Die „Torta Diplomatica“ ist eine köstliche Kalorienbombe und soll ein diplomatisches Geschenk des Herzogs von Parma an den Herzog von Mailand gewesen sein. Sollten Patissiers nicht auch im Weißen Haus und im Kreml Einzug halten?
Leider kann der Kolumnist auch im Urlaub, besser Kurlaub, das Online-Lesen und Schreiben nicht lassen, dem vermaledeiten Internet sei (Un)dank. Und leider ist es derzeit auch nicht wirklich erfreulich, in grauen Schlamm verpackt an die Decke zu starren und schwere Gedanken zu wälzen über den Schlamassel, in dem wir gerade bis über beide Ohren versunken sind. Trotzdem ist Montegrotto Terme, ein für seine heilsamen Fangobäder bekannter Kurort am Rande der Euganeischen Hügel in Venetien, ein schöner Platz, an dem man zumindest theoretisch prima ausspannen könnte.
Die Colli Euganei, ein Mikrogebirge vulkanischen Ursprungs, schwingen sich völlig unvermittelt aus der dicht besiedelten und leider überaus industrialisierten Ebene zwischen Verona und Venedig zu einer Höhe von immerhin 600 Metern auf mit reizenden Dörfern, Villen und Burgen, Wein- und Obstgärten. Besonders warm ist es noch nicht, aber überall in den niedrigen, macchia-ähnlichen Trockenwäldern sprießen schon die ersten Frühlingsboten: Blassrosa Zyklamen, weiße und blaue Veilchen und jede Menge wilder Schneeglöckchen. Dazwischen leuchten noch aus dem Vorjahr die roten Beeren immergrüner Dornensträucher. Und wenn man eine der prägnanten Kuppen dieses Hügellandes erklommen hat, was nicht besonders anstrengend ist, leuchten im Norden die Schneefelder der das oberitalienische Tiefland begrenzenden Alpenkette.
Gaumenschmaus ohne Chichi
Bis auf ein paar von Fenstern herabhängenden Regenbogenfahnen mit „Peace“-Aufschrift ist von dem Desaster im europäischen Osten und der Generalmobilmachung in Deutschland nichts zu bemerken. Die Menschen gehen ihrer gewohnten Arbeit nach, essen, trinken, plaudern und schimpfen, wie gewohnt, auf die Regierung in Rom. So meine Physiotherapeutin, ein kräftige Signora mittleren Alters, die ihrem Ministerpräsidenten Mario Draghi und seinen Getreuen am liebsten eine Bombe („una bomba“, sic!) auf den Kopf werfen möchte, aus Prinzip gewissermaßen. Ein durchaus bedenkenswertes Ansinnen, nicht nur in Bezug auf Signor Draghi.
Das allabendliche Getriebe im großen Speisesaal gleicht einer überaus sehenswerten Choreografie dienstbeflissener Servierkräfte, die aus jeder Essensausgabe eine kleine Bühnenshow machen. „Etwas Grana aufs Risottino?“, fragen sie und lassen die Käsestreusel mit Grazie aus beachtlicher Höhe aufs Reisgericht regnen, das, wie die gesamte italienische Küche, durch seine puristische Einfachheit und Gradlinigkeit besticht, entweder mit Prosecco aufgerührt oder mit leicht bitterem Radicchio Trevisano aromatisiert. Auch die cremige Polenta mit herzhafter Salami als warme Vorspeise ist ein Gaumenschmaus ohne Chichi, ganz abgesehen von Paste in allen Variationen. Die fleischbetonten Secondi sind dann eigentlich entbehrlich.
Patissiers im Kreml
Übrigens habe ich die Erfahrung gemacht, dass man mit etwas Glück in gut geführten Familienhotels ganz ausgezeichnet essen kann. Hier findet man oft noch jene gehobene Alltagsküche, die ich den Extravaganzen der sogenannten Gourmetküche immer und überall vorziehe. In Italien mit seinen vielen Familienbetrieben ist die Chance, solch einen Ort zu finden, am größten.
Zum Nachtisch gibt's hier immer frische Früchte, die im Winter freilich eher nicht zu empfehlen sind, außerdem aufgekochte, getrocknete Pflaumen, warm serviert, dazu diverse Eissorten aus der Vitrine und prächtige Torten von einer vorzüglichen Pasticceria um die Ecke. Gleich am ersten Abend beeindruckte mich ein filigranes Gebilde namens „Torta diplomatica“, eigentlich ein Millefeuille (italienisch: Millefoglie) aus mehreren Schichten von Blätterteig und mit Sirup getränkten Biskuits, gefüllt mit einer Vanillecreme.
Die „Diplomatica“ sei der Stolz des italienischen Gebäcks, lese ich, des Italienischen nur sehr rudimentär kundig, in einem automatisch übersetzten Text im Internet. Angeblich wurde der Kuchen von einem Koch des Herzogtums Parma kreiert und von einem Diplomaten der Stadt dem Herzog von Mailand, Francesco Sforza, als Geschenk überreicht. Der „diplomatische Kuchen“ könne in rechteckiger oder runder Form zubereitet werden und ganz oder bereits in kleine, regelmäßige Portionen aufgeteilt auf den Tisch gebracht werden.
Im konkreten Fall war die „Diplomatica“ eindeutig rund und wurde vor meinen Augen in recht ungleiche Stücke zersäbelt. Dazu ließ ich mir warme Pflaumen servieren, was den erwünschten, säuerlichen Kontrast zu der Kalorienbombe darstellte. Köstlich! Anderntags wieder eingepackt im warmen Schlamm, denke ich mir, wie es wäre, wenn im Weißen Haus, im Bundeskanzleramt und im Kreml Patissiers die Geschäfte führen würden.