Haben Sie sich je die Frage gestellt, was ein „Knabenchor“ ist? Also, fernab aller Polemiken gegen tatsächliche Missbrauchsfälle? Könnte es sein, dass in einem Knabenchor nur Knaben singen? So kleine Domspatzen bis zum Erreichen des Stimmbruchs? Falls Sie das dachten, sind Sie noch nicht in der Realität des Jahres 2019 angekommen. Nur, weil sich ein Knabenchor Knabenchor nennt, heißt das noch lange nicht, dass da nur Knaben singen sollten.
So sah es wenigstens die Mutter einer neunjährigen Nichtknabin, deren Lendenfrüchtchen vom Träger des Berliner Staats- und Domchores, der Universität der Künste (UdK), als Chormitohneglied abgelehnt wurde. Begründet hat die UdK die Ablehnung damit, dass „es an einer Grundlage für eine Ausbildung in dem Chor fehle und zudem ihre Motivation für einen Einstieg in den Domchor nicht genüge.“ Oder, auf Deutsch: Die Knäbin kann es nicht und hat auch „keinen Bock“. Das wiederum hat die Väterin erzürnt, denn sie sieht ihre Singdrossel von „gleichberechtigter Teilnahme an staatlichen Leistungen und staatlicher Förderung wegen der Zugangsbeschränkung auf Jungen“ ausgeschlossen und daher eine „Diskriminierung des Mädchens auf unzulässige Weise“. Und hat kurzerhand die UdK wegen Diskriminierung verklagt.
Die UdK wiederum ist der Ansicht, dass sie das Görl durchaus hätte mitträllern lassen, wenn „sich die Auswahlkommission bei ihrem Vorsingen von einer außergewöhnlichen Begabung, hoher Leistungsmotivation und entsprechender Kooperationsbereitschaft der Erziehungsberechtigten hätte überzeugen können und wenn ihre Stimme dem angestrebten Klangbild eines Knabenchores entsprochen hätte.“ Außerdem gäbe es „zwischen Mädchen- und Jungenstimmen anatomische Unterschiede, was zu differenzierten Chorklangräumen führe“.
Oh diese Kleingläubigen! Im Jahr 2019 gibt es keine „anatomischen Unterschiede“, sondern lediglich „soziale Konstrukte“, und wenn sich der Domspatz von Berlin als Knabe fühlt, dann muss er auch das Recht haben, im Knabenchor zu singen. Da die Knäbin aber noch nicht volljährig ist, muss eben die Mutter für sie fühlen und wenn die UdK nicht auf die Mutter hören will, dann muss eben die UdK fühlen. Oder, auf balinarisch: „Wolln wa ja mal sehn!“
Warum sollte es denn keine Jane Bond geben?
Ein Beispiel, das Förderschule machen könnte: Wo steht eigentlich, außer in irgendwelchen Statuten, dass Frauen nicht in Herrenfußballmannschaften spielen dürfen? Und wer hat aufgeschrieben, dass Ilka Gündogan nicht bei den Frauen mitkicken darf? Wollen wir wirklich im Jahr 2019 noch um ein Y am Namens- und Chromosomenende streiten? Warum dürfen keine Frauen bei der Tour de France mitfahren, sondern müssen ihren eigenen Club aufmachen? Warum sollte es denn keine Jane Bond geben? Ob bei den katholischen Priestern, den Päpsten oder den Sumo-Ringern: Die letzten Männerdomänen müssen endlich zu Domäninnen werden!
Freuen wir uns also endlich auf komplett geschlechtsgleiche Filme und Wettbewerbe. Wenn die Ritterin die männliche Jungfrau aus den Klauen der Drächin rettet, Gräfin Draculine zitternde Jungmänner beißt und die „Women of color“ Adolphine Hitler Josefa Stalina den Zickenkrieg erklärt. Nur um die männlichen Noch-nicht-so-lange-hier-Seienden würde ich mir dann Sorgen machen, wenn sie, von erfahrenen Frauenpulks umringt, Kontakterfahrungen der eher unerwünschten Art machen. Nichtsdestotrotz könnten sich auch daraus interessante Lerneffekte ergeben. Du bist nicht traumatisiert, bis dich ein Pulk proseccobeschwipster Endfünfzigerinnen unter begeistertem Kreischen und lautem Gejohle an allen männlichen Ecken und Kanten befummelt hat. Mitglieder der Chippendales können davon im Männerchor singen!
Wann aber ist sie denn nun erreicht, die absolute Gleichstellung? Die menschliche Erfindergeisterin bemüht sich bereits, der Anatomie die Grenzen vom Stoppelbartgesicht zu reißen und warum sollen Männer eigentlich keine Kinder bekommen können? Allerdings könnte ich mir hier dann doch ein tiefes Vetorecht von Frauenverbänden vorstellen, dass ihnen hier ein geschlechtliches Alleinstellungsmerkmal genommen wird, mit dem sich seit Anbeginn der Schöpfung doch auch ganz gut leben ließ – zumindest, solange Frauen wenigstens einen Sohn gebaren.
Da bin ich ganz ehrlich verblüfft
Das Berliner Miss-Verwaltungsgericht, das über die Wahl zwischen „künstlerischer Freiheit“ und Diskriminierung zu be- und empfinden hatte, hat sich – tapfer und gegen den Zeitgeist – übrigens dieser mittlerweile ganz und gar biologisch-konservativen Sichtweise angeschlossen und die laute Klage der Mutter abgewiesen. Was mich – da bin ich ganz ehrlich – verblüfft. Ich hätte gedacht, gerade ein Berliner Richter würde auch diese Geschlechter-Bastion schleifen. Zur „Ehrenrettung“ der Klägerin sei aber auch angemerkt, dass die UdK in einem Anfall künstlerischen Zorns der Mutter schriftlich gab, dass „Ihr Wunsch aussichtslos ist. Niemals wird ein Mädchen in einem Knabenchor singen!“ Diese zwar fachlich richtige Aussage (weil es dann eben kein Knabenchor mehr ist) dürfte erst aufgrund der formulierten Art und Weise die entsprechende Klage provoziert haben. Das kann man auch netter machen.
Im Grunde genommen geht es doch um Eines: Männer und Frauen sollten gleichberechtigt sein, was aber nicht gleich „gleich“ bedeutet. Und gerade von den Leuten, denen es ja gar nicht genug „Vielfalt“ bis hin zur Einfalt geben kann, wäre eigentlich zu erwarten, dass sie sich über den wirklich und meist nur kleinen Unterschied zwischen Mann und Frau freuen und diesen zu würdigen wissen.
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ist eine gute und richtige Sache. Daneben finde ich es toll, dass es Frauen gibt, die Frauen sind und Männer gibt, die Männer sind. Findet sich dann ein passendes Paar, dann werden beide gemeinsam etwas Größeres erschaffen, als einer allein dazu in der Lage wäre. Eigentlich sollten wir uns darüber freuen und keine gleich öde Ebene zwischen den Geschlechtern planieren. Es lebe der (manchmal kleine) Unterschied!
(Mehr Knabengesänge des Autors auch auf www.politticker.de)