Der Herbst ist da – Pilzzeit! Wie im Land der Verbotspolitiker und Ökogouvernanten üblich, wird vor radioaktiver Belastung gewarnt. Alles weniger als halb so wild! Man sollte sich die Lust am herbstlichen Pilzgenuss nicht vermiesen lassen.
Wenn im Herbst die Pilze sprießen, wird man in den Medien mit den immer gleichen Warnungen konfrontiert. Auch 35 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, so heißt es, seien Waldpilze radioaktiv belastet. Vor allem in manchen Regionen Süd- und Ostbayerns, wo sich seinerzeit die radioaktiven Wolken abgeregnet hätten, sei Vorsicht geboten.
Wer sichergehen wolle, solle besonders verseuchte Arten wie den beliebten Maronen- oder den Rotfußröhrling nur in kleinen Mengen essen. „Schwangere, stillende Mütter und Kinder“, heißt es, sollten ganz auf den Genuss dieser Pilze verzichten. Zudem „bunkerten“ Waldpilze auch andere Schadstoffe wie Blei, Quecksilber oder Cadmium und sie seien zudem möglicherweise mit den Eiern des gefährlichen Fuchsbandwurms kontaminiert.
Bei solchen Meldungen vergeht vielen Menschen von ganz allein die Lust an einer herbstlichen Pilzwanderung mit anschließender Pilzmahlzeit. Ohne Alarm geht es eben nicht im Land der Verbotspolitiker und Ökogouvernanten.
Dabei ist bis heute ungeklärt, wie sich niedrige, also nicht unmittelbar tödliche Strahlendosen, wie sie die Einsatzkräfte in Tschernobyl bei ersten Aufräumarbeiten im havarierten Reaktor erleiden mussten, auf die menschliche Gesundheit auswirken. Belastbare Studien dazu gibt es nicht, weil die Zeiträume sehr lang sind, in denen in den Körper aufgenommene Radionuklide wie Cäsium 137 oder Strontium 90 möglicherweise Krebs und Leukämie auslösen könnten. Im Zweifelsfall gehen die möglichen toxischen Langzeitwirkungen radioaktiver Stoffe im Grundrauschen der natürlichen Umgebungsstrahlung, anderer künstlicher Strahlenquellen wie Röntgenaufnahmen und Flugreisen oder einfach einem ungesunden persönlichen Lebensstil mit zu viel Fastfood und zu wenig Bewegung unter.
Keine Gefahr aus dem Kochtopf
Laut Bundesamt für Strahlenschutz führt eine wöchentliche Mahlzeit mit jeweils 200 Gramm Maronenröhrlingen, die mit 2.100 Becquerel Cäsium belastet sind – dem Höchstwert bei dieser Pilzart in den letzten drei Jahren – zu einer zusätzlichen Strahlenexposition von etwa 0,27 Millisievert pro Jahr. Dies ist etwas mehr als ein Zehntel der durchschnittlichen Strahlenexposition aus natürlichen Quellen in Deutschland während eines Jahres.
Eher wenig dramatisch stellt sich auch die oft thematisierte Cäsium-Belastung von Wildbret dar. Wildschweine lieben, das ist unbestritten, unterirdisch wachsende Hirschtrüffel, die deutlich stärker kontaminiert sind als oberirdisch wachsende Pilze. Ihr Fleisch gilt deshalb als besonders belastet. Bundesweit wurden im Rahmen eines Messprogramms 2019-2021 Maximalwerte von 1.600 Becquerel pro Kilogramm Wildschweinfleisch ermittelt, meist jedoch deutlich niedrigere. Bei Reh betrug der Wert gerade mal 200, bei Hirsch 50 Becquerel.
Wenn man dies alles noch in Beziehung setzt zu einem normalen Lebensstil mit gelegentlichen Flugreisen, die einen radioaktiver Höhenstrahlung aussetzen, und der einen oder anderen notwendigen Röntgenuntersuchung ist die gelbe Gefahr aus dem Kochtopf de facto nicht existent – selbst wenn man sich nahezu ausschließlich von hochbelasteten Pilzen und Wildfleisch ernähren würde, was niemandem in den Sinn käme. Analog gilt dies für die angeblich ebenfalls so bedenkliche Belastung von Pilzen mit Schwermetallen oder den berühmt-berüchtigten Fuchsbandwurm. Das Risiko, deswegen zu erkranken, liegt bei nahe null.
Fischstäbchen statt „Pilzmatsch“
Man sollte sich also die Lust am herbstlichen Pilzgenuss von den notorisch genussfeindlichen Ökos nicht vermiesen lassen – es gibt derzeit ohnehin wenig, woran man sich freuen kann. Trotz angeblicher Jahrhundertdürre wachsen dieses Jahr vielerorts Pilze in rauen Mengen, was wieder einmal die Beobachtung bestätigt, dass es sich bei Pilzen um eine ziemlich unberechenbare Spezies handelt. Ob sie wachsen, wann und wo, warum an manchen als sicher eingeschätzten „Stellen“ mal eine reiche Ernte winkt, mal eine herbe Enttäuschung, ist mir bis heute ein Rätsel.
Glücklicherweise gibt es in München den Viktualienmarkt, wo man immer welche findet. Suchen muss man nicht nach ihnen, man darf aber die Geldbörse nicht vergessen. Derzeit kostet dort ein Pfund angeblich „bayerischer“ Steinpilze guter Qualität, also ausreichend frisch und nicht verwurmt, rund zwanzig Euro. Diese Menge reicht locker, um zwei Menschen auf höchst angenehme Weise zu verköstigen. Ich selbst esse, man kann mich dafür einen Ignoranten schelten, neben Steinpilzen nur Pfifferlinge und Zucht-Champignons, im Frühjahr auch Morcheln, die aber getrocknet intensiver schmecken als frisch. Manchmal wandern auch ein paar Totentrompeten, frisch oder getrocknet, in den Einkaufskorb, um einer Wildsauce den morbiden Pfiff zu verleihen.
Die von vielen Pilzsammlern geschätzten und angeblich so stark „belasteten“ Maronenröhrlinge meide ich. Nicht weil sie strahlen könnten, sondern aus kulinarisch-ästhetischen Gründen. Maronen besitzen leider die Eigenschaft, beim Erhitzen eine schleimige Konsistenz zu entwickeln, die mich unweigerlich an den grausigen „Pilzmatsch“ erinnert, den mein Vater, ein passionierter Pilzsammler, zubereitete oder von meiner bedauernswerten Mutter zubereiten ließ, in dem alles verschwand und sich in eine gräuliche Substanz verwandelte, was er gerade gefunden hatte: Täublinge, Hallimasch, Wiesenchampignons, Reizker und leider auch der eine oder andere Steinpilz. Weil ich mich unter der Drohung, den Tisch, pardon, vollzureihern weigerte, das zu essen, wurden mir als Ersatz Fischstäbchen serviert.
Steinpilz ist nicht gleich Steinpilz
Steinpilze gab es bei uns zu Hause selten, weil sie in den südhessischen Wäldern rar sind und kaufen wollte mein sparsamer Vater keine, weil sie ihm zu teuer waren. Dabei werden auf dem wunderbaren Wiesbadener oder dem Mainzer Wochenmarkt jeden Herbst Steinpilze aus den Laubwäldern der Vogesen und Ardennen verkauft, die ich für die schmackhaftesten überhaupt halte. Denn Steinpilz ist nicht gleich Steinpilz – es kommt darauf an, auf welchem Boden und unter welchen Bäumen sie wachsen. Einmal fand ich in den Hochvogesen einen Bilderbuch-Steinpilz auf einer knochentrockenen Steinhalde. Es war der beste meines Lebens.
Die Zubereitung einer Steinpilz-Mahlzeit ist ein Kinderspiel, wenn man darauf achtet, die dünn geschnittenen Pilze in Öl und Butter scharf und lange genug anzubraten, damit das in ihnen reichlich gespeicherte Wasser verdampfen kann. Nur diese Prozedur garantiert später einen intensiven Pilzgeschmack. Zu den angebratenen Pilzen kommen klein geschnittene, angeschwitzte Schalotten, gehackte Petersilie, die man auch ein wenig rösten sollte, bevor das Ganze mit etwas Wein abgelöscht und mit Sahne verlängert wird. Um den Geschmack weiter zu intensivieren, gebe ich gerne noch ein Löffelchen Liebigs Fleischextrakt hinzu. Dazu wird Pasta gegessen, am besten frische Tagliatelle. Wer will, kann noch ebenfalls frisch geriebenen Parmesan darüberregnen lassen.
Wem dieses Rezept immer noch zu kompliziert ist, der kann die Pilze auch nur in Öl und Butter scharf anbraten, salzen und pfeffern und dann mit Pasta oder auf gerösteten Weißbrotscheiben servieren. Letzteres ist aber eher eine Vorspeise als ein Hauptgericht. Ich bekam solch ein Hors d’oeuvre einmal, wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, in einem Restaurant am Ufer der Sauer in Wasserbillig an der Grenze zu Luxemburg serviert und werde den Geschmack dieser ebenso einfachen wie delikaten Speise nie vergessen. Da strahlt man ganz von allein.
Georg Etscheit schreibt jetzt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.