Georg Etscheit / 08.01.2023 / 12:00 / Foto: Pixabay / 13 / Seite ausdrucken

Cancel Cuisine: Schinkenwurst

Schinkenwurst ist die Kittelschürze des deutschen Metzgerhandwerks: hoffnungslos von gestern, aber nicht totzukriegen. 

„Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen“ – eine Binsenweisheit, deren Wahrheitsgehalt, wie bei allen Binsenweisheiten, unbestritten ist. Nach einer schier endlosen Abfolge festlicher Mahlzeiten nähert sich der Füllstand des Kühlschranks langsam wieder normalem Niveau, was man vom Zeiger der Waage leider noch nicht sagen kann – ich vertraue weiterhin auf ein mechanisches Modell, nicht zuletzt deswegen, weil es mir immer etwas gnädiger zu messen scheint als die unbestechliche Elektronik. 

Endlich ist auch das letzte Stollenende und der letzte Elisenlebkuchen an späte Gäste verfüttert und der süße Schmuck des Weihnachtsbaums weist schon beträchtliche Lücken auf. Wenn das Weihnachtgebäck – was bis heute überlebt hat, ist ohnehin nicht allererste Wahl – zur Neige geht, erbarmen sich unersättliche Süßmäuler sogar der mittlerweile an der sacht bröselnden Nordmanntanne gut abgehangenen, will sagen steinharten Fondant-Kringel. 

Spätestens am Heiligdreikönig ist der weihnachtliche Feiermarathon endgültig zu Ende gegangen, und man sehnt sich wieder nach deftigen Alltagsgenüssen jenseits von Pasteten, Kaviar, Räucherlachs und Zuckerwerk. Wie gut, dass die Zeiten vorbei sind, als die Flüsse noch voller Lachse waren und sich Dienstboten gegen ständige Lachsmahlzeiten zur Wehr setzen mussten. In Hamburg und Bremen etwa wurde vertraglich festgeschrieben, dass die Wandersalmoniden nicht mehr als zweimal pro Woche auf den Tellern des Hauspersonals landeten.

Die Kittelschürze des deutschen Metzgerhandwerks

Wie wäre es jetzt beispielsweise mit einem Schälchen Fleischsalat aus geschnittener Fleischwurst und Gewürzgurken, angerührt mit vollfetter, garantiert nicht hausgemachter Mayonnaise? Oder einem Assortiment verschiedener Schinkenwurst-Varietäten vom Metzger um die Ecke, falls der noch nicht vor Corona, Personalkrise und Veggiewahn kapituliert hat? Wahlweise versetzt mit Schinkenwürfeln, Paprikastückchen, Käsewürfeln, Dosenchampignons oder Pistazien, die eine Schinkenwurst flugs zur „norddeutschen Mortadella“ veredeln.

Schinkenwurst ist die Kittelschürze des deutschen Metzgerhandwerks: hoffnungslos von gestern, aber nicht totzukriegen. Sie darf in keiner Fleischtheke fehlen und wird auch als „gemischter Aufschnitt“ verkauft. Natürlich kann man mit Schinkenwurst brav ein Butterbrot belegen. Aber noch besser schmeckt sie, wenn man sie, vor der offenen Kühlschranktür stehend – Herr Habeck möge mir verzeihen angesichts dieser eklatanten Energieverschwendung – direkt aus dem Papier vertilgt, in das sie die Metzgersgattin oder der transsexuelle Lehrbub gewickelt hat.

Im engeren Sinne handelt es sich bei einer Schinkenwurst um eine Brühwurst. Dafür muss zunächst ein Grundbrät hergestellt werden. Der Metzger verwendet dazu einen Kutter aus der Keule, zusammen mit Salz und Gewürzen sowie geschrotetem Eis zu einer sehr feinen Masse gehäckselt. Die Zugabe von bis zu zwanzig Volumenprozent Eis dient dabei dazu, das Brät während des Kutterns zu kühlen, damit sich die Masse durch die sich schnell bewegenden Kuttermesser nicht erhitzt, das Eiweiß gerinnt und die Fleischmasse körnig wird. Außerdem dient das Wasser zur Lockerung des Bräts.

Die Lyoner, das „Steak des Bergmanns“

Die hellrote Fleischcreme wird alsdann mit den gewünschten Additiven – Schinkenstücke, Paprika, Pilze, Pistazien, Käse – vermengt, die eigentlich nur Dekoration sind und geschmacklich keinen echten Mehrwert bieten. In Kunstdarm abgefüllt, muss die Wurst hernach gebrüht werden, bevor man sie am Stück oder scheibchenweise verkauft. Oder weiterverarbeitet, etwa zu Fleischsalat, wobei hier auch eine Lyoner bzw. Fleischwurst zum Einsatz kommen kann, bei der das Brät ohne weitere Zusätze in einen Naturdarm gefüllt und gebrüht wird.   

Die meisten Feinschmecker dürften einer deutschen Schinkenwurst mit Skepsis begegnen. Sie greifen lieber zu den modischen, luftgetrockneten Schinkenspezialtäten aus Italien wie San Daniele, Parmaschinken oder einem dünn aufgeschnittenen Südtiroler Speck. Sicher, der feine Geschmack eines hauchdünn geschnittenen Prosciutto die Parma ist kaum zu übertreffen. Doch das ist dann schon wieder eine festtägliche (und zudem nicht billige) Delikatesse. Außerdem gibt es auch bei Parmaschinken und San Daniele, einem Tummelplatz mafiös organisierter Lebensmittelfälscher, gewaltige Qualitätsunterschiede, die ohne vorherige Geschmacksprobe, zumal in abgepacktem Zustand, kaum zu erkennen sind. Mit einer vom Metzger unseres Vertrauens hergestellten Schinkenwurst ist man dagegen meist auf der sicheren Seite.

Ins Umfeld von Schinkenwurst und Fleischwurst gehört auch die Zungenwurst oder „Blutzunge“, eine Blutwurst, in die Stücke von Rinder- oder Kalbszunge eingearbeitet sind. Bei Heinz Becker, Hilde und Stefan, in deren betulicher Häuslichkeit auch die Kittelschürze überlebt hat, gehörte sie unbedingt in den Einkaufswagen (hier, ab 15:40), natürlich zusammen mit der im Saarland infolge der Nähe zu Frankreich sehr populären, einst als „Steak des Bergmanns“ bekannten Lyoner. In Frankreich heißt die Lyoner nicht Lyoner, sondern Cervelas. Man kann sie auf burgundische Art warm in einer Rotwein-Zwiebel-Sauce servieren. Mit deutscher Schinkenwurst sollte man den Franzosen lieber nicht kommen.  

 

Georg Etscheit schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss.

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Heike Olmes / 08.01.2023

Ich mag es zu gerne, wenn Kleinkinder an der Wursttheke kein Stück Fleischwurst, sondern eine eingerollte Scheibe Schinkenwurst auf die Hand bekommen und sie genüsslich weglutschen.

Andreas Glaesel / 08.01.2023

Guter und wichtiger Artikel, aber: Vorsicht bei der Eismenge im Kutter: Je kälter die Masse, desto schlechter die Fettbindekapazität und desto höher der Geleeabsatz, mit negativen Folgen für die Textur des Endprodukts

Christian Feider / 08.01.2023

ich sags jetzt mal so…. auch wenn man einige Kochbücher gesammelt und einigen Hochwohlgeborenen Küchenkritikern nacheifert: DAS:“Der Metzger verwendet dazu einen Kutter aus der Keule, zusammen mit Salz und Gewürzen sowie geschrotetem Eis zu einer sehr feinen Masse gehäckselt” sollte keinem Journalisten passieren! Der Kutter ist das Werkzeug!,die Fleischreste(7 Sorten Fleisch kennt der Metzger)sind die Grundlage für die Wurst. Und ja,ich weiss aus erster Hand,wovon ich rede :)

Stefan Werner / 08.01.2023

Die Geschichten mit dem lachsverweigernden Dienstpersonal kennt man aus verschiedenen Städten. Der Teufel steckt aber auch dieses Mal im Detail. Lachse wandern zum Ende ihrer Lebenszeit die Flüsse wieder hinauf, in denen sie ihre Kindheit verbrachten, um zu laichen und dann alsbald zu sterben. Es sind dies also dicke, fettige Greisinnen und Greise in Fischgestalt ,vergleichbar einem alten Rind, welches man zur Schlachtbank führt und dessen Fleisch man stundenlang kochen muß . Wir essen heutzutage das Fleisch junger Lachse, welches aus dem Atlantik kommt, vergleichbar mit Kalbfleisch. Dieses hat eine gänzlich andere Qualität als das von ihren lebensmüden Artgenossen.

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