Wissen bedeutet Macht – und kann missbraucht werden.
In der Religionswissenschaft spricht man über zwei falsche, sündenhafte Beziehungen zwischen Staat und Kirche: Cäsaropapismus und Papocäsarismus. Als Cäsaropapismus wird die Lage bezeichnet, in der sich die Kirche dem Staat (dem „Kaiser“) vollständig unterstellt und praktisch zur Dienstmagd der weltlichen Politik wird. Das klassische historische Beispiel ist Russland zwischen 1721 und 1917: Die Kirche hatte in dieser Zeit kein Oberhaupt, sondern wurde vom sogenannten Heiligsten Synod (1) verwaltet, der offiziell dem Monarchen untergeordnet wurde. Aber häufiger wurden die gleichen Verhältnisse ohne formelle Unterordnung realisiert. In der UdSSR hatte die russisch- orthodoxe Kirche formell eine eigene Verwaltung und ein Oberhaupt (den Patriarchen), faktisch aber befand sie sich unter einer vollständigen Kontrolle vom KGB, und die meisten „Würdenträger“ waren inoffizielle Geheimdienstler. Unter den westlichen Kirchen sind die anglikanische Kirche unter Heinrich VIII. und die „Deutschen Christen“ (1932-1945) typische Fälle des Cäsaropapismus. Auch andere christliche Kirchen waren nicht dagegen gefeit, sogar die katholische (z.B. zu den Zeiten von Avignon).
Das Gegenteil zum Cäsaropapismus ist der Papocäsarismus: Der Versuch einer priesterlichen Kaste, die weltliche Macht zu übernehmen und sich über die weltlichen Machthaber zu stellen. Das klassische Beispiel einer solchen Ordnung heute ist der Iran, der zwar über republikanisch-demokratische Institutionen verfügt, aber diese Institutionen haben nur so viel Macht wie ihnen das Gremium der hohen Geistlichen (Ayatollas) austeilt. Im Westen wurden papocäsaristische Machtstrukturen meistens lokal verwirklicht, wie in Florenz unter Savonarola, in Genf unter Calvin oder im Staat Vatikan heute. Ähnliche Ansprüche im globalen Maßstab wurden von Zeit zu Zeit von der katholischen Kirche erhoben, und der Gang des Kaisers Heinrich IV. barfuß nach Canossa im Januar 1077 war wahrscheinlich der größte Erfolg des Papocäsarismus in der christlichen Geschichte.
In der Geschichte des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Macht ziehen sich genau dieselben zwei Tendenzen. In einer „szientocäsaristischen Schiene“ versuchen die geistigen Erben von Victor Frankenstein seit jeher ihr Fachwissen mit ihren Allmachtfantasien zu verschmelzen und die von Francis Bacon geprägte Formel „Wissen ist Macht“ (scientia potentia est) gnadenlos wörtlich zu missbrauchen: Die Wissenden sollen auch die Herrschenden sein und, wenn auch nicht über den Präsidenten und Premiers stehen, so jedenfalls diesen als weise Berater diktieren, wie es lang geht. Jede Macht berauscht und verdirbt ihren Besitzer. Bacon meinte v.a. die Macht über die Natur, aber mit der Entwicklung von Sozialwissenschaften kam die Versuchung der Macht über die Mitmenschen dazu. Ein Wissenschaftler, der das Bewusstsein für die Begrenztheit seiner Kenntnisse verloren hat, wird vom Allmachtwahn ergriffen. Er fühlt sich berufen, die Fehler Gottes zu korrigieren. Statt unserer unvollkommenen, fehlerhaften Welt will er auf wissenschaftlicher Basis eine neue, perfekte, absolut gerechte Welt schaffen. Statt des alten Menschen mit seinem komischen, von wilden Tieren vererbten Genom einen neuen, idealen transhumanen Menschen, einen virenfreien und makellosen Halbroboter-Halbengel.
Streben nach absoluter Macht
Diese Spezies bildet ein Kontinuum, dessen ein Ende am besten der Held des einst schon erwähnten Science-Fiction Romans von Alexej N. Tolstoj, der Ingenieur Garin (2) repräsentiert, der mit seiner mörderischen Erfindung nur ein Ziel verfolgt: Diktator der Welt zu werden. Im realen Leben bekennen sich nur wenige, wie der Ingenieur Garin, als pure Machtmenschen. Die meisten glauben, mehr oder weniger aufrecht, daran, dass sie tatsächlich über das Wissen verfügen, mit dem sie die Welt und die Menschen beglücken. Sven Wagner (3) hat in der Literatur zahlreiche solche Typen analysiert. Das sind jene Altruisten und Philanthropen, die unter der Unvollständigkeit der Natur und der Menschen leiden und diese auf eine wissenschaftliche Art und Weise zurechtbiegen wollen. Sie wollen nur das Beste für alle Menschen auf der Erde. Und aufgrund ihrer Kenntnisse meinen sie, viel besser zu wissen, was für die Milliarden Menschen das Beste ist, als diese Milliarden Menschen selbst.
Wie Garin streben sie nach einer absoluten Macht, nach einer Diktatur, aber sie brauchen diese, um die Fehler der Natur zu berichtigen, die einen falschen Menschen erschaffen hat. Dazu gehört die ganze Schar von Eugenikern, Malthusiasten, National- und International-Sozialisten, Transhumanisten und sonstigen Kämpfern für eine wissenschaftsbasierte Weltordnung. Die alternative „cäsaroszientistische Schiene“ im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Macht ist späterer Herkunft und hängt mit der rasch zunehmenden Teuerung der Forschung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zusammen. Heute kann man nicht mehr von Wissenschaft sprechen ohne von Geld zu sprechen. Der Wert eines Naturwissenschaftlers wird daran gemessen, wie viele Drittmittelgelder er erworben hat. Der größte Drittmittelgeber ist der Staat; an zweiter Stelle folgt mit einem sehr großen Abstand die Pharmaindustrie, und dann, in weiter Ferne, hinken alle anderen hinterher.
Der erfolgreichste Wissenschaftler ist deshalb derjenige, der sich am besten an die aktuelle Agenda und die Anforderungen des Staates anpasst, der zu einem Handlanger der Staatspolitik wird, zu einem Ausführer eines politischen Programms. Dazu trägt auch die fortschreitende Bürokratisierung und Formalisierung der Wissenschaft bei, die eine ganze soziale Schicht von Wissenschaftsmanagern und Wissenschaftskontrolleuren produziert hat – von Menschen, die zwar Professorentitel tragen, aber jegliche Vorstellung von einer Forschungstätigkeit entweder längst verloren, oder niemals in einer realen Forschung erworben haben, sondern ausschließlich in Begriffen von formellen Kriterien, Kennzahlen, Drittmittelsummen und politischen Strömungen denken und handeln.
Wissenschaftskriminalität
Im Gegensatz zu der Kirchengeschichte werden in der gegenwärtigen Wis- senschaftsgeschichte die beiden Tendenzen, das Streben nach der Macht über Natur und Menschen einerseits und die uneingeschränkte Bereitschaft zur dienstlichen Unterordnung den politischen und wirtschaftlichen Mächten andererseits, nicht voneinander getrennt oder gar (wie der Cäsaropapismus und der Papocäsarismus) einander gegenübergestellt, sondern miteinander verflochten. Freud würde vielleicht anmerken, dass die beiden lediglich zwei Aspekte desselben Verhaltensmusters sind: Der analen Fixierung. Aber so weit in die Tiefenpsychologie müssen wir nicht gehen. Es ist völlig rational, dass in der realen Welt die persönliche Macht nur im An- und Zusammenschluss mit bestehenden Machtstrukturen, nur durch die Einbettung in diese Strukturen erreichbar ist. Markus Riedenauer beschreibt dieses Scheinparadox, dass die Selbstzensur, die „vorauseilende Konformität mit Interessen von Drittmittelgebern“ und die „Gesinnungswissenschaft“ dazu führen, „dass einer Wissenschaft, die sich verzwecken lässt, selbst eine neue, ungeahnte Macht zuwachsen kann: Unter der Herrschaft des spätmodernen technokratischen Paradigmas wird sie einerseits unfrei und andererseits zum Partner für illiberale Politik. Sie liefert Instrumente für ‚social engineering‘, ‚enhancement‘ und ‚wissenschaftlich fundierte‘ Biopolitik.“ (4)
Nail Ferguson konnte seinen Wahn über die Einsperrung von Millionen Menschen nur dadurch verwirklichen, dass er mit seinen falschen Berechnungen den britischen Premier an die Nase führen konnte, und Anthony Fauci wurde zu dem nahezu mächtigsten Mann der USA durch seinen Einfluss auf den Präsidenten Trump. Darin ist nichts grundsätzlich Neues: Auch in den früheren Zeiten wäre für einen machtbesessenen Professor der beste Weg zu seinem Ziel, sich mit einem König zu verbinden. Aber indem sich ein Wissenschaftler in den politischen Intrigantenstadl begeht, besteht immer die Möglichkeit, dass er sich dort verliert und von den politischen Kräften instrumentalisiert wird (etwa wie zahlreiche deutsche „Expertenräte“ zu den Bediensteten der Regierung degradiert wurden), statt diese Kräfte für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren (etwa wie Fauci Donald Trump instrumentalisieren konnte).
Grundsätzlich neu im Vergleich mit den früheren Zeiten ist allerdings das Volumen von enormen finanziellen Massen, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Wissenschaftswelt bewegen. Diese Geldmassen ziehen besondere Kategorien von Menschen an, die früher in dieser Welt nichts zu suchen hatten, und produzieren ein neues, nie dagewesenes Phänomen der organisierten Wissenschaftskriminalität. Kein Zufall, dass kriminelle Wissenschaftler zwar schon im 19.Jahrhundert in der Literatur thematisiert wurden, aber erst in unserem Tagen ein Roman erscheint, der die gesamte Wissenschaftsstruktur als eine kriminelle Struktur beschreibt. (5) Man kann einwenden, dass die Verdienstmöglichkeiten in der Wissenschaft immer noch viel geringer sind als in der Wirtschaft, dass ein Vorstand eines Börsenunternehmens mit unvergleichbar höheren Beträgen operiert als auch der einflussreichste Wissenschaftsmanager, und dass die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Kriminalität viel umfangreicher sind als die der wissenschaftlichen, aber dieses Argument geht am Ziel vorbei. Das Ans-Geld-Kommen in der Wirtschaft ist ein ganz anderes als in der sticken Luft der Drittmittelprojekte, die Kontrollmechanismen sind in der Wirtschaftspolitik viel besser entwickelt, die Gesetzgebung strenger und daher die Möglichkeiten illegaler Operationen stärker eingeschränkt. Zu diesen Kontrollmechanismen gehört v.a. auch die Selbstkontrolle durch die „unsichtbare Hand des Marktes“, den, wie wir oben gesehen haben, in der Wissenschaft nicht gibt und wahrscheinlich nicht geben kann. Deshalb riskiert ein wissenschaftlicher Geschäftsmann im Gegensatz zu seinem Gegenpart aus der Wirtschaft so gut wie nicht; wie oben gezeigt, kann jeder Draufgänger von heute auf morgen eine wissenschaftliche Zeitschrift gründen, und die meisten Gelder kommen schließlich vom Steuerzahler, d.h. von einem armen Schwein, das nichts überprüfen, nichts kontrollieren, nichts genau wissen kann, sondern vom lieben Gott extra dafür erschafft zu sein scheint, beklaut und ausgebeutet zu werden.
Anpassung an die Interessen der Mächtigen
Auf dieser Schiene trifft der Typ des „verrückten Genies“ auf den Typ des wissenschaftlichen Hochstaplers und Betrügers. Auch dieser ist nicht neu und wird heute weder erfunden noch entdeckt. Man konnte ihn noch im Mittelalter antreffen: Mit tatsächlichen oder erfundenen Magistertiteln erschien er am Hof eines Fürsten und versprach ihm eine genaue Vorhersage seiner militärischen Erfolge oder das Rezept zur Verwandlung von Eisen ins Gold. Das Produkt sei bereits fast fertig, nur für die letzte Entwicklungs- und Produktionsstufe bräuchte man noch eine gewisse fürstliche Investition, die sich aber selbstverständlich in der kürzesten Zeit lohnen werde...
Alles bekannt; aber der Wissenschaftsbetrieb des 21.Jahrhunderts, der fast keine Inhalte mehr kennt und allein an sinnlosen Kennzahlen orientiert ist; in dem ein höchst produktiver Forscher in einer renommierten Londoner Forschungseinrichtung zu Tode gehetzt wird, weil er keine 200 000 Pfunds jährlich erwirbt, und in dem man ohne wissenschaftliche Publikationen eine Professur bekommen kann, wenn man angibt, Drittmittelgelder von der Pharmaindustrie zu erhalten; (6) in dem man seit Beginn der Karriere die zahlreichen Tricks erlernt, mit denen man seine Daten verschönt, nachbessert, im günstigeren Licht darstellt, Unnützes verschweigt, Widersprüche glättet, die Schlussfolgerungen politisch korrekt formuliert und an die Interessen des Vorgesetzten, des Chefeditors, des Geldgebers und sonstiger Mächtiger anpasst; in dem zurückgezogene (also nicht existente) Publikationen weiter zitiert werden, als ob nichts passiert wäre (7) – dieses System bietet den beiden Typen einen Nährboden, den es in der Vergangenheit nicht gab. Sie verflechten und wachsen miteinander zusammen. Man verfolgt besonders gerne hohe, gesellschaftlich wichtige Ziele, baut mit seiner Forschung eine neue, bessere Welt, wenn man damit auch auf gutes Geld kommt; und umgekehrt, wer mit der Versprechung eines perpetuum mobile Millionen ergattert, beginnt selbst an die Möglichkeit zu glauben, die Menschheit mit einer sich ewig erneuenden Energie zu beglücken.
Die modischen Konzepte, die uns im Laufe dieser sich gegenseitig verstär- kenden Tendenzen präsentiert werden, sind streng genommen ein Plagiat. Noch am Ende des 19.Jahrhunderts kam ein gewisser Friedrich Nietzsche auf die Idee, dass die Menschen wie sie sind zu schwach und abhängig sind, und deshalb von einem „Übermenschen“ überwunden und aufgehoben werden sollten. Was er darunter gemeint hat, weiß bisher niemand genau, und es besteht sogar ein berechtigter Zweifel, ob er selbst das genau gewusst hätte. Jedenfalls regte dieser Gedanke in den folgenden Jahrzehnten eine ganze Reihe von verschiedenen Menschen an, wie Marinetti und Mussolini, Lenin und Bogdanow, Rosenberg und Himmler. Alle wollten, wenn auf verschiedene Arten und Weisen, den „alten Menschen“ abschaffen und einen neuen, starken, gesunden, makellosen Menschen erschaffen, selbstverständlich mit den Mitteln der einzig wahren wissenschaftlichen Theorien.
Unheil und Zerstörung
Je nachdem, welche von den vielen Theorien zu der einzig wahren erklärt wur- de, hieß der neue Mensch z.B. „die sozialistische Persönlichkeit“ oder „der echte Arier mit nordischem Charakter“, wurde mit Mitteln der Rassenselektion oder der kommunistischen Erziehung, Hormontherapie oder Bluttransfusionen gebildet. All diese Konzepte waren und bleiben kollektivistisch, weil alle „neuen Menschen“ nach einem einheitlichen Muster aufgebaut und keiner sich von den anderen unterscheiden sollte. Damals wie heute sollte der neue Mensch glücklich sein, wenn er nichts besitzt (v.a., weil er nicht fragt, wer denn doch alles besitzt). In allen Fällen lag und liegt die Angst des Menschen vor sich selbst zugrunde, die Flucht von den eigenen Schwächen und dem eigenen Tod, und das mechanistische Menschenbild, nach welchem jeder von uns, sowohl als biologischer Organismus als auch als handelnde Person, nach einfachen Ursache-Wirkung-Regularitäten verstanden und gesteuert werden kann.
Der wichtigste Unterschied zwischen den gegenwärtigen Wahnkonzepten über den „neuen Menschen“ und den analogen Ideen vor 100 Jahren ist, wie schon gesagt, das enorm gewachsene Geldvolumen. Zu jenen Zeiten, als es zwischen der Umwelt eines Gelehrten und der eines Bankiers so gut wie keine Überlappung gab, waren die meisten Ideologen des „neuen Menschen“ Fanatiker, die an ihre Ideen tatsächlich glaubten. Die neue Generation „wahnsinniger Professoren" besteht dagegen zum großen Teil aus Personen, bei denen das Zauberwort „Drittmittel“ sofort ihre geistige Gesundheit wiederherstellt. Finanzkräftigen Mäzen (die wichtigsten wovon sind wiederum die Staatsregierungen und superstaatliche Strukturen wie die EU, WEF, Weltbank usw. ) reden sie ein, dass sie mit Hilfe von Tomographen Gedanken der Bürger lesen werden; dass mit neu entwickelten psychotropen Substanzen die Leistungsfähigkeit und das Gedächtnisvermögen des menschlichen Gehirns unendlich gesteigert wird; dass sie das menschliche Genom so umprogrammieren können, dass eine Rasse gehorsamer Knechte entsteht, die sich den Herren bedingungslos unterordnen und niemals gegen sie auflehnen; dass die künstliche Intelligenz keine natürliche Schwester braucht und eine vollkommen automatisierte Arbeitswelt erschafft, die jede menschliche Arbeitskraft überflüssig macht; dass sie das Verhalten von Menschenmassen mit Hilfe von „Algorithmen“ lenken können.
Selbstverständlich werden all diese größenwahnsinnigen Versuche, wie auch der von Frankenstein, hoffnungslos scheitern, weil sie auf einem linear-kausalen Bild von Welt, Mensch und Gesellschaft beruhen. Die ganzen trans- humanistischen Vorstellungen über eine neue Welt und einen „neuen Menschen“ sind nicht nur unmenschlich und unethisch, sondern vor allem gegenstandslos. Diese Ideen prosperieren nur deshalb, weil Soziopathen, die Milliarden verdienen und hohe Machtpositionen erobern, ihre sämtlichen intellektuellen Fähigkeiten eben dafür (um Milliarden zu verdienen und Macht zu erobern) vollständig aufbrauchen und keine kognitiven Ressourcen für andere Tätigkeiten haben – auf Deutsch gesagt, sind sie blöd. Aber sie sind bereit, für den Unsinn, der ihr unermessliches Ego befriedigt, großzügig zu zahlen, und Professoren sind bereit, an diesem Unsinn zu arbeiten, denn pecunia non olet. (8)
Das bedeutet leider nicht, dass transhumanistische und ähnliche Konzepte nichts bewirken können; das bedeutet vielmehr, dass sie Unheil und Zerstörung bringen. Der grundliegende Unterschied zwischen einer verzweckten Maschine und einer selbstkorrigierenden Lebensaktivität wird nicht verstanden. Es wird in Systeme eingegriffen, die auf völlig anderen, nicht-mechanischen Prinzipien funktionieren und aus zigtausenden verwobenen Rückmeldeschleifen bestehen. Die Ergebnisse dieser Eingriffe sind unvorhersagbar und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit katastrophal, wie die Versuche eines Holzfällers mit Hilfe seiner Axt eine Breguet zu reparieren. Statt die Fähigkeiten des Gehirns zu erweitern, werden die „enhancer“ Epidemien psychischer Erkrankungen auslösen; statt das Genom planmäßig in erwünschte Richtung zu verändern, wird dieses zerstört, was eine Reihe neuer, der bisherigen Medizin völlig unbekannter Krankheiten ergibt; und eine vollautomatisierte und algorithmisierte Welt geht an einem einzigen Bug, den niemand berichtigen kann, zugrunde. (9) Wenn das eugenische Experiment vor 80 Jahren in Millionen Ermordeten und Hunderttausenden Zwangssterilisierten endete, so mag man sich die Anzahl der Opfer künftiger Experimente der gleichen Art nicht ausmalen.
Dies ist ein Auszug aus Boris Kotchoubeys Buch: „Der Untergang einer Institution: Wissenschaft zwischen Früh- und Postmoderne“, Deutscher Wissenschaftsverlag, 2023, 252 Seiten, 24,95 €. Hier bestellbar.
Boris Kotchoubey ist Professor am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie an der Universität Tübingen.
Anmerkungen:
(1) Im Russischen ist das Wort „Synod“ männlich, aber das ursprüngliche griechische „synodos“ ist weiblich. Im Deutsch habe ich die beiden Formen „der Synod“ und „die Synode“ gelesen.
(2) In deutscher Übersetzung: „Geheimnisvolle Strahlen“, Berlin, Kultur und Fortschritt, 1957
(3) Wagner S. (2012). The Scientist as God. Heidelberg, Winter.
(4) Riedenauer, M. Vom Mythos der wissensbasierten Gesellschaft. In: Lieske T., Kostner S. (Hsgb.) Pandemiepolitik. Freiheit unterm Rad?, S. 49.
(5) Ueding G (2021). Herbarium, giftgrün. Stuttgart, Alfred Kröner Verlag.
(6) https://plus.tagesspiegel.de/politik/kaum-anzeichen-einer-fundierte-akademischen- vergangenheit-die-schwierige-suche-nach-lauterbachs-wissenschaftlicher-kompetenz- 488574.html, aufgerufen am 8.06.2022
(7) Piller, C. (2021). Disgraced COVID-19 studies are still routinely cited. Science 371, 6527, 331–332.
(8) https://de.wikipedia.org/wiki/Pecunia_non_olet, aufgerufen am 11.11.2022
(9) E. M. Forster hat in einer kurzen Novelle „The machine stops“ bereits 1909 (!) beschrieben, wie und warum eine von der künstlichen Intelligenz und Computern gesteuerte Welt zum schnellen Tod verurteilt wird. Zu diesem Zeitpunkt gab es zwar die Worte „künstliche Intelligenz“ und „Computer“ nicht, aber wer Ohren hatte, konnte hören.
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