Ich weiß nicht, wer mit dem Salatterror begonnen hat. Wahrscheinlich waren es Kaninchen. Die mümmeln das Grünzeug ununterbrochen. Doch Menschen sind keine Kaninchen. Und sie mümmeln nicht, zumeist jedenfalls.
Schon wenn ich das Wort „Salatbuffet“ höre, läuten in meinem Kopf sämtliche Alarmglocken. Das gleiche passiert, wenn man mir einen „kleinen Beilagensalat“ serviert. Das ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ein freudlos zusammengewürfeltes Arrangement aus viel zu großen Salatblättern mit dicken Strünken, Rapselmöhren und Rapselsellerie, schlimmstenfalls aus der Dose und, wenn der Koch besonders sadistisch aufgelegt ist, rohen Paprikastücken. Oft kommen dazu noch glitschige Gurkenscheiben und wässrige Tomatenhälften.
Das alles dümpelt in einem Fußbad aus schlechtem Öl und Essigessenz und so viel Wasser, dass es dem seligen Sebastian Kneipp zur Ehre gereicht hätte. Wie so etwas gemacht wird, weiß ich, seit ich in meiner Jugend einmal als Spülhilfe in einem Landgasthof gearbeitet hatte. Dort wurde der Salat schon frühmorgens gerupft und in einen mit Wasser gefüllten Plastikeimer geworfen, wo er mittags tropfnass, labbrig und völlig geschmacksneutral die nichts ahnenden Gäste das Fürchten lehrte.
Auf der nach oben offenen Skala des deutschen Salathorrors folgt zuverlässig der „Fitnessteller“, ein Grünzeug-Gebirge, das gerne als gesunde Hauptmahlzeit für magersüchtige Damen angepriesen wird. Zu den Zutaten des Beilagensalats gesellen sich in der extended version noch mehlige, rote Bohnen, Maiskörner, die einem in den Zähnen stecken bleiben, penetrante Raukestengel und geschnittene, rohe Frühlingszwiebeln sowie allerlei undefinierbare Sprossen. Oft türmen unbedarfte Küchenhilfen trockene Hühnerbrustscheiben obenauf und ertränken diesen kulinarischen Supergau mit einer süßlichen Cocktailsauce aus der Plastikflasche. In der Luxusversion gibt’s als Krönung gebratene Garnelen mit streng limitiertem Eigengeschmack, bei deren, nun ja, Genuss es einem Leid tut, dass dafür in Fernost wertvolle Mangrovenwälder abgeholzt wurden.
Die berühmte „insalata mista“
Viele Menschen schwören auf ihre tägliche Salatration, ob zu Hause oder im Restaurant. Die Mär, dass Grünzeuggebirge besonders gesund seien, ist nicht totzukriegen. Dabei zersetzen sich die meisten Vitamine schon kurze Zeit, nachdem die jeweiligen Blätter der Erde oder irgendeinem künstlichen Nährmedium entrissen wurde. Und wenn die von Gesundheitsaposteln unablässig gepriesenen „sekundären Pflanzenstoffe“ wirklich irgendwelche Krankheiten verhüten, müssten Kaninchen älter werden als Menschen. Werden sie aber nicht, nachweislich.
Da wäre dann noch die Sache mit den Ballaststoffen. Die seien in Salat reichlich vorhanden und förderten eine gute Verdauung, liest man immer wieder. Außerdem bewirke der Genuss von viel Salat zu Beginn einer Mahlzeit eine Art Basissättigung mit der Folge, dass man danach weniger esse und – weniger zunehme. Zunächst sei klargestellt: Bei dem, was in Salat am reichlichsten vorhanden ist, handelt es sich schlicht um (übermäßig teures) Wasser. Und dann finde ich die Argumentation einigermaßen pervers, dass man sich erst den Magen mit geschmacklosem „Ballast“ zukleistern soll, um hernach nichts Gutes mehr essen zu können.
Ehe ich mich hier in eine Hassrede hineinsteigere, gebe ich gerne zu, dass es Salate gibt, die auch gehobene kulinarische Ansprüche zu erfüllen imstande sind. In Italien etwa schmeckt die berühmte „insalata mista“ fast immer signifikant besser als hierzulande. Das liegt nicht nur an der oft besseren Qualität von Öl und Essig, sondern vor allem an der Frische und Reife der verwendeten Produkte. Tomaten etwa sollte man eigentlich direkt vom Strauch essen. Sollen sie über längere Strecken transportiert werden, müssen sie unreif geerntet werden, sonst kommt am Bestimmungsort nur noch Matsch an. Und Salat schmeckt dann am intensivsten, wenn er im Freien angebaut wurde und nicht im Gewächshaus. Eigentlich eine Binsenweisheit, die einem klar machen sollte, dass im Winter Salat keine Option ist, mit Ausnahme eines geschmackigen Krautsalates.
Die Sonne lacht wenigstens im Gaumen
Oder eines Feldsalats, der, Gott sei gepriesen, in nicht zu strengen Wintern auch bei uns noch im Freien geerntet werden kann. Im milden Breisgau etwa kann man ihn auf dem samstäglichen Markt rund ums Freiburger Münster kaufen, wo er in den Auslagen der Gemüsestände zu riesigen, dunkelgrünen Bergen aufgetürmt wird. Wenn man die kleinen Salatnester penibel von der anhängenden Erde befreit und die feinen Würzelchen abschneidet, wenn man sie mit einer Vinaigrette aus Walnussöl und gutem Essig behandelt und vielleicht noch frisch gebratene Speckwürfel und Brotcroutons darüber streuselt, ist solch ein Feldsalat eine ebenso nahrhafte wie wohlschmeckende Speise, für die ich sogar einen mümmelnden Kaninchenbraten stehen lassen würde.
Auch ein Caesar's Salad mit einer Sauce aus geriebenem Parmesan, Sardellenfilet, Senf, Öl und Ei ist nicht zu verachten, vorausgesetzt, man verwendet dafür keinen Eisbergsalat. Warum nehmen sich nicht einmal die verbotsgeilen Grünen dieser in Klarsichtfolie verpackten Plastikkugeln an, die ebenso auf den Index gehören wie roher Chinakohl? Aber wenn man sie mal bräuchte, sind sie gerade mit Krieg führen beschäftigt, die Grünen.
Der beste aller Salate kommt wieder einmal aus dem Süden, diesmal dem Süden Frankreichs: die Salade nicoise. Ein allgemeingültiges Rezept für diese sommerliche Spezialität gibt es nicht. Bocuse empfiehlt als Zutaten zu gleichen Teilen festkochende, in feine Scheiben geschnittene Kartoffeln, entkernte Tomaten, Kopfsalatherzen und in Salzwasser knackig gegarte, sehr feine grüne Bohnen, am besten die bei Ökos (Flugware!) verpönten Keniabohnen. Dazu eine Vinaigrette, die mit fein geschnittenen Schalotten angereichert ist. Außerdem würzt der Großmeister den Salat noch mit frischen Kerbelblättern.
Ich selbst gebe, Wolfram Siebeck folgend, gerne noch hartgekochte Eier dazu, für die man auch die Kartoffeln weglassen kann, außerdem entsteinte, schwarze Oliven, Sardellenfilet und in Öl eingelegten Thunfisch. Wer Thunfisch aus Glas oder Dose nicht mag, kann auch frischen Thunfisch kurz anbraten und die dünnen Tranchen dekorativ über den Salat legen. Wenn man für die Soße das etwas bittere, pfeffrig-scharfe Olivenöl der Region um Nizza zur Hand hat und dazu einen frischen Weißwein dieser Gegend trinkt, etwa einen reinsortigen Roussanne, kann er kommen, der Sommer. Und wenn's, dem Klimawandel sei Dank, wieder einmal regnet in unseren Breitengraden, lacht die Sonne wenigstens im Gaumen.