Wer hätte nicht gern eine Weinflasche, auf deren Etikett der nette Diktator oder Polit-Verbrecher seines Vertrauens abgebildet ist?
Deutsche Touristen, die in Italien unterwegs waren, zeigten sich manchmal leicht irritiert, wenn ihnen aus den Auslagen gewisser Andenkenläden Weinflaschen mit dem Konterfei Adolf Hitlers entgegenlachten. Neben solchen mit dem „Duce“, mit Franco, Stalin und anderen beliebten Diktatoren der Weltgeschichte. Man wusste immer nicht so genau, an wen sich das Angebot richtete: an Ewiggestrige, Geschichtsinteressierte, Kuriositätenjäger?
Verkauft wurden die Flaschen seit 1995 von dem in der norditalienischen Region Friaul beheimateten Weingut Lunardelli als „Linea storica“. Wobei der Inhalt wohl eine weniger wichtige Rolle spielte als die jeweiligen Etiketten, auf denen auch Sprüche wie „Sieg Heil“ und Hakenkreuze prangten.
2016 hatte die italienische Tageszeitung „Il Giornale“ sogar Hitlers „Mein Kampf“ als Beilage veröffentlicht. Das löste zwar die üblichen Proteste aus, doch in Italien wird so etwas in der Regel nicht so eng gesehen. Dagegen landet man in Deutschland schon vor dem Kadi, wenn man nur mal versehentlich den rechten Arm zu hoch ausgestreckt hat oder bei einer öffentlichen Veranstaltung „Alles für Deutschland!“ skandiert, jedenfalls wenn man Björn Höcke heißt. Wobei es auch in Italien Leute gibt, die dem „Fuhrer“-Wein wenig abgewinnen können. Und überhaupt: Was hat das Porträt eines genussfeindlichen Abstinenzlers auf einer Weinflasche zu suchen?
Auch für für Putin-Hasser ist was dabei
Vor zwei Jahren gingen Meldungen durch den Äther, wonach Lunardelli ab 2023 auf den Vertrieb der „Historischen Linie“ verzichten wolle. „Wir haben diese ganzen Kontroversen satt", sagte Geschäftsführer Andrea Lunardelli der Zeitung "La Repubblica". "Wir haben sogar Todesdrohungen erhalten, weil wir für die Präsenz von Nazis in Norditalien verantwortlich gemacht werden." Dabei sollen die Flaschen Lunardelli zufolge gar keine politische Propaganda sein. Die Linea storica sei „absolut unparteiisch“ und biete auch einer politisch links orientierten Kundschaft Etiketten mit Marx, Stalin, Lenin oder Tito an. Auch ein Flascherl für Putin-Hasser gibt es: „Wanted: dead not alive“.
Im Wein ist Wahrheit, heißt es, und schon die Römer hatten bemerkt, dass ein Mensch im berauschten Zustand Dinge sagt, die er „trocken“ vielleicht nicht gesagt hätte. „Was der Nüchterne denkt, plaudert der Betrunkene aus“, lautet das russische Pendant zu „in vino veritas“. Werden Weinetiketten deshalb für politische Botschaften missbraucht – wobei sich die Frage stellt, ob Politik und Wahrheitsliebe nicht eher Gegensätze sind?
1999 brachte der legendäre Barolo-Winzer Bartolo Mascarello eine Edition mit Künstleretiketten heraus, auf denen „No Barrique No Berlusconi“ zu lesen war. Damals grassierte in Piemont die Barrique-Mode, die den ursprünglichen Barolostil zu verfälschen drohte, und ein exzentrischer Unternehmer namens Silvio Berlusconi dominierte die italienische Politik. Dagegen wehrte sich der Traditionalist Mascarello auf ironische Art. Flaschen der Edition werden heute für tausende Euro im Internet und auf Auktionen gehandelt.
Kein Wein für Jeden?
Kaum vorstellbar, dass bierernste Antifa-Flaschen aus Deutschland einmal ähnlich hohe Preise erzielen werden. „Kein Wein den Faschisten“, heißt eine Cuvée aus Weissburgunder und Chardonnay, die der Winzer Alexander Flick aus Rheinhessen vertreibt. Und zwar im Auftrag des FC St. Pauli, der 2015 das Projekt „Kein Wein den Faschisten“ ins Leben rief. Seither versorgen die Hamburger Kiez-Kicker ihre Klientel mit Tropfen, die nach eigener Aussage nicht nur durch Qualität, sondern auch durch „Haltung“ überzeugen.
Was gewiss nur der Anfang sein kann. Vielleicht gibt es beim FC St. Pauli, bei Alexander Flick und seinen ähnlich gepolten Winzerkollegen demnächst „Kein Wein den Antisemiten“, „Kein Wein den Homophoben“, „Kein Wein den Klimaleugnern“, „Kein Wein den Islamisten“ – ach die trinken ja eh keinen – vielleicht sogar „Kein Wein den Linksextremisten“? Oder „Kein Wein den Biertrinkern“. Zumindest nicht den Fans von Astra Bier, einer der schrecklichsten Plörren der Republik, eng verbunden mit dem FC St. Pauli.
Wer jetzt doch lieber seine Privatvinothek mit einem „Fuhrer“-Wein schmücken will, sei beruhigt. Zumindest im Internet kann man die einschlägigen Etiketten auf frei zu wählenden Lunardelli-Kreszenzen noch ordern. Darunter auch eines mit Adolf selig und der Unterzeile „Alles für Deutschland“. Sollten die Hallenser Richter im Fall Höcke doch nicht ganz falsch gelegen haben?
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mitgegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.