Georg Etscheit / 16.07.2021 / 16:00 / Foto: Pixabay / 35 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Von „Kartoffeln“ und Kartoffeln

Die Kartoffel gilt als gestrig, eine Speise für ältere weiße Deutsche, daher das Schmähwort. Dabei lässt sich der tollen Knolle viel Gutes abgewinnen, vorausgesetzt, man macht es richtig.

Die Kartoffel ist ins Abseits geraten. Sie gilt als unansehnlich (stimmt), kalorienmächtig (kommt auf Menge und Zubereitung an), langweilig (kommt auf Sorte und Zubereitung an) und insgesamt wenig zukunftsfähig, kurz gesagt eine Speise für ältere weiße Schon-länger-hier-Lebende. Das kann man schon daran ablesen, dass „Kartoffeln“ ein Schimpfwort geworden ist für Deutsche, die offensichtlich die Zeichen der Zeit nicht verstanden haben.

Wikipedia schreibt zutreffend, dass das Wort „Kartoffel“ als Stereotyp für Deutsche „in multikulturellen Zusammenhängen“ benutzt werde. Die Bezeichnung lasse sich auf das Vorurteil zurückführen, wonach Deutsche überdurchschnittlich viel und häufig Kartoffeln verzehrten. „Diese klischeehafte Annahme erweist sich nur bedingt als richtig, wie der EU-weite Vergleich zum Pro-Kopf-Verbrauch von Kartoffeln zeigt. Deutschland liegt der Studie zufolge im unteren Mittelfeld.“

Da Wikipedia grundsätzlich keine Fake-News verbreitet, darf die Information zum keineswegs exorbitanten Pro-Kopf-Kartoffelverbrauch in Deutschland als gesetzt gelten und wird auch durch empirische Feldbeobachtungen des Autors gestützt, wonach Kartoffeln immer seltener auf den Tisch kommen und, wenn überhaupt, nicht mehr in der Urform der Pell- oder Salzkartoffel, sondern ganz überwiegend als Pommes Frites und Kartoffelchips verzehrt werden, wobei sie als Ausgangsprodukt von Pommes ihrerseits Konkurrenz von der Süßkartoffel bekommen, was wiederum die Annahme stützt, dass die Infantilisierung der Gesellschaft mit ihrem Hang zu den Geschmacksrichtungen süß und knusprig ungebremst fortschreitet.

Nahrhaft, sättigend – und manchmal eine Delikatesse

Dass Kartoffeln eine urdeutsche Speise seien, ist ebenfalls unzutreffend, wie die meisten Stereotype, und gewinnt auch dann nicht an Überzeugungskraft, wenn man die Schmähung als einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit sieht für das, was „Kümmeltürken“ und „Spaghettifresser“ von Seiten böser Wirtschaftswunderdeutschen in Sachen Diskriminierung zu erdulden hatten.

Im 18. Jahrhundert jedenfalls mussten die Bewohner deutscher Provinzen beinahe dazu geprügelt werden, Kartoffeln anzubauen, die zu dieser Zeit noch als exotische Zierpflanzen galten. Erst dem Alten Fritz gelang es, die nahrhafte und sättigende Speise südamerikanischen Ursprungs hierzulande als Volksnahrung zu etablieren. Schon bald wurde der Kartoffel in der Gastronomie indes eine hohe Wertschätzung zuteil. In Frankreich war es Auguste Parmentier, der die Vielseitigkeit der Knollen pries und Namensgeber des berühmten Hachis Parmentier wurde, eines schmackhaften Auflaufs aus Rinderhack und Kartoffelpüree, der sich in Deutschland außerhalb von Altenheimen leider nicht durchsetzen konnte.

Dass Kartoffeln eine Delikatesse sein können, gilt bis heute, wobei es ganz entscheidend auf die richtige Sortenwahl ankommt. Als Königin aller Speisekartoffeln gilt die Bonnotte von der Insel Noirmoutier vor der französischen Atlantikküste. Jeden ersten Samstag im Mai werden dort die ersten Exemplare der extrem raren Spezialität geerntet. Das, was hierzulande, importiert aus Afrika oder Zypern, als Frühkartoffel grassiert, ist dagegen wirklich das, für was die Bauern im 18. Jahrhundert die schrumpeligen Knollen hielten: Viehfutter.

Cremig oder schlonzig, das ist hier die Frage

Bonnottes gedeihen auf sehr leichten und sandigen Böden und werden mit Seetang gedüngt, den die Bauern auf ihren Feldern verteilen. Das soll ihnen einen „salzigen“ Geschmack verleihen. Sie werden einfach gebürstet und in Butter gebraten. Man kann dazu gegrillte Sardinen oder Challans-Hühnchen aus der Vendée essen oder gar nichts. In Deutschland gute Kartoffeln zu bekommen, ist nicht mehr ganz so schwer wie noch vor 20 Jahren. Meine Lieblingssorten: Linda und Bamberger Hörnchen, beide festkochend und bestens geeignet für einen geschmackigen Kartoffelsalat, für den ich an dieser Stelle eine Lanze brechen möchte. Wobei Bamberger Hörnchen wegen ihrer verdrehten Form und zahlreicher „Augen“ schwer zu pellen sind.

In meiner Kindheit wurde ich immer zum Kindergeburtstag bei einem Klassenkameraden eingeladen, dessen Mutter aus dem Sudetenland stammte. Es gab Würstchen mit Kartoffelsalat, wobei dieser Salat eher die Konsistenz eines Breis hatte, was mich damals ein wenig ekelte. Denn meine Mutter, die aus dem Ruhrgebiet kam, bereitete ihren Kartoffelsalat mit Mayonnaise, was mir besser schmeckte. Im Westen und Norden Mayonnaise, im Osten und Süden Brühe, so zieht sich der Kartoffelsalat-Äquator durchs Land und scheidet cremig von schlotzig.

Heute ziehe ich den Brei vor, weil mir ein Mayonnaisensalat zu mächtig ist. Außerdem lebe ich seit Jahrzehnten in Bayern, wo diese Zubereitungsart unbekannt ist. Hier übergießt man die noch warmen Kartoffeln mit Brühe und/oder einer Vinaigrette, damit er beim Herausheben einer Portion mit der Schöpfkelle einen schmatzigen Laut von sich gibt, daher der Begriff schlotzig. Manchmal verwendet man in Süd- und Ostdeutschland auch halbfeste Kartoffeln, die im Zusammenspiel mit der warmen Flüssigkeit wirklich zu Kartoffelbrei zerfallen. Wunderbar!

Warnung vor Gurken aus holländischen Gewächshäusern

Wolfram Siebeck, den ich hier immer wieder gerne zitiere, weil er für eine gänzlich unideologische Kochkunst stand, präsentiert in seinem Kochbuch „Alle meine Rezepte“ eine mediterrane Variante, angereichert mit hart gekochtem Ei, Anchovisfilets, Kirschtomaten, Oliven und Feldsalat, überträufelt mit einer Vinaigrette aus bestem Olivenöl, Sherryessig, Senf und gehackten Schalotten. Wobei ich die Schalotten immer kurz andünsten oder blanchieren würde. Rohe Zwiebeln sind mir ein Graus.

Eindeutig warnen möchte ich vor einem in bodenständigen Gasthöfen immer wieder und vor allem als Beilage zu einem panierten Wiener Schnitzel anzutreffenden Kartoffel-Gurkensalat, wobei mit Gurken meist keine Gewürzgurken oder Cornichons gemeint sind, sondern gehobelte Gemüsegurken aus holländischen Gewächshäusern, die in puncto Wässrigkeit und Geschmacklosigkeit die oft ohne Sortenangabe verkauften Kartoffelsorten aus Supermärkten und Discountern noch deutlich übertreffen.

Allein schon wegen ihrer Meisterschaft bei der Zubereitung eines Kartoffelsalates, ob mit oder ohne (welsche) Mayonnaise, sollten die Deutschen stolz darauf sein, als Kartoffeln bezeichnet zu werden. Und in Gottes Namen sollen sich die Leute auch ihre Mägen mit Pommes und Chips zukleistern. Nur eines hat die Kartoffel nicht verdient, nämlich für die Lieblingssuppe einer Politikerin in Grund und Boden gekocht zu werden, die diesem Land so vieles eingebrockt hat, was noch Generationen nach ihr werden auslöffeln müssen.

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Werner Arning / 16.07.2021

Die Peruaner sagen, dass die Kartoffel aus Peru komme und dass es in keinem anderen Land so viele Kartoffelsorten gebe wie in Peru. Mit der Kartoffel kann man herrliche Gerichte zaubern. Ich erinnere mich, dass mein Vater Kartoffeln liebte und sich das Schälen der Kartoffeln von niemandem nehmen ließ. Dazu benutze er ein spezielles Messer, welches er regelmäßig schliff,  denn er achtete penibel darauf, dass von keiner einzigen Kartoffel etwas verschwendet wurde. Die Bauern verwendeten die Schalen gerne als Schweinefutter. Die Amerikaner hingegen machten die Schalen zu einem Gericht, die Potatoe Skins. Immer lecker zur Happy Hour. Wenn ich mir ein Nahrungsmittel aussuchen müsste, welches ich als einziges mit auf eine einsame Insel nehmen dürfte, ich glaube, ich wählte die Kartoffel.

Claudius Pappe / 16.07.2021

Sieglinde und Hansa. Haben mein Großvater und Vater angebaut und den Familien mit den Trecker ins Haus gebracht. Echte Bio-Kartoffeln, mit der Hand ( ja fast) gepflanzt und von Kinderhänden und Frauenhänden ( Bio-Deutsche) aufgelesen. 10 DM pro Sack.

Stephan Jankowiak / 16.07.2021

Liebe Leute, die Krönung der Kartoffel ist natürlich die wunderbare Metamorphose in Belgische Fritten, dazu “Belgian Pickles”, ein Träumchen. Ich grüße Archi W. Bechlenberg inmitten der Gourmetfreuden und Frites d’Or.

Karla Kuhn / 16.07.2021

“Die Kartoffel gilt als gestrig,.....”  Von WEM soll denn so eine DÄMLICHKEIT stammen ? Wenn ich einkaufen gehe, sehe ich- auch gerade bei vielen"Gästen” wie sie säckeweise Kartoffeln in den Einkaufswagen legen, ich übrigens genau so. Wir genießen diese sehr gesunde Knolle. Früher wurden bei uns zu Hause jeden Spätherbst ca. 15 Zentner im Keller in einer Kartoffelhorde “gehortet”, ich werde mir wieder eine kleine zulegen, da wir einen kalten Keller haben. Nudeln und Reis esse ich selten. Kartoffeln sind derart vielseitig zu verwenden, ich finde sie genial.  Friedrich der Große erließ 1756 den “Kartoffelbefehl”. Es mußten rund um Berlin Kartoffel angebaut werden, damit seine Soldaten genug zu essen hatten. Sehr vorausschauend. Als ich 1975 daserste Mal in Amsterdam war und wir einen Kartoffelmarkt besuchre, war ich baff über die Auswahl der Kartoffeln. Die Holländer verbrauchen viele Kartoffeln, obwohl in Holland sehr verschiedene Nationen anzutreffen sind, den frischen Fisch, die Kartoffeln und DEN Käse,  der NICHT als Export ins Ausland geht,  konnte keiner vertreiben. Allerdings durch meine vielen privaten Besuche in Holland konnte ich feststellen,  daß  die Holländer kaum jeden Schwachsinn aufsaugen, der ihnen von irgendwelchen Möchtegernen vorgekaut wird. Daran können sich viele deutsche “Untertanen” ein großen Bespiel nehmen. Andreas Hagenbach genau wie für die Klöße. HERRLICH. Salbeibutter oder Majoranbutter, ein Genuß mit frischen Kartoffeln.

Ignatius Hambach / 16.07.2021

Schlesischen Kartoffelsalat nach Art meiner Großmutter Berta - ich schmatze noch immer. Gibt es Heiligabend von mir für meine Isarwinkel-Ehefrau. Für sie die Rute, für mich Gottes Reich auf Erden. :-)

dr.goetze / 16.07.2021

@ Holger Kammel: für die Briten gibt es im Prinzip den liebevollen Kosenamen “Inselaffen”, da ich selbst großväterlicherseits halber Schotte bin, darf ich das auch ungestraft sagen ;-) Wenn es denn um Nahrungsmittel geht, werden sie (wenig bekannt) “Limeys” genannt, Leimis ausgesprochen. Der Begriff geht auf die Anordnung der britischen Admiralität von 1795 zurück, täglich eine Ration Zitronensaft an die Besatzung von Schiffen der Royal Navy auszuteilen im Kampf gegen Skorbut. Genau den gleichen Ursprung hat übrigens “Krauts” für die Deutschen, auf deren Schiffen Sauerkraut gegen das Ausfallen der Zähne durch Vitamin C Mangel prophylaktisch wirken sollte. Lebensmittelnamen wie Kartoffeln, Spaghettis oder ähnliches für Deutsche bzw Italiener gibt es für die Engländer im Prinzip nicht. Denn das Inselvölkchen, und auch das darf ich sagen und ich weiß es aus leidvoller Erfahrung, haben keine allzu große Esskultur. Porridgefresser, Plumpuddings oder baken beans hörte ich schon ab und an, dass sie so genannt wurden - aber das ist ehr lieblos und deswegen nicht empfehlenswert. Also mea culpa, liebe Briten!

Simone Büdeler / 16.07.2021

Diskriminierung der Kartoffel. Der IQ einer durchschnittlichen Kartoffel ist gar nicht so schlecht. Da gibt es Schlimmeres. Nein, nicht Baerlauch.

Manni Meier / 16.07.2021

Kartoffeln!!! Als Salzkartoffeln, Bratkartoffeln oder Kartoffelbrei (Achtung - nicht Püree!) es gibt nicht Besseres. Warum stört es mich trotzdem “Kartoffel” genannt zu werden? Ganz einfach, weil es als Beleidigung gemeint ist, Basta.

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