Georg Etscheit / 30.03.2025 / 12:00 / Foto: Montage achgut.com / 20 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Seelentröster

Der Champagner-Absatz bricht ein – doch was könnte man stattdessen konsumieren? Vielleicht Rottkäppchen-Sekt, Erdnussflips oder Kartoffelchips? Nicht ganz so dekadent, aber als Seelentröster reichen sie allemal.

Das ist kein Rückgang, sondern ein Einbruch: Der Champagner-Absatz in Deutschland ist 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 18,5 Prozent gesunken. Im weltweiten Umsatz-Ranking der Champagner-Exportmärkte fällt Deutschland damit auf den fünften Platz zurück, nach den USA, Großbritannien, Japan und nun sogar Italien. „Champagner ist ein echtes Barometer für die Gemütslage der Verbraucher“, wird der Vize-Präsident des Champagner-Verbandes, Maxime Toubart, zitiert. Wohl wahr. Gut möglich, dass im Zuge der Merzschen Schuldenorgie echter französischer Champagner wirklich wieder zum unbezahlbaren Luxusgut wird.

Für notorische Champagnerhasser ein Grund zum Jubeln. Denn für linksgrüne Genussverweigerer und Möchtegern-Asketen sind die Bouteillen aus Reims nicht mehr und nicht weniger als ein Symbol für die Exzesse des fossilen Kapitalismus. Während die Armen darben, schwadronieren sie, lassen es die Reichen mit Dom Perignon, Veuve Clicquot und Krug „die Korken knallen“. Und wenn immer mehr Menschen auf der Straße landen und die Aktienkurse steigen, bricht bei denen „da oben“ die sprichwörtliche „Champagnerlaune“ aus.

Wenn die Welt so einfach wäre. Aber zum Glück gibt es ja noch Rotkäppchen-Sekt, die DDR-Volksbrause, mit denen die Gerontokraten aus Wandlitz zumindest Teile der Bevölkerung bei Laune zu halten versuchten. Natürlich zählte auch die VEB-Plörre aus Freyburg an der Unstrut zur heiß begehrten „Bückware“, die man oft nur mit entsprechenden Beziehungen ergattern konnte. Oder im Intershop gegen Westmark.

Spanische Kartoffelchips

„Prickelnder Luxus im schalen Sozialismus“, textet das Handelsblatt etwas euphemistisch. Nach einer Delle direkt nach der Wende ging es mit Rotkäppchen, nun Teil der Unternehmensgruppe Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien GmbH wieder steil bergauf. Seit kurzem gibt es in Freyburg sogar eine schicke Rotkäppchen-„Erlebniswelt“, eine Art Disneyland für Fans einer der ältesten Sektmarken Deutschlands. Damit der Deutsche weiß, was in Zukunft in der Sektflöte landet.

Ganz so schaurig, wie man denken könnte, schmeckt Rotkäppchen heute nicht mehr. Als billiger Seelentröster eignet sich die Marke mit der knallroten Kapsel allemal. Dazu eine Tüte leckere Erdnussflips und der Abend ist gerettet. Mir ist natürlich bewusst, dass es sich bei den fettigen Würmchen aus der Knistertüte um klassisches Junkfood handelt – null Nährwert, viel Fett und Salz, und vermutlich Krebs erregende Acrylamide – komme aber nicht umhin, zu bekennen, dass es Zeiten gibt, in denen ich jeden Tag eine ganze Tüte von dem Zeug vertilgen könnte. Wie am Abend des Schuldenputsches.

Zumindest gourmettechnisch empfehlenswerter sind Kartoffelchips und zwar spanische. Sie sind krosser als die bei uns erhältlichen Standardprodukte, weniger fettig und nicht so salzig. Spanische Patatas fritas werden in Olivenöl gebacken und mit Meersalz bestreut. Man knuspert sie als Bestandteil einer Auswahl von Tapas oder sogar als Beilage zu einem Stück Fleisch. Merkwürdige Sitten haben sie, die Iberer. Das Abendessen beginnt erst um Mitternacht, besteht nur aus Vorspeisen und man serviert Kartoffelchips zu Kaviar. Das soll einer verstehen.

Suchtfaktor auf einer Skala von eins bis zehn: neun

Noch ein Seelentröster, den ich kürzlich wiederentdeckt habe, diesmal von der süßen Seite: Edle Tropfen in Nuss aus dem Hause Trumpf, heute eine Marke des Lebensmittelherstellers Krüger – ein echter Retroklassiker. Das Mundgefühl ist nicht zu toppen. Am besten, man lutscht zunächst die Vollmilch- oder Bitterschokolade mit den Nusssplittern vorsichtig ab und knackt schließlich die mit flüssigem Alkohol gefüllte Zuckerkapsel. Suchtfaktor auf einer Skala von eins bis zehn: neun. Wie bei den Erdnussflips kann man eigentlich erst wieder aufhören, wenn die Schachtel leer ist.

Natürlich haben die Trumpf-Marketingstrategen längst eine ganze Reihe von Edle Tropfen in Nuss-„Editionen“ auf den Markt geworfen. Es gibt die Pralinen mit Likör, Rum oder klassischen Bränden wie Grappa, Whisky und Calvados, außerdem mit verschiedenen Cocktails wie Cuba Libre oder Piña colada. Ich bevorzuge nach wie vor die Ursprungsvariante mit vier Obstbränden: Kirsche, Williamsbirne, Himbeere und Zwetschge, wobei die Unterschiede zwischen den Fruchtsorten nur schwer herauszuschmecken sind. Doch die Brände sind selbst nicht süß und harmonieren perfekt mit der Schokolade, wobei die bittere Variante meines Erachtens die beste ist. Fast unverschämt günstig sind sie noch dazu.

Im Internet gibt es sogar eine eigene Edle Tropfen in Nuss-Homepage. Da heißt es unter dem Stichwort „Nachhaltigkeit“: „Wir sind der Ansicht, dass Genuss für sich selbst und Verantwortung für andere zu übernehmen, unbedingt zusammengehören. Gerade beim Kampf gegen den Klimawandel ist es wichtig, heute zu handeln, um den Planeten für künftige Generationen zu bewahren. Die Edlen Tropfen in Nuss leisten hier ihren Betrag.“ Dann geht es um ein Energiemanagementsystem, ein effizientes Blockheizkraftwerk und Klimaneutralität. Sehr fortschrittlich und beruhigend, dass uns Edle Tropfen in Nuss wohl auch unter dem verschärften Klimaregime von Merz, Klingbeil und Konsorten erhalten bleiben. Wenn Trumpf/Krüger nicht auf Champagner macht und irgendwann Pleite geht.

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

Foto: Montage achgut.com

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Leserpost

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Karel Pipovic / 30.03.2025

Aaaahhh! “Edle Tropfen in Nuss”... zusammen mit Mon Chrie und Keller Geister halbtrockener Perlwein schon lange vor der Pubertät meine Einstiegsdrogen in ein Jahrzehnt des signifikanten Alkoholproblems. Vielen Dank für das tolle Flashback! ;-)

Ralf.Michael / 30.03.2025

Der Goldpreis liegt heute bei 3.100 US$ ,,, da geht bestimmt noch was ! Also noch kein Krieg, und ich schlafe weiterhin ruhig !

Milan Viethen / 30.03.2025

Wahrscheinlich haben gewisse Schichten in Deutschland die ehemaligen französischen Überseegebiete in den heutigen USA gedanklich verortet und folgen dem Trump-bashing logisch im Verzicht auf Champagner. Vielleicht ist das eine Erklärung.

Lutz Herrmann / 30.03.2025

Rotkäppchen-Sekt braucht kein Mensch. Außer Born-Senf fällt mir kein Grund für die Wiedervereinigung ein. Ein Minusgeschäft. Merkel, Gysi, ekliger Sekt.

T.Resias / 30.03.2025

Durch einen 1 semestrigen Aufenthalt in der Hauptstadt der Champagne sowie ein langjähriges kontrastives Studium der französischen und deutschen Lebensart unter besonderer Berücksichtigung von Weinbau und Getränketechnologie erlaube ich mir mir folgendes Urteil : Der Champagner wird stark überbewertet. Sein Prinzip ist ja die Verwendung geeigneter Rebsorten aus klimatisch und bodenmässig geeignetem Anbaugebiet mit entsprechender Kellereitechnik, sprich Flaschengärung. Dieses Prinzip haben Deutsche aus der Champagne an den Rhein geholt und dort durchaus vergleichbare Erzeugnisse produziert, die dann nach einem Gerichtsstreit eben nicht mehr Champagner, sondern Sekt genannt werden mussten. In Frankreich gab es in den 70ern durchaus gute Konkurrenz mit Namen “methode champenoise” die dann nach erneutem Rechtsstreit in “Cremant” umbenannt werden mussten, aber qualitativ durchaus dem Vorbild das Wqsser reichen können. Der Grund für den Ruhm des Champagners liegt im Snobismus - für Snobs ist halt nur das teuerste gut genug - sowie der mangelnden Fachkenntnis eines grossen Teils des Publikums, welches seine Unkenntnis durch Kauf von bekannten Marken kompensieren möchte.

Ines Sack / 30.03.2025

@ L Luhmann: Der Meinung bin ich auch.  Mindestens genauso schlimm finde ich die Wendung “leere Kalorien”. Kalorien können gar nicht “leer” sein, denn es sind ja Kalorien. Gemeint ist damit immer: kaum Vitamine etc. Es soll Menschen geben, die froh wären, wenn sie ein paar “leere Kalorien” zum Essen hätten.

Emil.Meins / 30.03.2025

Wie sehr die Menschen von Gewohnheiten, Image und Werbung abhängig sind, und nicht wirklich von “Geschmack” oder Qualität, sieht man auch hier in Rumänien. LIDl verkauft hier seinen Sekt “Burg Schöneck”, dessen Preis in etwa 2 Jahren von 8,49 Lei auf zuletzt 14,99 gestiegen ist (5 Lei=1 Euro). Damit ist er vom Super-Schnäppchen, jetzt bei fast 3 Euro, zwar deutlich teurer geworden, aber immer noch günstig für Rumänien. Nur trinken die Rumänen lieber allerlei deutlich teurere, süße Plörren, die im Champagner-Look daher kommen, mit goldener Metallfolie und allerlei Zierat, oft sogar mit Pfirsicharoma und ähnlichen Verschandelungen, aber klangvollen Namen, meist rumänischer Provenienz. Das ausländische Zeug im “Premium”-Segment ist sogar extrem teuer. Wegen seiner Unscheinbarkeit würden aber die wenigsten den LIDL-Sekt kaufen, sondern stattdessen das “Image” was hier sehr wichtig ist. Von hier kommen übrigens auch die “Pufuleti”, was den Erdnussflips des Autors entspricht, die inzwischen auch in Deutschland verkauft werden. Werden hier bergeweise gefuttert, und besonders die Kinder einer bekannten mobilen ethnischen Gruppe ernähren sich fast ausschließlich von den Dingern und Kartoffelchips. Meine Ex hatte in einem Viertel ein Apartment, wo diese zuhauf lebten, die Strasse war ständig übersät mit den leeren Tüten. Ist übrigens nur extrudierte Maismehlpampe mit Erdnussaroma. Genau wie die besonders bei der jungen Generation beliebte Marke von Chips in der Pappdose nur uniform aus Kartoffelbrei mit Zusatzstoffen zusammengepresst und bestimmt sehr gesund sind. Und die “coole” Werbung tut den Rest. Da rettet auch das Meersalz nichts mehr….Aber “gesund” ist halt nicht alles, sondern unsere Begierden bestimmen unsere Vorlieben, da können es auch die scharf gewürzten Nacho-Chips sein, die sich so schön in eine Avocadocreme dippen lassen. Sind auch nicht gesund, machen fett, aber schmecken….

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