Thilo Schneider / 15.05.2022 / 10:00 / Foto: Tim Maxeiner / 44 / Seite ausdrucken

Che nervt im Café

Das Wetter ist schön, und da wirklich nichts „Kriegswichtiges“ anliegt, setze ich mich in das Straßencafé schräg gegenüber von meinem Büro, wo ich unfreiwilliger Ohrenzeuge der Gespräche am Nebentisch werde.

Meine Assistentin wird Anrufe abfangen und mich verständigen, wenn meine Anwesenheit dringend benötigt wird. Ich bin selbstständig. Ich darf das.

Am Tisch neben mir sitzen fünf Studenten, und sie sehen so aus, wie ich mir Studenten so vorstelle: nachlässige Kleidung, Piercings und mehr oder weniger aufdringliche Tattoos. Es wird lautstark debattiert. Der Wortführer, ein fusselbartblöder Typ mit einer Che-Guevara-Mütze, ist sehr unzufrieden: nicht mit der Allgemeinsituation, sondern mit seiner eigenen. Hier. Jetzt.

Da wäre beispielsweise die Bedienung: Die Trulla wischt erst den Nachbartisch ab, bevor sie zu ihm kommt und huldvoll seine Bestellung entgegennimmt. Für Che „ein klares NoGo“, das er auch lautstark beklagt, als sie kurz in den Innenraum wechselt, um das Reinigungswasser wegzubringen. Che konstatiert: Die Bedienung (augenscheinlich selbst Studentin) hat ja wohl keine Ahnung von ihrem Job! Und ich würde Che eigentlich gerne sagen, dass er jetzt genau drei Möglichkeiten hat:

1. Fresse halten
2. Das Lokal wechseln
3. Ins Kaffeehaus gehen und sagen: „Tach, ich bin der Che. Für 10,- Euro die Stunde plus Trinkgeld zeige ich Euch ab morgen, wie es richtig geht.“

Da ich aber ein soziales Wesen bin, halte ich den Mund. Da wechselt Che auch schon das Thema: Es gibt nur vier Sorten Kaffee. Das ist ihm zu wenig. Ja, mag sein, dass das „Fair Trade“ ist, aber er war mal in Trier, da gab es zehn Sorten! Und wieder: 1. Halt die Fresse. 2. Wechsle das Lokal 3. Mach selbst ein Lokal auf und verkaufe zehn Sorten und 4. Fahr eben nach Trier. Ich halte aber den Mund. Ich will in Ruhe einen meiner vier verschiedenen Kaffees trinken. Die Bedienung kredenzt Che mit einem „Sorry, dass es so lange gedauert hat“ seinen Kaffee. Sie hat ihn wohl Beschwerde führen gehört, das arme Ding.   

Das Marvel-Bild hängt schief

Che bemerkt ein weiteres, unpassendes Element in seiner revolutionären Welt: In der Kunstgalerie gegenüber, vor der ein Fahrrad liegt, hängt eines von etwa zehn Bildern mit Marvel-Comic-Helden schief. Jetzt, wo er es sagt, fällt es mir auch auf. Es hängt aber wirklich nur ein ganz klein wenig schief. Aber für Che ist auch ein „ganz klein wenig“ schon zu viel in seinem Jammertal des Lebens, das ihm so wenig huldigt. „Also, wenn man schon eine Kunstgalerie führt, dann sollte es einem Galeristen wohl möglich sein, ein Bild gerade aufzuhängen. Derart dilettantisch sollte man jedenfalls keine Galerie führen“, stellt er empört über die Dummheit seiner Mitmenschen fest. „Stan Lee hat da unterschrieben“, bemerkt seine Nachbarin. „Ja, mag sein, aber Stan Lee hat niemals gezeichnet, sondern immer nur die Ideen geliefert“, stellt Che überraschend korrekt fest und lässt damit seine Nachbarin irgendwie doof aussehen.

Die heranwachsende Elite unseres Clownlandes diskutiert kurz über Böhmermann und seine Enttarnung von Fynn Kliemann, Geschäftsmann mit nur ganz wenig Skrupeln, der an den Gutmeinenden der Welt astreine und glasharte Euros verdient, als etwas sehr Schreckliches passiert:

Das Café liegt in einer Fußgängerzone. In jener wird gerade ein neues Haus gebaut. Dies bedingt, dass gelegentlich ein LKW durch die Straße und damit an jenem Café vorbeifährt. „Ist das hier eine Scheiß-Autobahn?“ will der junge Herr jetzt empört wissen. Zumal der LKW vor einem Engpass steht, weil eben ein Lieferant etwas ausliefert und mit seinem Kleinlastwagen den Weg versperrt und auf der anderen Seite ja das Fahrrad liegt. Das kann nur ein paar Sekunden dauern – aber für Che, den Kämpfer für das Wahre, Gute, Schöne, Gerechte und zehn Kaffeesorten, ist das bereits eine Zumutung. Er, der Kämpfer für Recht und Gerechtigkeit, muss hier, in diesem Cheiß-Café, nicht nur eine unfähige Bedienung und lächerliche vier Sorten Kaffee mit schiefen Bildern im Schaufenster gegenüber ertragen – nein, da steht jetzt auch noch ein Diesel-LKW und macht dem jungen Revolutionär das sonnige Leben schwer. Manche Menschen haben harte Schicksale. Andere werden nur von Russen angegriffen oder haben Krebs.

Als der LKW weiterfährt, bemerke ich ein Schild auf dem Schaufenster der Kunstgalerie: „Fahrräder anlehnen verboten“. Deswegen also liegt wohl das Fahrrad davor und blockiert sowohl Fußgänger als auch die Lieferfahrzeuge. Ich stehe auf, nehme das Fahrrad und stelle es an die Hausecke, wo es nicht stört. „Das wird den Galeristen aber gar nicht frohmachen“, erklärt mir Che, breit grinsend. „Das Fahrrad blockiert den Verkehr. Ich stelle es da ans Hauseck und sollte es den Galeristen stören, kann ich es ihm ja erklären, dass hier irgendein Dödel sein Fahrrad abgeworfen hat“, gebe ich zurück.

Das ist doch Dein Fahrrad!

Che lächelt und seine Nachbarin sagt zu ihm: „Das ist doch dein Fahrrad! Warum stellst du es nicht in den Fahrradständer da vorne?“ Sie lächelt mich dabei, wie ich meine, etwas spöttisch an. „Höhöhö“, macht Che, „dann müsste ich ja bis hierher laufen. Dafür habe ich mir kein Fahrrad angeschafft.“ Ja genau. Höhöhö. Che ist nämlich ein asoziales Arschloch und jetzt weiß es jeder. Er steht aber auf und stellt sein Fahrrad an einen Ort, an dem es weniger stört, wenngleich es eigentlich immer noch stört. Ich glaube und würde hoffen, er hat etwas gelernt: Wenn du eine bessere Welt haben willst, dann bist du der Erste, bei dem du anfangen solltest. Sonst wird es immer alte weiße Männer geben, die dich einfach für dein Verhalten beschämen und, Lesson Two, die Welt ist dir nichts schuldig.

In den nächsten paar Minuten jedenfalls ist Che gar nicht mehr so vorlaut und mit dem Mäulchen vornedran, was seinen Beisitzern die Gelegenheit gibt, auch mal etwas zu sagen, was mit jedem Satz gehaltvoller ist als das, was Che die letzten zwanzig Minuten von sich gefurzt hat. Dann zahlen alle – Che gibt dieser Bedienung aus dem siebten Kreis der Hölle natürlich kein Trinkgeld, das werde ich dann übernehmen – und machen sich zurück in die schlechte Welt, in der ein revolutionärer Mann nicht einmal einen ja wohl hoffentlich fair gehandelten Soja-Latte trinken kann, ohne von der Unfähigkeit des Rests der Welt belästigt zu werden.

(Weitere altmodische Artikel des Autors gibt´s unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Tim Maxeiner

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Gabriele Kremmel / 15.05.2022

Wenigstens unterhaltsam sind solche Mitglieder der Gesellschaft - zumindest wenn Thilo Schneider ihnen begegnet und darüber schreibt. So bestätigt sich ein weiteres Mal: Jeder ist zu etwas gut, und sei es auch nur als abschreckendes Beispiel.

Dietmar Herrmann / 15.05.2022

Gute Charakterisierung einer Stradivari unter den Analviolinen. Solche Vögel hat es wahrscheinlich zu allen Zeiten gegeben, als Denuntiant während der Hexenvefolgung , als Diederich Heßling im Kaiserreich, später als Blockwart- und Stasitype. Man könnte sich damit trösten, daß der Che von heute nicht soviel Unheil anrichten kann wie seine Vorgänger, aber man täusche sich nicht. Von Existenzvernichtung mittels Shitstorm bis zum krankenhausreif-Prügeln durch seine Antifa-Kumpels ist alles drin, und dank Nancy mit wachsender Begeisterung.

Manni Meier / 15.05.2022

Mann, Schneider, Liberale werden das nie verstehen, denen fehlt einfach das “revolutionäre Etwas”. Wer sein Fahrrad in einen Fahrradständer stellt, kann keine Revolution machen. Vgl. Lenin Bahnsteigkarte.

H.Milde / 15.05.2022

Ach, der Ché halt. Ein dummbrunzbichlernder, aber eigentlich harmloser Machoaushilfsdarsteller, über den man sich aber auch so richtig schön lustig machen kann, darf und sollte ->s.o. Aber vor den inter.nationalsozialistischen Rosa Luxemburgs, die sie ver(h)ehrende Töchter bei der RAF heute noch in “TAZ” ua. MSM(Ö(un)RR “gewürdigt”, oder die sich heute im Bundestag als jung, berufs-aber lebensunerfahren, weil vllt. divers und ungeküsst sich obendrein sexistisch verfolgt/verschmäht fühlend Parasitarismus statt Parlamentarismus praktizieren die Rxsette sich vergolden lassen,  sich als GrüneRAF*innen auf´s Pflaster leimen (lassen), für´s Klima hüpfend gerne €uronen, Miles & More abgreifen, als SA.antifa*innen Kot- Steine-Scherben sowie Brandsätze auf Autos, Häuser und Menschen, werfen, unbeteiligte Menschen weil sie zB. in ungenehmen Kleidergeschäften arbeiten niederprügeln, arbeitende Menschen hysterischlautkreischend zu Verzicht, Revolution, Mord & Totschlag,  gerne auch “Palestine will be free…” intonierend, für eine “gerechte”, dh. marxistisch/sozialistische Gesellschaft aufrufen, vor denen da, vor denen graust´s die Sau…...

Volker Kleinophorst / 15.05.2022

@ B. Kotchoubey Ich verstehe, was Sie meinen, doch Che hat nicht im Cafe gratismutig die Klappe aufgerissen. Das kann man ihm nicht nachsagen. Dass er entgegen der Verklärung, die ja wesentlich mit dem ikonischen Fotos zusammenhängt, ein übler Geselle war, musste ich auch lernen. Manche lernen es eben nie.

Karl Heinz Münter / 15.05.2022

Als ich ungefähr so alt war wie der “Che” mußte ich mir ein Großteil des für mein Studium nötigen Geldes hart erarbeiten. Also in allen Semesterferien bei einer bekannten Autofirma mit Stern mich Stück für Stück in besser bezahlte Arbeitsplätze hocharbeiten, mit 6 und wenn verlangt auch längere Zeit mit 7 Tage die Woche 12-Stunden Wechselschichten im Akkord. Arbeit gab es damals ja fast ohne Ende. Anfangs, also 1969, waren die Arbeitsbedingungen schlecht aber wer sich beklagt hat bekam in den nächsten Semesterferien eben keinen der wegen der guten Bezahlung begehrten Arbeitsplätze mehr. Das mit Studium, Geldnot und harter Arbeit ging aber beileibe nicht nur mir so. Auf diese Weise lernten wir Studenten jedenfalls die harte Seite der Arbeitswelt ganz gut kennen. Ob das dieser “Che” auch von sich behaupten kann? Ganz unchristlich wünsche bzw. empfehle ich ihm ein “Praktikum” in Gebieten wie Nordkorea oder bestimmten Orten in China,  natürlich zeitlich begrenzt und mit Rückfahrkarte. So was täte dem “innwendigen Che” sicher gut.

Hjalmar Kreutzer / 15.05.2022

Irgendein asoziales Arschloch ist leider immer irgendwo in der Öffentlichkeit zu hören oder zu sehen. Daher suche ich Cafés u.ä. Örtlichkeiten immer nur zusammen mit anderen, mir angenehmen Leuten auf, die mich durch Gespräche von den lautstark Nervigen vom Nebentisch ablenken. Zwei Jahre mit gehorsamen Maullappengesichtern haben mich obendrein zum Einsiedler und Menschenhasser werden lassen.

Boris Kotchoubey / 15.05.2022

Aber der reale Che war 100% genau DER GLEICHE Typ.

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