Dass eine WDR-Dokumentation über den Vietnamkrieg ungefähr so differenziert rüberkommen würde wie ein Beitrag der Deutschen Wochenschau von 1943 über Stalingrad, das wurde bei der Erstausstrahlung des Werks auf „arte“ am 14. April schnell klar. Der französisch-deutsche Spartensender ließ für die Intro über den längsten und komplexesten Krieg nach WK II eine junge Moderatorin und die APO-Oma Gretchen Dutschke miteinander schnattern, als säßen die beiden auf einer Tupperparty. Die Narration stand fest. David im schwarzen Pyjama bezwingt mit der Steinschleuder Goliat, den Napalmbomber.
Und die Frau von dem Rudi hatte das schon immer gewusst!
„Der Vietnamkrieg. Gesichter einer Tragödie“ ist der Titel eines zyklopenhaften Blicks auf den zweiten Vietnamkrieg (das ist der mit den Amis in der Schurkenrolle). Sollte das Feature nicht in Studios produziert worden sein, die dem Propagandaministerium in Hanoi unterstehen, so könnte der WDR von Letzterem mit Fug und Recht nachträglich einen Produktionskostenzuschuss verlangen.
Die TV-Erzählung aus Köln bildet ohne wenn und aber den Stand der offiziellen Hanoier Geschichtsklitterung ab. Das Grundmaterial des Films kann man in zahlreichen Agitprop-Stätten finden, die der vietnamesische Staat unterhält. Etwa im Nationalmuseum für Geschichte in Hanoi, dem War Remnants Museum in Saigon oder dem zynisch ausstaffierten Hoa-Lo-Gefängnis. Dieser auch als „Hanoi Hilton“ bekannte Folterknast für amerikanische POW will den Besuchern neben den üblichen Bären über den Krieg auch jenen aufbinden, die US-Gefangenen hätten dort wie Gäste in einem Freizeitheim gelebt.
Nordvietnams Hauptschuld am Bürgerkrieg, in den Amerika sich ab Ende der 1950er peu à peu verstrickte, und der schließlich mit ekelhaften „Body Counts“, irrsinnigen Flächenbombardements, Napalm- und Agent Orange-Orgien und Massakern wie dem von My Lai selbst gestandene Amerikafreunde in der gesamten Westwelt gegen Washington aufbrachte - diese Vorgeschichte wird vom WDR komplett ausgeblendet.
Der Film könnte ungekürzt vor heutigen Kadern der KPV gezeigt werden. Sie fänden schwerlich was zu meckern.
In Südvietnam, von Hanois Kommunisten politisch nie richtig auf Vordermann gebracht, glaubten immer nur wenige an Hanois Märchen von einer „Volkserhebung“, welche Demokratie und Wiedervereinigung zum Ziel gehabt hätte. Nicht eine einzige kommunistische Bewegung hatte ja jemals freie Wahlen im Sinn. Das Diktum der deutschen „Gruppe Ulbricht“ („es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“) galt selbstredend auch für Vietnam.
Sogar im gegenwärtig noch etwas indoktrinierteren Norden des Landes verkauft sich die Mär nicht mehr gut, dem Internet sei Dank. Fakt ist, es war das von Russen und Chinesen hochgerüstete Nordvietnam, welches ab 1954 in den Angriffsmodus ging. In diesem Jahr war auf der Genfer Konferenz das Land durch eine Demarkationslinie faktisch geteilt worden.
Eine kommunistische Diktatur gegen ein vom Westen gepampertes, fadenscheinig demokratisch verkleidetes Regime korrupter Cliquen, das war die Ausgangslage. Was sich daraus entwickelte, nannte man später einen Stellvertreterkrieg.
Korrekt. Ebenso korrekt: Angezettelt wurde der Bürgerkrieg von Hanoi, nicht von Saigon.
Kaum ein Südvietnamese fiel damals, nach 1954, auf die Propaganda von der „friedlichen Kollektivierung der Landwirtschaft“ und den daraus vorgeblich resultierenden sozialen Errungenschaften im kommunistischen Herrschaftsbereich herein. Kaum einen aus dem Süden zog es in den Norden. Dort hatten die Kommunisten es in ziemlich kurzer Zeit geschafft, ungefähr 50 000 Bauern umzubringen, die sich der Kollektivierung widersetzten. Auch deshalb flohen Menschen massenweise in den Süden.
Abgestimmt wurde, wie immer im Kalten Krieg, mit den Füßen. Solange es möglich war.
Nach dem endgültigen Sieg der „Befreiungsarmee“ (O-Ton WDR) im Jahre 1975 nahmen nach Schätzungen 1,6 Millionen Vietnamesen vor ihren Befreiern Reißaus. Geschätzt eine Viertelmillion „Boat People“ ertrank während der Flucht im Südchinesischen Meer. Die es nicht in Boote schafften, landeten in Umerziehungslagern. Günstigstenfalls.
So sah er aus, der Sieg im Volkskrieg. Im WDR hört sich das wie folgt an: „Der große Traum der Vietnamesen, die Wiedervereinigung, wurde Wirklichkeit.“ Oder so: „Was die Supermacht USA verhindern wollte, wurde wahr – die Wiedervereinigung.“
Das Schicksal der Boat People streift der anderthalbstündige Film nur ganz kurz. Kunststück. Hätte auch schlecht in die WDR-Erzählung gepasst.
Über die Rolle der Medien heißt es in der Sendung, der Vietnamkrieg sei der erste Krieg gewesen, „der vor laufenden Kameras stattfand.“ Richtig ist: Aus Nordvietnam berichteten Reporter aus „sozialistischen Bruderländern“ (einen aus der Ex-DDR lässt der WDR länglich zu Wort kommen), die das Geschehen nach Maßgabe ihrer Politruks propagandistisch aufbereiteten.
Unabhängige Beobachter, vor allem solche aus den USA, ließ nur die amerikanische Seite zu. Die durften in Flugzeugen der US-Streitkräfte an die Fronten fliegen und berichten, was immer sie wollten. Folglich waren es meist amerikanische und südvietnamesische Soldaten, die sich bei Kriegshandlungen - sogar bei schaurigen Kriegsverbrechen - kaugummimümmelnd ablichten ließen.
Diese Bilder haben den Krieg entschieden. In Amerika kollabierte die Heimatfront. Bald auch der Rückhalt der westlichen Verbündeten. Gegen die Bilder aus Vietnam war kein Kanonenfutter gewachsen.
Gut so. Vietnam hätte ein zweites Kuba werden können. Der Trigger für einen globalen Krieg. Im heutigen Vietnam kommen die meisten Menschen ökonomisch ganz gut zurecht. Demokratie ist ein Luxus, den sie sich irgendwann auch erkämpfen werden.
Aber das ist kein Mandat für sich historisch gerierende TV-Sendungen, die eigentlichen Drahtzieher der vietnamesischen Katastrophe zu exkulpieren.
„Charlie surft nicht“, tönt Lieutenant Colonel Kilgore (Robert Duvall in der Rolle seines Lebens) in der berühmten Strandsequenz von „Apocalypse Now“, dem ultimativen Film zum Vietnamkrieg. Charlie, das war im US-Militärjargon der Vietcong, die fanatisierte Partisanentruppe der nordvietnamesischen Armee. Blaupause für die Roten Khmer in Kambodscha. Zur Ironie der Geschichte gehört, dass die Besteller der Killing Fields wenige Jahre nach Beginn ihrer Schreckensherrschaft von den vietnamesischen Vorbildern verjagt wurden. Aus mancherlei Gründen, nur nicht aus humanitären.
Was nun den alten Charlie betrifft, so hat er allerdings nicht nur nicht gesurft. Er hat auch seine eigenen Verbrechen selten fotografiert oder gefilmt. Daher gibt es so gut wie keine für westliche Journalisten verfügbaren Bilddokumente über jene Dörfer, die er, der „Cong“, niedergebrannt hat. Über die Exekutionen ungezählter Landsleute, die er der Kollaboration mit Amerikanern und Südvietnamesen verdächtigte. Nichts über die Kriegsgefangenen, die er folterte oder umbrachte. Er ließ sich von Kameramännern ungern über die Schulter schauen, der famose Cong, wenn es richtig hässlich wurde.
Nein, so dämlich wie die US-Armee war Charlie nicht. Der wusste um die Macht der Bilder.
Heute, Jahrzehnte später, ist auch die propagandistische Schlacht um Vietnam entschieden. Jetzt strahlt der Westen Hanois Legenden aus. Eins zu eins. Über die eigenen Fernsehsender.
Wenn „Onkel Ho“ das noch erlebt hätte!
Der Vietnamkrieg. ARD, 20. April 2015, 23.30 Uhr.
Der Vietnamkrieg in der arte-Mediathek (verfügbar bis 13.7. 2015, leider ohne die Intro mit Gretchen D.):
http://www.arte.tv/guide/de/051087-000/der-vietnamkrieg?autoplay=1