Unbedingt meiden sollte man alles, was im Supermarkt oder einem Gasthaus als „Sommerwein“ angepriesen wird. Unter dem Deckmantel dieses Zauberworts verkaufen findige Produzenten, meist große Winzergenossenschaften, gern eine dünne Plörre von berüchtigten Großlagen mit gaumenschmeichelndem Restzucker. Zum Glück gibt bessere Alternativen.
Ich komme aus einer bekannten Weingegend, dem als Wiege des Rieslings bekannten und gerühmten Rheingau. Dort wurde es schon in meiner Jugend regelmäßig heiß. Wenn das Thermometer in den Sommermonaten regelmäßig die 30-Grad-Marke überschritt, geriet man nicht in Hitze-Panik, sondern ging ins Schwimmbad. Das lag in meiner Heimatstadt Eltville direkt am Rheinufer. Der mächtige Strom selbst fiel für Kopfüber-Ganzkörper-Erfrischungen aus, weil er in den 60er und 70er Jahren oft schrecklich stank, nach Fäkalien, Chemie und was auch immer. Diese Sauerei ist glücklicherweise Vergangenheit, eine der größten Erfolge des (technischen) Umweltschutzes, wie man konzedieren muss.
Vergangenheit ist mancherorts leider auch der unbefangene Besuch im Schwimmbad. Früher hatte ich als der schmächtige und unsportliche Junge, der ich war, immer Angst davor, von weniger schmächtigen und weniger unsportlichen Jungs gegen meinen Willen unter Wasser getaucht zu werden. Heute muss man froh sein, wenn man im Freibad nicht Zeuge oder gar Opfer weitaus gravierenderer Gewalttätigkeiten wird, wenn nämlich junge Männer - meist mit sogenanntem Migrationshintergrund - auf den Liegewiesen, am Beckenrand und im Wasser deutschen „Kartoffeln“ ihr Verständnis von gendergemäßem Verhalten demonstrieren.
Im Eltviller Schwimmbad, das heute immer noch so sympathisch-unmodern wirkt wie einst, gab es einen stadtbekannten italienischen Gastronomen namens Paparozzi – nicht Paparazzi, wohlgemerkt. Der verkaufte dort unter anderem damals sehr gefragtes Softeis in den Geschmacksrichtungen Erdbeere, Vanille und Schokolade. Mehr als das künstliche Aroma dieser Spezialität faszinierte uns Kinder die Eismaschine, ein Apparat, der auf Betätigung eines Hebels die weiche Eismasse aus den Düsen strömen ließ, die sich alsbald im Waffelhörnchen zu einem wie gedrechselt wirkenden Berg auftürmte. Dann musste man schnell die Spitze ablecken oder abbeißen, damit man sich nicht bekleckerte. Der Apparat vermochte es, die einzelnen Geschmackfraktionen einzeln abzugeben oder als zweisortiges Duett – ein Wunderwerk des italienischen Maschinenbaus, wobei anzumerken ist, das Softeis wohl von den Amis erfunden wurde.
Wegen des Alkoholgehalts als Durstlöscher eher ungeeignet
Mittags ging man bei Herrn Paparozzi manchmal auch warm essen, umringt von leicht bekleideten, braungebrutzelten Menschen – Urlaubsstimmung pur. Mein kulinarisch anspruchsvoller Vater meinte, bei Paparrozzi gebe es die besten Spaghetti Bolognese, die er je gegessen habe. Doch wir Kinder hatten es eher auf das erwähnte Softeis abgesehen oder jene Süßigkeiten, die an der Theke verkauft wurde, Mars-Riegel, Hanuta-Schnitten, Lakritzschnecken, Colafläschchen aus Weingummi und ähnliches – Leckereien, die sich für einen echten Feinschmecker eigentlich nicht geziemen, wobei ich für Hanuta immer noch eine Schwäche habe.
Ins Schwimmbad zieht es mich dagegen nicht mehr, weil ich Chlorwasser heute ebenso hasse wie größere Menschansammlungen, selbst wenn kein größerer Polizeieinsatz zu erwarten ist. Ich ziehe jetzt meist eine inwendige, flüssige Erfrischung vor – ein schönes, kühles Bier, eine naturtrübe Apfelschorle oder, schwer im Trend, Holunderlimonade auf Basis eines am besten hausgemachten, weißen Holunderblütensirups.
Wein eignet sich infolge seiner hohen Alkoholgradation eher nicht als Durstlöscher. Unbedingt meiden sollte man alles, was im Supermarkt oder einem Gasthaus als „Sommerwein“ angepriesen wird. Unter dem Deckmantel dieses Zauberworts verkaufen findige Produzenten, meist große Winzergenossenschaften, gerne eine dünne Plörre von berüchtigten Großlagen mit gaumenschmeichelndem Restzucker. Oft gekeltert aus Trauben von Weinstöcken, die eher Masse statt Klasse versprechen, allen voran die nicht mehr ganz so neue, früh reifende Neuzüchtung Müller-Thurgau. Vermarktet werden sie meist schon im Jahr nach der letzten Ernte.
Alternativen: Weinschorle, Rosé – oder ein weißer Südfranzose
Im Zuge der Ökowelle dürfen es in punkto „Sommerwein“ immer häufiger auch PIWIS sein, innovative Rebzüchtungen mit klangvollen Namen wie Solaris, Regent oder Cabernet blanc. Sie kommen, weil von Natur aus gegen Pilzbefall mehr oder weniger resistent, im Ökoweinbau zum Einsatz, haben sich bislang jedoch auf breiter Front nicht gegen die traditionellen Qualitätssorten wie Riesling, Chardonnay, Grauburgunder, Cabernet Sauvignon oder Pinot noir durchsetzen können. Aus gutem Grund: Sie schmecken meist ziemlich aufdringlich-parfümiert und eignen sich, von Ausnahmen abgesehen, nicht als Essensbegleiter.
Wenn man bei klimakriseverdächtigen Außentemperaturen vom Wein nicht lassen möchte, empfiehlt es sich, ihn in Form einer Weißweinschorle zu konsumieren, in Österreich auch als „Gespritzter“ bekannt, wobei sich ein Grüner Veltliner oder ein säurebetonter Riesling besonders gut als Grundlage dieses unkomplizierten, aber anregenden Erfrischungsgetränks eignet. Wenn es sich nicht gerade um einen hochpreisigen Burgunder Grand cru handelt, kann man, ohne sich zu blamieren, auch mal ein paar Eiswürfel ins Weinglas werfen.
Wer es grundsätzlich ablehnt, Wein mit Wasser zu verschneiden, sollte zu einem süffigen Rosé aus der Provence greifen oder einem charaktervollen Weißen aus den schwer angesagten südfranzösischen Regionen Ardeche, Gard und Vaucluse, bereitet aus den Traditionssorten Rousanne oder Grenache blanc. Oh ja, Weiße aus heißeren Gefilden müssen nicht fett sein, im Gegenteil. Mehr denn je nämlich ist bei den südfranzösischen Winzern „la fraicheur“ (Frische) angesagt. So schmecken „Sommerweine“!
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.