Georg Etscheit / 11.06.2023 / 13:00 / Foto: MihaKrucz, Public Domain / 7 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Steckerlfisch

Empfindlichere Naturen nehmen schon Reißaus, wenn sie nur wenige Moleküle der fettigen, nach verbrannter Fischhaut riechenden Rauchschwaden erschnuppern, der dem Grill entsteigt, an dessen Rost billige Makrelen ihrem Feuertod entgegensehen.

Mit dem sonnigen Wetter hat in Süddeutschland wieder die Biergartensaison begonnen und damit zumindest für kulinarisch anspruchsvollere Menschen eine Zeit der Schrecken. Furztrockene Brathendl, die stundenlang am Spieß rotieren, bevor sie auf dem Teller landen, verbrutzelte Kalbs- und Schweinshaxen, deren Flachsen man nach dem Mahl mit dem Zahnstocher mühsam zwischen den Zähnen hervorfummeln muss, dazu wahlweise holziger oder wässriger „Radi“, Obazda aus der Industrietrommel, „frische“ Brezn aus dem Aufbackofen, irgendein nichtssagender Wurstsalat. Was es so gibt an „zünftigen“ Klassikern. 

Schließlich der furchtbarste aller Biergartengenüsse: Steckerlfisch. Empfindlichere Naturen nehmen schon Reißaus, wenn sie nur wenige Moleküle der fettigen, nach verbrannter Fischhaut riechenden Rauchschwaden erschnuppern, die in einer Ecke des Biergartens einem Grill entsteigen, vor dessen Rost die armen Fische an langen Stangen („Steckerl“) aufgereiht ihrem Feuertod entgegensehen. 

Wenn es sich wenigstens um Forellen, Saiblinge, Renken handeln würde, die sich in voralpinen Gewässern tummeln. Doch meist sind es billige Makrelen, die penetrantesten und unfeinsten Fische, die sich auftreiben lassen und die bislang meist, umgeben von Tomatentunke, in der Dose landen. Eine ganze gegrillte Makrele lässt sich nur im Zustand fortgeschrittener Alkoholisierung vertilgen. Zwei Maß Bier, also zwei Liter, darunter geht nichts. 

Leider begegnet man Makrele längst nicht mehr nur im Biergarten, sondern immer häufiger auch in der gehobenen Gastronomie. Als sadistische Hommage an den Steckerlfisch etwa „geflämmt“, also kurz mit dem Küchenbunsenbrenner behandelt. Ich begegnete einer solchen Kreation in einem sonst sehr angenehmen, mit einem Michelinstern dekorierten Gasthaus in Ostbayern. Das gebeizte, dann mit offener Flamme traktierte und wegen des hohen Fettanteils der Makrele extrem dominant schmeckende Filet überließ ich gerne meiner Begleitung und widmete mich mit umso größerem Genuss der leckeren Muschelkomposition drumherum. 

Zweifelhafte Biergartengenüsse

Auch Jan Hartwig, jüngst für sein neues Münchner Restaurant „JAN“ vom Guide Michelin auf Anhieb mit drei Sternen bedacht, präsentiert Makrele auf der Speisekarte. Etwa „verpackt“ in Joghurt und Fäden einer Creme von fermentiertem Knoblauch, die angeblich „ein wenig den aggressiveren Bereich der Makrelenaromen im Zaum hält“. Nun, ich habe das nicht selbst gegessen und will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Doch denke ich, dass selbst ein Großmeister der Kochkunst aus einem schwachen Ausgangsprodukt kein Gourmet-Highlight zaubern kann. 

Neben zweifelhaften Biergartengenüssen sind in Feinschmeckerkreisen gerade Speisen en vogue, die man bislang vom Rummelplatz kannte. Mohrenköpfe respektive Negerküsse scheinen es bislang zwar noch nicht in die Hochküche geschafft zu haben, vielleicht weil sich das Wort „Schokoladenschaumkuss“ auf den minimalistischen Speisekarten unserer Tage etwas sperrig ausmachen würde. 

Dafür bekommt man zum Abschluss eines Menüs zusammen mit dem Espresso immer häufiger handgefertigte Marshmallows serviert. Die wattigen Süßigkeiten bestehen aus Eiweiß, Zucker, Farb- und Aromastoffen sowie einem Geliermittel. Früher war das der Saft des Echten Eibischs, von dem sich der englische Name Marshmallow für „Sumpf-Malve“ ableitet. Heute nimmt man meist Gelatine, was die Sache wenig besser macht. 

Marshmallows sind besonders in den USA beliebt. Manchmal werden sie vor dem Verzehr auf einem Grill erwärmt oder (auf Stöcke gespießt) über einem Lagerfeuer geröstet. Damit schließt sich der Teufelskreis zum Steckerlfisch. Und zur Zuckerwatte. Einmal kredenzte man mir in einem angesehenen Restaurant in Südtirol eine mit Karamell überzogene Portion Zuckerwatte zum Nachtisch. Da hilft dann auch kein Zahnstocher mehr, sondern nur noch der Gang zur Toilette, um sich den klebrigen Mund und die nicht weniger pappigen Finger abzuwischen. Falls es auch Marshmallows und Makrele gab, kann man dort gleich noch den Rest erledigen.

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: MihaKrucz, Public Domain

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Leserpost

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Inra von Wangenheim / 11.06.2023

Im Osten war die Makrele häufig der einzige Fisch, den man außer Karpfen, den ich übrigens immer noch gerne esse bekommen konnte. Matjes kannte ich bis 1985 gar nicht, weil es den im Osten nicht gab, Hering aber schon. Nie werde ich vergessen, wie mir im sogenannten „Gastmahl des Meeres“, heute ein Steakhouse Karl-Liebknecht Ecke Spandauer Straße gegenüber vom Neptunbrunnen in Berlin eine Makrele als Hering in Hausfrauensauce - die übrigens im Osten ganz bestimmt nicht so geheißen hatte, aber ich kann mich nicht mehr erinnern - serviert wurde. Der Abscheu vor diesem tranigen Fisch war so groß, dass ich aufgestanden und gegangen bin und nie wieder eine Makrele gegessen, geschweige denn angefasst habe. Ich komme bislang sehr gut ohne Makrele aus.

S. Marek / 11.06.2023

Über Geschmäcker läßt sich schlecht streiten.  Der eine mag Blondinen der andre Brünetten, so ist das Leben eben.

Elias Schwarz / 11.06.2023

Was ist jetzt? Wird Steckerlfisch auch verboten? Ich habe ihn jahrzehntelang für unappetitlich und gar ekelerregend gehalten. Bis einmal der einfacher Hunger die Oberhand gewann. Der Fisch da drinnen ist nämlich zart und lecker, In seinem eigenen Sanft, nicht Fett, gekocht, saftig und überhaupt nicht übelriechend. Aber natürlich mit einem gurten bayerischen Bier, das darf mir doch keiner nehmen.

Jürgen Fischer / 11.06.2023

„Lieber a Steckerlfisch ohne Steckerl als a Nudelsuppen ohne Nudeln“ – Willy Harlander in einer BR-(Vor-)Abendserie der 1980er; ich weiß leider nicht mehr, in welcher. Ich glaube, Die Hausmeisterin war’s.

Thomas Kache / 11.06.2023

Keine Ahnung, welch merkwürdiger Unhold den Autor parforce geritten hat, dass er sich derart abfällig über die Makrele äußert. Meiner Ansicht nach hat die Makrele ein wohlschmeckendes Fleisch. Geräuchert, gebraten oder gegrillt. Immer gerne genommen. Kann man wunderbar mit Bratkartoffeln und Bier kombinieren.

Ludwig Luhmann / 11.06.2023

Und Sprotten ...? Darf ich mich auch in denen nicht mehr wälzen?

Wolfgang Feldhus / 11.06.2023

Herr Etscheid, sie meinen das Fischzeugs mit dem tranigem Geschmack…die Osteemakrele. Wenn Makrele in der Küche Menübestandteil wird, sollte es eine Benrsteinmakrele oder ein Mahi Mahi sein. Diese werden in guten Lokalen serviert, Als Sushi Zutat besser wie jeder Lachs oder Tuna. Im Mittelmeer haben wir noch sgombre, eine Kleinmakrelenart, eingesalzen und gewürzt ein Hochgenuß. Auch roh ,nur mariniert ein exquisiter Genuß

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