Um Menschen mit anderen Glaubensrichtungen nicht vor den Kopf zu stoßen, werben einige Baumverkäufer nicht mit Christbäumen, sondern mit Weihnachtsbäumen.
Das Christkind hat längst auf breiter Front den Rückzug angetreten und die weihnachtliche Deutungshoheit an den Weihnachtsmann abgetreten. Ein armseliges Kind in einem armseligen Futtertrog, von dem nur noch eine Minderheit annimmt, dass es sich dabei um Gott handelt, macht ja auch wenig her. Ganz anders der Weihnachtsmann mit seinem weißen Rauschebart, dem roten Kostüm und der gütigen Hohoho-Opa-Attitüde, der sich in der neuesten Version der Coca-Cola-Weihnachtswerbung im Fitnessstudio den Wanst abtrainiert. Nicht dass man auf den Gedanken kommen könne, dass Coca-Cola etwas Ungesundes sei.
Zurück zum Christkind, dem es jetzt auch in der semantischen Kopplung mit dem weihnachtlichen Nadelbaum an den Kragen geht. Vor allem in Süddeutschland, namentlich in Bayern, ist häufig noch vom Christbaum die Rede, wenn ein Weihnachtsbaum gemeint ist. Doch das ändert sich gerade auch im einst so christkatholischen Bayernland – es könnte sich ja jemand diskriminiert fühlen.
Derzeit rüsten sich nicht nur die bayerischen Christbaumanbauer für das bevorstehende Geschäft, das nun wirklich noch ein Saisongeschäft ist. Jedenfalls ist außer „Dick & Doof“ noch niemand auf die Idee gekommen, Weihnachtsbäume im Sommer zu verkaufen.
Schützenhilfe von Hubert Aiwanger
In Bayern gibt es laut jüngster Verlautbarung des Vereins bayerischer Christbaumanbauer e.V. rund 400 Betriebe, die die Bevölkerung mit festlichem Grünzeug und dem Gütesiegel „Geprüfte Qualität – Bayern“ beliefern. Die Preise lägen dieses Jahr bei knapp 23 Euro pro Meter, also etwa auf dem Niveau von vor einem Jahrzehnt, wobei man fast von Preisstabilität sprechen kann. Zum Glück brauchen Tannenbäume kein Erdgas zum wachsen, sondern nur gutes CO2 und relativ kostengünstiges Sonnenlicht.
Aus verständlichem Geschäftsinteresse kämpft der Verein dafür, dass der Brauch, zum Weihnachtsfest einem echten, immergrünen Baum Asyl im Wohnzimmer zu gewähren, nicht dem Ökologismus zum Opfer fällt. „Es ist ein Irrglaube, dass nicht gefällte Bäume CO2 speichern, denn wenn die Nachfrage sinkt, werden die Bäume erst gar nicht gepflanzt“, sagte Thomas Emslander, Vorsitzender des Vereins, der nicht aus dem Emsland stammt, sondern aus „dem tiefsten Niederbayern“, wie er der „Achse des Guten“ anvertraute. Schützenhilfe gab es von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger: „Der Christbaum ist wichtig, christlich und ökologisch.“
Wenn man solchermaßen an einer Front gegen den Zeitgeist kämpft, muss man demselben an anderer Stelle, wo es vielleicht weniger weh tut, das eine oder andere Zugeständnis machen. Um auch „Menschen anderer Glaubensrichtungen“ anzusprechen, würden „einige Verkaufsstellen“ nicht mehr mit Christbäumen werben, sondern mit Weihnachtsbäumen, sagte Emslander laut „Münchner Merkur“. Eine Empfehlung seitens des Vereins gebe es zwar nicht, doch sei die Bezeichnung Weihnachtsbaum „neutraler“ und werde von mehr Menschen angenommen.
Die Flexibilität der bayerischen Weihnachtsbaumwirtschaft
Doch ist Weihnachten trotz fortschreitenden Glaubensverlustes nicht immer noch ein irgendwie christliches Fest? Sogar eines, dessen Bedeutung der Mehrheit der Bevölkerung durchaus bekannt ist, anders als bei Pfingsten, das nur die Hälfte der Befragten einer Umfrage zufolge noch mit dem Heiligen Geist in Verbindung bringen? Weihnachten als Fest von Christi Geburt ist immerhin noch 92 Prozent ein Begriff.
Emslander beteuert zunächst im Achse-Interview, selbst getauft zu sein, meint dann jedoch, man müsse sich den Tatsachen stellen. Die Zusammensetzung der Gesellschaft habe sich geändert. Und wenn sich grob geschätzte fünfzehn bis zwanzig Prozent potenzieller Christbaumkäufer an dieser Bezeichnung stören könnten, sei das „in einer Marktwirtschaft schon ein Thema“. Erhebungen dazu gibt es zwar nicht, doch zeigt die Causa, wie flexibel sich auch die bayerische Weihnachtsbaumwirtschaft an sich ändernde gesellschaftliche Verhältnisse anzupassen versteht.
So ein Weihnachtsbaum braucht bis zu zwölf Jahre, um auf eine Größe von 1,80 Metern zu kommen, was in etwa dem Standard entspricht. Heutige Jungbäume erleben vielleicht sogar noch das Ende des Papsttums und die Umwidmung der Peterskirche in eine Moschee. Der Weihnachtsbaum soll ohnehin eine Erfindung der Urtürken aus der zentralasiatischen Steppe sein, von wo ihn die Hunnen auf ihren Schlachtrössern nach Europa brachten.
Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.