Georg Etscheit / 17.11.2021 / 14:00 / Foto: Tomaschoff / 32 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Über „Gastrosexismus“

Wer in Paul Bocuse’ Fresstempel in Collonges-au-Mont-d’Or bei Lyon einen Blick ins Allerheiligste wagen durfte, wird diesen Eindruck schwer vergessen können. Wenn eine Brigade von Spitzenköchen in einer auffallend kleinen Küche um einen altmodischen Herd herum fast lautlos und mit der Präzision eines Uhrwerks die allerfeinsten Speisen zubereitet, drängt sich fast zwangsläufig das Bild einer militärischen Übung auf. Auch der Begriff der Küchen-„Brigade“ gemahnt an die Sphäre kriegerischer Aktivitäten, ebenso wie die „Stationen“ der Köche und die Ränge des Servicepersonals an die feinen Abstufungen der Militärhierarchie erinnern. Und Küchenchef Gilles Reinhardt ist sogar mit einem Orden dekoriert, einem Kragen in den Farben der französischen Nationalflagge, die ihn als „meilleur ouvrier de France“ auszeichnet.

Bei meinem Besuch in Collonges ein knappes Jahr nach dem Tod des Meisters standen, wenn ich mich recht entsinne, ausschließlich Männer am Herd, während in einem aktuellen Video auch die Gesichter von mindestens zwei Frauen unter den hohen Kochmützen zu sehen sind. Dass Frauen in den Küchen gehobener Restaurants, zumal in der Position des Küchenchefs, immer noch eine kleine Minderheit sind, geht Frauenrechtlerinnen und Genderfetischisten mächtig, man möge mir die Zote nachsehen, auf den Sack.

Nur eine gesellschaftliche „Zuschreibung“?

Die taz fühlte sich jüngst in einem längeren Artikel bemüßigt, ein Phänomen namens „Gastrosexismus“ anzuprangern, wobei es dem Autor nicht nur um die männliche Dominanz in der Produktion ging, sondern unter anderem auch um die abscheuliche Unsitte der „Damenkarten“ und die angeblich diskriminierende Tatsache, dass, wenn an einem Tisch mit einem Mann und einer Frau ein Bier und ein Aperol Spritz serviert würden, das Bier automatisch an den Mann ginge. Das sei „sexistisch“. Dito beim Essen, wo das Hühnchen immer an die Frau, das Steak an den Mann gehe. Als absolutes „No-Go“ klassifizierte das Blatt die Praxis einer Steakhousekette, auf der Speisekarte das halbe Pfund-Steak „Mr. Rumpsteak“, die 180-Gramm-light-Version „Mrs. Rumpsteak“ zu titulieren: „Und zwar, von den Zeitläuften völlig ungestört, seit Jahrzehnten.“

Von den Zeitläuften ziemlich ungestört ist allerdings auch das Bestreben der meisten Frauen, ihre Karriereambitionen zugunsten von Kindern und Familie zurückzustecken. Daran haben selbst zwei Jahrzehnte Genderwahn nicht viel ändern können. Und weil die Arbeitsbedingungen in der Gastronomie besonders familienunfreundlich sind, entscheiden sich relativ wenige Frauen für einen Beruf in dieser Branche. Vor allem nicht in der Küche, wo die Arbeit eines Kochs echte Maloche ist, besonders wenn es darum geht, in den illustren Sphären der Sterneküche zu reüssieren. „Das ist einfach kein klassischer Frauenberuf“, sagt Christoph Grassl, Küchenleiter an der Steigenberger-Hotelakademie in Bad Reichenhall. „Was man auch an den Händen von Köchen sieht, die oft von Schnitt und Brandwunden übersät sind.“ In den Meisterkursen der Steigenberger-Akademie gibt es laut Grassl derzeit nur zehn bis 15 Prozent Frauen. Damit korrespondiert die Beobachtung der taz, dass landesweit von den rund 300 Sterneküchen nur ein knappes Dutzend von Frauen geführt wird.

In auffallendem Gegensatz dazu stehen die Ergebnisse einer statistischen Erhebung aus dem Jahr 2020, wonach etwa 78 Prozent der Frauen in ihrer Freizeit mehrmals in der Woche kochen, während es bei den Männern gerade mal 28 Prozent waren. Natürlich kann man auch das wieder im Schummerlicht einer andauernden Diskriminierung von „Hausfrauen“ als „Heimchen am Herd“ sehen und der Perpetuierung angeblich überkommener Rollenmodelle. Wenn Frauen zu Hause kochen, ist das mithin verwerflich, wenn sie sich in der Profigastronomie zu Tode schuften, vorbildlich. Daraus wird nur dann ein Schuh, wenn man annimmt, dass zwischen Frauen und Männern prinzipiell kein Unterschied bestehe und die Geschlechterfrage nur eine gesellschaftliche „Zuschreibung“ sei.

Auch Machos können putzen

Leider scheinen das die meisten Frauen anders zu sehen. „Wenn eine Köchin ein Kind bekommt, ist es oft vorbei mit der aktiven Karriere am Herd“, sagt ein deutscher Spitzenkoch. Ausnahmen wie Douce Steiner im badischen Sulzburg und Cornelia Poletto in Hamburg bestätigten die Regel. Er selber, sagt der Sternekoch, schätze Frauen in der Küche sehr. „Meiner Erfahrung nach reißen sich die Herren der Schöpfung dann etwas mehr zusammen und alles geht im Prinzip gesitteter zu.“ Bezüglich ihrer Leistungen seien Frauen genauso gut oder schlecht wie ihre männlichen Kollegen.

Dass in vielen Küchen ein rauer Umgangston herrscht, ist wohl nicht zuletzt eine Folge von Stress und extremen Arbeitsbedingungen. Die Zeiten, als der cholerische Küchenchef seinem Lehrling in einem Wutanfall das Kochmesser hinterherschmiss, dürften mittlerweile zwar der Vergangenheit angehören, doch ein besonders „schöner“ Arbeitsplatz sind Küchen nicht und werden es nie sein. Er ist heiß und fettig, und es riecht dort so ungut, dass man den Mief kaum noch aus den Haaren und von der Haut herunterbekommt, außerdem muss man ständig mit Unmengen von rohem Fleisch und Fisch hantieren. Wer könnte es Frauen verdenken, dass sie sich lieber in der kalten Küche oder der Patisserie umtun oder im Service, wo etwa der Beruf des Sommeliers längst keine Männerdomäne mehr ist?

Von Paul Bocuse, der privat der Vielweiberei frönte, ist der Spruch überliefert, Frauen gehörten ins Bett und nicht in die Küche. Ob dieser Ausspruch wirklich so gefallen ist und auch so gemeint war, lässt sich nach Bocuse’ Tod schwer nachprüfen. Tatsache ist dagegen, dass seine Lehrmeisterin niemand geringerer war als Eugenie Brazier in Lyon, nur Mère Brazier genannt, eine der wichtigsten Köchinnen des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig mit sechs Michelinsternen für ihre beiden Restaurants geadelt. Ohne heiligen Respekt für ihre Leistungen hätte Bocuse niemals den Rang eines Jahrhundertkochs erringen können.

Wenn in Collonges-au-Mont-d’Or die letzte Bestellung abgewickelt ist, geht in der Küche das große Saubermachen los. Nach kurzer Zeit ist der Saustall blitzeblank und alle Töpfe, Pfannen, Tiegel und Kellen hängen wieder am richtigen Platz. Ja, liebe Frauenrechtlerinnen, auch Machos können putzen!

Foto: Tomaschoff

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Chris Janik Lieber / 17.11.2021

Sexismus, Sexismus, Sexismus. Gender hier, Gender da. Extremer Feminismus. Ich kann es nicht mehr hören, nicht mehr sehen und nicht mehr lesen. Ich bin schwul und meine Gleiches auch bei dieser dermaßen übergriffigen und belästigenden LGBTQIAXYZ-Ideologie einschließlich “100 Geschlechtern”, die man beliebig wechseln kann. “Diversität”, “Wokeness”, “Regenbogen”, “Gender” - ich als erwachsener Mensch finde das albern und lächerlich. Vielleicht liegt das auch daran, daß ich gläubiger Christ bin und eine freikirchliche Gemeinde besuche. Ich stelle jedenfalls fest, daß sich in meinem Umfeld nur “gesunde” Frauen befinden - stolze Frauen, selbstbewußte Frauen, Frauen, die ein gutes Selbstwertgefühl und Selbstachtung haben, taffe Frauen, gut ausgebildete (!) und zum Großteil studierte (!) Frauen, die sich aber dennoch, huch oh Sexismus, gerne und mit ganzem Herzen für Ehe, Kinder und Haushalt entschieden haben. Ich weiß, daß meine christlichen Freundinnen und die anderen Frauen in meiner Gemeinde es nicht nötig haben, wenn ich sie als Homosexueller, der ja von all dem nicht betroffen ist, ab und zu einfach mal umarme und ihnen danke für die ehrbare und wertvolle Aufgabe, die sie übernommen haben, aber da sie (und auch Nicht-Christinnen, die sich für so etwas entschieden haben) wirklicher (!) Diskriminierung und unfairen Unterstellungen ausgesetzt sind im Sinne von “dümmliches Heimchen am Herd” oder “Opfer christlicher Phallokraten”, kann ich da nicht schweigen. Ich erinnere mich noch, wie ich schon vor Jahren mal bei der Online-Ausgabe von “Die Welt” schrieb, daß ich meiner Mutter sehr dankbar bin, daß sie für meinen Bruder (*1976) und mich (*1978) zu Hause geblieben ist. Ich als “Mama-Kind” erlebte meine Mutter als warmherzig und liebevoll. Sie hat ihr Herzblut in Haushalt und Erziehung gesteckt. Sie ist erst wieder arbeiten gegangen, als wir groß waren. Ein Nutzer beschimpfte mich damals dann tatsächlich als “sexistisch”. Das ist nichts Neues, es wird nur aggressiver.

Angelika Meier / 17.11.2021

Ich finde die Cancel Culture gut. Wieso? Ganz einfach. Wenn man das einzige Windrad in der BRD genau vor mein Haus baut, interessiert das keine Sau. Ich kann protestieren so viel ich will. Es ist sinnlos, weil ja nur ich betroffen bin. Und alle anderen sagen maximal “Ist ja nicht so schlimm.” Mit jedem Windrad, dass man jemand anderen vor die Nase baut, wächst die Anzahl der Leute, die protestieren, ganz automatisch. Cancel Culture ist eine perfekte Win-Situation für mich.

Michael Köppel / 17.11.2021

Ich erwähne einfach nur mal das Stucki auf dem Bruderholz mit der herrlichen Tanja Grandits.

Wmertens / 17.11.2021

T ja nun, ich waere auch gerne Gleichstellungsbeauftragter oder Hebammerich, aber Ku ist es nicht schon sexistisch von der taz, ueberhaupt ueber Frauen und Maenner zu schreiben? Das ist doch ueberhaupt gar kein Unterschied mehr, jeder ist, was er sie es fuehlt.Und die diversen? Kochen dich auch nur mit Wasser? Warum verdammt nochmal, erlaubt man nicht einfach nur noch das Neutrum und alle waeren gleucklich? Das Frau, das Mann, das Divers und die 150 anderen Geschlechtselenditaeten. Denn das Sonne scheint fuer alle, nicht wahr…und was uebrigens das Kinderkriegen von Frauen angeht (also diese diskriminierung der nicht gebaerenden), das ist jabald vorbei, dagegen gibt es ja jetzt ein oder zwei oder drei Spritzen…

Jürgen Fischer / 17.11.2021

Besser noch als der Artikel ist die Zeichnung von Herrn Tomaschoff. Muss auch mal gesagt werden ;-)

Johann-Thomas Trattner / 17.11.2021

Der taz-Autor, Yoran, gehört ohne Zweifel zur Sorte „Möchtegern-Connaisseur“, dessen Geschäftsmodell das Vortäuschen ästhetischer Feinsinnigkeit auf den internationalen Tummelplätzen der hippen Community ist. Schreckliche Rezepte und geschwollene Rezensionen auf seiner Webseite. Gedrechselte Artikelchen über vorgeblich eigenes, feinsinniges Erleben und Empfinden. Damit verdient er aber offensichtlich gutes Geld. Wäre er ein echter Jünger der Gastrosophie, ein wahrer Physiologe des Geschmacks, ein aufrichtiger Verehrer der Kochkunst - er würde anderes an der Esskultur beklagen als „Gastrosexismus“.

Wolf Hagen / 17.11.2021

Die taz offenbart mal wieder, wie jedes linke Schmierblatt, dass ihre Redakteure nicht den blassesten Schimmer von der Wirklichkeit, bzw. Realität haben. Wie alle Linken fühlen und glauben sie Dinge, ohne sie tatsächlich zu wissen. Wie Roger Schelske gestern in seinem famosen Artikel bereits beschrieb, sind es hysterische Wohlstandskinder, oder degenerierte Mittelstandsblagen (wie ich es formulieren würde), die nie aus ihrem Voluntarismus herausgewachsen sind. Pragmatismus, sachliche Lösungen, oder gar Realität sind nicht ihr Ding, ihnen geht es um Ideologie, Rechthaberei, alberne Prinzipien gepaart mit einer gehörigen Profilneurose und einem gleichgroßen Aufmerksamkeitsdefizit. Über jeden Einzelnen für sich könnte man mitleidig lächeln, doch leider sind die woken Idioten mittlerweile schon Legion…

Jürgen Fischer / 17.11.2021

Das mit der Empörung über den Größenunterschied zwischen Mr. und Mrs. Rumpsteak ist doch blanke Heuchelei: ich habe noch keine Frau gesehen, die der gleiche Fettbatzen sein wollte wie ein Altmaier oder Braun. Nur das gleiche Gehalt, das wollen sie kassieren. Natürlich unabhängig von der Arbeitsleistung - die allerdings bei den vorerwähnten Herren auch eher ärmlich ausfällt.

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