Marcus Ermler / 18.06.2021 / 12:00 / Foto: Ot / 21 / Seite ausdrucken

Emcke macht das, was man Maaßen vorwirft

Nun haben auch die Grünen ihren Antisemitismus-Skandal. Nachdem der Autor dieser Zeilen vor wenigen Tagen noch darüber berichtete, wie das grünbürgerliche Juste Milieu dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und heutigen CDU-Bundestagskandidaten Hans-Georg Maaßen die Reproduktion von Stereotypen eines „strukturellen Antisemitismus“ unterstellte, sprach die Publizistin Carolin Emcke auf dem Bundesparteitag der Grünen davon, dass im Kontext der grünen Klimabewegung „sicher wieder von Elite gesprochen werden“ würde und „vermutlich werden es dann nicht die Juden (sic!) und Kosmopoliten, nicht die Feminist:innen und die Virolog:innen sein, vor denen gewarnt wird, sondern die Klimaforscher:innen“.

Emcke greift in dieser Aussage das Motiv jenes strukturellen Antisemitismus auf, den man Hans Georg Maaßen vorwirft, indem der Antisemitismus als „das Gerücht über die Juden“ (Theodor W. Adorno) abstrahiert und in einer verschwörungstheoretischen Erzählung „einer global agierenden“ Elite zugeschrieben wird, „die die politisch Verantwortlichen in ihrem Handeln lenkt und eine Agenda zur Zerstörung organisch gewachsener, ethnisch homogener Völker verfolgt“. Letzteres sagt so eine Fachinformation des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Dabei offenbart sich hierin ein Zusammenhang zu den Begriffen des sozialen und politischen Antisemitismus. Während die erste Form behauptet, dass Juden „als einflussreiche Akteure im Hintergrund“ wirkten, konkretisiert die zweite Ausprägung die „als homogenes Kollektiv gedachten Juden als einflussreiche soziale Macht, die sich in politischer Absicht zu gemeinsamem Handeln zusammenschlössen“, in einem Bild „von den Juden als Draht- und Strippenzieher[n], die unter dieser Maßgabe Wirtschaftskrisen, Revolutionen oder Kriege anzettelten“. So zumindest kann man es in einem „Lagebild Antisemitismus“ des Verfassungsschutzes wie in einem Artikel von Armin Pfahl-Traughber bei der Bundeszentrale für politische Bildung nachlesen.

Der strukturelle Antisemitismus ist „das Gerücht ohne die Juden“

Der strukturelle Antisemitismus verallgemeinert diese Imagination jüdischer Omnipotenz, indem eine Verschwörung von bösartigen Reichen, Kapitalisten, Virologen oder, wie Emcke es nun neuerdings ausführt, Klimaforschern behauptet wird, wobei indes nicht ein System, wie das des Kapitalismus oder der in Corona-Zeiten globalisierten Gesundheitspolitik, an sich reflektiert, sondern stattdessen einer als wirkmächtig diagnostizierten Gruppe innerhalb des jeweiligen ökonomischen beziehungsweises sozialen Gefüges eine unheilschwangere Konspirationskraft attestiert wird. 

Die Konstitution eben solch einer Verschwörungsphantasie nähme dann deshalb antisemitische Züge an, weil diese imaginierte Machtkonstellation eine historische Konstante in der Klassifikation des Judentums darstellt. Frei nach Adorno könnte man also sagen, der strukturelle Antisemitismus ist „das Gerücht ohne die Juden“.

Indes zeigt sich hier auch eine Schwäche der Begrifflichkeit des „strukturellen Antisemitismus“: Ist eine Definition von Antisemitismus, die ohne konkrete Bestimmung des Judentums zum Feindobjekt auskommt, sondern vielmehr die Widerspiegelung eingebildeter jüdischer Macht in einflussreichen Gruppen beziehungsweise Herrschaftsstrukturen annimmt, im Kern nicht selbst so ein Reproduktionsort des strukturellen Antisemitismus? Und setzt damit die Diagnose strukturellen Antisemitismus in ihrer Attribution elitärer Machtkonstellationen als jüdisch nicht den Glauben an die Existenz solcher den Juden zugeschriebenen Machtverhältnisse selbst als gegeben voraus?

Andererseits schält die Formel des strukturellen Antisemitismus, wie sie Emcke hier ausdrückt, ebenso einen spezifisch deutschen Wahn heraus, der eine Wesensähnlichkeit zwischen konkretem Judenhass, der die Juden als ethnisch-religiöse Gruppe an sich adressiert, und einer sich durchaus bis zum Hass auszeichnenden Ablehnung elitärer Gemeinschaften beziehungsweise Zusammenschlüssen behauptet. Eine aberwitzige Konstruktion, in der selbsternannte Eliten als Nachfahren der Täter von einst sich selbst zur Projektionsfläche des Antisemitismus erklären und tatsächlichen Judenhass damit verharmlosen sowie dessen reale Opfer verhöhnen.

Ist es strukturell antisemitisch, den UN-Eliten eine Anti-Israel-Politik zu attestieren?

In dieser von Emcke konstruierten Verbindung von konkreten „Juden“ und deren abstrahierten Form im „Klimaforscher“ sinnentleert sich jedwede Strukturierung von Antisemitismus selbst, wenn sie aus Gründen politideologischer Opportunität dem sich artikulierenden Antagonismus einer „global agierenden“ Elite diktiert wird. Das Prädikat der strukturellen Judenfeindschaft verkehrt sich in seiner ursprünglichen Intention im schlimmsten Fall sogar in das Gegenteil, indem es dem Antisemiten einen Persilschein für seinen Judenhass ausstellt.

Dies lässt sich leicht verifizieren. So wird sicherlich niemand ernsthaft bezweifeln, dass die Vereinten Nationen selbst wie auch ihre diversen Gremien in Funktionsweise und Zweck eben solch einen gesellschaftlichen, weltweiten Überbau realpolitisch manifestieren, der sich als „global agierende“ Elite determinieren lässt. Wäre es dann nicht auch „strukturell antisemitisch“, wenn man in besagten UN-Eliten eine „einflussreiche soziale Macht“ erkennt, die mit ihrer anti-israelischen Resolutionspolitik „die politisch Verantwortlichen in ihrem Handeln lenkt“ und eine „Agenda zur Zerstörung“ eines „organisch gewachsenen, ethnisch homogenen“ jüdischen Volkes Israel verfolgt? 

Dass Israel faktisch ein Vielvölkerstaat ist, interessiert den elitären Antizionisten nicht, ethnisiert er ihn doch gemäß seinem antisemitischen Wahn in einer vermeintlichen Homogenität als ausschließlich „jüdisch“. So ist solch eine akzentuierte Delegitimierung des als Heimstatt eines „organisch gewachsenen, ethnisch homogenen“ jüdischen Volkes wahrgenommenen Staates Israel schließlich auch nur eine Chiffre für „den Judenhass von einst und von jeher“, wie es der Literaturwissenschaftler Hans Mayer konstatierte.

An diesem Punkt kristallisiert sich ein kontrafaktischer Wahnwitz heraus, wenn die Begriffsdefinition struktureller Judenfeindlichkeit in diesem Kontext nicht den Antizionisten selbst zum Antisemiten deklariert, sondern sich vielmehr derjenige „strukturell antisemitisch“ auflädt, der sich für Israel und gegen den israelbezogenen Antisemitismus einer „global agierenden“ Elite der Vereinten Nationen einsetzt.

In diesem Definitionswirrwarr wird selbst Israel zum strukturellen Antisemiten

Ähnliches könnte man auch bezüglich der BDS-Kampagne fragen: Ist diese sich selbst als global definierende Israel-Boykott-Bewegung, die weltweit von Politikern, Intellektuellen, Künstlern und Wissenschaftlern gestützt wird, nicht eben solch eine „einflussreiche soziale Macht“, die mit ihren antisemitischen Kampagnen „die politisch Verantwortlichen in ihrem Handeln lenkt“ sowie mit ihrem modernen Judenboykott eine „Agenda zur Zerstörung“ eines „organisch gewachsenen, ethnisch homogenen“ jüdischen Volkes Israel betreibt? Ist es also demnach auch „strukturell antisemitisch“, wenn man sich gegen die global tätigen BDS-Eliten und deren Agitation gegen den Staat der Juden positioniert?

Soll also hier dann bereits derjenige struktureller Antisemit sein, der jene, nicht zufällig den Judenboykott des NS-Terrorregimes nachahmenden Eliten der BDS-Bewegung identifiziert und angreift, die den Staat der Juden nicht nur latent, sondern offensichtlich delegitimieren oder gleich auslöschen wollen? In diesem Definitionswirrwarr würde so der Staat Israel, der gegen diese Elitenpolitik der UN beziehungsweise der BDS-Entourage faktisch opponiert, selbst zum strukturellen Antisemiten. Was absurd klingt, ist hier doch fatale Konsequenz einer eigentümlichen Definition von Antisemitismus.

Ist der strukturelle Antisemitismus also „das Gerücht ohne die Juden“, entkernt er die Reflexion des Antisemitismus vollständig, indem er in seiner opulenten Begriffsbeliebigkeit, die doch nur eine letztlich vielsagende Sinnentleerheit progressiver Antidiskriminierung pseudoakademisch verbrämt, nicht den elitären Antisemiten in seiner real-manifesten, israelbezogenen Judenfeindlichkeit demaskiert, sondern den Einsatz dagegen zu einer spekulativen „Struktur“ des Judenhass umzuetikettieren ermöglicht.

Dass Carolin Emcke neben ihrem Rückzug auf das elitäre Phänomen struktureller Judenfeindlichkeit selbst dann auch noch für ein ungestörtes intellektuelles Nebeneinander mit der BDS-Bewegung plädiert, indem sie im Dezember 2020 der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ für eine vorgebliche Kunst- und Wissenschaftsfreiheit goutierte, die Resolution des Bundestags vom Mai 2019 zur modernen Judenboykott-Kampagne „kritisch reflektiert“ zu haben, zeigt in seiner Conclusio, dass der grünbourgeoise Kampf gegen den Antisemitismus an seinem „strukturellen“ Endpunkt angekommen zu sein scheint.

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Jana Hensel / 18.06.2021

Im Kern versucht Emcke jegliche Kritik an den -von ihr selbst ja so bezeichneten!- “Eliten” (zu der sie sich natürlich dazu rechnet) mit brutalstmöglicher Rethorik niederzuhalten. “Linksgrün” ist schon lange ein Oxymoron. Bei den Grünen ist bei genauerer Betrachtung schon länger nur noch wenig “linkes”. Neu ist aber, dass die Grünen FührerInnen (so nennen sie sich, die young global leader!) den postdemokratischen Elitarismus ebenso wie einen unverhohlenen Bellizismus (siehe Habecks Aufrüstungsaufruf im Stahlhelm und Kampfweste) ganz offen fordern. Dies widerspricht doch all dem, für was die 68er auf die Straße gingen und für was die Grünen der 80er noch standen. Doch von den Ur-Grünen in der Partei war kein Mucks des Protests zu hören. Stattdessen gab es ein nordkoreanisches Ergebnis für die Hochstaplerin. Wohl schon alle dement und senil? Der Gipfel der Heuchelei war aber das KGE den glasklar anti-aufklärerischen Aufruf Emckes zum dogmatischen Autoritarismus und Elitenschutz auch noch als “herrlich aufgeklärt” verkaufen möchte. Die heutigen Grünen sind führungsgläubige ideologiegetränkte und freiheitsfeindliche Nazienkel, durch und durch.

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