Kolumne von Maxeiner & Miersch erschienen in DIE WELT am 20.04.2007
Prag in der vergangenen Woche. Viele tausend gut gelaunte Touristen pilgern von der Altstadt über die Karlsbrücke zum Hradschin und zurück. In der Nähe des Wenzelsplatzes hat vor einiger Zeit das „Museum des Kommunismus“ eröffnet. Wer sich die Ausstellung und die Filmdokumente anschaut, geht danach mit anderen Augen durch die Stadt. Wo sich heute die Menschen in den Straßencafes treffen, wurden sie vor nicht allzu langer Zeit noch niedergeknüppelt. Prag ist ein guter Ort um sich daran zu erinnern, dass Freiheit erkämpft werden muss. Und dass dieser Kampf nicht zu Ende ist.
Im ehemaligen Parlamentsgebäude residiert heute das vom amerikanischen Kongress finanzierte Radio Free Europe/Radio Liberty. Präsident Václav Havel offerierte den Amerikanern das historische Gebäude aus Dankbarkeit für ihre Unterstützung beim Kampf um die Demokratie. Bill Clinton nahm das Angebot 1994 an. Anno 2007 muss diese Stimme der Freiheit gesichert werden. Es ist ein merkwürdiges Bild, dass sich in allen Metropolen der Welt beobachten lässt. Während die Botschaften und Vertretungen von Diktaturen vollkommen unbehelligt bleiben und unbesorgt ihre Interesse verfolgen, müssen amerikanische oder britische Einrichtungen von einer schwer bewaffnetetn Garde beschützt werden. Sogar dänische Konsulate werden streng bewacht - nicht etwa die des Iran. Verkehrte Welt.
Oben im Prager Konferenzsaal von Radio Free Europe/Radio Liberty versammeln sich um 10 Uhr Journalisten zur Morgenkonferenz. Sie senden in mehreren Dutzend Sprachen und erreichen 35 Millionen Menschen. Am großen Tisch sitzen die Iraner und Iraker, die Afghanen und Kasachen, die Weißrussen und Georgier, die Ukrainer und Usbeken - und viele andere. Es ist ziemlich viel Mut versammelt in diesem Raum, denn viele der Anwesenden wären in ihrer Heimat ihres Lebens nicht sicher. Wir dürfen zuhören und wähnen uns über weite Strecken in einer Krisensitzung von Amnesty International. In Weißrussland etwa wurde eine Regime-Gegnerin in die Psychiatrie gesteckt - so ein Vorgehen gab es seit Breschnews Zeiten nicht mehr. Eine Nachricht jedoch überschattet alles: Chamail Mushin Chalaf, Mutter von drei Kindern und Reporterin von Radio Free Iraq, wurde entführt, gefoltert und nach zwei Tagen erschossen aufgefunden. Sie kümmerte sich wenig um die Politik, sondern berichtete vor allem über die sozialen Probleme der Bevölkerung des Irak. Und wahrscheinlich war genau das ihr Todesurteil. Ein Kollege berichtet der schweigenden Runde von ihrer Beerdigung.
Der Fall war westlichen Medien - wenn überhaupt - nur ein paar karge Zeilen wert. Wie kommt das? Die meisten dürften sich an die Entführung der italienischen Journalistin Giuliana Sgrena erinnern. Sie brachte hunderttausende Italiener auf die Strasse und bestimmte tagelang auch deutsche Schlagzeilen. „Meine Arbeit besteht darin, die Wahrheit zu suchen unter den Menschen, die am Krieg leiden“, sagte Frau Sgrena nach ihrer Freilassung. Sie habe etwas über „die alltäglichen Lebensbedingungen der Menschen“ herausfinden wollen. Doch genau das wollte die Irakerin Chamail Mushin Chalaf auch.
Woher rührt also die unterschiedliche Wahrnehmung? Liegt es daran, dass Frau Sgrena sich als „Journalistin, Pazifistin und Feministin“ bezeichnete und für die links verortete Zeitung Il Manifesto arbeitete? Liegt es daran, dass sie über ihre Entführer sagte: „Sie waren keine Wilden. Sie waren gebildet und hatten Sinn für Politik“. So etwas kommt gut an bei westlichen Medien-Eliten, es gilt als kritische Geisteshaltung. Chamail Mushin Chalaf kann nichts mehr über ihre Entführer berichten. Auch arbeitete sie nach landläufiger Meinung wohl für den falschen Arbeitgeber. Ein von den USA finanzierter Sender, der sich für Demokratie, freie Wahlen und Menschenrechte einsetzt? Ist ja wie im kalten Krieg! Wir möchten dazu bemerken: Eben. Nur wird es Zeit, dass Radio Liberty auch nach Westen sendet.