Als eher links eingestellter, junger Mensch fand man Kohl nicht gut. Zu altbacken, zu konservativ, zu vaterlandsliebend, zu provinziell, zu behäbig. Im Nachhinein frage ich mich, ob man nicht zu dieser Zeit schon, Opfer einer linken Propaganda war. Nur waren die Linken seinerzeit nicht mehrheitsfähig, also ungefährlich. Ihre teilweise antidemokratische Grundhaltung kam noch nicht an die Oberfläche. Kohl wurde lächerlich gemacht, vorzugsweise vom Spiegel. Doch drangen die linken Parolen noch nicht bis in die westdeutschen Wohnzimmer des „Durchschnittsbürgers“. Sie blieben innerhalb der linken Blasen, konnten keinen Schaden anrichten. Waren vielleicht zu dieser Zeit noch idealistisch und demokratisch. Erst als das linke Denken sich mehr und mehr durchsetzte, in Medien, Schulen, Universitäten, wurde aus einer freiheitlichen Jugendbewegung etwas Gegenteiliges, etwas Bevormundendes, etwas Undemokratisches. Die Bewegung nahm offensichtlich die natürliche Entwicklung aller linken Bewegungen. Im Nachhinein steht Kohl im Vergleich dazu, für Freiheit, für positiven Konservativismus, für gesunden Patriotismus. Jedenfalls war er, im Gegensatz zu Anderen, nicht gefährlich. Nicht gefährlich für die Demokratie, für die Meinungsfreiheit. Heute würde ich wohl einen Kohl viel mehr schätzen, als ich es damals tat.
Helmut Kohl hat - anders als Merkel und ihre Klone - die (poltische) Nähe zu Viktor Orbán gesucht. Wie der über Merkels Grenzpolitik denkt, ist allen bekannt. Der Versuch, Kohl vor den Karren von Merkels Politik zu spannen und ihn für (ausgerechnet!) diese zu vereinnahmen, ist ebenso frech wie geschmacklos. Es sei daran erinnert, dass Merkel nicht einmal bei seiner Trauerfeier reden sollte - wenn es nach ihm gegangen wäre. Doch Tote können sich nicht wehren und Merkel und ihre Groupies kennen ja bekanntlich keine Grenzen. Auch nicht beim Anstand.
Ehrlich gesagt, ich habe den Kohl gehasst wie die Pest. Und ich finde, wer immer Merkels mit Mädels verwechselt, der hat es einfach nicht anders verdient!
Helmut Kohl handelte noch nach einem jahrzehntealten Prinzip, das Angela Merkel und ihre Getreuen einfach abgeschafft haben, nämlich dem, dass sich rechts von der Union keine Parteien etablieren sollten. Dieses Prinzip bestimmte Kohls Handeln, als in den frühen 90er Jahren Jugoslawien im Bürgerkrieg zerbrach und Hunderttausende in Deutschland Schutz suchten, was zu einem signifikanten Aufschwung von DVU und NPD führte. Die schwarz-gelbe Koalition unter Kohl setzte daraufhin eine Änderung des im Grundgesetz verankerten Asylrechts (Art. 16) durch und führte die sogenannte Drittstaatenregelung ein. Die AfD aber verdankt ihre ganze Existenz der Tatenlosigkeit bzw. der völlig verfehlten Politik einer Angela Merkel. Die CDU hat sie erfolgreich geschrumpft und die EU hat sie schon an den Rand des Scheiterns geführt. Nein, Helmut Kohl taugt nicht als Patron der Merkel-Politik und mit Sicherheit hätte er sich in der Krise anders verhalten als seine einstige politische Ziehtochter.
Die Verklärung von Helmut Kohl, der sicher einiges richtig gemacht hat, der jedoch auch seine deutlichen Schattenseiten hatte, ist ein Armutszeugnis der heutigen CDU. Statt gegenwärtige Entscheidungen gegenwärtig Verantwortlicher sachlich zu begründen oder mangels solcher Begründbarkeit davon Abstand zu nehmen, wird gesagt, “Papa hätte es so gewollt.” Das soll womöglich auch Angela Merkel entlasten, die nach dieser Logik keine eigene politische Entscheidung gefällt hätte, sondern als Nachlassverwalterin Helmut Kohls gar nicht anders konnte. Allerdings stimmt der Vergleich nicht: Unter Helmut Kohl wurde angesichts eines großen Zustroms von Asylbewerbern 1993 der Asylkompromiss beschlossen, auf dem Art. 16a GG beruht, der die Möglichkeit, sich auf das Asylrecht zu berufen, etwa für aus EU-Ländern oder sicheren Drittstaaten Einreisende sowie für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern eingeschränkt hat. Daher ist also gerade nicht anzunehmen, dass Kohl die Grenzen geöffnet und sich danach auch noch beharrlich geweigert hätte, wieder zum Normalzustand zurückzukehren. Vermutlich hätte er eher einen anderen Weg gewählt. Vielleicht wäre er bereits früher als Merkel mit dem Bimbeskoffer durch Südeuropa, Türkei und Balkan gereist, um die dortigen Länder zu überzeugen, die Migranten bei sich zu behalten und nicht einfach durchzuscheuchen. Er hätte sich wohl auch den moralischen Aplomb verkniffen, mit dem Angela Merkel das deutsche Handeln als Vorbild hinstellt und das anderer Länder als inhuman geißelt. Beides hätte dem Zusammenhalt in der EU wohl weniger geschadet (oder vielleicht hätte es ihm sogar genützt!) als das planlose Handeln der Regierung Merkel. Ich bin kein Fan von Helmut Kohl, aber er hatte begriffen, dass ein “glühender Europäer” nicht zwangsläufig dämlich sein muss. Würde sich die CDU in seinem Gedenken hierauf besinnen, würde ich mich freuen und über so manchen unangebrachten Personenkult hinwegsehen.
Kohl, Kanzler der Einheit unseres Vaterlands, hätte es nicht verstanden, wieso Europa und ein deutscher Nationalstaat politische Antagonisten sein sollen. Der Weg nach Europa führte für ihn selbstredend über ein vereintes und damit wieder starkes Deutschland. Der europäische Einigungsprozess muss nicht notwendig zur Auflösung der Identitäten und der Integrität der Mitgliedstaaten führen, wie uns heute weisgemacht werden soll von Leuten wie Frau Roth, die schwarzrotgold gegen Europablau ausspielen moechte. Wer so denkt und spricht, zerstört in Wahrheit die europaeische Idee, was Kohl wusste. Europa als ideologisches Kampfmittel gegen den bürgerlichen, freiheitlichen, demokratischen, nationalen Rechtsstaat waere sicher nicht Kohls Europa gewesen. Der Streit um das grenzregime ist doch deshalb so unversoehnlich, weil er die Frage der Migration zur gretchenfrage stilisiert. Als müssten wir uns gegen Deutschland entscheiden, um gute Europäer zu sein. Kohl wusste, dass es genau umgekehrt ist.
Herr Lommatzsch, sie zeigen den Kontrollverlust der CDU gut auf. Nur ich weiß nicht, ob meine Einschätzung, dass Kohl ein zuverlässiger, berechenbarer Politiker war, voll zutrifft. Mein Eindruck war immer, dass er seine Entscheidungen mit vielen Absprachen im Vorfeld abgesichert hat. In der Zeit der Wiedervereinigung hektisch und betriebsam, mit allen Seiten im Dialog, was er nicht selbst erledigen konnte überließ er Seiters, Teltschik, Schäuble und anderen, ohne deren Ergebnisse zu kassieren. Obwohl ich als Liberaler noch nie CDU oder SPD gewählt habe, stehen die prägendsten Kanzler der Bundesrepublik Schmidt und Kohl hoch in meiner Achtung. Es war ein Vierteljahrhundert des Wohlbefindens und Glück, meine Kindheit und Jugend, gestört von den Terrorverrückten Linksspinnern der RAF und später von den Untergangsszenarien der aufkommenden Grünen. Erinnert sich noch jemand an das Waldsterben oder Ozonloch? Falls nicht, auch egal, denn die apokalyptischen Vorhersagen der Grünen sind nach wie vor tonangebend und werden stetig ergänzt. Folterexperten sind sich heute weltweit einig, dass psychologische Folter die Opfer dauerhafter schädigt als körperliche Gewalt. Zurück zu Kohl, meiner Erinnerung nach hat er Probleme nur im Vorfeld seiner Entscheidungen benannt. Kohl hat sicher auch mal verschwiegen und kleinere Lügen eingesetzt, aber nicht so realitätsfern, wie Merkel und die derzeitige CDU. Er hat Spender nicht genannt, empört mich heute noch, aber s.o.. Ich hätte mir bis vor 5 Jahren nicht vorstellen können mit anderen Autoren zeitgleich den Niedergang der CDU und SPD zu beschreiben. Den ungestörten Alltag müssen wir wohl für sehr lange vergessen.
Dass die europäische Idee überdehnt ist merkt inzwischen jeder nachdenkende Mensch. Was hat ein Spanier mit einem Albaner zu tun. Warum soll er Strukturhilfen und Schwimmbäder in Albanien mitfinanzieren? Warum laden die Portugiesen ihre Schulden aus den Jahren 1941-1943 (!) bei der EZB ab? Wenn man weiß, dass die Einführung des Euro eine französische Grundbedingung für die Wiedervereinigung Deutschlands war, wird man fragen müssen, ob die europäische Idee lediglich nur auf knallharten wirtschaftlichen und politischen Interessen beruht. Die Gebetsmühle vom einigen und alternativlosen Europa, mit bald 30(!) völlig divergierenden Mitgliedsstaaten, dient nur zur Anästhesie. Deswegen auch die zunehmend autoritären Züge, um das Ganze am Leben zu erhalten. Denn demokratisch legitmiert ist die EU sowieso nicht (da war doch mal ein Straßburger Parlament - jetzt Altersruhesitz für Ganzentsorgte). Prost!
Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.