Nach den Vorkommnissen auf der Frankfurter Buchmesse 2017 – ich berichtete – gibt es nun eine Petition an die Adresse des Börsenvereins, mit dem Ziel, dass sich selbiger künftig für eine respektvolle Auseinandersetzung und gelebte Meinungsvielfalt einsetzen möge, statt durch dubiose Kampfaufrufe und eigenhändige Demonstrationen zumindest zu dulden, dass selbsternannte Vorkämpfer des Guten, Richtigen und Schönen die Initiative ergreifen und mit Gewalt dort vollendete Tatsachen schaffen, wo sie mental nicht mehr hingelangen. Maos Motto „bestrafe Einen, erziehe Hundert“ kann eben keine brauchbare Maxime für die zivilisierte Auseinandersetzung in einer freiheitlichen Demokratie sein.
Da ich zu den Erstzeichnern gehöre, muss auch ich mich fragen lassen, warum ich denn ausgerechnet „diese rechten Verlage“ verteidige, was ja impliziert, dass so mancher denkt, Volkes zorniger Wille hätte diese Verlage womöglich zu Recht getroffen und man solle sich da besser nicht einmischen. Manche meinen auch, die Petition schieße „über das Ziel hinaus“, denn so schlimm sei das ganze ja nun auch wieder nicht gewesen. Schließlich sei niemand verletzt worden, die Verlage seien bei der Buchmesse immerhin dabei gewesen. Die Meinungsfreiheit sei somit gar nicht in Gefahr.
Schlimmer noch: diese Verlage inszenieten sich nur als Opfer und wollten in Wirklichkeit gar keine inhaltlich kontroverse Debatte führen. Sie wollten vielmehr, dass jeder Besucher die kruden Meinungen ihrer Autoren teile, statt diese zu diskutieren und dann kraft eigener Erkenntnis in Bausch und Bogen ablehnen zu können, und darauf gebe es nun mal kein Anrecht.
Ich halte es jedoch erstens für zynisch, jemandem die Debatte zu verweigern und ihm dabei frech zu unterstellen, er wolle diese Debatte ja gar nicht. Und zweitens wäre es selbst in dem Fall, dass jemand die Debatte verweigert, unstatthaft, als nächste Stufe der Eskalation zur Verwüstung eines Messestandes und zur Vernichtung von Büchern zu schreiten. Wie man stattdessen verfahren könnte, wenn man die Meinung des anderen überhaupt nicht mehr ertragen (vulgo tolerieren) mag, habe ich bereits ausführlich geschildert.
Abneigung ist unerheblich für die Meinungsfreiheit
Doch warum diese Charta? Und gäbe es sie auch, wenn des Nachts der Stand der Amadeu-Antonio-Stiftung verwüstet worden wäre, statt der des Antaios-Verlags? Denn ein immer wieder geäußerter Vorwurf der Gegner einer unterschiedslosen Meinungsfreiheit ist es, dass die Gegner es selbst nicht so genau damit nähmen, wenn es die andere Seite betreffen würde. Das sollten sie jedenfalls und ich würde eine solche Petition auch unterzeichnen, wenn ich davon Kenntnis erhielte.
Als der Innenminister zum Beispiel im August bei der linksextremen Plattform indymedia den Stecker zog, fand ich dies ebenso bedenklich, obwohl ich der Ausrichtung und den Inhalten dieser Seite sehr ablehnend gegenüberstehe. Doch meine Abneigung ist unerheblich für die Tatsache, dass das Recht auf Meinungsfreiheit auch für ganz weit linke Medien gelten muss. Man hätte stattdessen rechtzeitig diejenigen zur Verantwortung ziehen müssen, die indymedia dazu benutzten, Straftaten vorzubereiten oder dazu anstifteten, und hätte sich mit dem anonymen Geschäftsprinzip der Seite befassen sollen. Etwas, das man den betroffenen Verlagen auf der Buchmesse nicht vorwerfen kann. Dort gab es Verleger und Autoren, die in der Realität zu ihren Meinungen Rede und Antwort standen.
Selbstverständich hat kein Verlag das Recht, verfassungsfeindliche Inhalte zu publizieren, zur Gewalt aufzurufen oder antisemitische Hetzschriften zu verbreiten. Jedoch scheint es leider gerade so, als wolle man die fehlenden Angriffspunkte einer juristischen Haftbarmachung durch möglichst viel Getöse und blinden Aktionismus überspielen. Und genau gegen solch blindwütiges Getöse seitens des Börsenvereins richtet sich die Petition.
Mir scheint, dass sich die Meinungsfreiheit Deutschland derzeit in einer kritischen Phase befindet. Es findet eine Trennung der vormals allgemein geschützten Meinung in eine geduldete und eine erwünschte statt. Nur letztere darf sich eines privilegierten Schutzes der Institutionen und Medien erfreuen.
"Gefühlte" Trennlinie zwischen erlaubt und verboten
Dabei verschwimmt die Trennlinie zwischen erlaubt und verboten heute sehr viel weiter ins „Gefühlte“ als noch vor wenigen Jahren, als sie noch entlang juristisch fassbarer Begriffe wie „Volksverhetzung“, „Aufruf zur Gewalt“ oder „Jugendschutz“ verlief und es dadurch bestimmten Gedanken und Meinungen schwer gemacht wurde, in der Realität Fuß zu fassen. Zu Recht! Man ist heute jedoch dazu übergegangen, nicht die Menschen vor Gewalt, sondern Meinungen vor anderen Meinungen zu schützen und geht sogar noch einen Schritt weiter: Die Orte werden für kontaminiert erklärt, an denen diese „nur geduldeten“ Meinungen auftauchen oder verbreitet werden.
Ein Restaurant, in dem sich die örtlichen AfD-Mitglieder treffen, kann heute ebenso zum „legitimen“ Ziel der Vergeltung werden wie der Messestand eines Verlags, der „geduldeten“ Meinungen eine Plattform bietet. Dabei ist es für die Vollstrecker der erwünschten Meinung unerheblich, ob im betroffenen Restaurant auch DRK-Seniorentreffs stattfinden oder was der betroffene Verlag sonst im Programm hat.
Dabei sollte man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass weder die Mitgliedschaft in der AfD noch das Verlegen von Büchern ohne justiziablen Inhalt eine Straftat darstellt. Man darf beides, und weil beides aus gutem Grund von der Justiz nicht verfolgt werden kann, fühlen sich gewisse Kreise ermächtigt, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Dieser Vorgang ist keineswegs neu und hat einen Namen: Selbstjustiz – und die steht der Meinungsfreiheit in Deutschland immer häufiger im Weg.
Ein weiterer Vorwurf betrifft die betonten Parallelen zur Charta77, was als anmaßend bezeichnet wird. Und tatsächlich gibt es natürlich Unterschiede. Der wichtigste ist sicher, dass die tschechischen Erstzeichner dadurch in die Repressionsmühlen der kommunistischen Partei gerieten, was heute nicht droht.
Aber es gibt auch zahlreiche Gemeinsamkeiten. Auch diese Charta ist eine Verteidigung der Meinungsfreiheit, und wie die Charta77 fordert sie eine „Freiheit vor Furcht“, diese Meinungsfreiheit in Anspruch zu nehmen. Die Hysterie, mit der in Deutschland auf jede Meinung reagiert wird, wenn sie abseits des Mainstream geäußert wird, muss endlich aufhören. Ich glaube, wenn man das hinbekäme, würden alle anderen Probleme gar nicht mehr so groß und unlösbar erscheinen.
Ergänzung
Den Text oben schrieb ich als Antwort auf einige Nachfragen und Kommentare von Menschen, die möglicherweise nicht ganz verstanden hatten, was die Charta eigentlich bezweckt und stattdessen der Meinung sind, solcherlei Barrikadengesänge stünden nur Gruppen zu, die das Klima retten, Trump aus dem Amt jagen oder den Nahostkonflikt beenden wollen.
Kurze Zeit nach der Veröffentlichung hat es auch eine SPON-Kolumnistin nicht mehr im Sessel gehalten, sie musste einen Artikel schreiben, der mit dem Adjektiv „schrill“ nur unzulänglich beschrieben ist und der ein nahezu perfektes Beispiel für die Vorurteile darstellt, die Menschen über andere haben, deren Bücher sie nicht lesen und deren Meinungen sie nur aus den Echos kennen, die durch ihre eigenen Medien wabern.
Der Artikel ist absolut lesenswert, fängt er doch schon mit einer bildlichen Unterstellung an: Das Foto (Screenshot hier), das dem Artikel zur Illustration rechter Gewalt dienen soll, zeigt die T-Shirt-Aufschrift „Black-Bembl-Block“. Doch was angesichts der Statur, der Tattoos und des rasierten Schädels optisch sicher als Nazi durchgeht, entpuppt sich mittels einer Drei-Klick-Recherche als Emblem einer dem anderen politischen Spektrum zuzuordnende Organisation im hessischen Äbbelwoi-Släng.
Aber ich lasse lieber gleich die Autorin zu Wort kommen, die uns umgehend erklärt, wofür die Petition ihrer Meinung nach steht:
„Für das Recht der Rechten, ungestört Menschenhass zu verbreiten. Für den friedlichen Frieden, den Rechte nicht wollen, aber brauchen, um gegen Menschen zu hetzen, die nicht männlich und biodeutsch sind. Für den Schutzraum, den Rechte brauchen, um Andersdenkende auszubuhen, körperlich anzugreifen, mit Trillerpfeifen und der immer gleichen Verächtlichmachung zum Schweigen zu bringen.“
Mit Verlaub, Frau Berg, wo nehmen Sie das alles wahr? Menschenhass*? Hetze gegen Menschen? Das lesen Sie in dieser Petition? Also ich nicht, und ich hab auch nichts derartiges hineinformuliert.
Die Buh-Rufe, Angriffe, Trillerpfeifen und Verächtlichmachungen, die in Frankfurt zu sehen und zu hören waren, gingen also von den Rechten aus? Etwa, weil diese allein durch ihre Anwesenheit das Protestproletariat zum Buh-Rufen, zur Verächtlichmachungen und dem Einsatz der Trillerpfeifen zwang? Finden Sie nicht, dass Sie es da etwas übertreiben mit Ihrem Kampf? Ich finde ja, gerade Journalisten sollten sich des Verdrehens von Tatsachen enthalten.
Doch egal, Frau Bergs Beitrag spricht er für sich selbst. Nur noch ein kleiner Heine, gewissermaßen zur Verdauung nach dem SPON-Beitrag:
Da hab ich viel blasse Leichen
Beschworen mit Wortesmacht;
Die wollen nun nicht mehr weichen
Zurück in die alte Nacht.
Und noch etwas zu dem Wort Menschenhass:
Ich will ehrlich sein: Autoren, die das Wort „Menschenhass“ wie ein heiliges Schwert schwingen, kann ich nicht mehr ernst nehmen. Liebe ist natürlich immer viel cooler, und Hass ist nicht gerade das angenehmste der menschlichen Gefühle, soweit klar. Aber im ganz konkreten Einzelfall ist der Mensch, also der eine oder andere, das einzig legitime Ziel des Hasses. Katzenhasser, Hundehasser oder Hasser der Körperhygiene sind nunmal keine angenehmen Zeit- oder Fahrstuhlgenossen. Solche Leute hassen wir. Natürlich zu Recht! Und so ein kleiner Trump-Hass oder Erdogan-Hass zwischendurch…wer könnte da schon „Liebe!“ sagen…und die Nazis nicht vergessen!
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.