Georg Etscheit / 27.02.2022 / 12:00 / Foto: Pixabay / 15 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Toast Hawaii

Mitte der 50er als Apotheose alles Exotischen vom ersten deutschen Fernsehkoch erfunden, hat der Toast Hawaii alle gastronomischen Trends überlebt und trotzt hoffentlich auch der Cancel Culture.

Im Internet kursiert eine bizarre Kochshow, die das genaue Gegenteil darstellt zu den Hochglanz-Gastroformaten der großen Sender. Darin präsentiert ein adipöser Herr in einer unaufgeräumten Küche in Berlin-Marzahn aufgewärmte Dosenkost. Von Kochen im engeren Sinne kann dabei nicht die Rede sein. Dafür gibt „Maitre Gunnar“ alias Gunnar Lindemann, AfD-Abgeordneter im Berliner Stadtparlament, praktische Tipps, etwa wie man den Dosenclip aufbekommt, ohne sich die Fingernägel abzubrechen, dass man nach dem Kochen den Herd abschalten sollte (Brandgefahr!) und wie man einen mit Gulaschsauce verunreinigten Topf ohne Geschirrspülmaschine sauber bekommt – durch vorheriges Einweichen mit Wasser nämlich!

Marzahn steht sinnbildlich für das (Berliner) Prekariat, wie in Nichtprekariatskreisen jene Mitbürger genannt werden, die regelmäßig beim Discounter einkaufen, weil sogar der normale Supermarkt zu teuer ist, die sich keinen elektrischen Zweitwagen leisten können, weil sie nicht einmal einen benzinbetriebenen Erstwagen besitzen, und die ihren Urlaub regelmäßig in Balkonien verbringen, nicht, weil es entschleunigt und klimafreundlich ist, sondern sogar ein Trip in den Bayerischen Wald pekuniär außer Reichweite liegt.

Der selbst etwas unappetitlich wirkende Maitre kocht, wenn man so will, wie das Pack und begeht dabei in den Augen der woken Prenzel- und Schöneberger mindestens zwei Todsünden: Die erste ist seine offensichtliche Vorliebe für Fertiggerichte aus der Dose, wie „Keunecke Krautrouladen“ oder ein namenloses Rindsgulasch, das er immerhin noch mit einer Prise Paprika Edelsüß aus der Tüte „verfeinert“. Todsünde Nummer zwei: Er bricht die dazu gereichten Spaghetti durch, damit sie besser in den Topf passen. Denn seit die Toskanafraktion den Löffel schwingt, ist bekannt, dass man Spaghetti „wie die Italiener“ zu essen hat. Schon die Verwendung eines Suppenlöffels zum leichteren Aufrollen der glitschigen Pasta mit der Gabel zeugt von Kulturlosigkeit und mangelndem Anpassungswillen an fremde Kulturen!

Sexismus, Rassismus, Qualfleisch und Flugananas

Was die Mehrzahl von Fertiggerichten aus der Dose anbelangt, würde ich diesem, pardon, Fraß, sogar eine Tiefkühlpizza vorziehen. Trotzdem sollte man nicht alles, was essbar ist und aus der Blechbüchse kommt, in Bausch und Bogen verurteilen. Das gilt für Dosentomaten als Grundlage eines Tomatensugo, die frischen Tomaten fast immer vorzuziehen sind. Und es gibt ein allseits bekanntes und beliebtes Gericht, das nur, immer und ausschließlich mit Dosenware funktioniert: Toast Hawaii!

Mitte der 50er Jahre als Apotheose alles Exotischen von Clemens Wilmenrod, dem ersten deutschen Fernsehkoch erfunden, hat die geschichtete Kombination aus geröstetem Weißbrot, Dosenananas, Kochschinken und Schmelzkäse inklusive Cocktailkirsche („das Auge isst mit“) alle gastronomischen Trends überlebt und trotzt hoffentlich auch der Cancel Culture. „Wenn ich darüber in meinem Seminar diskutieren ließe, wären wir binnen zehn Minuten bei „oben ohne“, Sexismus, Rassismus. Von Qualfleisch und Flugananas mal gar nicht zu reden“, sagt der Historiker Gunther Hirschfelder, Dozent an der Uni Regensburg, in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“. „Die Hälfte aller unter 25-Jährigen würde sagen: Toast Hawaii? Geht gar nicht!“

Bliebe immerhin noch die andere Hälfte, wobei Hirschfelder das Flugananas-Problem falsch einschätzt, weil, wie bereits dargelegt, ein Toast Hawaii eigentlich nur mit Dosenananas funktioniert. Und deren Klimabilanz dürfte angesichts des massenhaften Transports von Ananaskonserven in Schiffscontainern selbst für radikale Klimaschützer kein Grund sein, sich vor dem Entladeterminal des Hamburger Hafens auf der Straße festzukleben.

Die Cocktailkirsche ist entbehrlich

Warum eigentlich Dosenananas? Die Antwort ist einfach: Frische Ananas enthält zu viel Wasser und würde ein Toast Hawaii im Handumdrehen in eine undefinierbare Pampe verwandeln. Es sei denn, man verabschiedet sich weitgehend vom Schichtformat und reicht ein karamellisiertes, warmes Ananaskompott separat zu dem mit Schinken belegten und mit Käse überbackenen Röstbrot, so wie es Johann Lafer in seiner Interpretation des Sandwichklassikers vorschlägt. Doch das hat mit der Ursprungsversion nicht mehr allzu viel zu tun.

Für mich jedenfalls spricht nichts gegen Dosenananas mit ihrem ganz eigenen Aroma, das mit frischer Ananas nicht konkurrieren kann, weil es einen völlig anderen Charakter hat. Was die anderen Zutaten anbelangt, sollte man beim Einkaufen nicht unbedingt dem Plastik-Charme der Wirtschaftswunderjahre huldigen. Pressschinken aus der Klarsichtpackung verbietet sich meines Erachtens ebenso wie irgendein beliebiger Scheiblettenkäse. Da sollte es schon ein guter, gekochter Schinken aus der Metzgerei sein und ein kräftiger Emmentaler oder Raclette, jedenfalls Käse, der beim Gratinieren gut schmilzt und schön braun wird. Die Cocktailkirsche halte ich für entbehrlich.

Toast Hawaii ist zwar ein Gericht der schnellen Küche, schmeckt aber extrem lecker dank seiner appetitanregenden Kombination süßer und säuerlicher Elemente, vom Käseknusper obenauf ganz zu schweigen. Vor allem Kinder sind dafür zu begeistern und vielleicht sogar einmal bereit, für ein solches Sandwich auf Pizza und Pommes zu verzichten. Einziger Haken: die Ananasscheibe ist direkt nach dem Überbacken höllisch heiß. Da hilft nur eins: kräftig pusten!

Foto: Pixabay

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Thorsten Gutmann / 28.02.2022

Sich selbst ein leckeres Essen zubereiten gehört für mich mit zu den angenehmsten Abläufen im Tagesgeschehen - natürlich neben dem Essen selbst. Wichtig ist, daß es abwechslungsreich und gesund daherkommt - wenigstens, was ich darunter verstehe - und trotzdem keine große Lücke im Geldbeutel hinterläßt. Was die angesprochene Art der Behälter betrifft, na ja, ganz ohne Dose geht die Chose nicht.

Emil.Meins / 27.02.2022

Erstens eine Richtigstellung oder ein Zweifel an der Aussage des Autors: ich habe schon etliche frische Ananas gegessen, aber nie wäre mir ein hoher Wassergehalt aufgefallen, der eine Verwendung für den angesprochenen Zweck verhindert hätte. Meines Erachtens entspringt diese Behauptung der Phantasie, eher schon waren zur Zeit von Clemens Wilmenrod eher Dosenananas verfügbar, als frische. Zweitens halte ich die ganzen Diskussionen um die “einzig authentische Art”, Toast “Hawaii” zuzubereiten, für ziemlich müßig, ein Zeitvertreib für unterbeschäftigte Wichtigtuer, die sich damit wichtig machen wollen. Ich sehe das sehr pragmatisch: Schließlich muß ich das Zeug essen, und dann ist es auch meine Sache, was ich dafür verwende. Insofern kann das Rezept von Herrn W. nur eine Anregung sein, mehr nicht. Wer das anders sieht, kann sich gerne sklavisch an das “einzig richtige Rezept” halten, wenn er glaubt, das muß sein, bitte! Ich verwende jedenfalls eine Unterlage, die mir schmeckt, darauf kommt gekochter Schinken, und wenn es Formschinken ist, gab es den sicher zur Zeit des “Erfinders” noch nicht, aber egal. Was aber bestimmt nicht oben drauf kommt, ist Scheibletten-Schmelzkäse, denn das ist nur der billige Abfall der Käseherstellung, der mit Schmelzsalz zusammengerührt und zu Scheiben geformt wird. Ein Produkt der Nachkriegszeit, mehr nicht, das heute noch mit Profit verkauft wird. Und auf die pappsüße Kirsche kann ich gerne verzichten, zumal ich ja dafür extra ein Glas dieser Kunstprodukte kaufen und dann tagelang Toast Hawaii essen müßte, damit ich das Zeug nicht wegschmeißen muss. Deshalb habe ich auch kein Problem damit, auf den Schinken oder eine Scheibe kalten Braten einen halben Dosenpfirsich zu legen, und diesen mit Roquefort oder Gorgonzola zu überbacken. Lassen Sie sich überraschen, und denken Sie selbst, anstatt irgendwelchen Propheten zu folgen. Hilft auch sonst im Leben…. Und Herr Etscheit, nix für ungut.

S. E. L. Mueffler / 27.02.2022

Die Cocktailkirsche ist entbehrlich ... Herr Etscheit, jetzt haben Sie mich aber schwer enttäuscht. Die Cocktailkirche ist das eigentliche Zentrum dieses nostalgischen Gaumenschmauses. Wie können Sie nur ...?

Robert Bauer / 27.02.2022

Ein Hoch auf das Toast Hawaii! Und wenn es nur darum ginge, den Puls der Bolschewoken auf über 200 zu bringen. Allein, es schmeckt einfach gut und ist schnell zubereitet. Immer wieder gern. Dank sei Clemens Wilmenrod (“Wir haben da schon ´was vorbereitet…)!

Andreas Rochow / 27.02.2022

Hier haben wir es mit einem gefährlichen Exemplar der Cuisine-Literatur zu tun, mit dem Potential, selbst in Satten, Diätbewussten, Ökofans und Veganern das Verlangen nach dem sündigen Hawai-Genuss zu wecken und sie abhängig zu machen.  Wir alle zittern nun vor dem Urteil des SZ-Gerichts, weil wir auch Unter-25-Jährige zum Toast Hawai verführt haben. Dosenananas, Gouda mittelalt und Prosciutto cotto wären als Hawai-Set eine wunderbare Geschenkidee für Partys aller Art, falls Herr Lauterbach sie wieder erlauben sollte. Tostbrot gibt’s notfalls bei der Tanke und Senf beim Nachbarn. Bon appetit!

Dipl.-Ing. Erwin Obermaier / 27.02.2022

Noch ein Nachtrag: Auf Toast Hawaii gehört Presschinken und Scheibletten. Alles andere ist wie Currywurst auf Meißner Porzellan mit Silberbesteck essen.

Gabriele H. Schulze / 27.02.2022

Habe ich vor wenigen Tagen in einem örtlichen Café - dieses gutbürgerlich und qualitätsbewußt - mit Genuß verzehrt. Nach Wochen gesunden Grmüseessens - hach, tat das gut. Die Zutaten waren eben auch von Qualität. Und die Cocktailkirsche muß sein.

Dipl.-Ing. Erwin Obermaier / 27.02.2022

Auch ich möchte hier eine Lanze für den Doseneintopf brechen. Nicht nur aus den von Harry Hirsch genannten Gründen, die auch bei mir in der Studienzeit auschlaggebend waren, nein auch heute tun diese noch guten Dienst. Sie halten ewig (das Mindesthaltbarkeitsdatum kann man ruhig ignorieren), kosten wenig und so 100 passen in die letzte Kellerecke. Damit kann der Blackout (oder was in den nächsten Wochen sonst noch passiert) eine ganze Zeit überleben. Und Hunger ist bekanntlich der beste Koch.

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