Vor ein paar Jahrzehnten wunderten sich viele Deutsche noch, dass die Südländer ihr bevorzugtes Speiseöl als „extra jungfräulich“ bezeichneten.
Man kannte sie ja die Romanen, immer hinter den Frauen her. Und an die jungfräuliche Geburt einer gewissen Gottesmutter Maria glaubten sie auch noch. Heute geht uns Nordlichtern der Begriff „extra vergine“ flüssig und vorurteilsfrei von den Lippen. Er bedeutet ja nur, dass ein Olivenöl aus erster Pressung und erster Ernte eines Jahres stammt und mutmaßlich von besonders hoher Qualität ist. Ohne jede Anzüglichkeit.
Meine Mutter kochte mit Livio, nichts anderem. Das legendäre Produkt der Deutschen Lebensmittelwerke Hamburg in der markanten, dreieckigen Dose in ebenso markantem Gelb war eines der ersten Marken-Speiseöle auf dem (west)deutschen Markt, eine Mischung aus Raps- und Sonnenblumenöl. Geeignet zum Kochen und Braten sowie als Salatöl für das damals übliche, auch heute noch nicht völlig aus der Mode gekommene, bundesdeutsche Wasserdressing, das Wolfram Siebeck mit dem Verdikt „Fußbad“ belegte.
Livio kam schon 1958 auf den Markt und wurde Anfang der 2000er Jahre an die Haferflockenfirma Kölln aus Elmshorn verkauft. Warum an einen Cerealienspezialisten, ist mir nicht bekannt. Der neue Eigentümer jedenfalls entledigte sich der ikonischen Dose, füllte das Öl fortan in profane Glasflaschen ab und erweiterte das Sortiment um ein natives Olivenöl. Doch die Zeit für das „neutrale, universell verwendbare Speiseöl für die kalte und warme Küche“ war abgelaufen.
Heute reihen sich in vielen Haushalten auf den Sideboards über dem Küchenherd ganze Batterien von Ölen und Essigen aneinander für jeden Geschmack und jeden Anlass. Ein hitzebeständiges Bratöl von Raps oder Sonnenblume, ein einfaches Olivenöl für den Alltagssalat und den Tomatensugo, ein Olio di oliva extra vergine, gerne aus biologischem Anbau oder von der extra kleinen, schnuckeligen Ölmühle in fünfzehnter Generation als herzhafter Guss zur Verfeinerung etwa von mediterranen Suppen, daneben diverse Nussöle und, für solvente Gesundheitsapostel, noch ein sündteures, gesundheitlich angeblich besonders vorteilhaftes Arganöl.
Beliebtes Reisemitbringsel
Obligatorisch ist bei Feinschmeckern längst auch steirisches Kürbiskernöl mit seinem rauchigen Geschmack, das sich gut auf einer Kürbissuppe macht. Wenn man mit diesem Öl eine Mayonnaise anrührt, erhält man einen herzhaften Dipp, dessen grünbraune Farbe indes gewöhnungsbedürftig ist. Das Aroma von Kürbiskernöl ist so kräftig und unverwechselbar, dass man seiner schnell überdrüssig wird. Und dann vergammelt die offene Flasche häufig auf dem Regal, was nicht nur angesichts des Preises eine nicht tolerable Verschwendung darstellt. Deshalb sollte man, wie auch beim nicht sehr lange haltbaren Walnussöl, immer zu möglichst kleinen Gebinden greifen.
Olivenöl zählt unterdessen zu den beliebtesten Reisemitbringseln. Wer am Gardasee den Sommerurlaub verbringt, macht gerne einen Abstecher nach Malcesine, wo ein besonders hochwertiges Olivenöl produziert wird. Die örtliche Genossenschaft der Olivenbauern bietet ein als „Götternahrung“ gepriesenes Olivenöl Extravergine der Marke „la Costèra“ zum ambitionierten Preis von 17 Euro für ein 0,25-Liter-Flacon. Das genießt man dann, wenn überhaupt, nur tropfenweise auf einem Stück Weißbrot.
Auch die Region um den Küstenort Taggia in Ligurien westlich von Genua macht viel Aufhebens um ihre besondere Olivensorte, die Taggiasca, die heute zum guten Ton italophiler Feinschmecker zählt. Manchmal wundert man sich, wie viele von den seltenen und teuren Früchten, in Gläsern eingelegt, auf dem Markt sind, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier vielleicht wieder einmal die Mafia die Hände im Spiel hat.
Taggiasce sind klein, hell- bis dunkelbraun und haben einen angenehm nussigen, milden und wenig bitteren Geschmack. Natürlich presst man aus ihnen auch ein hochwertiges Speiseöl. Wenn man Kinder an Olivenöl gewöhnen will, liegt man mit diesem Öl richtig. Geschmacklich das genaue Gegenteil sind die südfranzösischen Olivenöle mit ihrer ausgeprägten Bitternote und grünen, fruchtigen Tönen. Sie stammen aus der Gegend um Nimes und aus der AOP Nyons im Departement Drôme. Eher nichts für Anfänger.
Immer mehr riesige Monokulturen
Der Verbrauch von Olivenöl in Deutschland liegt heute bei gut einem Liter pro Jahr und Person, weniger als ein Zehntel dessen, was Spanier oder Griechen konsumieren. Das meiste wird im Supermarkt oder beim Discounter gekauft und stammt nicht aus erster, sondern zweiter oder gar dritter Pressung – es hat einen höheren Säuregehalt und weniger angenehmen Geschmack. Wenn es nicht sogar mit minderwertigen Ölen gestreckt wurde, zählt doch Olivenöl zu den am meisten gepanschten Lebensmitteln überhaupt.
Zuletzt machte das „flüssige Gold“ Schlagzeilen, weil infolge zweier Missernten die Preise kräftig angestiegen waren. Schuld war, wie gewohnt, der Klimawandel, in Form von anhaltender Dürre in den Anbaugebieten rund ums Mittelmeer, die selbst den an Hitze und Trockenheit gewöhnten Olivenbäumen zu schaffen machte. Die Medien riefen sofort eine Olivenölkrise aus und prophezeiten zum Schrecken der sparsamen Deutschen, dass die Preise so bald nicht mehr sinken würden.
Dabei dürften viele Probleme weniger dem bösen Klima als den Olivenölproduzenten selbst zuzuschreiben sein, werden doch auch Oliven, um den ständig wachsenden Bedarf zu decken, mehr und mehr in riesigen Monokulturen angebaut. Die Bäume werden oft nicht mehr als zwanzig Jahre alt und müssen bewässert werden, um die gewünschten Erträge zu bringen. Das macht sie anfälliger nicht nur gegen ausbleibende Niederschläge, sondern auch gegen Krankheiten, vor denen allerdings auch alte Bestände nicht gefeit sind, wie die in Süditalien grassierende Seuche des Bakteriums Xylella zeigt, die aus Übersee eingeschleppt wurde, und in Apulien zu einem Massensterben von Olivenhainen geführt hat.
Traditionelle Olivenhaine mit uralten Bäumen, die tief wurzeln, stecken trockene Jahre viel besser weg, wobei sich seit jeher und unabhängig vom Wetter Jahre mit guten und mit schlechten Ernten abwechseln. Mittlerweile hat sich die Lage wieder beruhigt, die Preise sind gefallen, und selbst in Andalusien, der trockensten und heißesten Gegend Europas, hat es so viel geregnet wie lange nicht. Die Olivenölkrise ist einstweilen beendet, und das geneigte Publikum erwartet gespannt die Liviokrise. Irgendeine Krise ist ja immer.
Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.