Georg Etscheit / 01.12.2024 / 16:00 / Foto: K.I / 12 / Seite ausdrucken

Christbaum adé – könnte ja jemanden stören

Um Menschen mit anderen Glaubensrichtungen nicht vor den Kopf zu stoßen, werben einige Baumverkäufer nicht mit Christbäumen, sondern mit Weihnachtsbäumen.

Das Christkind hat längst auf breiter Front den Rückzug angetreten und die weihnachtliche Deutungshoheit an den Weihnachtsmann abgetreten. Ein armseliges Kind in einem armseligen Futtertrog, von dem nur noch eine Minderheit annimmt, dass es sich dabei um Gott handelt, macht ja auch wenig her. Ganz anders der Weihnachtsmann mit seinem weißen Rauschebart, dem roten Kostüm und der gütigen Hohoho-Opa-Attitüde, der sich in der neuesten Version der Coca-Cola-Weihnachtswerbung im Fitnessstudio den Wanst abtrainiert. Nicht dass man auf den Gedanken kommen könne, dass Coca-Cola etwas Ungesundes sei.

Zurück zum Christkind, dem es jetzt auch in der semantischen Kopplung mit dem weihnachtlichen Nadelbaum an den Kragen geht. Vor allem in Süddeutschland, namentlich in Bayern, ist häufig noch vom Christbaum die Rede, wenn ein Weihnachtsbaum gemeint ist. Doch das ändert sich gerade auch im einst so christkatholischen Bayernland – es könnte sich ja jemand diskriminiert fühlen.

Derzeit rüsten sich nicht nur die bayerischen Christbaumanbauer für das bevorstehende Geschäft, das nun wirklich noch ein Saisongeschäft ist. Jedenfalls ist außer „Dick & Doof“ noch niemand auf die Idee gekommen, Weihnachtsbäume im Sommer zu verkaufen.

Schützenhilfe von Hubert Aiwanger

In Bayern gibt es laut jüngster Verlautbarung des Vereins bayerischer Christbaumanbauer e.V. rund 400 Betriebe, die die Bevölkerung mit festlichem Grünzeug und dem Gütesiegel „Geprüfte Qualität – Bayern“ beliefern. Die Preise lägen dieses Jahr bei knapp 23 Euro pro Meter, also etwa auf dem Niveau von vor einem Jahrzehnt, wobei man fast von Preisstabilität sprechen kann. Zum Glück brauchen Tannenbäume kein Erdgas zum wachsen, sondern nur gutes CO2 und relativ kostengünstiges Sonnenlicht.

Aus verständlichem Geschäftsinteresse kämpft der Verein dafür, dass der Brauch, zum Weihnachtsfest einem echten, immergrünen Baum Asyl im Wohnzimmer zu gewähren, nicht dem Ökologismus zum Opfer fällt. „Es ist ein Irrglaube, dass nicht gefällte Bäume CO2 speichern, denn wenn die Nachfrage sinkt, werden die Bäume erst gar nicht gepflanzt“, sagte Thomas Emslander, Vorsitzender des Vereins, der nicht aus dem Emsland stammt, sondern aus „dem tiefsten Niederbayern“, wie er der „Achse des Guten“ anvertraute. Schützenhilfe gab es von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger: „Der Christbaum ist wichtig, christlich und ökologisch.

Wenn man solchermaßen an einer Front gegen den Zeitgeist kämpft, muss man demselben an anderer Stelle, wo es vielleicht weniger weh tut, das eine oder andere Zugeständnis machen. Um auch „Menschen anderer Glaubensrichtungen“ anzusprechen, würden „einige Verkaufsstellen“ nicht mehr mit Christbäumen werben, sondern mit Weihnachtsbäumen, sagte Emslander laut „Münchner Merkur“. Eine Empfehlung seitens des Vereins gebe es zwar nicht, doch sei die Bezeichnung Weihnachtsbaum „neutraler“ und werde von mehr Menschen angenommen.

Die Flexibilität der bayerischen Weihnachtsbaumwirtschaft

Doch ist Weihnachten trotz fortschreitenden Glaubensverlustes nicht immer noch ein irgendwie christliches Fest? Sogar eines, dessen Bedeutung der Mehrheit der Bevölkerung durchaus bekannt ist, anders als bei Pfingsten, das nur die Hälfte der Befragten einer Umfrage zufolge noch mit dem Heiligen Geist in Verbindung bringen? Weihnachten als Fest von Christi Geburt ist immerhin noch 92 Prozent ein Begriff.

Emslander beteuert zunächst im Achse-Interview, selbst getauft zu sein, meint dann jedoch, man müsse sich den Tatsachen stellen. Die Zusammensetzung der Gesellschaft habe sich geändert. Und wenn sich grob geschätzte fünfzehn bis zwanzig Prozent potenzieller Christbaumkäufer an dieser Bezeichnung stören könnten, sei das „in einer Marktwirtschaft schon ein Thema“. Erhebungen dazu gibt es zwar nicht, doch zeigt die Causa, wie flexibel sich auch die bayerische Weihnachtsbaumwirtschaft an sich ändernde gesellschaftliche Verhältnisse anzupassen versteht.

So ein Weihnachtsbaum braucht bis zu zwölf Jahre, um auf eine Größe von 1,80 Metern zu kommen, was in etwa dem Standard entspricht. Heutige Jungbäume erleben vielleicht sogar noch das Ende des Papsttums und die Umwidmung der Peterskirche in eine Moschee. Der Weihnachtsbaum soll ohnehin eine Erfindung der Urtürken aus der zentralasiatischen Steppe sein, von wo ihn die Hunnen auf ihren Schlachtrössern nach Europa brachten.

 

Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.

Foto: K.I

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

W. Renner / 01.12.2024

Gütesiegel „Geprüfte Qualität – Bayern“ Hat das mal jemand geprüft? Der weltweit grösste Christbaumlieferant ist Dänemark.

Sam Lowry / 01.12.2024

p.s.: Und auf die Wintermärkte mit Merkel-Pollern könnte ihr Vollhonks alleine gehen… nichtmal 10 Cent für Halb-Affen…

Sam Lowry / 01.12.2024

ich habe heute vor dem Haus einen Baum mit Kugeln, Glocken, Lichterkette und Lamettta geschmückt. Wer das abmacht, der geht in Werk 2 mit seinen 72 Jungfrauen im schönen Wüstenzelt. Ich habe hier ne Kamera. Ich sags nur…

Martin Hahn / 01.12.2024

“Jedenfalls ist außer „Dick & Doof“ noch niemand auf die Idee gekommen, Weihnachtsbäume im Sommer zu verkaufen.” Das kann so nicht stehenbleiben, denn das ist schlicht falsch. Mag hier zwar unwichtig sein. Der Film “Big Business”, um den es hier geht, spielt in Kalifornien. Dort scheint auch im Winter gerne und oft die Sonne. An keiner einzigen Stelle im Film wird etwas von Sommer gesagt. Dass es dort Winter ist, erkennt man eindeutig an den langen Schatten. So blöd sind selbst Stan & Ollie nicht. Sorry, aber das musste ich als langjähriger Fan der beiden mal loswerden.

T. Schmidt-Eichhorn / 01.12.2024

Wem auch Weihnachtsbaum noch zu christlich klingt, kann doch - in Analogie zur “Jahresendfigur mit Flügeln” - einfach vom “Jahresendbaum” sprechen.

L. Luhmann / 01.12.2024

Warum kriechen die Leute? Wissen die nicht, dass sie damit wohlverdiente Verachtung auf sich ziehen?

George Samsonis / 01.12.2024

Christbaum oder Weihnachtsbaum, das ist Wortklauberei. Im Süden heißt der Baum Christbaum und im Norden Weihnachtsbaum. Im Süden kommt das Christkind mit den Geschenken, im Norden der Weihnachtsmann. Solange der Baum nicht “Jahresendzeitbaum”, analog zur “Jahresendzeitflügelfigur” im sog. “Osten” genannt werden muss, ist alles in Ordnung,  Christbaum oder Weihnachtsbaum. Es gilt das Christentum zu feiern und zu verteidigen gegen die dräuenden Horden! Also: Kauft Kerze und Lichterketten und lasst sie leuchten FÜR UNSERE Lebensweise! Der leuchtende Stern von Bethlehem hat den drei Weisen aus dem Morgenland den richtigen Weg gewiesen!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 12.01.2025 / 13:00 / 5

Cancel Cuisine: Acker statt Universum

Kimbal Musk, Elons Musks kleiner Bruder, will die Ernährungsweise der US-Bürger umkrempeln Der Multimilliardär und künftige oberste Bürokratiebekämpfer der Trump-Administration, Elon Musk, mischt die hinter…/ mehr

Georg Etscheit / 06.01.2025 / 06:15 / 54

Dackel sind jetzt auch rechts

Im Zuge des Kulturkampfes pinkelt jetzt auch der Dackel an die Brandmauer, unschuldig waren diese Gesellen ja nie, nun sind sie respektive ihre Besitzer rechter…/ mehr

Georg Etscheit / 05.01.2025 / 13:00 / 11

Cancel Cuisine: Rosenkohl

Dass im Winter im Freien nichts wächst, ist heutzutage weitgehend in Vergessenheit geraten. Das gilt auch für das häufig angepriesene „Wintergemüse“ wie Weißkohl, Wirsing, Lauch…/ mehr

Georg Etscheit / 29.12.2024 / 12:00 / 5

Cancel Cuisine: Mulligatawny-Suppe

Bei „Dinner for One“ wird nicht nur Alkohol aufgetischt, sondern unter anderem auch eine scharfe gewürzte indische Currysuppe auf Basis von Hühnerbrühe und Kokosmilch –…/ mehr

Georg Etscheit / 24.12.2024 / 06:15 / 37

Der arme Weihnachtsbaum! Ein Klimaopfer?

Was haben schüttere Weihnachtsbäume und abgemagerte Eisbären gemeinsam? Sie werden gerne als Klimaopfer inszeniert. Bernhard Stengele, Ex-Umweltminister von Thüringen, führte gerade so ein Stück auf.…/ mehr

Georg Etscheit / 22.12.2024 / 12:00 / 10

Cancel Cuisine: Lachs

Zuchtlachs lässt sich zu einem Spottpreis im Supermarkt kaufen – zum Leid der Tiere. Besser man setzt auf teureren Wildlachs, der zudem auch weniger fettig…/ mehr

Georg Etscheit / 15.12.2024 / 12:00 / 9

Cancel Cuisine: Der allerletzte Siebeck

„Siebeck“ zum allerletzten – Bemerkungen zu den posthum veröffentlichten Memoiren des „Fresspapstes“ Ich gebe zu, dass ich etwas voreingenommen bin. Ich bin nämlich ein eingefleischter…/ mehr

Georg Etscheit / 08.12.2024 / 12:00 / 10

Cancel Cuisine: Maroni

Maroni sind Nüsse! Doch im Gegensatz zu Hasel- und Walnüssen haben sie deutlich weniger Fett, dafür mehr als vierzig Prozent Stärke und bis zu fünf…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com