Eigentlich sollte diese Folge der Cancel Cuisine den Königsberger Klopsen gewidmet sein. Doch die Aktualität gebietet es, einer anderen Speise den Vortritt einzuräumen, die in Zeiten von Veganismus und Soja-Hype in schwere Bedrängnis geraten ist: dem Schweinekrustenbraten, wobei die Bayern, wo er zu den Nationalspeisen zählt, in genitivisch-mundartlicher Verkürzung Schweinsbraten sagen. Auch Anton Hofreiter, der aus München stammende grüne Fraktionschef im Deutschen Bundestag, dürfte dies wohl im taz-Interview so formuliert haben, aber die doofen, preußischen Tazler haben dann natürlich „Schweinebraten“ geschrieben.
Der Hofreiter Anton – der mit der Jesusfrisur und der zuweilen recht derben Ausdrucksweise, vor allem, wenn es gegen seine Intimfeinde von der AfD-Fraktion geht – hat jüngst in ebendiesem Interview auf die Frage, ob seine Partei nicht nur den politischen Rahmen, sondern auch die individuelle Lebensführung der Menschen ändern wolle, Folgendes geäußert: „Ihre persönliche Lebensführung geht mich nichts an. Sie können von mir aus so oft einen Schweinebraten essen und danach nach Mallorca fliegen, wie Sie wollen. Meine Aufgabe als Politiker ist es, an den Strukturen zu arbeiten.“ Kontingenten oder Bezugsscheinen für Fleisch, um den Fleischkonsum der Bevölkerung zu reduzieren, erteilte er eine Absage.
Das ist nun einmal eine erfreuliche Ansage von einem führenden Grünenfunktionär. Zumindest der Schweinsbraten soll einstweilen nicht verboten werden! Und auch ein schrittweises Auslaufen des Schweine- respektive Schweinsbratens bis, sagen wir 2035, scheint derzeit ebenfalls nicht auf der Agenda der Kanzlerinnenpartei in spe zu stehen. Möglicherweise wirkt da noch die Veggie-Day-Pleite nach. Oder Anton Hofreiter hat seinen Einfluss als waschechter Bayer geltend gemacht und seine schützende Hand über den Schweinsbraten als regionales Kulturgut gehalten. Auf jeden Fall dem Hofreiter Toni an dieser Stelle mein herzlichster Dank.
Es geht nichts über Schweinefleisch aus achtbarer Tierhaltung
Ein Schweinebraten aus Brust oder Keule, mit oder ohne Schwarte, oder irgendein anderes Stück vom Schwein findet sich auf so gut wie jeder Speisekarte im weißblauen Freistaat. Oft ist das Schweinerne an sonnigen Biergartentagen das erste Gericht, das „aus“ ist. Dann muss man doch zum Hamburger greifen oder zum Steak, wobei ein guter Schweinsbraten allemal besser schmeckt, wenn, ja wenn, das Fleisch von allerhöchster Qualität ist. Leider sind bei den meisten Schweinsbraten neben Messer und Gabel hölzerne Zahnstocher unerlässlich, um das trockene Gefasere wieder aus den Zahnlücken zu kratzen. Und die dazu gereichten, steinharten Kartoffel- oder Semmelknödel sind oft genauso ungenießbar wie der gemischte Salat mit obligatorischem Fußbad.
Da ist den Ökos einmal vollumfänglich recht zu geben. Es geht nichts über Schweinefleisch aus achtbarer Tierhaltung, gerne auch aus Bioproduktion. Stammt das Fleisch aus Massentierhaltung, was leider immer noch die Regel ist, schnurrt es in der Pfanne oder im Bräter beinahe unweigerlich auf die Hälfte zusammen und schmeckt dann genauso fad wie ein Sojaschnitzel. Dafür muss man kein Tier um die Ecke bringen – und Schweine sind kluge Geschöpfe, die es vermutlich nicht gerne sehen, wenn es ihnen an den Kragen geht.
Den besten Schweinsbraten meines nun doch schon relativ langen Lebens aß ich im Herrmannsdorfer Schweinsbräu, als dort noch Thomas Thielemann am Herd stand, einer der ersten Bioköche Deutschlands. Thielemann war kein Ideologe, genauso wie sein damaliger Patron, der vergangenes Jahr verstorbene Karl Ludwig Schweisfurth. Der einstige Besitzer des Herta-Fleischkonzerns, der viele US-amerikanische Methoden industrieller Fleischerzeugung nach Deutschland holte, hatte seine florierende Firma 1984 verkauft, um bei Glonn östlich von München eine ökologische Musterfarm aufzubauen: die Herrmannsdorfer Landwerkstätten.
Man muss nicht jeden Tag Fleisch essen
Dort gründete er auch ein Wirtshaus, das unter Thielemanns Leitung zur Pilgerstätte der Münchner Ökoschickeria wurde. Schweisfurth und Thielemann wollten aber nie belehren oder umerziehen, sondern einfach nur gutes Fleisch produzieren. Ihr Credo: Wenn schon Fleisch, dann aus artgerechter Haltung und schonender Schlachtung. Gegen diesen Ansatz ist auch heute nichts einzuwenden, wobei solchermaßen produziertes Fleisch seinen Preis hat. Dem Argument, dies sei doch unsozial, weil sich ärmere Menschen dann kein Schnitzel mehr leisten könnten, ist entgegenzuhalten, dass Fleisch, von welchem Tier auch immer, eine edle Speise ist, die man nicht jeden Tag essen muss. Deshalb gab es ja auch in früheren Zeiten den „Sonntagsbraten“.
Thielemanns Braten „von glücklichen Schweinen“ war von wunderbar schmackhaftem Fett durchzogen, das dem Fleisch sein intensives Aroma verlieh. Und das Muskelfleisch war saftig und zart, auch wenn es nicht wie das modische pulled pork, eine Abwandlung passierter Kost für Krankenhaus und Altenheim, auf der Zunge zerging. Mageres Schweinefleisch ist ein Widerspruch in sich, wenn man einmal das Schweinelendchen außer Acht lässt. Dazu gab bei Thielemann eine kräftige, dunkle Natursoße, kurz und knackig geröstetes Saisongemüse wie Karotten, Spitzkohl, Kohlrabi oder Steckrüben und butterigen, grobstückigen Kartoffelstampf. Klöße kamen im Schweinsbräu selten auf den Tisch, weil sie sich schwer in der angestrebten Qualität „auf Halde“ produzieren lassen und Thielemann vorgefertigte und stabilisierte Klöße nicht mochte. Leider überwarf sich der Koch mit Schweisfurths Sohn, der irgendwann die Landwerkstätten übernahm, und verschwand mehr oder weniger von der gastronomischen Bildfläche.
So wie bei Thielemann machte Fleisch essen Spaß und man konnte hinterher dem sympathischen Borstenvieh im „Schweinedorf“, wo es viel Auslauf hatte und beste, natürliche Kost genoss, noch in die Schweinsäuglein schauen. Eine weitere, zuverlässige Quelle für bestes Schweinefleisch ist die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall, die sogar Fleisch von Schwäbisch-Hällischen Landschweinen im Angebot hat, das von Tieren stammt, die sich, wie anno dazumal, im Wald von Wurzeln und Eicheln zum Teil selbst ernähren. Solch ein Premiumprodukt kann mit jedem Rehrücken oder Lendensteak problemlos mithalten.
Hier die bösen Fleischapostel, dort die veganen Weltenretter?
Einen leckeren Schweinsbraten zuzubereiten, ist keine Hexerei. Wenn man, wie Siebeck in seinem wundervollen Kochbuch „Alle meine Rezepte“, das Fleisch zunächst anbrät und dann, umgeben von allerlei Gemüsen und Gewürzen nach der Niedrigtemperaturmethode gart, entsteht fast automatisch ein feiner Bratensaft, den man noch mit Hühnerbrühe und/oder Rotwein oder Bier anreichern kann. Alfons Schuhbeck, selbsternannter Gralshüter der neuen bayerischen Küche, lässt das Fleisch nach dem Anbraten auf einem Gemüsebett schmurgeln, bis es gar ist, zunächst mit der Fettseite nach unten, damit die Schwarte weicher wird. Erst die letzten eineinhalb Stunden dreht er den Braten um und lässt die Schwarte kross werden. Eckart Witzigmann reibt seinen Krustenbraten vor dem Braten mit Kümmel, Paprika und Knoblauch ein und lässt ihn über Nacht im Kühlschrank durchziehen.
Es ist schade, dass sich auch die gastronomische Szene im Zeichen der grünen Ideologie mehr und mehr zu polarisieren scheint. Hier die bösen Fleischapostel, die dazu beitragen, Tiere zu quälen und das Klima zu ruinieren, dort die guten Veganer und Vegetarier, die sich anschicken, die Welt zu retten. Dass es eigentlich nur darum geht, nicht zu leugnende Auswüchse der industriellen Massentierhaltung und Fleischindustrie zu begrenzen, gerät dabei außer Blick. Es kann nicht angehen, den Fleischkonsum aus Gründen des „Klimaschutzes“ oder eines angenommenen Tierwohls um jeden Preis zu minimieren oder die Tierhaltung gleich ganz abzuschaffen und mit ihr viele jahrhundertalte Traditionen der Fleisch- und Milchverarbeitung, die nicht zuletzt auch jene artenreichen Kulturlandschaften der Alpen und Mittelgebirge hervorgebracht hat, deren Existenz auf der Haltung von Weidevieh beruht. Vielleicht hat das ja auch schon Herr Hofreiter kapiert.