Georg Etscheit / 25.05.2025 / 14:00 / Foto: Freepik.com / 17 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Wie ökologisch ist die Sterneküche?

Viel Gerede von Nachhaltigkeit, saisonaler Küche und sozialer Verantwortung – doch hinter den Kulissen der Sternegastronomie sieht es oft ganz anders aus.

„Ein Menu. Getragen vom Lauf der Jahreszeit. Achtsam. Reflektiert. Natürliche Produkte aus der eigenen Gärtnerei. Von Freunden aus der Region, Wald und Wiese, heimischen Gewässern und dem Meer.“ Hach, das klingt so schrecklich nachhaltig, dass einem gleich der Matcha-Tee aus dem wiederverwendbaren ToGo-Becher schwappt. Gedichtet hat es anrührende Staccato das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Gourmetrestaurant „Alte Liebe“ in Augsburg.

„Einiges kommt aus der Bio zertifizierten Gärtnerei“, schreiben die Tester der roten Bibel. „Einiges“ wohlgemerkt. Aber „eigene Bio-Gärtnerei“, das klingt schon mal gut und hält die Gäste bei Laune, die für ein Menü 200 Euro zücken müssen - ohne Getränke versteht sich.

Jüngst befasste sich die „Welt“ in einem längeren Artikel mit der Frage, wie ernst die Bekenntnisse von immer mehr Gourmetköchen zu Nachhaltigkeit und sozialem Engagement zu nehmen seien. Fazit: Heuchelei und Greenwashing allerorten. Ein Beispiel unter mehreren: Der französische Gastro-Superstar Alain Ducasse eröffnete vergangenes Jahr ein Pop-up-Restaurant in der Oase Al-Ula in Saudi-Arabien. Im gleichen Jahr lud er bei sich zu Hause in Monaco, wo ganz viele dreckigen Schiffsdiesel schlürfende Luxusjachten vor Anker liegen, zum „Gipfel der nachhaltigen Gastronomie“. Die beleuchteten Palmen in Al Ula wirken in der Tat extrem nachhaltig.

Atmosphäre und Service nahbar wie im Studentenlokal

„Viele Stars am Herd propagieren Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit. Doch Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit muss man sich leisten können“, gab ein Leserkommentar zu Bedenken. „Wenn man ,woke Verarschungsküche‘ jetzt noch gekonnt ins Französische übersetzen würde, wäre ein Name für das Phänomen der greenwashenden Löffelschwinger gefunden“, schreibt ein anderer Kommentator. Touché!

Nicht nur in Saudi-Arabien, auch im kühleren München liebt man es beim Schlemmen grün und nachhaltig. Einmal war ich in dem angesagten Sterne-Restaurant „Mural“ im Münchner Hackenviertel. Atmosphäre und Service nahbar wie im Studentenlokal, vielleicht ein bisschen zu nahbar. Den Naturwein und das von einem Münchner Startup gebraute Bier ließ ich gleich zurückgehen. Dann kredenzte der total lockere Jungspundober mit Tattoos und Baggyhose unter anderem ein Kartoffelrisotto, das nur wenig interessanter schmeckte als die in Mehlschwitze ersäuften Bechamelkartoffeln meiner Mutter. Ich dachte, die müssen da wer-weiß-was für saisonal-regionale Bio-Luxuskartoffeln verwendet haben. Auf Nachfrage nannte man mir die Sorte: Annabelle. „Puristisch“ nennt sich das.   

Das „Mural“ hatte bis vor kurzem noch einen Ableger, das mit zwei grünen Michelinsternen (für besonderes Engagement für nachhaltige Gastronomie) dekoriert war, wahrscheinlich, weil man auf der 1000 Quadratmeter großen Dachterrasse auch ein paar Hochbeete hegte und pflegte zwecks „saisonaler Bewirtung“. Möglicherweise hatte der Ertrag der Hochbeete nicht ganz ausgereicht, um zwei Restaurants zu versorgen. Das Farmhouse hat zwischenzeitlich seine Tore geschlossen. Und das noch existierende „Mural“ muss jetzt wohl beim schnöden Händler einkaufen, ekelig.

„Den besten Fraß kocht immer noch Oma“

Ok, ich lasse mir vieles gefallen und fühle mich vielleicht sogar wieder jung dabei. Aber Sternenniveau ist das für mich nicht, mit Ausnahme der Preise, versteht sich. Da sind wir schon beim Problem. Wenn man 200 bis 300 Euro oder mehr für ein abendliches Menü zu zahlen bereit ist, müssen es die besten und feinsten Zutaten sein, meisterhaft und makellos zubereitet. Da ist es völlig egal, was gerade wo Saison hat oder welcher Fisch aus dem Greenpeace-Fischratgeber sein nasses Leben lassen musste. Wiederrede zwecklos!

Wer das nicht will, darf eben kein Sternerestaurant besuchen, idealerweise überhaupt kein Restaurant. Denn kaum eine Sphäre der Gesellschaft ist so wenig nachhaltig wie die Gastronomie, insbesondere die Hochgastronomie. Wenn man sieht, mit welch ungeheurem, handwerklich-technischen Aufwand und welchem Personaleinsatz in einem Gourmetlokal gekocht und serviert wird, sollte sich jeden Gedanken an grüne und sonstige Correctness abschminken. „Freunde“ stehen da auch nicht am Herd, sondern Schwerstarbeiter. Man mag es degoutant finden, wenn in großen französischen Restaurants nach jedem Toilettengang eine frische Serviette auf dem Tisch liegt. Aber es ist eben auch ein Zeichen höchster Wertschätzung. Der Gast ist König!

„Den besten Fraß kocht immer noch Oma“, schreibt ein „Welt“-Leser. Kann sein, Geschmackssache. Aber Oma war extrem nachhaltig. Nur hat sie nichts davon gewusst.

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Freepik.com

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

Andreas Bitz / 25.05.2025

Pauschalaussagen und Verallgemeinerungen werden leider den wenigen tatsächlich ehrlichen Gastronomen bzw. Restaurants nicht gerecht. Für meinen eigenen Betrieb wie für eine Vielzahl anderer inhabergeführter, häufig seit Jahren bewährten Gaststätten meist auf dem Lande kann aufgrund bewährter Lieferanten, saisonal wechselnder Angebote, effizientem Wareneinsatz etc. gegenüber dem Haushaltskochen doch ein Vorteil bzgl. Nachhaltigkeit attestiert werden. Die Sterne- wie auch die Szenegastronomie (mit Tofu, grünem Strom etc.) hängen sich nur ein grünes Mäntelchen um - und deren Gäste wollen betrogen werden… Übrigens ist die rein in den Medien erfundene Welle von vegan, woke etc. eher eine Erfindung der Berliner Blase. Angesichts der wirtschaftlichen Situation der Gäste wie auch der Betriebe können sich nur ehrliche und im wahrsten Sinne des Wortes preiswerte (ihren Preis werte) - und nicht billige oder völlig überteuerte - Angebote am Markt halten.

W. Renner / 25.05.2025

Wem mundet er nicht, der sous vide gegarte heimische Laubfrosch an dreierlei von der Brennnessel mit einem leichten Bio Sauerampferdressing? Kenner achten natürlich darauf, dass stets ein Himalaya Gletscherwasser, z.B. das Messner 1979er K2 Südlage, dazu kredenzt wird, um den Geschmack nicht zu verfälschen.

Sam Lowry / 25.05.2025

Schade. Meine Oma starb zu früh. Sonst hätte ich gerne bei ihr Kochen gelernt. Im Verhältnis zu den ganzen Sterneköchen im TV (KKK war sogar in meiner Schulklasse) hätte sie jeden dieser Show-Maker und Wichtigtuer an die Wand gekocht. JEDEN! Aus nichts, also meist nur aus dem eigenen kleinen Garten in Mayen, wahre Wunder gezaubert. Gut, der Hase war eines Tages weg…

Gerard Döring / 25.05.2025

Ein Sternekoch muss improvisieren können.Niemals darf er sich den Gästen gegenüber als Sternekoch zu erkennen geben,sein Ruf muss ihm vorauseilen.Als ich einmal mit einem Reisenden sprach und erwähnte dass ich die Porzellan- Manufaktur in Meißen besichtigt hatte, fragte mich dieser unvermittelt ob ich denn auch bei Rosin war. Sowas prägt sich ein und ich wusste nicht das er den bedeutenden Koch und Retter meinte, welcher im ganzen Land das höchste Ansehen genießt. Seitdem muss ich bekennen nicht mehr zur Bahncard-Schickeria zu gehören und im Punkte Ernährung mich eher dem als Pöbel bezeichneten Proletariat zurechne.Es gibt sie noch, die Restaurants mit vorzüglicher Hausmannskost, nur möchte ich sie lieber nicht verraten.

Hans-Joachim Gille / 25.05.2025

Wir kürzen die Zuwendungen für Parlamentarier um 2/3 & schon hat sich die Sterne-Nummer.

M. Neland / 25.05.2025

In den 90er und Nullerjahren haben meine Frau und ich Sternerestaurants besucht, in Belgien, Frankreich und Süddeutschland, damals noch *emäßig. Haben dabei von Tipps und Tricks der Meister beim Kochen zu Hause profitiert. Heute kann man die moderne Sterneköchelei vergessen, ist ein einziger Schwindel, gehypt und überbewertet. Wer geht wann und wo mit wem in eine angesagte Location, das ist alles. Dann und wann für gute und beste Freunde zu Hause auf Sternelevel kochen ist spätestens seit Covid die beste Alternative.

Sam Lowry / 25.05.2025

Kurz gesagt: Wer Schnittlauch mit der Pinzette auf dem Teller drapiert, der hat aber sowas von einen an der Klatsche…

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 06.07.2025 / 12:00 / 9

Cancel Cuisine und Klimakäse: Comté

Ist der Comté wirklich Opfer des Klimawandels – oder des eigenen Erfolgs? „Klimawandel bringt Frankreichs Käsehersteller in die Bredouille“. So titelten die Medien rechtzeitig zur…/ mehr

Georg Etscheit / 29.06.2025 / 12:00 / 25

Cancel Cuisine: Rote Grütze

Ralf Stegner wurde vom Grütze-Essen ausgeladen – vermutlich, weil man befürchtete, er würde selbst als Zutat enden: zu sauer, zu alt, zu ideologisch durchgekocht. Wenn…/ mehr

Georg Etscheit / 26.06.2025 / 12:00 / 23

Deutschlands erste Öko-Diktatur

Vor 90 Jahren trat das Reichsnaturschutzgesetz in Kraft. Die braunen Ökos jubelten und betrieben fortan Naturschutz nach Gutsherrenart. Angesichts der „Klimakrise“ träumen auch heute manche Umweltaktivisten…/ mehr

Georg Etscheit / 22.06.2025 / 12:00 / 12

Cancel Cuisine: Liviokrise extra vergine

Vor ein paar Jahrzehnten wunderten sich viele Deutsche noch, dass die Südländer ihr bevorzugtes Speiseöl als „extra jungfräulich“ bezeichneten. Man kannte sie ja die Romanen,…/ mehr

Georg Etscheit / 15.06.2025 / 12:00 / 9

Cancel Cuisine: Softeis

Eigentlich hätte man sich gerne daruntergelegt, um die Masse direkt in den Mund strömen zu lassen. Ein niemals versiegender Quell sommerlichen Genusses. Wer hat’s erfunden?…/ mehr

Georg Etscheit / 14.06.2025 / 14:00 / 24

Der Grillhammer

Aus Gründen des „Hitzeschutzes“ soll bei öffentlichen Sportveranstaltungen aufs Grillen verzichtet werden. Anfang vom Ende einer zutiefst männlichen Passion? Merkwürdig, dass der jüngste „Grillhammer“ nicht…/ mehr

Georg Etscheit / 01.06.2025 / 12:00 / 10

Cancel Cuisine: Leipziger Lerchen

Was einst als Vogelpastete auf dem Teller landete, wird heute als Backware verkauft. Der Lerchengesang ist verklungen – geblieben ist ein Mürbeteig-Mahnmal der deutschen Vogelküche.…/ mehr

Georg Etscheit / 18.05.2025 / 12:00 / 11

Cancel Cuisine: Söder und Tofu

Söders Polemik gegenüber Tofu ist unangebracht, weil es sich um ein gesundes, nahrhaftes und überaus vielseitiges Lebensmittel handelt, sofern man es nicht zu dämlichen, veganen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com