kritische Zeitgenossen diffamieren.
Ist das Internet schuld?
Netzaffine werden vielleicht den Titel des Schweizer Blicks nicht mögen: „So formte das Internet den Christchurch-Attentäter.“ Die Gefahr der technischen Kommunikation lässt sich allerdings besonders hier nicht verharmlosen. Der Täter bediente sich des Internetforums „8chan“ für seine widerwärtige Aktion. „Das Internet-Forum bezeichnet sich selbst als ‚die dunkelsten Tiefen des Internets‘ … anstatt von dem Massaker abzuraten, gossen die Forum-Teilnehmer lieber Benzin ins Feuer und spornten Tarrant während des Livestreams an … ‚8chan‘ hat keinerlei Regeln, die User können sich hinter vollkommener Anonymität verstecken. Die Macher pochen auf Meinungsfreiheit und kontrollieren nicht, was darauf gepostet wird. Erlaubt ist alles, Tabus gibt es keine.“
Trotzdem meint ein Leser: „Blödsinn. Das Internet formt gar niemanden zum Terroristen. Sondern das Internet ist eine Wissensquelle, aus der sich jede Person alles rauspicken kann, was diese wissen will. So kann sich jeder das gewünschte Wissen aneignen und niemand wird benachteiligt. Dies ist ein riesiger Vorteil gegenüber den früheren Zeiten. Was die Leute dann damit machen, wird von anderen Quellen beeinflusst.“ Man kann davon ausgehen, dass beide Seiten teilweise recht haben.
Auffallend ist die mediale Verbreitung, Facebook und Youtube hätten nach dem Streaming des Anschlags „total versagt“ und die Verbreitung des Videos nicht schnell genug gestoppt. Die Netzwerke sollten doch die von Nutzern hochgeladenen Beiträge erst überprüfen, bevor sie diese zur Veröffentlichung freigeben. Es klingt durch: Mit Uploadfiltern wäre das nicht passiert. Und in der Tat schreibt die NZZ: „Über derartige neue Gesetze brüten derzeit Gesetzgeber von Washington bis Brüssel, denn seit langem kritisieren Beobachter, die sozialen Medien hätten keine Kontrolle über das, was auf ihren Seiten geschehe. Der jüngste Anschlag dürfte sie in dieser Ansicht bestärkt haben.“
Tatsächlich hat Facebook nach eigenen Angaben in den ersten 24 Stunden nach dem Anschlag 1,5 Millionen Videos der Tat gelöscht. Ein starkes Pensum. Dennoch tritt evangelisch.de nochmal kräftig nach: „Nach solchen Taten sollte man die Opfer in den Mittelpunkt stellen.“ Der Autor tut dann genau das nicht: „Trotzdem möchte ich auch die Mechanismen verstehen, die der Rassist von Christchurch zur Verbreitung nutzte. Denn das muss verhindert werden.“ Betreiber und Moderatoren von Plattformen hätten „in diesem Fall mal wieder spektakulär versagt“ und würden ihrer Verantwortung nicht gerecht, „Menschen vor Schaden zu schützen“. Unverschämt dann die pauschale Unterstellung: „Die komplett nutzergetriebenen Foren … wollen rechts- und moralfreie Räume sein … Gerade die Glaubenssätze rechter Nationalisten und weißer Vorherrschaft finden dort eine Heimat.“
Was die Leser und ein Internet-Forscher meinen
Auf diesen Focus-Artikel hin gingen etliche Leserkommentare ein:
„Was muss noch passieren, bis diese asozialen Netzwerkdienste endlich dicht gemacht werden?“ Antwort: „Youtube und Co. dicht machen? Sie würden vermutlich auch den Buchdruck verbieten. Immerhin kann man damit ja auch pornografisches Material, Hetzschriften und der gleichen verbreiten. Das Problem liegt hier grundlegend nicht bei Youtube, sondern bei den Nutzern, welche so einen Mist hochladen.“
„Das Resultat solchen Wahnsinns kann nicht sein, dass Millionen Benutzer in ihrer Freiheit beschränkt werden, um wenige Wahnsinnige daran zu hindern. Übrigens: Die geforderten Upload-Filter der EU hätten es auch nicht verhindert.“
„Wenn die Bilder doch live zu sehen waren, warum haben die Behörden sie dann nicht gesehen und waren schnell am Tatort? … Warum hat kein Journalist davon etwas mitbekommen und die Behörden informiert? Facebook und Youtube hier Versagen vorzuwerfen, greift zu kurz.“
„Jetzt habe ich es endlich kapiert! Nicht das mörderische Delikt ist das schlimme Vergehen, sondern dass die sozialen Medien den Stream zu spät rausgenommen haben.“
„Selten dummer Artikel - Sowas schreibt man nur, wenn man null Ahnung hat. Wo versagt denn Youtube? Wie soll man denn Upload von Videos auf einer Plattform zum Upload von Videos am besten noch instant verhindern?“
„Unsagbar schlechter Artikel. Man sucht wie immer nur allzu gerne einen Schuldigen für was auch immer. Mal ein Zitat aus dem Artikel: ‚...aber wohl viel zu langsam reagiert. Wie lange das 17-minütige Video bei Facebook online war, ist nicht bekannt.‘ Erkennt der Autor hier den Widerspruch? Dann wird noch die Möglichkeit einer Zensur durch vorherige Kontrolle angesprochen. Das ist natürlich genauso Quatsch. Einen solchen Vorfall, so schlimm er ist, muss ein freies und offenes Medium von Zeit zu Zeit aushalten.“
Internetforscher Stefan Humer spricht sich dafür aus, resilienter zu werden: „Jedes Individuum kann übers Internet theoretisch Milliarden von Menschen erreichen. Das gilt auch für Terroristen. Damit muss man leben lernen“, mahnt er zum freiwilligen Verzicht darauf, solche Videos anzuschauen. „Man kann natürlich nach jedem Vorfall den großen Rundumschlag vornehmen und alles, was irgendwie beteiligt war, verbieten: die Musik, die der Täter abspielte, die Livestream-Funktion, die er nutzte ... doch das wäre nicht nur ein politisches Armutszeugnis, sondern auch sinnlos. Die Erfindungen sind in der Welt, und sie bewirken ja auch weit überwiegend Gutes. Technische und rechtliche Ansätze sind da nachrangig, weil sie ohnehin keine finale Lösung bieten.“
Gerade bei Gewaltvideos seien technische Lösungen nur „extrem schwer umzusetzen, weil nicht einfach erkennbar ist, ob es sich um reale Gewalt oder fiktionale Gewalt wie in Filmen handelt“. Das wäre nicht zuletzt ein Gegenargument bei eventueller Instrumentalisierung des Terroranschlags für Uploadfilter im Rahmen der EU-Urheberrechtsreform.
Dieser Beitrag erscheint auch auf auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel.